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Soforthilfen blieben liegen: Was geschah mit den Flut-Millionen?


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Soforthilfen blieben liegen
Was geschah mit den Flut-Millionen?


Aktualisiert am 29.10.2021Lesedauer: 9 Min.
Ein zerstörtes Haus im Ahrtal: Kamen die Soforthilfen dort an, wo sie gebraucht wurden?Vergrößern des Bildes
Kamen die Soforthilfen dort an, wo sie gebraucht wurden? (Quelle: Reichwein/imago-images-bilder)

Mit enormen Summen hilft der Staat den Opfern der Jahrhundertflut. Doch ein genauerer Blick offenbart Probleme: Gelder bleiben liegen, Behörden kämpfen mit der Zahl der Anträge. Deutschlands "nationaler Kraftakt" schwächelt.

Armin Laschet ist in guter Erinnerung geblieben. An einem Morgen im Juli, als das westfälische Altena noch in weiten Teilen unter Wasser stand, hatte der damalige Ministerpräsident Gummistiefel angezogen, Anwohner getroffen und Unternehmer, die Trümmer und Schutt beseitigten. Vor dem markanten Tor des Drahtwerks Klincke erkundigte sich Laschet, woran es denn jetzt fehle, was gebraucht werde. Er hinterließ den Eindruck, dass er sich interessierte und Anteil nahm. Die Bilder vom ersten Besuch des Kanzlerkandidaten in den überfluteten Straßen der Stadt gingen durch Deutschland.

Wenn Bernd Falz, der mit seinem Bruder Holger das Drahtwerk leitet, von den Tagen der Flut erzählt, dann nur wenig von Laschets Besuch, aber viel von dem, was geschafft wurde – und was verhindert. Sie stapelten damals Sandsäcke, stellten noch schnell den Strom ab, retteten weite Teile der Computersysteme.

Es hätte also noch schlimmer kommen können. Dabei kam es auch so schon schlimm genug. "Wir haben eine Hochwassermarke von 1925 an der Firma – da waren wir 1,25 Meter drüber", sagt Falz. "Jahrhunderthochwasser trifft es also ganz gut."

Als der Starkregen im Juli fiel, die Pegel selbst in kleinen Bächen unaufhörlich stiegen, wurden in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz ganze Ortschaften von Wassermassen getroffen, die sie teils seit 100 Jahren nicht mehr erlebt hatten. Einige Städte traf es gänzlich unvorbereitet, Warnungen blieben aus und es gab viele Tote. Andere Kommunen hatten sich wenigstens kurzfristig auf das Schlimmste gefasst gemacht.

Milliarden gegen die Verwüstung

Doch mancherorts war den Fluten einfach nichts entgegenzusetzen. In Erftstadt riss das in eine Kiesgrube strömende Wasser zahlreiche Häuser mit in den Abgrund, in Ahrweiler stieg es so schnell, dass viele sich nicht mehr in Sicherheit bringen konnten und starben.

Als die Pegel wieder sanken, blieben Schutt und Verwüstung zurück: Katastrophengebiete. Menschen standen vor dem Nichts, Brücken und Bahngleise waren verschwunden. Die Versicherungsbranche schätzte den Schaden auf über sieben Milliarden Euro, der Bund schloss sogar Schäden bis zu 30 Milliarden Euro nicht aus. Für das bürokratische Deutschland erstaunlich rasch gab es einen politischen Konsens, der lautete: Hier muss jetzt möglichst schnell geholfen werden, dafür müssen staatliche Gelder her.

Merkel: "Wird nicht am Geld scheitern"

Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, forderte "eine nationale Kraftanstrengung". Laschet versprach unbegrenzte Mittel: "Tod und Leid können wir nicht wiedergutmachen, aber nach dem Wiederaufbau soll keine Stadt, kein Dorf, keine Familie schlechter dastehen als vorher." Und Bundeskanzlerin Angela Merkel versicherte: "Da muss keiner Angst haben, der Wiederaufbau wird nicht am Geld scheitern."

Und so beschlossen Bund und Länder zunächst 800 Millionen Euro Soforthilfe. Zusätzlich legten sie einen viele Milliarden schweren Wiederaufbaufonds auf. Die Botschaft: Flutopfer werden nicht alleingelassen, Privathaushalte sollten entschädigt, Unternehmen vor dem Ruin gerettet und Kommunen wiederaufgebaut werden. Mit Steuermitteln.

Heute, mehr als 100 Tage nach der Katastrophe, stellen sich viele Fragen: Wo blieben diese Millionen? Wurden sie ausgezahlt? Kamen sie bei denen an, die sie am dringendsten brauchten? Wurden sie gerecht verteilt? Wurden sie in dieser Höhe benötigt? Und konnte der Staat diesen "nationalen Kraftakt" inmitten verwüsteter Landstriche vollbringen?

Die Bundesregierung hatte dazu bis vor Kurzem überraschend wenige Informationen. Als die FDP-Fraktion im Bundestag im September nach dem Stand der Hilfsprogramme fragte, lautete die Antwort in weiten Teilen: unbekannt. "Zahlungen des Bundes erfolgen nach Vorlage von Zwischenabrechnungen der Länder über geleistete Soforthilfen", stand etwa in der Antwort. Das heißt: Die Länder schießen vor, dann zahlt der Bund. "Zwischenabrechnungen liegen dem Bund noch nicht vor."

Es blieb bei 400 Millionen

Und damit ist auch das erste Missverständnis ausgeräumt: Es handelt sich bei den Soforthilfen mitnichten um einen Betrag, den Länder und Bund im ersten Schritt gemeinsam aufbringen. Die Länder zahlen und dann erstattet der Bund die Hälfte davon. Und das führt direkt zum zweiten Missverständnis: Es handelte sich auch nicht um sofortige Hilfen in Höhe von 800 Millionen Euro. Vielmehr stellten NRW und Rheinland-Pfalz jeweils 200 Millionen Euro bereit – also 400 Millionen Euro insgesamt. Davon trägt der Bund anschließend die Hälfte.

Wie kommt es also, dass beständig von 800 Millionen die Rede ist? Das Bundesfinanzministerium erläutert das so: Der Bund habe durch die Verwaltungsvereinbarung mit den Ländern "die finanzielle Möglichkeit geschaffen, sich an Soforthilfen der Länder in einer Höhe von bis zu 800 Mio. Euro zu 50% zu beteiligen". Also mit Luft nach oben – das hatte Finanzminister Olaf Scholz in öffentlichen Statements auch so erklärt. Die beiden Länder beließen es dann aber bei insgesamt 400 Millionen Euro.

Rheinland-Pfalz rief nicht alle Soforthilfen ab

Vielleicht, weil einfach nicht mehr Bedarf war. Darauf lässt jedenfalls eine Antwort aus dem Innenministerium von Rheinland-Pfalz auf eine Anfrage von t-online schließen: "Die Soforthilfe dient dazu, kurzfristig Geld für das Nötigste zu haben. Dafür sollte kurzfristig ausreichend Geld bereitstehen und das war der Fall." Kein Mehrbedarf also – nicht für die Kommunen, nicht für die Privathaushallte und nicht für die Unternehmen, die allesamt aus demselben Topf der Soforthilfen in Höhe von 200 Millionen Euro pro Bundesland unterstützt wurden.

Daten aus den Landesministerien, die t-online vorliegen, zeigen: Offenbar wurden Teile der Soforthilfe in Rheinland-Pfalz nicht einmal abgerufen. In Nordrhein-Westfalen wurden gut 200 Millionen Euro ausgezahlt, in Rheinland-Pfalz nur 133,7 Millionen Euro – obwohl dort laut Aufschlüsselung des Bundes ein höherer Schaden entstanden war.

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Ganze Landstriche verwüstet – und Gelder bleiben liegen? Wie kann das sein? Es ist gleich doppelt erstaunlich, da Rheinland-Pfalz für die betroffenen Kommunen sogar mehr Geld ausgegeben hat als Nordrhein-Westfalen: 85 Millionen Euro sind dort gegenüber 65 Millionen Euro in NRW geflossen.

Den Unterschied bei den Hilfen in den beiden Ländern macht offenbar die Zahl der gestellten Anträge für Privathaushalte und Unternehmen. Denn die Höhe der Zahlungen war für beide Bereiche genau festgelegt – egal, ob der Keller unter Wasser stand oder das Haus in einen Abgrund gerissen wurde: maximal 3.500 Euro pro Privathaushalt, 5.000 Euro pro Unternehmen.

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Viel weniger Anträge in Rheinland-Pfalz gestellt

Während in NRW insgesamt 53.000 Anträge auf diese Soforthilfen bewilligt wurden (Gesamtvolumen: 135 Millionen Euro), waren es in Rheinland-Pfalz nur gut 20.000 (Gesamtvolumen: 58,7 Millionen Euro). Das hing allerdings nicht mit der Ablehnungsquote zusammen. In Rheinland-Pfalz wurden nur wenige Hundert Anträge nicht bewilligt, was bedeutet: Es wurden einfach nicht mehr gestellt.

Im Innenministerium von Rheinland-Pfalz kann man über die Gründe dafür nur spekulieren: "Denkbar ist, dass neben der Soforthilfe des Landes und Versicherungsleistungen vielfach auch andere Unterstützungsangebote angenommen wurden – etwa aus kommunalen Soforthilfeprogrammen, Programmen von Hilfsorganisationen oder Spenden." So seien allein auf dem Spendenkonto des Landes 17,7 Millionen Euro ein- und von dort aus den Kommunen zugegangen, um verteilt zu werden.

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Private Hilfe also als Entlastung für staatliche Zuschüsse? Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft hat noch eine andere Vermutung: Es habe in Nordrhein-Westfalen mehr Schäden als in Rheinland-Pfalz gegeben, in Rheinland-Pfalz aber dafür größere. Der Durchschnittsschaden sei dort höher. Das entspräche also weniger Betroffenen und somit weniger Antragsberechtigten für die Soforthilfen.

Umso mehr angewiesen sind nun diejenigen, deren Schäden besonders groß waren, auf die 30 Milliarden Wiederaufbauhilfe, die Bund und Länder erneut gemeinsam stellen wollen. Denn Soforthilfen gibt es jetzt nicht mehr. Wer nun unterstützt werden möchte, ob privat oder für sein Unternehmen, muss Wiederaufbauhilfe beantragen. Dafür ist noch viele Monate Zeit. Erst Mitte 2023 soll die Frist dafür auslaufen.

Behörden kämpfen nun mit der Antragsflut

Doch der Weg zur Förderung für Betroffene ist, anders als bei den unbürokratischen Soforthilfen, weitaus komplizierter: 48 Seiten müssen ausgefüllt werden. Bescheinigungen sind notwendig und Gutachten. Sanierung und Auskommen müssen, bis die Gelder schließlich fließen, irgendwie aus der eigenen Tasche bestritten werden. Im ehemals überfluteten Erftstadt berichteten Betroffene t-online von großen Sorgen und bürokratischen Hürden, obwohl die Kommunen Vor-Ort-Beratungen eingerichtet haben. Denn die Bearbeitung kann dauern, allein in NRW rechnet Kommunalministerin Ina Scharrenbach mit über 100.000 Anträgen.

Das könnte den Behörden, die diese Antragsflut nach der Flut zu bewältigen haben, durchaus Probleme bereiten. Die t-online vorliegenden Zahlen aus den Landesministerien zeigen: Von Tausenden seit Mitte September gestellten Anträgen für Privathaushalte wurde in beiden Ländern bislang nur ein Bruchteil bewilligt und befindet sich in Auszahlung.

In Rheinland-Pfalz wurden knapp 10.000 Anträge gestellt, aber bislang nur 300 bewilligt mit einem bisherigen Zahlungsvolumen von 4 Millionen Euro. Update, 29.10.2021: Nach Veröffentlichung des Artikels berichtete die Deutsche Presse-Agentur über aktuellere Zahlen aus Rheinland-Pfalz. Demnach wurden nun 12.900 Anträge gestellt und 1.500 bewilligt. Die Angaben von t-online beruhten einer Auskunft des Finanzministeriums vom 14. Oktober.

In Nordrhein-Westfalen wurden bis zum 20. Oktober insgesamt 5.600 Anträge gestellt, aber bislang nur 500 bewilligt mit einem bisherigen Zahlungsvolumen von 6,5 Millionen Euro.

Woran liegt das?

Einer, der davon erzählen könnte, es aber nicht tut, ist Lutz Urbach. Er hat einen Brief an seine Vorgesetzten sprechen lassen, der t-online vorliegt und erstmals über einen Bericht im "Kölner Stadtanzeiger" seinen Weg an die Öffentlichkeit fand. Sogar im Landtag war er daraufhin Thema, wo die SPD die schwarz-gelbe Landesregierung damit unter Feuer nahm und Ministerin Scharrenbach sich schließlich zu abfälligen Worten über Urbach hinreißen ließ: "Wissen Sie: Manchmal passt auch die Person nicht zur Aufgabe."

Das saß. Gejohle und Beifall seitens der Regierungsfraktionen im Parlament. Eine Abfertigung vor der gesamten Öffentlichkeit des Landes. Für einen langjährigen Parteifreund und Untergebenen der Landesregierung. Aufgrund eines wohl begründeten Kündigungsbriefs.

Kommentieren möchte Urbach auf Anfrage von Medien weder sein Schreiben noch die harsche Herabwürdigung. Das sei eine Sache zwischen ihm und seinem Dienstherrn, heißt es. Auch für t-online war er nicht zum Thema zu sprechen. Man kann also erahnen: Urbach war nicht Busfahrer oder Kassierer im Supermarkt.

Bis vor wenigen Monaten war der studierte Verwaltungswirt zwölf Jahre lang Bürgermeister von Bergisch-Gladbach, noch früher war er Kämmerer in Hennef. Er kennt also die Situation angespannter Haushalte, auch enger Personalplanung. Dann suchte er eine neue Aufgabe und fand sie bei der Bezirksregierung Köln: Im Mai wurde er Abteilungsleiter. Ab sofort war er dort zuständig für "Regionale Entwicklung, Kommunalaufsicht und Wirtschaft".

Dachte er zumindest. Nicht in der Stellenausschreibung war enthalten, was die Abteilung ebenfalls zu leisten hatte – und wofür laut seiner Darstellung ab sofort ein Großteil der Ressourcen verwendet werden musste: die Abarbeitung der Anträge für die Corona-Hilfen.

Und dann kam die Flut.

Ab sofort war die Abteilung auch zuständig für die Anträge der Wiederaufbauhilfen. Kommunale Infrastruktur, private Haushalte: Alles landete offenbar auf den Schreibtischen genau derjenigen, die auch schon die Zusatzaufgaben der Corona-Hilfen zu bewältigen hatten. Ein Scheitern mit Ansage.

Im Brief an Innenminister Herbert Reul klingt Urbach einigermaßen fassungslos: "Dass das nicht funktionieren kann, ohne dass einer der beiden Bereiche kollabiert, liegt auf der Hand", heißt es darin. "Es ist faktisch unmöglich, die anstehenden Aufgaben mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen zu bewältigen."

Die Folgen für die Mitarbeiter schildert Urbach deutlich: Ausbeutung, gesundheitliche Alarmsignale, Burnout. "Für mich ist spätestens exakt an diesem Punkt die Grenze dessen überschritten, woran ich mitwirken möchte." Der Bezirksregierung fehlten "faktisch die Handlungsspielräume, die eklatante Mangelsituation zu beheben".

Sprich: In der Verantwortung wäre die Landesregierung unter Ministerpräsident Laschet, der in Altena in so guter Erinnerung geblieben ist, eigentlich Kanzler werden wollte und dieser Tage vielmehr schauen muss, wie er politisch noch sein Gesicht wahren kann. Doch seine Ministerin sieht ihrerseits keinen Handlungsspielraum.

Scharrenbach weist die Verantwortung für den Personalmangel dem Bundesfinanzministerium zu. Es sei korrekt, dass die Landesförderrichtlinie, die Refinanzierung von Verwaltungsstellen durch die Hilfen ausschließe, sagte sie Anfang Oktober im Landtag, als Urbachs Brief das Plenum bewegte. "Das ist aber leider eine Bundesvorgabe, weil das mit Bundesfinanzminister Scholz nicht verhandelbar war." Auch aus Rheinland-Pfalz wird berichtet, dass sich das Land wegen des Personalmangels an den Bund gewandt habe.

Ob nun aber der Bund oder die Länder Verantwortung für die möglicherweise schleppende Bearbeitung der Anträge trägt – ein Betrieb hat sich ohnehin schon entschieden, von den Wiederaufbauhilfen vermutlich keinen Gebrauch zu machen. Von den rund 5.000 Euro Soforthilfe des Landes kauften die Drahtwerke in Altena Schneeschieber und Schubkarren. Auf die angebotene Wiederaufbauhilfe des Landes wollen die Unternehmer Falz aber nicht zugreifen – und das obwohl von Schaden "im niedrigen zweistelligen Millionenbereich" auszugehen ist.

"Uns war die Gefahr bewusst, also waren wir versichert", sagt Falz t-online. "Von einem Unternehmer erwarte ich, dass er sich gegen Risiken absichert und nicht auf den Steuerzahler setzt." Das Geld solle besser für den Wiederaufbau der Kommunen verwendet werden. Die Vorsorge sei dabei das Wesentliche: "Was müssen wir tun, damit es uns nicht nochmal so trifft?"

Verwendete Quellen
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