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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Waffenskandal im Norden Es knallte nur leise

Immer wieder verschwinden Waffen aus der Hand der Behörden. In einem besonders schweren Fall steht in Schleswig-Holstein ein Waffensammler vor Gericht. Der macht dem LKA heftige Vorwürfe.
Der Skandal um die mehr als 150 verschwundenen Waffen in Schleswig-Holstein geht in die nächste Runde. In der kommenden Woche steht der Waffensammler Peter Frank vor dem Amtsgericht Husum. Ihm werden zahlreiche waffenrechtliche Verstöße vorgeworfen, unter anderem gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz.
Recherchen von t-online zeigten schon in den vergangenen Jahren, dass die Ermittlungen gegen Frank fehlerhaft waren und dass beim Ausräumen seiner Waffenkammer mehr als 150 Waffen aus der Hand der Behörden abhandengekommen sind. Jetzt legen neue Recherchen nahe, dass das Landeskriminalamt Kiel sogar eine Sprengung einer angeblich scharfen Gewehrgranate vorgetäuscht haben könnte.
Der Fall Peter Frank steht stellvertretend für das fehlerhafte Arbeiten von Waffenbehörden und Landeskriminalämtern im Umgang mit privaten Schusswaffen. Bundesweit verschwinden wiederholt Waffen aus Behördenhand. Schuld sind am Ende aus Sicht der Behörden nie sie selbst.
Rückblick: 14. April 2021. Zum wiederholten Male sind die Waffenbehörde und das Landeskriminalamt Kiel zu Gast in Schwesing, einem kleinen Ort in der Nähe von Husum in Schleswig-Holstein. Am Rande des Örtchens wohnt Peter Frank, ehemaliger Soldat der Bundeswehr. Auf dem Bundeswehrflugplatz in der Nähe hat er jahrelang seinen Dienst getan, zwischenzeitlich war er auch in der Eifel stationiert. Frank hatte die höchsten Sicherheitsüberprüfungen durchlaufen, zeitweise war er sogar für den Schutz der amerikanischen Atomwaffen in Deutschland verantwortlich.
Umso mehr ist er schockiert von den Vorwürfen, die ihm damals von der Waffenbehörde Husum und dem Landeskriminalamt in Kiel gemacht werden. Frank ist Waffensammler, hatte gut 1.000 Waffen in seinem Waffenraum, hauptsächlich unterschiedliche Varianten eines speziellen Gewehrs, des Karabiners 98. Frank galt jahrelang als Vorzeigewaffenbesitzer und stand im guten Austausch mit der örtlichen Waffenbehörde. Jetzt aber wirft genau diese ihm vor, gegen das Waffengesetz verstoßen zu haben. So soll er etwa Waffen widerrechtlich umgebaut und Waffen illegal hergestellt haben.
Bei einer Durchsuchung im Februar 2021 wurden ihm nahezu alle Waffen weggenommen. Dabei jedoch sind den Behörden zahlreiche Fehler unterlaufen, wie spätere Recherchen von t-online und dem NDR-Politmagazin Panorama 3 aufdeckten: So wurden unter anderem lücken- und fehlerhafte Waffenlisten erstellt, Akten wurden manipuliert, die Richterin in einem Verfahren wurde für befangen erklärt. Zudem zeigten die Recherchen, dass das LKA und die Waffenbehörde eine scharfe Waffe aus Franks Waffenkammer nicht als solche erkannt hatten. Sie gaben die Waffe an einen Waffenbesitzer in Bayern weiter, der dann bemerkte, dass die Waffe scharf war.
Hier die gesamten Recherchen im Überblick:
- Der Streit geht los: "So verschwanden 150 Waffen aus Behördenhand"
- Teil 2: Nun fehlen zentrale Dokumente
- Teil 3: Die befangene Richterin und die Aktenmanipulation
- Teil 4: LKA lässt Waffen verschwinden
- Teil 5: "Der größte Waffenskandal der Bundesrepublik"
- Teil 6: "Absolut tödlich" – Wie das LKA scharfe Waffen nicht erkannte
An besagtem 14. April 2021 jedoch findet die Polizei bei Frank nicht nur die bereits erwähnten Gewehre, sondern, wie t-online nun erfuhr, auch alte Gewehrgranaten. Die Waffenbehörde und das LKA entscheiden, diese zu sprengen, angeblich aus Sicherheitsgründen. Ein weiterer Fehler der Behörden?
Frank kennt seine Gewehrgranaten. Es sind Sammlerstücke, die keinen Sprengstoff mehr enthalten. Um den Beamten das zu belegen, nimmt er die Granaten auseinander und schüttelt sie. Zeugen belegen t-online diesen Vorgang. Doch der LKA-Beamte soll dadurch lediglich aufgebrachter reagiert haben. Ein Spezial-Team des LKA wird gerufen, um die Granaten sicher zu sprengen. Frank ist fassungslos.
Die Granaten wurden in Franks Garten gesprengt. Der Knall, so berichten t-online Frank und weitere Zeugen, war sehr leise. Ein Hinweis darauf, dass es sich zumindest kaum um scharfe Granaten gehandelt haben kann, die mit Sprengstoff gefüllt waren. Oder wurden die Granaten womöglich gar nicht zerstört?
Frank und weitere Anwesende überprüfen im Nachhinein das Loch. Es habe genauso ausgesehen wie vorher, berichtet Frank. Keine Spuren von Granatsplittern, kein Metall. Das belegen auch Fotos von Frank nach der Sprengung. Auch mit dem Magneten überprüft Frank das Loch und findet nichts. "Ich bin davon überzeugt, dass die Gewehrgranaten nicht gesprengt wurden", sagt Frank.
Um seinen Verdacht zu überprüfen, engagierte Frank vor einigen Wochen einen öffentlich bestellten und vereidigten Sprengsachverständigen, von denen es in ganz Deutschland nur elf gibt. Er sollte identische Granaten in einem identischen Loch auf einem Sprengplatz sprengen. Einmal mit scharfen Granaten, einmal Granaten ohne eigenen Sprengstoff. Das Ergebnis: In beiden Fällen hat sich das Loch im Boden vergrößert und es wurden zahlreiche Granatsplitter gefunden. Für Frank und hinzugezogene weitere Fachleute erhärtet sich so der Verdacht, dass die Granaten also damals nicht gesprengt, sondern von den Beamten als Sammlerstücke weggeschafft wurden.
Es wäre kein Einzelfall
In ganz Deutschland verschwinden Waffen, Munition und andere Beweisgegenstände aus Asservatenkammern, sogenannten Vergleichswaffensammlungen oder gar die Dienstwaffen der Beamten und Beamtinnen selbst. Acht Jahre lang hat die Polizei in der Landeshauptstadt Kiel den Schlüssel für die Asservatenkammer unter einem Blumentopf gelagert. Als zwei Rocker der Hells Angels ihre sichergestellten Kutten abholen wollten, fehlten laut Angaben der "Bild"-Zeitung ein goldener Anstecker im Wert von 1.100 Euro und eine Kutte. Das Versteck des Schlüssels flog auf.
Seit 2010 sind bei der Berliner Polizei rund elf Dienstwaffen verschwunden, fünf wurden wiedergefunden. Bei einer der Waffen handelt es sich um eine Kriegswaffe des Typs MP7. Die Waffe kann leichte Schusswesten durchschlagen und ist für die Anti-Terror-Einsätze der Polizei gedacht. Der Verlust fiel bei einer Bestandsprüfung des Waffenlagers des Spezialkommandos (SEK) auf.
In Leipzig hat 2016 ein Beamter seine Maschinenpistole des Typ MP5 auf dem Dach des Einsatzwagens vergessen. Als er zu einem Einsatz gerufen wurde, war die Waffe spurlos verschwunden.
Beamte unterschlagen Waffen
Wie Beamte selbst verwickelt sein können, zeigt ein Fall aus Frankfurt. Im Polizeipräsidium soll 2020 ein Beamter Hunderte Waffen aus der Asservatenkammer gestohlen und schließlich weiterverkauft haben. Der 41-jährige Polizist war selbst für die Asservatenkammer zuständig und soll sowohl Langwaffen als auch Pistolen und Revolver sowie dazugehörige Munition entwendet haben.
In einem weiteren Fall vernichtete das LKA Sachsen-Anhalt 2024 mehr als 69.000 Schuss Munition und 108 Waffen. Kurz vorher war eine Kontrolle angekündigt worden, da der Verdacht bestand, dass rund 270 Waffen nicht nach Vorschrift sichergestellt worden waren. Es handelte sich um Vergleichswaffen, die für Gutachten in Verfahren verwendet werden, um die Tatwaffe nicht zu beschädigen. Kurz vorher wurde bereits über verschwundene Waffen berichtet und es wurden erhebliche Mängel in der Aufbewahrung von Beweismitteln wurden festgestellt.
Eine verschwundene Waffe und ein Mord
In Bayern waren 2019 erste Verluste in den sogenannten zentralen Waffenverwertungen des LKA aufgefallen. Eigentlich werden hier Waffen sichergestellt und demontiert, 2024 wurden drei Beamte verdächtigt, die Waffenteile unterschlagen und weiterverkauft zu haben. 2023 wurden die Ermittler aufmerksam, als bei einem der Verdächtigen Waffenteile und Deko-Waffen gefunden wurden. Gegen den 60-Jährigen wurde damals wegen gewaltverherrlichender Aussagen disziplinarrechtlich ermittelt.
Auch Teil der Ermittlung ist ein Femizid in Nordrhein-Westfalen. Ein in der zentralen Waffenverwertung des LKA sichergestellter Revolver, der demontiert werden sollte, wurde später zur Tatwaffe. Die Waffe tauchte 2019 in NRW wieder auf, als ein Mann seine Ex-Freundin ermordete. Einer der beschuldigten Beamten ist bereits im Ruhestand, die anderen wurden suspendiert. Das Landeskriminalamt ermittelt.
Neben den Gewehrgranaten, die möglicherweise gar nicht gesprengt wurden, gibt es im Verfahren von Peter Frank weitere Auffälligkeiten. So sind in einem Bildbericht des LKA Kiel Teile eines Sturmgewehrs 44 dokumentiert, das Frank legal besaß. Ein Deko-Griffstück, das in den Akten fälschlicherweise als "Gehäuseteil" erwähnt wird, genauso wie mehrere Läufe. Das Sturmgewehr 44 hat einen hohen Sammlerwert.
Auffällig: Diese Teile haben keine Asservatennummer. Sie tauchen deshalb auch weder auf Listen auf, die ihre Vernichtung dokumentieren, noch auf Listen, die dokumentieren, dass das LKA die Waffen in ihre kriminaltechnische Sammlung übernommen hat. Sie sind faktisch verschwunden.
Im Fall von Peter Frank hat sich der Innen- und Rechtsausschuss des Schleswig-Holsteinischen Landtages mit dem Verschwinden der Waffen und den Verfahrensfehlern beschäftigt. Es wurden Fehler eingeräumt, das Verfahren in Gänze aber nicht infrage gestellt – auch wenn das LKA und die Waffenbehörde gegen behördeninterne Vorgaben verstoßen hatten und der Aufenthaltsort der Waffen nach wie vor unklar ist. Die Behörden behaupten, sie seien vernichtet. Belegen können sie es aufgrund der fehlerhaften und teilweise nicht vorhandenen Listen nicht.
Das Landeskriminalamt schreibt auf Anfrage von t-online, dass "vor der Sprengung Lichtbilder von den Granaten angefertigt. Nach der Sprengung wurde eine Nachsuche durchgeführt, bei der keine Munitionsreste auffindbar waren". Auf die Nachfrage, warum es keinen Bildbericht nach der Sprengung gab, antwortete die Behörde nicht. Klar ist: Es existieren keine Bilder der Granaten im Sprengloch, weder vor noch nach der Sprengung. Die Lichtbilder, von denen das LKA in der Antwort spricht, sind offenbar an einem anderen Ort auf Franks Grundstück entstanden.
Der Prozess gegen Frank geht am 10. April weiter. Die Richterin wurde eigentlich für befangen erklärt, führt den Prozess aber trotzdem weiter. Franks Hoffnung ist trotzdem, dass er am Ende freigesprochen wird und die Fehler der Behörden noch einmal genauer unter die Lupe genommen werden.
- Eigene Recherchen
- Gutachten über die Auswirkung und Sprengrückstände
- Anfrage LKA Kiel
- Anfrage Peter Frank