Röttgen zur Bayern-Wahl "Es muss zu personellen Konsequenzen kommen"
Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Unionskrise ohne Ende? Nach dem Bayern-Debakel fordert CDU-Politiker Norbert Röttgen einen Neuanfang. Die Union müsse sich endlich mit den wichtigen Fragen beschäftigen.
Norbert Röttgen kann offen reden. Der 53-jährige CDU-Politiker war mal Umweltminister in der schwarz-gelben Koalition. Im Jahr 2012 wollte er Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen werden, er galt als Kronprinz Angela Merkels. Doch er verlor die Wahl – und sein Regierungsamt.
Heute muss er keine Rücksicht mehr auf die Gesetze des Wahlkampfs oder die Kabinettsdisziplin nehmen. Er hat sich als Bundestagsabgeordneter der Außenpolitik verschrieben und ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses.
Seine Freiheit nutzt er, um die Krise der Unionsparteien deutlich zu benennen – und Lösungswege vorzuschlagen. Im Interview mit t-online.de fordert er nach der Bayern-Wahl personelle Konsequenzen an der CSU-Spitze. Damit die Union nicht weiter schrumpft, müsse sie sich endlich mit den Großthemen der Digitalisierung und den geostrategischen Veränderungen in der Welt beschäftigen. "Die Parteien haben gegenüber dieser Veränderungswucht ihren Gestaltungsanspruch aufgegeben", kritisiert Röttgen. Das Interview lesen Sie hier:
t-online.de: Herr Röttgen, die CSU hat bei der Wahl in Bayern dramatisch verloren. Wer trägt die größere Schuld: Die Regierung in München oder die in Berlin?
Norbert Röttgen: Es stellt sich die Frage der Verantwortung. Und die trägt die Führung der CSU für den Wahlkampf und die Wahl in Bayern. Die Regierungsperformance in Berlin hat aber auch dazu beigetragen. Beides hängt zusammen. Denn dass die Regierung durch Konflikte geprägt war, die sich am Ende in Nichts aufgelöst haben, hat mit der CSU und dem CSU-Vorsitzenden in der Regierung zu tun.
… also mit Horst Seehofer. Was folgt daraus?
Der Parteivorsitzende und der Spitzenkandidat müssen ihre persönliche Verantwortung benennen. Und es muss auch zu personellen Konsequenzen kommen.
Was bedeutet das Wahlergebnis für die CSU?
Es ist eine historische Niederlage – leider. Mit diesem Ergebnis gibt es die CSU in ihrer Einzigartigkeit, wie wir sie seit 60 Jahren kennen, für die nächsten fünf Jahre nicht mehr. Ob man diese Einzigartigkeit jemals wiederherstellen kann, ist eine große Frage. Das wird nicht gelingen, wenn man im Wesentlichen so weitermacht.
Was muss die CDU aus der Schlappe der CSU in Bayern lernen?
Die CDU muss erkennen, dass auch bei uns schon die Gefahr besteht, Teil der Selbstzerstörung der großen Parteien zu werden. Am weitesten ist die Selbstzerstörung der SPD als Volkspartei fortgeschritten. Unter zehn Prozent in Bayern, Ergebnis halbiert, Platz fünf. Wahrscheinlich hat die SPD sich als Volkspartei schon umgebracht. Jedenfalls scheint sie fest entschlossen zu sein. Das ist für die deutsche Demokratie eine schlechte Nachricht. Die CSU ist auch nach dem Sonntag mit 37 Prozent noch Volkspartei, aber eine normale Volkspartei. Und wenn der Weg der Erneuerung von personell bis politisch nicht gegangen wird, geht es weiter bergab.
Noch mal: Und die CDU?
CDU und CSU gemeinsam stehen bundesweit bei 26 oder 27 Prozent. Das heißt: Die CDU alleine ist auch schon unter 25 Prozent. Sie ist damit in einem Bereich, der noch vor einem halben Jahr vollkommen unvorstellbar war. Das ist der negative Trend im Parteiensystem: Die Auszehrung der Mitte und die Stärkung der Ränder. Die großen Parteien dürfen diesen Prozess der Selbstzerstörung nicht einfach geschehen lassen, sondern müssen sich ihm entschlossen entgegenstellen.
Was meinen Sie mit Selbstzerstörung?
Wenn die SPD in Bayern unter 10 Prozent liegt und bundesweit bei 15 Prozent, dann ist das nicht das Werk anderer böser Parteien oder äußerer Umstände. Die Parteien vollbringen dieses Werk selbst. Weil sie keine Antworten auf die Fragen von heute geben. Diese Parteien sind historische Produkte, über die die Zeit hinweg geht. Das ist aber nicht zwingend. Man kann sich auch anpassen. Die CDU ist anpassungsfähiger als die sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien. Aber die Wahlergebnisse zeigen, dass auch wir in diesen Strom geraten. Das ist ein wahnsinnig gefährlicher Prozess. Zuerst destabilisieren sich die Parteien, und dann möglicherweise die Staaten selbst.
Sie fordern schon länger eine inhaltliche Erneuerung der CDU.
Die Selbstzerstörung der Parteien hat Ursachen. Die Welt verändert sich gerade durch die Digitalisierung und die Geopolitik rasant. Diese Veränderungen beunruhigen, verängstigen und überfordern viele Menschen. Die Parteien haben gegenüber dieser Veränderungswucht ihren Gestaltungsanspruch aufgegeben. Deshalb fühlen sich die Menschen im Stich gelassen, und die Parteien verlieren ihre Akzeptanz.
Was meinen Sie damit konkret?
Was ist die Antwort der CDU, der CSU, der SPD auf diese zwei riesigen Veränderungen? Wer beschäftigt sich damit? Sind wir intellektuell auf der Höhe der Veränderung? Ich glaube: Nein. Und das merken die Menschen. Die merken, wir beschäftigen uns mit ganz anderen, oftmals fast schon bedeutungslosen Themen. Oder wir kreisen um uns selbst. Aber wir kreisen nicht um die Themen, die den Leuten Angst machen. Und damit machen sich die Parteien selber überflüssig. Das nenne ich systemische Erschöpfung der Demokratien. Und deshalb haben wir eine Demokratiekrise.
Da braucht es eine Erneuerung auch in Ihrer Partei?
Die liegt mir am meisten am Herzen. Wir müssen diese Art und Methode von Politik beenden und überhaupt anfangen, uns mit den zentralen Fragen zu beschäftigen. Ein Verständnis entwickeln, um zu beginnen, gestaltende Antworten zu geben.
Kann diese Erneuerung mit Angela Merkel gelingen?
Dieser Neuanfang wirft irgendwann personelle Fragen auf. Aber ich halte es für absolut entscheidend, dass man die richtige Reihenfolge einhält: Zunächst müssen wir über die richtige Methode von Politik und die Themen diskutieren und das Wichtige identifizieren. Daraus werden sich personelle Konsequenzen ergeben. Aber wer diese Debatte mit der Personaldiskussion startet, der verhindert sie.
Sehen Sie in ihrer Partei Ansätze für diese Debatte?
Noch sehe ich diese Ansätze nicht.
Wie müsste ein Auftakt aussehen?
Das ist einfach gesagt und auch getan: Man muss anfangen, sich damit zu beschäftigen.
Die Debatte wurde zuletzt nicht durch diese Themen, sondern nach wie vor durch die Flüchtlingspolitik und den Asylstreit bestimmt. Wie kann die Union dieses Thema hinter sich lassen?
Es geht nicht darum, Themen hinter sich zu lassen, sondern Themen fortzuführen. Einwanderung aus unterschiedlichen Gründen gibt es weiterhin. Und dafür gibt es strukturelle Gründe. Also müssen wir auch dort aufhören, auf Ereignisse zu reagieren, und stattdessen agieren. Wir müssen die Ursachen analysieren und darauf Einfluss nehmen: Kriegsflüchtlinge, politische Verfolgung, Armutsmigration und eben auch Zuwanderung, die wir organisieren und haben wollen.
Die Flüchtlingspolitik ist ein emotionales Thema. Wenn man mit Bürgern spricht, bekommt man oft zu hören, dass sie sich darüber ärgern, wie Kanzlerin Merkel in der Migrationskrise vorgegangen ist. Und dass sie Fehler, die sie gemacht hat, nicht transparent eingestanden hat. Sehen Sie das auch so?
Wir haben einen Punkt erreicht, an dem es wichtig ist, nach vorne zu schauen. Die Verantwortlichen sind sich im Klaren über die Fehler, die gemacht worden sind. Es braucht nun ein Konzept, wie man in Zukunft auf die unterschiedlichen Formen von Migration einwirken möchte. Sind wir den nächsten Krisen wieder nur unvorbereitet ausgesetzt? Oder entwickeln wir Strategien, Einfluss zu nehmen? Das ist entscheidend. Für die Bevölkerung ist aber bislang nicht ersichtlich, dass man aus den Fehlern gelernt hat.
Angela Merkel ist mit allen diesen Themen eng verbunden. Noch mal: Kann ein Neuanfang mit ihr wirklich gelingen?
Zu einem Neuanfang gehören personelle Fragen. Aber das Wichtigste ist, dass man die inhaltliche Debatte führt. Wenn jetzt mit einer Debatte ums Personal begonnen würde, wäre es eine Debatte, die sich nur ums Personal dreht – und ganz sicher nicht um Inhalt und Strategie.
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Das Parteiensystem ist im Umbruch. Muss die CDU wieder konservativer werden in dieser Debatte, die Sie führen wollen?
Die Verortung zwischen links und rechts ist nicht mehr aktuell. An dem Verhältnis von sehr vielen Bürgern zur Politik geht sie vorbei. Wir leben in einer unideologischen Zeit. Diese Schablonen passen nicht mehr in eine sich verändernde Welt. Die CDU hat es unter Angela Merkel geschafft, in der Mitte dieser Gesellschaft zu bleiben. Wir sind mit ihr gegangen. Das ist die strategische Leistung, die die CDU gemeistert hat.
Bis zu welchem Zeitpunkt?
Wir sind jetzt in der dritten großen Koalition in der Gefahr, durch Selbsterschöpfung und das bloße Verweilen in Regierungsämtern die Verbindung zu den eigentlichen Problemen zu verlieren. Das darf nicht passieren.
Herr Röttgen, wir bedanken uns für das Gespräch.