Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Debatte über Holocaustleugnung Die AfD geht weiter, als viele glauben
Antisemitische Narrative haben sich in Deutschland ausgebreitet. Die AfD fungiert dabei als Brandbeschleuniger. Doch wie kann die Gesellschaft dem Einhalt gebieten?
Im Saal brandet Jubel auf. Die Co-Bundesvorsitzende und Kanzlerkandidatin der selbst ernannten Alternative für Deutschland, Alice Weidel, betritt die Bühne der Tagungshalle in Riesa. Diese ist gesäumt mit ganzen 16 Deutschlandfahnen. Berauscht vom Hoch der aktuellen Wahlumfragen ergreift die 45-jährige Politikerin das Wort. Ihre Rede beginnt mit einer Reihe von Danksagungen – unter anderem an den Tech-Milliardär und Besitzer der Plattform X, Elon Musk, mit dem sie nur wenige Tage zuvor ein Online-Gespräch geführt hatte.
Weidel behauptet weiter, dass die AfD für "Meinungsfreiheit in diesem Land" stehe. Was die AfD allerdings unter Meinungsfreiheit versteht, wollte der wegen Volksverhetzung verurteilte Landeschef der AfD Thüringen, Björn Höcke, in das Wahlprogramm für die kommende Bundestagswahl einfließen lassen.
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Höcke will die in der rechtsextremen Szene als "Gesinnungsparagrafen" verhasste Bestrafung der "Volksverhetzung" abschaffen, worunter etwa die Leugnung des Holocaust fällt. Mit dieser Forderung ist der 52-jährige Wahlthüringer nicht allein: Im Jahr 2007 forderte die neonazistische Partei NPD (heute "Die Heimat") im Schweriner Landtag die Landesregierung auf, sich für die Streichung des Paragrafen auf Bundesebene einzusetzen.
Am Tag des Gedenkens der Befreiung von Auschwitz, an einem Tag, an dem wir an mehr als sechs Millionen Jüdinnen und Juden denken, die in der Shoah von den Nazis ermordet wurden, müssen wir feststellen: Jede Holocaustleugnung heute verhöhnt die Opfer von damals.
- Befreiung von Auschwitz 1945: "Von Anfang an ein Ort des Massenmords"
Antisemiten können nur selten belangt werden
Die 2024 verstorbene notorische und mehrfach verurteilte Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck scheiterte 2018 mit ihrer Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht. Das Gericht stellte fest, dass die Leugnung des industriellen Massenmordes nicht vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt sei.
Zur Person
Ruben Gerczikow ist Autor und hat Publizistik und Kommunikationswissenschaften studiert. Anfang 2023 ist sein gemeinsam mit Monty Ott verfasster Reportageband "Wir lassen uns nicht unterkriegen – Junge jüdische Politik in Deutschland" im Verlag Hentrich & Hentrich erschienen.
Entgegen landläufiger Meinungen sind Antisemitismus wie auch die Leugnung beziehungsweise Relativierung des Holocaust von der Meinungsfreiheit gedeckt. Lediglich unter bestimmten Voraussetzungen können Antisemiten für ihr Handeln juristisch belangt werden.
Davon ausgenommen ist der Missbrauch der Verbrechen des Nationalsozialismus als emotionalisierende Analogie. Selbsternannte "Querdenker" marschierten mit "Ungeimpft"-Sternen, in Anlehnung an den "Judenstern" der Nazis.
Und bereits vor dem Massaker der islamistischen Terrororganisation Hamas am 7. Oktober 2023 und dem darauffolgenden Krieg wurde der Gazastreifen immer wieder als "Warschauer Ghetto" bezeichnet oder das Vorgehen der israelischen Armee mit dem der Nazis verglichen.
Auch der Blick auf deutsche Schulhöfe zeigt, wie normalisiert die Verbreitung von holocaustverhamlosenden Inhalten ist. Trotz der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus erfreuen sich vermeintliche Witze über die Ermordung von sechs Millionen Jüdinnen und Juden großer Beliebtheit. Das war zu meiner Schulzeit so und zieht sich bis in die Gegenwart.
Das Landgericht Frankfurt am Main entschied sogar, dass 1.600 Nachrichten, darunter verharmlosende Witze über den Holocaust aus der Chatgruppe "Itiotentreff" Frankfurter Polizeiangehöriger zwar "nationalistisch, antisemitisch, rassistisch und menschenverachtend" seien, aber nicht strafbar.
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Aus Worten werden Taten
Jede Leugnung oder Relativierung des Holocaust ist nicht nur eine Verhöhnung der Opfer, sondern stellt eine Form der Gewalt gegenüber den Überlebenden und ihren Nachkommen dar. Diese Erinnerungsabwehr kann Überlebende und ihre Nachfahren retraumatisieren, sie löst Wut und tiefe Trauer aus – Wut darüber, dass die Realität der Schrecken in Zweifel gezogen wird, und Trauer über den fehlenden Respekt vor ihrem Leid.
Wie aus Worten Taten werden, zeigen die von der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus veröffentlichten Halbjahreszahlen für 2024. In Berlin wurden 21 Vorfälle an jüdischen Gedenkorten dokumentiert.
Genau dabei wirkt auch die AfD als Brandbeschleuniger: Sie trägt zur Normalisierung solcher Narrative wie dem sogenannten Schuldkult bei, der in Form des "German Guilt"-Vorwurfs auch auf antiisraelischen Demonstrationen zu sehen ist. Die AfD verschiebt die Grenzen des Sagbaren immer weiter. Indem sie den Schutz von Meinungsfreiheit instrumentalisiert, öffnet sie auch Türen für Relativierungen und geschichtsrevisionistische Aussagen, die Antisemitismus und Rassismus salonfähig machen.
Wenn juristische Konsequenzen ausbleiben, braucht es zumindest eine klare gesellschaftliche Sanktionierung. Eine Haltung, die das Relativieren und Leugnen nicht duldet und konsequent verurteilt.
Es liegt an uns, diesen Entwicklungen entschlossen entgegenzutreten – durch Bildung, Erinnerung und eine klare Ablehnung jeglicher Relativierung.
Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinungen der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.