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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Zeugenaussage vertagt Ein böses Wort steht im Raum: Lüge
Altkanzler und Russland-Lobbyist Gerhard Schröder ist psychisch erkrankt und in einer Klinik. Damit entgeht er einer heiklen Befragung, die ihn und seine SPD kurz vor der Wahl in Bedrängnis hätte bringen können.
Es ist ein denkwürdiger Augenblick: Altkanzler Gerhard Schröder wird auf absehbare Zeit nicht vor dem Untersuchungsausschuss zur Gaspipeline Nord Stream 2 aussagen. So viel steht derzeit fest. Der Grund dafür ist ein Attest über eine Burn-out-Diagnose, das Schröder der Landtagsverwaltung in Mecklenburg-Vorpommern vorgelegt hat.
Dort versuchen Abgeordnete seit zweieinhalb Jahren aufzuklären, wie groß der Einfluss Russlands und seiner Staatskonzerne auf die Landesregierung von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) war – und ob sie für die Kooperation auch bereit war, Gesetze und Regularien sehr großzügig auszulegen. Dabei steht im Raum, dass die Staatskanzlei öffentlich die Unwahrheit sagte.
Hinterzimmergespräche in Schwerin
Schröder war als Verwaltungsratspräsident der Nord Stream 2 AG eine Schaltstelle für die Hinterzimmergespräche zwischen den russischen Gashändlern und Schwesigs Regierung. Deswegen war seine Aussage mit Spannung erwartet worden. Abgeordnete erhofften sich von Schröder unter anderem eine Antwort auf die Frage, wie die sogenannte Klimastiftung entstand, mit der die Landesregierung Nord Stream 2 vor US-Sanktionen schützte. t-online berichtete vielfach exklusiv über die Verwicklungen:
- über vertrauliche Gespräche zwischen Schwesig und Schröder abseits des Protokolls
- über konspirative Kommunikation mit den Gashändlern
- über Widersprüche zur Gründung der Klimastiftung
- über Tricksereien im Genehmigungsverfahren der Pipeline
- über verschleierte Milliardendeals und Interessenkonflikte des Energieministers
- über Geldflüsse ins Umfeld eines Geheimdienstclans
Sebastian Ehlers, Obmann der CDU im Ausschuss, sagte t-online zu Schröders Erkrankung: "Die Nachricht kommt überraschend, kürzlich machte Gerhard Schröder noch einen sehr munteren Eindruck." Er fügte hinzu: "Ich wünsche gute Genesung – ich bin mir sicher, dass der Altkanzler sehr viel zur Aufklärung der Geschehnisse um die sozialdemokratische Spezialoperation Klimaschutzstiftung / Nord Stream 2 beitragen kann." Zuvor hatte auch Hannes Damm, Obmann der Grünen, erklärt, Schröders Aussagen seien "von entscheidender Bedeutung".
Die vorläufig geplatzte Zeugenaussage ist ein heikler Moment der Aufarbeitung, denn weitere Befragungen haben den Verdacht erhärtet, dass Schwesigs Staatskanzlei öffentlich falsche Angaben machte. Sprich: Sie könnte die Öffentlichkeit belogen haben.
Schwesigs Staatskanzlei unter Druck
Am 23. Januar, als Schröder eigentlich erstmals befragt werden sollte, sagte Matthias Warnig aus, der ehemalige Geschäftsführer der Nord Stream 2 AG: Entstanden sei die Idee zur Klimastiftung in seinem Unternehmen. Schwesigs Staatskanzlei behauptet hingegen seit fast drei Jahren das Gegenteil: Die Idee sei in der Landesregierung entstanden, der damalige Energieminister Christian Pegel habe sie entwickelt.
Schröder konnte nicht vom Ausschuss befragt werden. Er hatte sich einen Tag zuvor krankheitsbedingt abgemeldet. Ein Antrag der Grünen, es solle für Schröder eine Sondersitzung noch vor der Bundestagswahl anberaumt werden, fand keine Mehrheit. Der nächste Termin sollte am 7. März sein, das Attest bescheinigt Schröder nun aber, nicht teilnehmen zu können. Sein Anwalt bestätigte den Nachrichtenagenturen dpa und AFP, Schröder lasse sich derzeit in einer Klinik behandeln.
Auch Ministerpräsidentin soll noch aussagen
Die Nachrichtenagentur dpa zitierte aus der ärztlichen Stellungnahme, Schröder sei "weder aktuell noch in absehbarer Zeit den körperlichen und psychischen Belastungen durch eine längere – insbesondere öffentliche – Befragung in einem Untersuchungsausschuss gewachsen". Im Gegenteil würde sie "seinen Gesundheitszustand weiter verschlechtern und schlimmstenfalls zu einer totalen Dekompensation führen". So wird in der Medizin ein Zustand beschrieben, in dem die Heilung deutlich erschwert ist.
Ob Schröder überhaupt noch aussagen wird, ist derzeit also völlig unklar. Zeit bleibt aber noch. Die Befragungen von Manuela Schwesig und wichtigen Vertrauten wie dem damaligen Landesenergie- und heutigen Landesfinanzminister Christian Pegel werden für Ende des Jahres erwartet. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz und die ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und Peter Altmaier (CDU) sollen noch gehört werden. Theoretisch können Zeugen auch schriftlich befragt werden.
- Eigene Recherchen
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP