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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Internes FDP-Strategiepapier Sie planten für die "offene Feldschlacht"
Das Aus der Ampelkoalition war von gegenseitigen Schuldzuweisungen geprägt. Die FDP geht nun in die Offensive und veröffentlicht ein Strategiepapier, über das in Teilen vielfach berichtet worden war.
Die FDP hat ein Strategiepapier veröffentlicht, aus dem hervorgeht, wie akribisch die Partei einen möglichen Ausstieg aus der Ampelkoalition plante. In dem Papier werden Optionen für "den idealen Zeitpunkt", "den idealen Weg" und "das ideale Bild" des Aus der Koalition mit SPD und Grünen erörtert. Zuerst hatte darüber "Table.Media" berichtet, später machten die Liberalen das entsprechende Papier selbst auf ihrer Internetseite öffentlich.
In dem Papier ist die Rede vom "D-Day", der das Ende der Ampelkoalition besiegeln soll. Über diese umstrittene Wortwahl hatte bereits die "Zeit" Mitte November berichtet. In dem achtseitigen Dokument wird deutlich, dass die FDP-Spitze sich dabei nicht nur militärischer Sprache bediente, sondern darüber hinaus in der letzten Phase des Ausstiegs aus der Koalition von einer "offenen Feldschlacht" ausging.
Der "ideale Zeitpunkt"
Zunächst aber sollte der "ideale Zeitpunkt" für den Austritt gefunden werden. Avisiert worden sei dabei die Kalenderwoche 45 vom 4. bis zum 10. November. Dieser Zeitpunkt berge Risiken wegen der US-Präsidentschaftswahlen am 5. November "und einer möglichen langen Phase der Ungewissheit über den Ausgang bis hin zu chaotischen Zuständen im Falle einer knappen Niederlage Trumps".
Doch in einer Verschiebung auf die Woche danach sah die FDP-Führungsriege demnach Risiken: Weiterhin könne eine ungeklärte Situation in den USA bestehen. Dazu aber käme es zur Frist für die Bereinigungssitzung des Bundeshaushalts 2025 sowie zur Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen. Außerdem müsse ein außerordentlicher Parteitag fristgerecht vorbereitet werden. Die Einladungen müssten jedoch schon zum 8. November abgeschickt werden.
Die dritte Option sei gewesen, schon am Montag vor der US-Wahl den Ausstieg zu forcieren, um sich von diesem Ereignis "etwas zu entkoppeln", heißt es in dem Papier. Auch hier galt es Risiken zu beachten: "Sollte es in de[n] USA zu extrem chaotischen Zuständen kommen, die Auswirkungen auf die (gefühlte) Sicherheitslage und Zweifel an der Bündnisfähigkeit der USA hervorrufen könnten, wäre die Bundesregierung nur eingeschränkt handlungsfähig", steht in dem Dokument.
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Das "Kernnarrativ"
Weiterhin bereitete die Führungsetage der FDP demnach ein "Kernnarrativ" vor, das nach dem Ausstieg verbreitet werden und diesen begründen sollte. Dieses lautete demnach: "Alles außer unentschieden – Richtungsentscheidung jetzt". Seit einem Jahr tobe ein Richtungsstreit in der Bundesregierung über den Kurs in der Wirtschaftspolitik, heißt es weiter. "Die fundamentalen Gegensätze zwischen Rot-Grün einerseits und den Liberalen andererseits sind nicht durch Kompromisse zu überbrücken." Die Bundesregierung sei daher "selbst zum größten Standortrisiko geworden".
"Den Richtungsstreit und die Unentschiedenheit können wir nicht noch ein Jahr fortsetzen", steht in dem Papier. Die deutsche Bevölkerung solle deshalb in vorgezogenen Neuwahlen entscheiden, welchen Weg das Land künftig gehen solle: Subventionen und neue Schulden oder bessere Bedingungen für unsere Unternehmen, Bürokratieabbau und Steuersenkungen. "Also: Planwirtschaft oder Soziale Marktwirtschaft." Die Liberalen erklären weiter, den "Stillstand" beenden zu wollen. "Wir machen den Weg frei für vorgezogene Neuwahlen und fordern alle Demokraten auf, diesem Weg zu folgen", endet das "Kernnarrativ".
Überdies enthält das Dokument eine für Parteichef Christian Lindner vorbereitete Stellungnahme, die im Grunde das "Kernnarrativ" ausführlicher darlegt. Darin ist die Rede davon, dass die Bundesregierung "jetzt" enden und es zu schnellen Neuwahlen kommen müsse. Die FDP würde demnach nicht wollen, "dass die Ampel das Land in Geiselhaft hält".
Der "ideale Weg"
Weiterhin diskutiert das Papier den angeblich "idealen Weg" der Kommunikation. "Um die Hoheit über die Kommunikation zu halten, muss diese strategisch gesteuert erfolgen und darf nicht durchsickern", heißt es. Entscheidend sei es, "die ersten Sätze und Bilder zu einem Aus der Koalition zu setzen". Gleichzeitig wollte man sich eng mit dem FDP-Bundesvorstand und der FDP-Bundestagsfraktion abstimmen.
Dennoch war demnach eine Option, das Aus vor der Gremiensitzung zu kommunizieren, diese also mit der Entscheidung zu überraschen, wie aus dem Papier hervorgeht. Diese Möglichkeit biete "beste Kommunikationshoheit" sowie den "höchsten Überraschungseffekt", hätte aber den Nachteil, jene Gremien vor vollendete Tatsachen zu stellen, was zu Unmut führen könnte.
Risiken sah die FDP-Führungsebene jedoch auch in der "Option B", das Aus zuvor in den Gremien zu diskutieren. Die "Gefahr des Durchsickerns" von Informationen aus der Sitzung sei nicht zu kontrollieren. Dennoch sei dies "formal der richtige Weg", heißt es. Als letzte Option stand wohl zur Diskussion, die Kommunikation zum möglichen Aus vorzeitig an die Gremien zu geben, damit diese vorab beraten können.
Das "ideale Bild"
Nicht zuletzt ging es der FDP-Spitze um "das ideale Bild" des Ampel-Aus. Denn: "Neben den Worten sind die Bilder der Verkündung entscheidend, diese müssen eine Position der Stärke, Entschlossenheit und Überzeugung ausdrücken", steht in dem Papier. Die Atmosphäre müsse "ernsthaft, aber nicht getrieben wirken". Optionen dafür waren demnach ein Pressestatement, ein Fernsehinterview, ein Video auf sozialen Medien sowie auch ein Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
Die Kommunikationsstrategie der FDP bestand dem Papier zufolge aus vier Phasen, der sogenannten Ablaufpyramide. Eingeläutet werden sollte der "D-Day" mit einem Pressestatement von Parteichef Christian Lindner. Darauffolgend sollte dieser ein Video an die Partei senden und ein weiteres Statement als Video verbreiten, dann Bundesvorstand und die Fraktion informieren. In der dritten Phase sollte das FDP-Narrativ in der Masse verbreitet werden.
Die Phase vier bezeichnete die FDP als "offene Feldschlacht". Offenbar glaubte sie, zu diesem Zeitpunkt zum Ziel von Angriffen der ehemaligen Koalitionspartner und anderer Parteien zu werden. Dann, etwa 24 Stunden nach dem Aus, sollte zudem die Mitgliederkampagne "Partei ergreifen" starten. Die Ampel war dann schon Geschichte.
FDP: Papier war reine "interne Vorbereitung"
Mit der Veröffentlichung des Papiers wolle die FDP "Transparenz herstellen", heißt es auf der Internetseite. Seit Mitte November sei viel berichtet worden, außerdem habe es viele Presseanfragen gegeben. Bei dem veröffentlichten Dokument handele es sich um ein Arbeitspapier, das in dieser Form auf den 5. November um 12.39 Uhr datiere.
"Dieses Papier ist in Verantwortung des Bundesgeschäftsführers erstellt worden", heißt es in dem Statement. Es sei "Aufgabe der Bundesgeschäftsstelle, mögliche politische Szenarien in operatives Handeln umzusetzen". Das vorliegende Papier sei "kein Gegenstand der politischen Beratung von gewählten Mandatsträgern und Regierungsmitgliedern gewesen, sondern eine rein interne Vorbereitung für das Szenario eines Ausscheidens der FDP aus der Ampel-Koalition".
Ex-Koalitionspartner reagieren empört
Nach dem Ampel-Aus hatten bereits erste Berichte Diskussionen über Ursachen und Urheber des Koalitionsbruchs ausgelöst. "Zeit" und "Süddeutsche Zeitung" berichteten, dass in mehreren Treffen der engsten FDP-Führung seit Ende September Szenarien für ein Ende der Koalition durchgespielt worden seien – die Rede war von einem "Drehbuch".
SPD-Chef Lars Klingbeil kritisierte angesichts des nun veröffentlichten Papiers auf der Plattform X: "Die FDP organisiert eine "Feldschlacht" gegen eine Regierung, der man selbst angehört. Es ist gut, dass langsam alles herauskommt und die Bürger sich ein Bild machen können." Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann schrieb, man könne nur noch den Kopf schütteln über "dieses martialische Gerede von offener Feldschlacht und D-Day" der FDP. "Wer will das hören, ein solches Mackergehabe", fügte sie hinzu.
Vor allem zwischen SPD und FDP tobt bereits ein Kampf um die Deutungshoheit, inwiefern das Zerwürfnis von einer Seite provoziert worden ist. So sprach Lindner von einer "Entlassungsinszenierung" durch den Kanzler. Scholz ließ erkennen, womöglich hätte er die Entscheidung zur Entlassung Lindners früher treffen müssen. "Es ist kein Geheimnis, dass ich darüber auch schon einmal vorher nachgedacht habe, als es im Sommer trotz der vielen Stunden, die wir zusammen verbrachten, einfach nicht gelingen wollte, sich auf den Bundeshaushalt für 2025 zu einigen", sagte er der "Süddeutschen Zeitung" Mitte November.
- fdp.de: Strategiepapier für Szenarien zum Ende der Ampelkoalition (PDF)
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa