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Zum journalistischen Leitbild von t-online.CDU-General Ziemiak "Wir leben im besten Deutschland, das es je gab"
Paul Ziemiak zählt zu den großen Nachwuchshoffnungen der CDU. Wie sollte sich die Partei künftig aufstellen, wie werden die Corona-Regeln weitergeführt und was können wir aus der Wiedervereinigung lernen? Seine Antworten lassen aufhorchen.
Es gibt wenige junge Politiker in der CDU, die so schnell Karriere in der Partei gemacht haben wie Paul Ziemiak: Seit 2017 sitzt er im Bundestag, seit 2018 ist er der Generalsekretär der Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Der 35-Jährige, der in Polen geboren wurde und als Kind in die Bundesrepublik übersiedelte, gilt als einer der konservativen Köpfe der Partei. Schon lange fordert er, man müsse Wähler von der AfD zur CDU zurückholen.
Im Interview mit t-online zieht Ziemiak eine positive Bilanz der Wiedervereinigung, definiert das konservative Profil der CDU und erklärt, warum er nicht an die Ära eines "starken Mannes" in der Politik glaubt.
t-online: Herr Ziemiak, das ganze Land redet von Corona, dabei ist am 3. Oktober ein historischer Tag. Wie ist Ihr Eindruck: Ist Deutschland 30 Jahre nach der Einheit wirklich wiedervereinigt?
Paul Ziemiak: Ehrlich gesagt glaube ich, dass das Land noch nie so vereint war wie jetzt. Wir leben im besten Deutschland, das es je gab. Am Tag der Deutschen Einheit sollten wir uns bewusst machen, in was für einem wunderbaren Land wir leben, und darauf stolz sein!
Dennoch sitzt der Frust bei manchen Bürgern nach wie vor tief, das haben auch die letzten Landtagswahlen im Osten gezeigt. Viele Menschen finden, dass ihre Lebensleistung nicht ausreichend gewürdigt wird.
Dafür habe ich großes Verständnis. Wir sprechen sehr oft über den Mut der Menschen, der die Mauer zum Einsturz brachte. Viel zu selten würdigen wir das, was diese Menschen nach der friedlichen Revolution geleistet haben, wie sie mit den vielen Umbrüchen umgegangen sind und diese gemeistert haben. Natürlich können manche Dinge noch besser gemacht werden, beispielsweise die finanzielle Absicherung der Frauen oder die Entschädigung der SED-Opfer. Insgesamt sehe ich uns aber auf einem guten Weg.
Was ist aus Ihrer Sicht nach wie vor der größte Unterschied zwischen Ost und West?
Es gibt nicht mehr "den Westen" und "den Osten". Menschen im Berliner Prenzlauer Berg blicken anders aufs Leben als Menschen im ländlichen Brandenburg. Der Unterschied zwischen einem Kohlerevier in Sachsen und einer Stadt wie Dresden ist wahrscheinlich genauso groß wie der zwischen dem Ruhrgebiet und Hamburg.
Sehen Sie also gar keine gravierenden Unterschiede zwischen Ost und West?
Gravierend klingt nach schwerwiegendem Unterschied. Dem würde ich mich so nicht anschließen. Aber die Menschen im Osten sind kritischer, wenn es um große politische Versprechungen geht. Häufig erlebe ich auch, dass im Osten mediale Berichterstattung sehr genau hinterfragt wird.
Der Tag der Deutschen Einheit aber sollte Anlass sein, nicht das Trennende, sondern das Verbindende in den Vordergrund zu stellen. Symbole, die zeigen, wie wir zu unserem Land stehen, sind dazu wichtig. Ich plädiere auch deshalb dafür, die Nationalhymne ins Grundgesetz aufzunehmen. Auch sie ist ein Staatssymbol und sie drückt aus, welchen gesellschaftlichen Anspruch wir an unser Land haben. Einigkeit und Recht und Freiheit. Diese Werte waren vielleicht nie wichtiger als heute.
Das ist ja auch in der Corona-Pandemie zu sehen. Sachsen und Sachsen-Anhalt gehen einen Sonderweg, indem sie nur wenige Verhaltensregeln vorgeben. Damit widersetzen sie sich dem Wunsch der Bundeskanzlerin nach einer einheitlichen Linie. Schadet das nicht der Einheit Deutschlands?
Am Dienstag haben sich die Ministerpräsidenten und die Bundesregierung auf gemeinsame Standards geeinigt, das ist gut. Aber sehen Sie: Es ist doch völlig klar, dass in den Gebieten, die unterschiedlich stark von dem Virus betroffen sind, unterschiedlich weitreichende Maßnahmen eingeleitet werden. Die östlichen Bundesländer sind eben weniger stark betroffen, deswegen können dort die Lockerungen weitergehender sein. Das ist auch eine Stärke des Föderalismus. Dass dies neue Gräben aufreißt, sehe ich nicht.
In den anderen Bundesländern werden dagegen viele Regeln verschärft: Feiern und der Alkoholausschank werden begrenzt. Das sind weitreichende Eingriffe des Staates in das Privatleben der Bürger. Wo verläuft für Sie die Grenze, die Regierung und Parlament im Kampf gegen Corona nicht überschreiten dürfen?
Also, die Maßnahmen werden ja ohnehin schon die ganze Zeit streng kontrolliert, unter anderem von Gerichten. Sie dienen dem Gesundheits- und Lebensschutz, und dass wir die Infektionen nachverfolgen können, damit wir einen zweiten Lockdown verhindern können.
Also dürfte der Staat auch noch sehr viel mehr?
Es ist doch immer eine Frage der Abwägung von Rechtsgütern. Der Staat muss den Gesundheitsschutz sicherstellen und zugleich das Privatleben und die Grundrechte der Bürger immer achten. Jedes staatliche Handeln ist an Recht und Gesetz, insbesondere das Verfassungsrecht, gebunden. Klar ist doch, dass Einschränkungen ausschließlich dieser absoluten Ausnahmesituation geschuldet sind. Es geht stets darum, die Bürger zu schützen.
In der Corona-Krise bekommen Politiker, die dominant auftreten, viel Zustimmung. Markus Söder und Jens Spahn sind Beispiele. Erleben wir den Beginn einer neuen Ära des "starken Mannes" in der Politik?
Ich halte nicht viel von solchen Klischees. Politiker müssen zuhören und begründen können, aber in ihren Entscheidungen stets eine klare, verständliche Linie haben. Dieses Zutrauen hat insbesondere die Bundeskanzlerin. Wir können uns glücklich schätzen, dass sie an der Spitze dieses Landes steht.
Wird der Staat durch diese "heftigen Maßnahmen" nicht übermächtig?
Ihre Frage unterstellt, dass der Staat die Kontrolle über alles übernommen hat. Dem ist nicht so.
Aber es gibt so starke Grundrechtseingriffe wie noch nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Der Staat schreibt den Bürgern jetzt zum Beispiel vor, wie viele Personen sie zu sich nach Hause einladen dürfen.
Nochmal: Der Staat trifft eine Abwägung zwischen Gesundheitsschutz und Freiheitsrechten der Bürger. Das gilt auch in diesem Fall.
Aber möglicherweise könnte eine Bundesregierung auf die Idee kommen, einige dieser Regeln beizubehalten, um künftigen Pandemien vorzubeugen.
Dafür gibt es nun wirklich keine Anhaltspunkte. Wir wollen zurück zur Normalität, sobald es nur irgendwie möglich ist. Und gerade für meine Partei ist Freiheit und Eigenverantwortung besonders wichtig. Die Regierung wird stets von Gerichten kontrolliert. Dass irgendwelche Maßnahmen einfach unbegründet fortgeführt werden sollen, kann ich ausschließen.
In Asien haben viele Menschen auch schon vor Corona in der Öffentlichkeit Masken getragen, weil sie sich daran gewöhnt haben. In Deutschland könnte man ja auch nach der Pandemie in der Grippesaison eine Maskenpflicht beibehalten. So würden womöglich viele Menschen vor einer Ansteckung geschützt. Auch die Grippe kann tödlich sein.
Erstens: Wenn Menschen freiwillig Masken tragen, um sich vor potenziellen Erkrankungen zu schützen, ist dagegen nichts einzuwenden. Corona hat uns vor eine absolute Ausnahmesituation gestellt.
In dieser Ausnahmesituation wurden besondere Maßnahmen ergriffen, die ausschließlich zur Bekämpfung dieser Pandemie eingeführt worden sind. Niemand geht mit diesen Maßnahmen leichtfertig um. In einer Zeit, in der es noch keinen Impfstoff und noch keine zuverlässige Therapie gibt, müssen wir einander anders schützen. Wenn Corona vorbei ist, wird keine einzige der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie unbegründet bestehen bleiben.
Wir nehmen Sie bei Wort. Aber können Sie denn Menschen verstehen, die auch jetzt partout keine Maske tragen wollen?
Nein, kann ich nicht. Auch ich finde Masken lästig und unbequem, ich ärgere mich manchmal, wenn ich eine anziehen muss. Aber ich bin ein erwachsener Mensch und weiß, dass ich eine Verantwortung für meine Mitmenschen habe. Deswegen trage ich eine Maske, wo es nötig ist. Punkt. Bei Menschen, die den ganzen Tag eine Maske tragen müssen, weil ihr Beruf das erfordert, kann ich den Frust natürlich verstehen. Bei allen anderen nicht. Was ist denn schlimmer: Dass ich beim Tanken eine Maske aufsetzen muss – oder, dass meine Kinder wegen einer Ausgangsbeschränkung nicht in die Schule dürfen?
Besonders häufen sich die Masken-Gegner bei den Corona-Protesten. Wie erklären Sie sich die heterogene Mischung der Demonstranten, die dort auf die Straße gehen?
Die Corona-Proteste unterscheiden sich ja. Viele Kritiker sind von den Einschränkungen besonders betroffen, etwa Busunternehmer oder Beschäftigte in der Veranstaltungsbranche. Die bemängeln, dass die harten Einschnitte im Frühjahr unverhältnismäßig waren. Diese Menschen sind sehr ernst zu nehmen, ihnen muss man zuhören. Aber es sind eben auch Anhänger von Verschwörungstheorien dabei, wie beispielsweise die QAnon-Bewegung, die allen Ernstes glauben, Eliten dieser Welt würden das Blut von Kindern trinken, um länger jung zu bleiben. Das ist an Absurdität nicht zu überbieten, und das muss bekämpft werden.
Sehen Sie Parallelen zu den Demonstrationen im Jahr der Flüchtlingskrise 2015?
Die beiden Sachverhalte sind völlig unterschiedlich. Eine Parallele aber ist, dass zu viele Menschen sich gegenseitig nicht mehr zuhören wollen. Die Mikrofone sind auf, aber die Köpfe sind zu. Es wird nur noch gebrüllt. Umso wichtiger ist es jetzt, dass wir als Union aus CDU und CSU die Mitte der Gesellschaft stärken und das Land zusammenhalten.
Ihr Kollege, der Gesundheitsminister Jens Spahn und Bewerber für den Vize-Vorsitz der CDU, sagte im Februar: Die Union befindet sich in der größten Krise ihrer Geschichte. Stimmen Sie zu?
Auf der Union lastet – mal wieder – eine große Verantwortung. Richtig ist, dass wir das Land wieder durch eine Krise führen. Wir haben eine große Verantwortung und der wollen wir gerecht werden.
Jens Spahn ging es aber nicht um die Corona-Pandemie. Er kritisierte den Zustand der Partei.
Wir haben gerade in diesem Jahr viele Schritte in die richtige Richtung gemacht: Wir haben die Partei deutlich digitaler und moderner aufgestellt. Natürlich diskutieren wir auch über den richtigen Weg für uns als Partei. Wir sollten aber nicht den Fehler machen, uns zu sehr mit uns selbst zu beschäftigen. Wir müssen unseren Job machen und das tun, was die Menschen von uns erwarten. Die CDU wurde immer auch deshalb gewählt, weil wir handeln, statt nur zu reden. Erst das Land, dann die Partei.
Welchem der drei Bewerber trauen Sie das am ehesten zu: Merz, Laschet oder Röttgen?
Ich verstehe, dass Sie das interessiert. Aber als Generalsekretär beteilige ich mich nicht an diesen öffentlichen Debatten.
Anders gefragt: Braucht die CDU ein schärferes Profil?
Wir sind Volkspartei, das zeichnet uns aus. Wir stellen das Verbindende vor das Trennende. Das ist eine große Stärke. Wir haben drei starke Wurzeln: das Christlich-Soziale, das Liberale und das Wertkonservative. Wenn wir diese Wurzeln nicht vernachlässigen, dann werden wir auch weiterhin erfolgreich für Deutschland Verantwortung übernehmen dürfen.
Machen Sie es bitte mal konkreter: Was bedeutet für Sie Wertkonservatismus?
Wertkonservativ sein heißt, sich zu den Werten unserer Gesellschaft zu bekennen, sie zu verteidigen, aber auch den Wandel dort, wo er nötig ist, zuzulassen. Das bedeutet, in einer sich ändernden Welt Werte und Wirklichkeit zusammen zu denken und entsprechend zu handeln. Es bedeutet, die uns prägenden Werte stets zeitgemäß zu übersetzen. Das unterscheidet uns im Übrigen von Strukturkonservativen, die keinerlei Veränderung wollen. Werte bewahren und auf dieser Grundlage Fortschritt ermöglichen. Das macht wertkonservative Politik aus.
Das könnte ein Liberaler oder Sozialdemokrat so oder so ähnlich auch sagen.
Das bezweifele ich. Die Union ist die einzige Kraft, die Freiheit und Verantwortung, Solidarität und Subsidiarität zusammen denkt. Das finden Sie so in keiner anderen Partei.
Machen wir es mal konkreter: Ist ein Projekt wie die Mütterrente oder die Abschaffung der Wehrpflicht in Ihren Augen Wertkonservatismus?
Die entscheidende Frage ist doch immer: Was ist wichtig für unser Land? Und diese Entscheidung trifft man auch auf Grundlage einer inneren Haltung.
Sie haben die Frage nicht beantwortet.
Sie können einzelne Sachfragen nicht einfach einzelnen Wurzeln zuschreiben. Das wäre ein sehr instrumentelles Verständnis von Werten. So funktioniert christdemokratische Politik nicht. Aus unseren Wurzeln und unseren Werten ergibt sich eine Haltung. Und aus dieser Haltung heraus machen wir Politik und lösen Probleme. Ein Punkt ist, dass wir davon überzeugt sind, dass Familien die Keimzelle der Gesellschaft sind.
Haben Sie da ein klassisches Familienbild vor Augen: Mann, Frau und zwei Kinder?
Nein. Mir ist wichtig, dass Familien gestärkt werden. Jede Familie muss frei entscheiden können, wie sie leben möchte. Wir Christdemokraten sehen jede einzelne Familie – mit ihren Stärken und Schwächen, ganz gleich, wie sie aussieht.
Aber was ist der Kern Ihres Familienbildes?
Der Kern ist immer die gegenseitige Übernahme von Verantwortung und meistens auch die Fürsorge für Kinder. Im Mittelpunkt unserer Familienpolitik stehen immer die Bedürfnisse der Kinder.
Herr Ziemiak, vielen Dank für das Gespräch.