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Zum journalistischen Leitbild von t-online.CDU-Wahlkampf in Sachsen Über einen verliert Kretschmer kein Wort
Kurz vor der Landtagswahl in Sachsen wird Migration zu einem noch größeren Thema als ohnehin schon. Die zentrale Frage: Wer trifft dabei den richtigen Ton?
Carsten Linnemann kneift die Augen ein Stück zusammen. Er beugt sich vor, hört zu, während vor ihm ein älterer Mann den Zeigefinger hebt und redet. "Ich bin nicht rassistisch", sagt der mit Nachdruck. "Aber wir können doch nicht die ganze Welt bei uns aufnehmen."
Gespräche wie diese führt der CDU-Generalsekretär im Moment häufig. Bei Wahlkampfterminen in Sachsen und Thüringen gibt es das immer wieder. Menschen, die aufgebracht sind – und über Migration sprechen wollen. An diesem Freitag in Chemnitz. Als Linnemann auf der Bühne steht, sagt er bewusst, er wisse, dass auch die CDU hier Fehler gemacht habe. Aber, fügt er dann hinzu: "Wir machen es jetzt besser." Grenzkontrollen, Zurückweisungen, Linnemann zählt auf, was Friedrich Merz in den vergangenen Tagen gefordert hat. Während der Kanzler das Land nicht führe, sei der CDU-Chef nach vorn gegangen, habe Verantwortung übernommen.
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Am Vorabend war noch ein anderer CDU-Politiker zur Unterstützung im Wahlkampf. In Leipzig ist der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst gemeinsam mit Michael Kretschmer aufgetreten. Anwesende berichten, die beiden Länder-Chefs hätten sich die Bälle nur so zugespielt. Auch über Migration sei viel geredet worden. Zu Friedrich Merz? Kein Wort.
Thema Migration überschattet auf den letzten Metern alles
Bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg spielt das Thema Migration eine zentrale Rolle. Über Wochen haben mehrere Befragungen verschiedener Institute gezeigt, dass es zu den größten Sorgen der Menschen vor Ort gehört. Nach dem brutalen Messerangriff in Solingen, bei dem ein Syrer drei Menschen tötete und acht weitere verletzte, scheint es endgültig alles andere zu überschatten.
"Solingen hat etwas mit unserer Gesellschaft gemacht", sagt Sachsens Ministerpräsident und aktueller Spitzenkandidat Michael Kretschmer t-online dazu. Die Menschen würden zu Recht erwarten, dass die Politik jetzt etwas ändere.
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Für die CDU ist die Sache heikel. Einerseits will die Partei Druck machen und zeigen, dass sie anders, besser als die Ampel handeln würde. Gleichzeitig werfen viele Bürgerinnen und Bürger den Wahlkämpfern vor, dass die CDU selbst 16 Jahre regiert hat. Der Satz "Wir schaffen das", den Altkanzlerin Angela Merkel 2015 im Hinblick auf die Flüchtlingskrise gesagt hatte, hängt den Christdemokraten immer noch nach. Viele versuchen sich zwar dieser Tage von ihm zu distanzieren. Allerdings müssen sie aufpassen, dabei den richtigen Ton zu treffen, nicht zu überdrehen. Sonst, so sagen es einige in der Partei selbst, drohe allein die AfD zu profitieren.
Wie also sieht der richtige Umgang mit Solingen aus? Für die Wahl am Sonntag – aber auch darüber hinaus.
Ukraine plötzlich kein Thema mehr
Bis vor einer Woche hatte Kretschmer noch ein ganz anderes Problem im Wahlkampf: die Ukraine-Haltung seiner Partei. Denn während die CDU im Bund etwa beim Thema Waffenlieferungen bislang zu den lautesten Befürwortern gehört und hier auch regelmäßig Druck auf den Kanzler ausgeübt hat, ist die Meinung in Sachsen eine andere. Auch Kretschmer selbst äußert sich hier deutlich anders als die meisten seiner Parteikollegen. Vor einigen Monaten hatte der CDU-Ministerpräsident ein "Einfrieren" des Krieges vorgeschlagen. Zuletzt unterstrich er noch einmal die Notwendigkeit von Friedensverhandlungen mit Russland und sprach sich gegen weitere Waffenlieferungen an Kiew aus. "Wir können nicht länger Mittel für Waffen an die Ukraine in die Hand nehmen, damit diese Waffen aufgebraucht werden und nichts bringen", so Kretschmer.
Zwar finden solche Sätze in Sachsen großen Zuspruch, allerdings wissen die Wähler auch um die Haltung der CDU-Spitze. Bei einer Kundgebung im Rahmen des Europawahlkampfs in Leipzig hatte Partei-Chef Friedrich Merz sogar noch gegen die Menge angeschrien und versucht zu erklären, warum die Unterstützung der Ukraine essenziell für Frieden sei, während es aus den Zuschauerreihen "Kriegstreiber" hallte. Mittlerweile hält die Parteispitze sich zwar bewusst zurück. Bei gemeinsamen Wahlkampfauftritten wird das Thema gar ausgespart. Allerdings durfte Kretschmer sich in den vergangenen Wochen in Bürgergesprächen immer wieder anhören, dass er eine Einzelmeinung in seiner Partei bleibe, man deswegen skeptisch sei.
In der Woche vor der Wahl scheint jedoch all das in den Hintergrund gerückt zu sein. Während es vorher kaum einen Termin gab, bei dem die Ukraine nicht angesprochen wurde, geht es den Menschen bei Kundgebungen und Wahlkampfterminen jetzt vor allem um ein Thema: Solingen – und die daraus folgenden Konsequenzen.
Versteckte Botschaft an Merz? Kretschmer lobt Söder und Wüst
Am Montagabend sind Friedrich Merz und Markus Söder zu Gast im Weißen Hirsch in Dresden. Gemeinsam mit Michael Kretschmer wollen die beiden Parteivorsitzenden die rund 1.400 erschienenen Zuhörerinnen und Zuhörer überzeugen, am Sonntag ihr Kreuz bei der CDU zu machen. Demonstranten gibt es nahezu keine. Eine kleine Gruppe hält Friedensschilder hoch, ruft Merz und Söder im Vorbeigehen etwas zu – das war’s. Fragt man an dem Abend im Publikum, geht es vor allem um ein Thema: Migration.
Zuerst spricht Kretschmer, dann Söder, dann Merz. "Demokratie verteidigt man, indem man beweist, dass der Rechtsstaat, die Probleme löst, die aus Sicht der Bevölkerung vorhanden sind. Und Migration ist das größte Thema. Das wissen wir. Lasst es uns lösen", sagt Kretschmer. Er betont aber auch, dass er das nicht nur im eigenen Interesse sage, sondern auch im Interesser derer, "die zu uns gekommen sind und die jetzt in so einen furchtbaren Generalverdacht von irgendwelchen rechtspopulistischen Parteien gedrängt werden. Das darf nicht richtig sein."
Es sind Sätze, wie man sie eigentlich von vielen in der Union kennt. Auch Merz hat sie schon häufig betont. Doch in den vergangenen Tagen sind sie, bis auf Ausnahmen, in den Hintergrund gerückt.
Horcht man in die Partei hinein, gibt es für die Tonalität und den Umgang des Parteivorsitzenden mit der aktuellen Lage größtenteils Zustimmung, aber auch Sorgen. Zumal sich offenbar nach wie vor nicht alle sicher zu sein scheinen, ob alle Vorschläge, die Merz gemacht hat, auch so umsetzbar sind. Beispielsweise soll Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther in einer Präsidiumssitzung am vergangenen Montag Bedenken geäußert haben.
Im Konrad-Adenauer-Haus ist man sich unterdessen sicher, dass Merz' Wahlkampfauftritte in Sachsen und Thüringen Rückenwind geben. Am Freitag in Chemnitz spricht auch Linnemann es auf der Bühne indirekt an. Das Ergebnis sei zu 99,9 Prozent ein Verdienst der CDU-Sachsen. Die Parteispitze habe nur unterstützen können. Fragt sich: Wessen Unterstützung schätzen sie in Sachsen am Ende tatsächlich?
Kretschmer kritisiert den Vorsitzenden zwar nicht, allerdings könnte sich in einer Aussage des Ministerpräsidenten doch eine Botschaft verbergen. Kurz vor der Wahl sagt Kretschmer t-online: "Besonders die Unterstützung im Wahlkampf von Hendrik Wüst und Markus Söder war mir wichtig. Beide zeigen, wie man Wahlen gewinnt und erfolgreich eine Regierung in schwieriger Zeit führt."
Zu Friedrich Merz? Kein Wort.
- Eigene Recherche