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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kurztrip in die Hauptstadt Boris Palmer verzweifelt an Berlin
Der grüne Bürgermeister Boris Palmer hatte Ende letzten Jahres über Berlin gelästert. Jetzt besuchte der Politiker die Hauptstadt – ausgerechnet auf Einladung der CDU.
Boris Palmer steht mitten in Berlin und weiß nicht mehr weiter. An diesem Dienstagvormittag hat der Tübinger Oberbürgermeister sich vor einer Messstation für Diesel-Schadstoffe im Zentrum der Hauptstadt aufgebaut und blickt skeptisch auf das kleine Rohr, das die Luftqualität misst. Es geht um die Frage, was er von solchen Berliner Messungen lernen könne. "Nichts", sagt Palmer, "ich kann eigentlich gar nichts davon lernen." Er zuckt mit den Schultern.
Dann fällt ihm doch noch ein, warum er das für politischen Unsinn hält: Schlimm finde er die daraus resultierenden Fahrverbote, sagt Palmer. Das ist das Stichwort für den Mann neben ihm: Jaja, bekräftigt der stämmige Mittfünfziger, die Fahrverbote, eine Unverschämtheit sei das, und eine Zumutung für den Bürger. Der entrüstete Herr ist Burkard Dregger von der Berliner CDU. Er ist verantwortlich dafür, dass der Palmer heute vor dieser Messstation steht, er hat ihn nach Berlin eingeladen.
Boris Palmer, 46 Jahre alt und seit zwölf Jahren Oberbürgermeister von Tübingen, sagt dann noch, für ihn sei das relativ egal. In Tübingen würden sie auch Schadstoffwerte messen, aber das interessiere niemanden. Denn: Dort gebe es keine Fahrverbote, und bislang klage keiner dagegen. Er grinst und schaut in die Runde der anwesenden Journalisten. Die interessiert, warum ein Grüner mit der CDU auf Streife durch die Stadt geht – und es ist klar, dass beide Parteien von dem öffentlichen Rummel profitieren.
"Ich wette, dass es ein Asylbewerber war."
Bei seiner Partei, den Grünen, ist Palmer nicht sonderlich beliebt, weil er gern konservative Positionen vertritt. Als Palmer mal am Bahnhof von einem Radfahrer fast umgefahren wurde, behauptete er: "Ich wette, dass es ein Asylbewerber war. So benimmt sich niemand, der hier aufgewachsen ist mit schwarzer Hautfarbe." Palmer liebt provokante Aussagen, sie verschaffen ihm Gehör. Letzten Dezember war es wieder so weit. Da sagte Palmer den Zeitungen der Funke-Mediengruppe über Berlin: "Wenn ich dort ankomme, denke ich immer: Vorsicht, Sie verlassen den funktionierenden Teil Deutschlands." Das klang nach Sperrgebiet und einer ganzen Hauptstadt als No-go-Area. Die Folge war ein großer Medienrummel.
Darin sah Burkard Dregger, der Chef der CDU im Berliner Senat, eine Möglichkeit, Stimmung gegen die Landesregierung zu machen: Die Hauptstadt wird von einer rot-rot-grünen Koalitionen regiert, die CDU ist in der Opposition: "Wir wollten Herrn Palmer einfach mal Berlin zeigen – die guten Seiten, als auch die, die man noch verbessern kann." Vor allem auf letzteren soll heute der Schwerpunkt liegen. Die Hauptstadtpresse hat Dregger für den Termin gleich mit eingeladen. Jetzt steht Palmer vor der Messstation und schaut in die gespannten Gesichter der umstehenden Journalisten.
Die Abgasmessstation befindet sich direkt vor der bulgarischen Botschaft. Schon bevor Palmer dort eintraf, wies ein Mitarbeiter der Botschaft einen wartenden Journalisten darauf hin, ob er die Staatsflagge, die vor dem Gebäude im Wind flattert, gefilmt hätte: Das ginge nämlich nicht. Nein, entgegnet der Kameramann. Sie seien nur wegen eines Bürgermeisters aus Tübingen da. Der Botschaftsmitarbeiter zog die Augenbrauen hoch, war aber zufrieden. Die Flagge wird nicht gefilmt. Nur Palmer.
Eine PR-Tour in eigener Sache
Der findet, er habe lange genug die Messstation angeschaut und will zur nächsten Station, die die CDU ihm vorgeschlagen hat, um Berlin kennenzulernen: Es ist der Görlitzer Park, der dafür bekannt ist, dass dort viel mit Drogen gedealt wird. Palmer klettert in einen großen schwarzen Bus, und hinterher der Pressetross von Hauptstadtjournalisten: Mehrere Kamerateams, etliche Fotografen. Palmers Besuch ist auch eine PR-Inszenierung in eigener Sache.
Im vollen Bus nimmt sich der CDUler Dregger das Mikrofon, damit ihn auch die Journalisten in der letzten Reihe verstehen können. Er sagt ganz ernst, man mache jetzt im "Görli" eine Bestandsaufnahme: "Über die richtige Behandlungsart der diagnostizierten Krankheiten müssen wir dann auch sprechen." Dreggers Pressesprecher flitzt derweil durch den Bus und verteilt viele Zettel, auf denen viele Verhaftungen im Görlitzer Park verzeichnet sind. Dregger sieht das als Erfolge der CDU, die ja nicht vergessen werden sollten – vor drei Jahren regierte die Partei noch.
Das Wort "Freiheitsentziehungen" ist dick gefettet auf dem Zettel. Palmer lächelt, so etwas findet er gut. Dann erzählt Palmer, vom "Alten Botanischen Garten", so eine Art Görlitzer Park bei sich in Tübingen: "Ich bekomme das Problem mit den Dealern nicht in den Griff." Der öffentliche Raum gehöre allen: "Er darf nicht von Kleingruppen okkupiert werden." Palmer hat gar nichts gegen eine Legalisierung von Cannabis, nur wolle er eben nicht Rauschgift-Dealer in den Parks sehen.
Jetzt will Palmer sich im Görlitzer Park ein Bild davon machen, wie gefährlich Berlin ist. Leider ist es gerade 11 Uhr am Vormittag und nichts passiert: Kein Überfall, keine Messerstecherei, nicht einmal ein Drogendealer ist in Sicht. Das ist jetzt ungünstig, findet Palmer. Er schaut etwas verzweifelt, eigentlich wollte er doch wissen, wie schlimm die Hauptstadt ist. Um das trotzdem zu demonstrieren, schiebt Herr Dregger von der CDU jetzt einen kleinen Mann inmitten des Medien-Pulks nach vorn, es ist Hikmet Gülmez, "ein besorgter Anwohner", erklärt Dregger und gibt Gülmez das Zeichen loszulegen.
Der erklärt also, dass man sich in den Görlitzer Park kaum noch hineintraue, Kinder und Frauen sowieso nicht. Die Dealer würden die Anwohner unter Druck setzen, das sei alles eine Katastrophe. Dabei sei es "eigentlich ein schöner Park". Was Gülmez, der "besorgte Bürger", nicht sagt: Er ist selbst bei der Wahl für das Abgeordnetenhaus angetreten – als Kandidat der CDU.
Störenfriede können Palmer und Dregger nicht gebrauchen
Noch während Gülmez in großer Breite die Gefahren des Görlitzer Parks darlegt, ruft ein Mann laut: "Das stimmt doch gar nicht, hier trauen sich sehr wohl auch andere Menschen her." Die umherstehenden Journalisten schauen ihn neugierig an, nur Herr Dregger guckt unzufrieden. So einen Störenfried kann er jetzt gerade nicht gebrauchen, er lässt seinen Blick eilig schweifen und entdeckt einige Meter entfernt: zwei Polizisten.
Er legt die Hand sanft auf Palmers Unterarm, man solle doch mal den Polizisten Hallo sagen, das sei "doch eine gute Sache." Eine gute Sache sind vor allem die Fotos die dann entstehen: Die Berliner CDU an der Seite eines Grünen Bürgermeisters, im Handshake mit zwei Polizisten. Palmer schüttelt die Hände, sagt dann im Bezug auf die Drogendealer: "Im Moment sehe ich nichts. Also nichts Aufregendes." Ein Polizist erklärt: "Die Zeit ist etwas unglücklich gewählt", am Nachmittag sei eben mehr los.
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Im Laufen erklärt Palmer dann noch, er kenne die Stadt ja eigentlich ganz gut, da er "auch viel Zeit in Berlin verdränge." Er korrigiert sich schnell: "Ähm ... verbringe. Mir ist in Berlin viel zu viel Unordnung und es fehlt einfach die Struktur." Frage am Schluss: Ob er seinen Satz über Berlin, dass die Stadt so gefährlich sei, eigentlich wiederholen würde? Antwort Palmer: "Ja. Der Satz war überspitzt, aber ich würde ihn wiederholen." Dann erklärt Palmer, morgen früh fahre er wieder nach Tübingen. Er sieht erleichtert aus.