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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wagenknecht über ihre Bewegung "Aufstehen" "Das dürfte die AfD schwächen"
Im Maaßen-Kompromiss sieht Sahra Wagenknecht ein Versagen der Bundesregierung. Mit "Aufstehen" möchte sie dem Vertrauensverlust der Politik entgegenwirken. Kritik an ihrer Bewegung kommt aber vor allem aus dem linken Lager.
Die Versetzung von Hans-Georg Maaßen ins Innenministerium erhitzt die Gemüter. Für viele Kritiker wird durch die Beförderung des Verfassungsschutz-Präsidenten das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik weiter schwinden.
Eben um dieses Vertrauen will Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht mit ihrer Sammlungsbewegung "Aufstehen" kämpfen. Sie will nach eigenen Aussagen "Pegida nicht die Straße überlassen" und die Ängste der Bevölkerung ernst nehmen. Ziel der Bewegung ist es, mit Hilfe von SPD, Grünen und Linken wieder für linke Mehrheiten in den Parlamenten zu sorgen.
Die Spitzen dieser Parteien sehen die neue Bewegung allerdings kritisch und sehen Wagenknecht eher als Spalterin des linken Lagers, die mit der Bewegung nur ihre eigenen politischen Ziele verfolgt. Mit der Linken-Politikerin hat t-online.de über diese Kritik gesprochen, über die Ängste der Bevölkerung und die Hoffnung auf eine sozial gerechtere Politik.
Frau Wagenknecht. Deutschland spricht aktuell über die Versetzung von Hans-Georg Maaßen ins Innenministerium. Damit räumt er seinen Posten als Präsident des Verfassungsschutzes. Wie beurteilen Sie den Kompromiss zwischen Union und SPD?
Das ist kein Kompromiss, sondern eine erneute Bankrotterklärung dieser Koalition. Jemanden zu befördern, weil man ihn in seinem bisherigen Amt für untragbar hält, ist wirklich verrückt. Dass unser Land von einer Regierung, die zu solchen Entscheidungen fähig ist, womöglich noch drei Jahre regiert werden könnte, macht mir Angst.
Welches Signal geht von dieser Entscheidung der Bundesregierung aus?
Die Koalition ist am Ende. Mit Ausnahme der beteiligten Politiker merkt das inzwischen wohl jeder. Sie ist derart in internem Machtgerangel und Selbstblockaden gefangen, dass die Probleme, die die Menschen wirklich bewegen - steigende Mieten, unsichere Jobs, Angst vor Altersarmut - gar nicht mehr auf ihrem Radar auftauchen.
Genau diese Probleme möchten Sie mit "Aufstehen" ansprechen. Jedoch haben sich die Spitzen der Grünen und der SPD bereits von Ihrer Sammlungsbewegung distanziert, in Ihrer Fraktion hat es gekracht. Ist das ein Fehlstart?
Aktuell haben sich bereits über 140.000 Menschen bei uns registriert. Das ist ein grandioser Start und viel mehr, als ich erwartet hatte. Es sind etwa 11.000 Mitglieder von den Linken dabei und rund 5.000 SPD-Mitglieder, die große Mehrheit ist parteilos. Wir freuen uns sehr über diese große Resonanz. Ich weiß auch nicht, wie Sie darauf kommen, es hätte in der Fraktion gekracht.
Wenn es nicht gekracht hat, wieso twittern Ihre Parteikollegen das Gegenteil?
Natürlich gab es in der Diskussion pro und contra. Es gab viel Unterstützung und einige, die das anders sehen und offenbar der Meinung waren, ihre Sichtweise per Twitter auch der Öffentlichkeit mitteilen zu müssen. Solche Tweets sind natürlich für Journalisten spannend. Ob sie das Bild der Linken in der Öffentlichkeit positiv beeinflussen, ist eine andere Frage.
Die Linken-Abgeordnete Gökay Akbulut sprach von "Mobbing und Sexismus in der Linkfraktion". Das hört sich nicht nach einer normalen Diskussion an.
Ich war zu diesem Zeitpunkt nicht im Fraktionssaal. Es gab wohl Widerspruch zu ihrem Beitrag. Mobbing und Sexismus ist für mich etwas anderes.
Und dennoch hat sich Ihre eigene Partei von Ihrem Projekt distanziert.
Das war kein kluger Beschluss. Die Linke sollte ein Projekt unterstützen, das inhaltlich in vielen Forderungen mit dem übereinstimmt, was die Linke möchte. Aber natürlich ist "Aufstehen" kein Projekt unserer Partei. Da hat der Vorstand recht.
Von außen betrachtet sieht es aber so aus: Alte Gräben brechen auf, beziehungsweise waren nie zu. Wäre es nicht klüger gewesen, diese Konflikte zu befrieden und dann gemeinsam loszulegen?
Aus der linken Binnensicht: ja. Aber wir haben andere Aufgaben als uns mit uns selbst zu beschäftigen. Deutschland verändert sich, Unsicherheit und soziale Ungleichheit wachsen, immer mehr Menschen sind wütend und wenden sich von der Demokratie ab. Die berechtigte Unzufriedenheit wird von politischen Kräften vereinnahmt, die Hass und Intoleranz fördern und deren Stärkung sich niemand wünschen sollte. Dem müssen wir etwas entgegensetzen. Wir dürfen die Straße nicht Pegida überlassen, sondern müssen sie für soziale Forderungen zurückerobern.
Wenn Sie die Straße nicht Pegida überlassen wollen, warum waren Sie nicht in Chemnitz?
Das ist eine inquisitorische Frage. Sie unterstellt: Wenn ich nicht da war, bin ich wahrscheinlich ein Sympathisant der Nazis. Von uns Linken-Fraktionsvorsitzenden war Dietmar Bartsch da, von den Grünen nur die Parteispitze. Würden Sie Frau Göring-Eckardt die gleiche Fragen stellen?
Wir haben nicht gesagt, dass Sie mit Nazis sympathisieren. Aber wenn Sie die Straße nicht Pegida überlassen wollen, wäre Chemnitz eine passende Gelegenheit dazu gewesen.
Ich habe am Donnerstag auf dem Marienplatz in München vor tausend Menschen vor einem erstarkenden Rechtsradikalismus gewarnt.
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Von der AfD allerdings kommen Sympathiebekundungen für "Aufstehen". Ist das gut oder schlecht?
Herr Gauland versucht sehr geschickt, die Bewegung zu diskreditieren, indem er sie lobt. Das ist von seinem Standpunkt aus nachvollziehbar. Wenn wir Erfolg haben, dürfte das die AfD schwächen, denn es geht ja nicht zuletzt darum, Menschen, die sich von der herrschenden Politik im Stich gelassen fühlen, nicht länger in die Arme der AfD zu treiben.
Also wollen Sie gleichzeitig Politik machen für die gesellschaftliche Linke und für rechte Strömungen?
Was heißt, für rechte Strömungen? Ja, unter den AfD-Sympathisanten gibt es hartgesottene Rassisten und Neonazis. Die sind da gut aufgehoben und für die will ich selbstverständlich keine Politik machen. Aber viele AfD-Wähler haben früher Linke oder SPD gewählt. Das sind keine Rechten, sondern Menschen, die Zukunftsängste haben, die wütend sind, dass ihre existentiellen Bedürfnisse von der Politik seit Jahren ignoriert werden. Sie wählen AfD, weil sie das Gefühl haben, damit der etablieren Politik eine Ohrfeige zu verpassen. Natürlich möchte ich diese Menschen zurückgewinnen.
Sie sagen immer wieder, dass Flüchtlinge mit dem ärmeren Teil der Bevölkerung um knappe Ressourcen konkurrieren. Das bringt Sie vielleicht den Protestwählern der AfD näher, aber wie wollen Sie die Grünen erreichen?
Der Wahrheitsgehalt einer Aussage misst sich nicht daran, wen man damit gewinnt, sondern ob sie die Realität beschreibt. Es ist das große Versagen der Merkel‘schen Politik, dass die weniger Wohlhabenden die Hauptlasten der Zuwanderung tragen. Im Übrigen haben wir mit Antje Vollmer und Ludger Volmer auch prominente grüne Mitstreiter in unserer Bewegung. Und ich wünsche mir, dass es sehr viel mehr werden. Die Grünen haben sich doch weit von ihrem Kernanliegen entfernt. Auch sie nehmen heute Rücksicht auf Wirtschaftslobbyisten und predigen einen grünen Kapitalismus, den es so nicht geben kann. Politik mit Rückgrat würde dieses Land auch in Fragen des Umweltschutzes voranbringen.
Aber in der Flüchtlingspolitik vertreten Sie auch eine andere Linie als Ihre Partei.
Ich vertrete nicht eine andere Linie als meine Partei, sondern als Teile meiner Partei. Für mich ist es aber auch nicht die Frage aller Fragen. Wenn Menschen Abstiegs- und Verdrängungsängste haben, wenn sie sich zurückgesetzt und missachtet fühlen, dann schafft das einen Nährboden für Intoleranz und die Suche nach Sündenböcken. Das merke ich in meinen Gesprächen: Oft empört sich jemand zu recht über das eigene schlechte Einkommen, die eigene unzureichende Rente und dann wird das damit verbunden, dass der Staat sich um Flüchtlinge viel mehr kümmern würde. Es ist dieser empfundene Kontrast, der das gesellschaftliche Klima vergiftet.
Um das zu ändern, müssen Sie irgendwann in die Parlamente. Denn nur da werden die Gesetze gemacht.
Das stimmt. Unser Ziel ist daher, die Parteien zu verändern. Rot-Rot-Grün hat aktuell keine Mehrheit, weil die Menschen mit dieser Konstellation gar nicht mehr die Hoffnung auf eine sozial gerechtere Politik verbinden. Die SPD macht seit der Agenda 2010 Politik gegen ihre eigenen Wähler und die Grünen sind heute Frau Merkels letzte Machtreserve. Wenn es wieder andere politische Mehrheiten geben soll, brauchen wir Parteien, die den sozialen Anspruch linker Politik wieder ernst nehmen und sich für soziale Sicherheit und Steuergerechtigkeit einsetzen. Nach allen Umfragen wünscht sich eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung mehr sozialen Ausgleich - also höhere Löhne, bessere Renten, einen Mietpreisstopp.
Leichter gesagt als getan.
Wir erleben doch schon, dass die SPD reagiert. Scholz redet plötzlich über bessere Renten, die SPD diskutiert darüber, das Sanktionsregime bei Hartz IV zu erleichtern. Es gab den Vorschlag, Mieterhöhungen für fünf Jahre zu verhindern. Das klingt alles gut, nur sind das bisher bloße Ankündigungen, denen überhaupt keine reale Politik folgt. Natürlich könnte die SPD auch mal sagen, wenn jetzt nicht wenigstens ein Mieterhöhungsstopp für die nächsten fünf Jahre beschlossen wird, dann ist Merkels Kanzlerschaft zu Ende. Warum kann sowas immer nur die CSU?
Sie sagen, die Bürger sind enttäuscht von den Parteien - stimmt. Und dass sie es geschafft, mit ihrer Politik zu überzeugen. Stimmt auch. Wie wollen Sie als Galionsfigur von Aufstehen aber für eine andere Politik stehen, wo Sie doch für eben diese enttäuschenden Parteien stehen - und auch für die Politik der letzten Jahre?
Die Linke hat sich am Sozialabbau nicht beteiligt. Wir haben Rentenkürzungen, Lohndrückerei, Aufrüstung und Kriegseinsätze immer kritisiert und dagegen gestimmt. Aber als Politiker muss man sich an bestimmten Punkten auch fragen: Erreiche ich meine Ziele, wenn ich einfach so weitermache wie bisher? Die Linke hatte ein wichtiges Ziel: die SPD wieder nach links zu drücken. Das ist in wenigen Fragen gelungen, die Einführung des Mindestlohns hätte es ohne die Linke nicht gegeben. Aber wir müssen uns eingestehen, dass die Linke allein zu schwach ist, um einen andere Politik in Deutschland durchzusetzen.
Aber die Linke hat sich immer gegen einen Koalitionswahlkampf gesträubt, Sie vor allem. Was hat sich geändert?
Wir haben uns nie gegen eine Koalition gestellt, aber eine Koalition unter Einschluss der Linken macht nur Sinn, wenn sich die Politik verändert, wenn die Menschen spüren, dass ihre sozialen Interessen wieder im Mittelpunkt stehen und sich ihr Leben verbessert. Die Politik der sozialen Spaltung muss beendet werden. Und natürlich dürfen deutsche Soldaten auch nicht länger in schmutzige Kriege geschickt werden. Eine neue Regierung, die Merkels Politik fortsetzt, würde die Menschen nur noch mehr enttäuschen.
Aber auch der Linken ist es nicht gelungen, enttäuschte Wähler von sich zu überzeugen. Tragen Sie als Fraktionschefin und Spitzenkandidatin dafür nicht auch eine Mitverantwortung?
Natürlich muss sich jeder persönlich fragen und auch wir als Linke insgesamt, warum wir gerade die Ärmeren immer weniger erreichen. Offenbar haben viele den Eindruck, dass wir die Probleme, mit denen sie tagtäglich konfrontiert sind, nicht ernst genug nehmen, teilweise fühlen sich die Menschen auch belehrt und von oben herab behandelt. Wir müssen uns viel größere Mühe geben, ihre Sprache zu sprechen.
Also haben Sie als Spitzenpolitikerin "Aufstehen" initiiert, quasi als Bewegung am Schreibtisch. Muss eine soziale Bewegung nicht immer aus der Gesellschaft kommen?
Eine Bewegung kann man nicht am Schreibtisch gründen. Wenn unserer Initialzündung nicht so viele gefolgt wären, gäbe es keine Bewegung. So aber ist bewiesen, dass es ein enormes Potential gibt, dass viele Tausende sich begeistert und hochmotiviert engagieren möchten. Jetzt ist es an uns allen, daraus etwas zu machen.