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Die SPD hat den Kampf um die Sprache verloren


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Niemand versteht die Genossen
Wie sich die SPD ins Bein schießt – und die Union triumphiert

Eine Analyse von Jonas Schaible

Aktualisiert am 06.02.2018Lesedauer: 4 Min.
SPD-Chef Schulz, Fraktionschefin Nahles: Die SPD spricht nicht klar, nicht deutlich, nicht bildhaft.Vergrößern des Bildes
SPD-Chef Schulz, Fraktionschefin Nahles: Die SPD spricht nicht klar, nicht deutlich, nicht bildhaft. (Quelle: Wolfgang Rattay/reuters)
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Wer ist "subsidiär schutzberechtigt"? Menschen in Lebensgefahr. Doch so konkret spricht die SPD nicht im Gegensatz zu CDU und CSU.

Die Koalitionsverhandlungen ziehen sich noch. Vor allem die SPD kämpft. Sie braucht dringend Erfolge, Nachbesserungen des Sondierungsergebnisses, um ihre Basis davon zu überzeugen, dem Koalitionsvertrag zuzustimmen.

Dass gerade die SPD so ringt und leidet, lässt sich auf viele Ursachen zurückführen: auf die Selbstzweifel der Partei, auf eine Reihe von in Panik selbst verursachten Fehlern, darauf, dass sie der kleinere Partner ist. Aber auch darauf, dass sie es einfach nicht schafft, ihre zentralen Projekte gut zu verkaufen.

Sie spricht nicht klar, nicht deutlich, nicht bildhaft. Sie redet, als sei der Koalitionsvertrag ein gerichtsfestes Dokument, dabei ist er eine politische Willenserklärung. Und sie macht es sich damit unheimlich schwer.

Die CSU kommuniziert meisterhaft

Besonders deutlich wird das, wenn man die drei großen Anliegen der SPD mit denen der CSU vergleicht, die es meisterhaft versteht, wenige Forderungen knackig zu formulieren, immer und immer wieder zu wiederholen, und sie dabei wie echte Erfolge klingen zu lassen.

Die drei Haupterfolge der CSU heißen:

  • Obergrenze
  • Mütterrente
  • Baukindergeld

Drei Wörter. Sofort verständlich.

Die Obergrenze klingt nach Begrenzung der Zuwanderung, nach einer starren Regel. Die CSU hat das Wort so oft wiederholt, dass es schon Eingang in den täglichen Sprachgebrauch gefunden hat – sogar von einer Obergrenze für den Wolf war schon die Rede. Das gelang ihr, obwohl eine Obergrenze für Flüchtlinge unmöglich ist, weil das Grundgesetz einen individuellen Asylanspruch vorsieht. Es wird also eine Zielgröße geben, aber keine Grenze. Trotzdem gelang es der CSU, das Denken der Menschen zu verändern.

Bei der Mütterrente jetzt ging es konkret um Mütter mit mindestens drei Kindern, die vor 1992 auf die Welt kamen, für die jetzt auch das dritte Erziehungsjahr auf die Rente angerechnet werden soll – aber mit solchen Details hielt sich die CSU nicht auf. Sie sagte Mütterrente, das klingt herzlich, nach mehr Geld für Mütter.

Dann das Baukindergeld: Das Kindergeld verstehen alle Eltern, denn fast alle bekommen es. Baukindergeld heißt also: Es gibt Kindergeld, wenn man baut. Das ist klar, sofort einsichtig, positiv besetzt.

16 Wörter statt drei

Dagegen heißen die drei Hauptforderungen der SPD in den Koalitionsverhandlungen:

  • Härtefallregelung für den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte
  • Abschaffung der sachgrundlosen Befristung
  • Angleichung der Honorarordnung für Ärzte


16 Wörter, mindestens.

Und alle drei Forderungen sind nicht sofort verständlich.

„Subsidiär Schutzberechtigte“ ist ein technischer Begriff, den bis vor Kurzem beinahe niemand kannte und vermutlich heute noch kaum jemand versteht. Ein Begriff, der präzise den Status beschreibt, den diese Menschen haben. Aber politische Sprache muss nicht zwingend technisch präzise sein, siehe Obergrenze.

Der SPD-nahe Politikberater Erik Flügge hat der SPD deshalb vorgeworfen, nicht von Menschen zu sprechen, denen Folter und Tod droht. Tatsächlich ist das die Definition laut Gesetz. Anspruch auf subsidiären Schutz hat jeder, dem in der Heimat die „Todesstrafe“, „Folter“, „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ oder eine „ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens“ droht. Also: Menschen in Lebensgefahr.

Dazu kommt: Die SPD hat halbherzig versucht, statt von "Familiennachzug" von "Familienzusammenführung" zu sprechen. Das würde den Fokus auf die Familien legen, nicht auf die deutsche Gesellschaft, in die neue Menschen zuziehen. Aber: Sie drang nicht durch. Und ließ sich auf das Wort "Familiennachzug" ein.

Schließlich zog sie sich darauf zurück, eine "Härtefallregelung" zu fordern, statt etwa der Zusammenführung für besonders stark gefährdete Menschen.

Nach der "Bürgerversicherung" das Nichts

Die „Abschaffung der sachgrundlosen Befristung“ ist als Begriff ebenfalls technisch, weil bis ins Detail korrekt. Und dazu negativ formuliert. Was fordert die SPD eigentlich? Unbefristete Jobs. Aber sie sagt es nicht so.

Noch verworrener ist die Diskussion in der Gesundheitspolitik. Da war es der SPD sogar gelungen, mit der Bürgerversicherung einen knappen Begriff zu prägen, der nicht technisch klang und positiv besetzt war, denn Bürger, das wollen alle sein. Aber als die Union diese Bürgerversicherung ausgeschlossen hatte und die SPD trotzdem Nachbesserungen wollte, da schwand jede Präzision. Nach der "Bürgerversicherung" das Nichts.

Es geht jetzt um Änderungen am System der gesetzlichen und privaten Krankenkassen, womöglich um eine Angleichung der Ärztehonorare. Doch warum sollten sich Menschen für Ärztehonorare interessieren und was genau will die SPD eigentlich warum? Sie ist daran gescheitert, das allgemein verständlich zu formulieren.

"Bätschi" zeigt, wie es geht

Man muss sich schon die Mühe machen, die Forderungen im Detail durchzugehen, zu durchdringen und man muss dann eine Haltung dazu entwickeln. Selbst wenn es der SPD gelingen sollte, damit argumentativ zu überzeugen – auf einer gefühligeren Ebene wird sie es damit sehr schwer haben.

All das ist keine Spielerei, auch wenn Sprache nicht alles ist. Dass Sprache Einfluss darauf hat, wie Menschen etwas wahrnehmen, ist gut erforscht. Die Werbung macht sich das seit jeher zunutze.

Wie einfach es ist, mit einer außergewöhnlichen Formulierung Menschen zu erreichen, hat die SPD zuletzt selbst bewiesen. Das „Bätschi“ von Andrea Nahles hat sich rasend verbreitet, es wurde wieder und wieder zitiert, es blieb hängen. Auch ihre scherzhafte Drohung, die Union bekomme künftig "in die Fresse" blieb hängen.

Nur ging es dabei nie um politische Forderungen.

Verwendete Quellen
  • eigene Überlegungen
  • Blogbeitrag des Politikberaters Erik Flügge
  • Gesetz, in dem der Anspruch auf subsidiären Schutz geregelt ist (§4)
  • Interview mit der Sprachforscherin Elisabeth Wehling in der "Zeit" über politische Sprache; Wehling hat das wissenschaftliche Konzept des Framings populär gemacht
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