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SPD-Landeschef Weil über den Ampel-Streit zum Bundeshaushalt


Niedersachsens Ministerpräsident Weil
"So wie es ist, kann es nicht bleiben"

  • Daniel Mützel
InterviewVon Daniel Mützel

27.07.2024Lesedauer: 9 Min.
Interview
Unsere Interview-Regel

Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil: "Offenbar machen wir etwas falsch."Vergrößern des Bildes
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil: "Offenbar machen wir etwas falsch." (Quelle: Florian Gaertner/getty-images-bilder)

Mit Ach und Krach hat sich die Ampel auf den Haushalt geeinigt. Ende gut, alles gut? Nein, sagt Niedersachsens Ministerpräsident Weil. Ein Gespräch über Fehler der Scholz-Regierung, die Krise der SPD – und eine Sommerpause, die alle mal nötig haben.

Historische Schlappe bei der Europawahl, die SPD-geführte Ampel im Dauerzoff, eine Bundestagsfraktion in Aufruhr: Die deutsche Sozialdemokratie durchlebt ihre schwerste Krise seit Langem, mit ungewissem Ausgang. Doch für eine ausgedehnte Phase der Selbstfindung ist kaum Zeit: Während die Berliner Parteizentrale noch nach Antworten sucht, stecken die Genossen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg bereits knietief im Wahlkampf.

Kann die SPD ihre Probleme überwinden? Das hängt wohl davon ab, ob sie die richtigen Schlüsse aus ihren Wahlniederlagen zieht. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) etwa gibt der Parteispitze noch bis nach dem Sommer Zeit, Lösungen zu entwickeln. Seit dem Rückzug der Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, ist Weil der dienstälteste SPD-Landesvater; künftig koordiniert er die SPD-geführten Länder vor Bundesratssitzungen. Weils Einfluss in Berlin wird damit wachsen.

Im t-online-Interview erklärt der Sozialdemokrat, warum seine Partei ganze Wählerschichten verloren hat, was er am Haushaltskompromiss der Ampel auszusetzen hat – und ob er seinen "guten Freund" Boris Pistorius bald im Kanzleramt sieht.

t-online: Herr Weil, viele Bürger sind genervt vom Dauerstreit der Ampel. Wie froh sind Sie, dass jetzt parlamentarische Sommerpause ist und das Berliner Chaos etwas abflaut?

Stephan Weil: Ich gönne allen Beteiligten die Erholung. Die haben sie, glaube ich, auch verdient. Es ist im Übrigen gut, wenn wir jetzt auch in der Politik eine Phase haben, in der alle mal ein wenig herunterkommen. Vielleicht hilft das dem einen oder anderen, mit guten Vorsätzen aus den Ferien zurückzukommen.

Welchen können Sie empfehlen?

Etwa den, dass man Meinungsverschiedenheiten in einer Koalition gerne haben darf, aber sie intern klärt und nach außen geschlossen auftritt.

Das verspricht die Koalition den Bürgern seit ihrem Amtsantritt. Ist es nicht so, wie SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert neulich sagte, dass es nun mal reale politische Konflikte in der Ampel gebe, die sich nicht einfach durch gute Vorsätze und "Kabinenpredigten" auflösen lassen?

Für das Innenverhältnis mag das stimmen, für den Außenauftritt ist das aber nicht zu empfehlen. Die Menschen haben typischerweise kein Interesse daran, Parteien beim Streiten zuzusehen. Sie wollen wissen, wie sich Politik auf ihr Leben auswirkt. Das gilt für das Regierungshandeln ganz besonders. Wenn ich mir die monatelange Diskussion um den Haushalt ansehe, ist für mich klar: Die Ampel muss ihr Auftreten und ihre Kommunikation verbessern.

Auch die SPD?

Ja, das gilt für SPD, Grüne und FDP gleichermaßen. Mir geht es um etwas Grundsätzliches: Wir drohen Teile der Bevölkerung zu verlieren. Der Frust im Land wächst und das Vertrauen in Politik und Staat sinkt. Das sind die Ergebnisse zahlreicher Umfragen. In so einer Lage muss die Regierung Verlässlichkeit und Sicherheit ausstrahlen. Zuletzt hat die Ampel nicht selten das Gegenteil getan und ihren Streit auch um zweitrangige Themen nach außen getragen. Das hilft sicher nicht in Anbetracht der Stimmung bei vielen Menschen. Die Regierungsparteien müssen sich im letzten Jahr vor der Bundestagswahl besonders anstrengen und Orientierung vermitteln. Dann werden sie auch wieder bessere Zeiten erleben.

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SPD, Grüne und FDP kommen zusammen derzeit nur noch auf rund 30 Prozent Zustimmung. Beschleicht Sie manchmal das Gefühl, dass es für das Land besser wäre, wenn die Ampel ihr Experiment vorzeitig beendet?

Ich glaube nicht, dass wir das Land stabilisieren, wenn wir jetzt Neuwahlen ausrufen. Die Haushaltseinigung hat gezeigt, dass sich die Ampel zusammenraufen kann, wenn sie muss. Das Problem ist doch, dass die Bundesregierung durchaus viele Erfolge vorzuweisen hat. Nur geht diese gute Arbeit im Dauerzoff der Ampel unter.

Der Haushalt ist ein klassischer Ampelkompromiss: Niemand musste seine heiligen Kühe schlachten, die eigentliche Kernaufgabe – das zweistellige Milliardenloch stopfen – wurde mit Buchungstricks gelöst. Würde Sie in Niedersachsen so einen Haushalt aufstellen?

Ich muss zum Glück keine Dreierkoalition führen, bei der eine Partei die Schuldenbremse für unantastbar hält. Ansonsten sehe ich auf den ersten Blick nichts, was nicht auch in anderen Haushalten üblich wäre.

Da wäre etwa die sogenannte Globale Minderausgabe, eine Art Merkposten im Haushalt, bei dem noch gar nicht feststeht, wo das Geld herkommen soll. Juristen kritisieren vor allem die ungewöhnliche Höhe von 16 Milliarden Euro, die womöglich gegen das Grundgesetz verstoßen könnte. Ist das seriöse Finanzpolitik?

Ich unterstelle jetzt mal, dass die Bundesregierung unter der Federführung des Finanzministers mit dem Haushaltsentwurf rechtlich einwandfreie Vorschläge gemacht hat. Wir haben uns noch nicht mit allen Details des Entwurfs befassen können, sodass ich das selbst nicht abschließend bewerten kann. Das Dilemma der Ampel war und ist dabei, dass ein harter Sparhaushalt derzeit nicht vertretbar ist und zugleich die Schuldenbremse eingehalten werden soll.

Die Mittel, die Sie Buchungstricks nennen, zeigen vor allem eines: Die finanzielle Decke ist zu kurz. Daher wäre es klüger gewesen, die Notlagenklausel der Schuldenbremse zu ziehen – was insbesondere vor dem Hintergrund der veränderten Sicherheitslage und anderer Auswirkungen des Krieges in der Ukraine sehr legitim gewesen wäre.


Quotation Mark

Nach so einem Ergebnis darf man nicht zur Tagesordnung übergehen.


Niedersachsens Landeschef Stephan Weil


Bei der Europawahl hat die SPD mit 13,9 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl erzielt. Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Partei die richtigen Lehren daraus gezogen hat?

Erste Analysen gingen schon in die richtige Richtung, aber es gibt noch keine konkreten Konsequenzen. Das muss noch passieren. Nach so einem Ergebnis darf man nicht zur Tagesordnung übergehen. Über das Erscheinungsbild der Ampel haben wir bereits gesprochen. Ein anderes Beispiel ist, dass die SPD offenbar derzeit nicht den richtigen Ton trifft, um etwa junge Menschen oder Arbeiter zu überzeugen. Wir müssen uns da etwas einfallen lassen.

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Bisher hat es nicht den Anschein, als würde ein grundlegender Strategiewechsel anstehen.

Offenbar machen wir ja etwas falsch, sonst hätten wir keine solche Wahlschlappe erlebt. Wenn wir das bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr verhindern wollen, müssen wir jetzt die Lehren ziehen. Dazu gehört sicherlich, dass wir uns als Sozialdemokratie noch stärker und intensiver als bisher um die viel zitierte arbeitende Mitte bemühen.

Das verspricht die SPD seit Jahren. Aber wie genau wollen Sie das anstellen?

Genau das ist die Frage, die die SPD nach der Sommerpause intern klären und umsetzen muss.

Hat die SPD derzeit das richtige Spitzenpersonal, um die richtigen Antworten zu finden? Parteiintern geriet vor allem Generalsekretär Kevin Kühnert in die Kritik. Hat er noch das Vertrauen der Partei?

Das habe ich schon oft erlebt: Wenn eine Wahl schlecht läuft, waren die Plakate schuld und damit der Generalsekretär, der sie drucken ließ. Das ist mir zu billig, solche Personaldebatten lenken oft vom eigentlichen Problem ab. Und das hat mit Inhalten und mit Kommunikation zu tun.


Quotation Mark

Arbeit lohnt sich vor allem dann, wenn sie gerecht bezahlt wird.


NIEDERSACHSENS LANDESCHEF STEPHAN WEIL


Machen wir es konkret: Bei welchem Thema hat die SPD eine offene Flanke?

Wir erleben gerade eine Kurskorrektur beim Bürgergeld, und das ist auch richtig so. Die Debatte um Bürgergeld-Bezieher, die arbeiten könnten, aber nicht wollen, hat uns in den vergangenen Monaten geschadet. Wer zumutbare Arbeit ablehnt, muss das auch zu spüren bekommen. Umgekehrt: Wer arbeitet, muss merken, dass sich das lohnt. Es gibt eben auch eine andere Seite der Medaille.

Und die wäre?

Arbeit lohnt sich vor allem dann, wenn sie gerecht bezahlt wird. Für Millionen Menschen in Deutschland ist das aber nicht der Fall. Wer für Mindestlohn arbeitet, hat in Zeiten der Inflation am Ende des Monats immer weniger übrig. Das sind Menschen, die hart arbeiten, aber wenig verdienen. Die müssen wir als SPD wieder in den Mittelpunkt unserer Politik rücken.

Der gesetzliche Mindestlohn liegt derzeit bei 12,41 Euro. Ist er zu niedrig?

Ja, das Ziel muss ein Mindestlohn von 14 oder 15 Euro sein, um mit der Inflation Schritt zu halten.

Für die Festlegung des Mindestlohns ist eigentlich eine Kommission zuständig.

Wir sollten überprüfen, wie wir das derzeitige Verfahren verbessern können. Die Kommission hat zuletzt im Streit entschieden, das ist nicht gut. Es geht auch nicht nur um eine ökonomische Betrachtung, sondern auch um die gesellschaftlichen Auswirkungen. Wer voll arbeitet, muss zum Beispiel auch die Aussicht auf eine vernünftige Altersversorgung haben. Die arbeitende Mitte ist die entscheidende Gruppe in der Gesellschaft, sie ist der Stabilitätsanker der politischen Ordnung, und sie muss sich sicher fühlen können.

Noch einmal zurück zum Haushalt: Streit gibt es auch um den Wehretat. Verteidigungsminister Pistorius stellt die Ampeleinigung öffentlich infrage, weil er statt der geforderten 6,7 Milliarden Euro "nur" 1,25 Milliarden mehr bekommt. Können Sie sein Anliegen nachvollziehen?

Ja, Deutschland hat einen großen Fehler gemacht, indem es zu lange an gesellschaftlichen Institutionen gespart hat, die unsere Gesellschaft braucht. Das betrifft vor allem auch die Bundeswehr. Wir haben uns zu lange vorgegaukelt, wir bekämen unsere Sicherheit quasi zum Nulltarif. Diesen Fehler dürfen wir nicht wiederholen. Die Klage von Boris Pistorius ist also im Kern berechtigt.

In der SPD gefällt das nicht allen. Fraktionschef Mützenich sagte kürzlich über die anhaltende Kritik des Verteidigungsministers: "Aus der Reihe tanzen geht nicht." Riskiert Pistorius einen Konflikt in der eigenen Partei?

Boris Pistorius legt nun einmal den Finger in eine Wunde, die jeder sehen kann. Ich kann mir auch schwer vorstellen, dass ihm jemand in der Sache widerspricht. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs und unserer Fehleinschätzungen der Vergangenheit sollte allen klar sein, dass die Bundeswehr besser ausgerüstet werden muss. Das Sondervermögen läuft Ende 2027 aus, danach soll der Wehretat auf magische Weise von 50 auf 80 Milliarden Euro im Jahr 2028 steigen. Ich weiß nicht, wie das funktionieren soll, und auch der Bundesfinanzminister hat darauf keine schlüssige Antwort. Pistorius weist zu Recht auf dieses Problem hin, das ist seine Aufgabe.

Der Vorwurf, Pistorius entferne sich zu sehr von der SPD, kommt nicht zum ersten Mal. Bevor er Verteidigungsminister wurde, war er zehn Jahre lang Ihr Innenminister. Was treibt ihn an?

Ich kenne unseren früheren niedersächsischen Innenminister tatsächlich sehr gut. Boris Pistorius hat sich immer seiner Sache ganz und gar verschrieben. Er handelt aus Überzeugung und hat meistens sehr gute Argumente. Das ist auch hier der Fall: Wir müssen aufpassen, dass wir nicht alte Fehler wiederholen. Die Zeitenwende ist ein langwieriger Prozess und kostet eine große Stange Geld. Jetzt rächen sich die vielen Jahre, in denen an der Bundeswehr gespart wurde. Bundeswehr und Bundesbahn sind leider gute Beispiele für die Auswirkungen von unterlassenen Investitionen.

Sie haben die zusätzlichen 30 Milliarden Euro angesprochen, die man ab 2028 pro Jahr allein für die Verteidigungsausgaben bräuchte. Wenn es die heutige Regierung nicht schafft, zusätzliche 6,7 Milliarden Euro zu mobilisieren, wie schafft es die zukünftige, wenn es um das Fünffache geht?

In dem aktuell geltenden Finanzkorsett fällt mir dazu keine gute Antwort ein.


Quotation Mark

Der Bundeskanzler und damit auch der nächste SPD-Kanzlerkandidat heißt Olaf Scholz.


NIEDERSACHSENS LANDESCHEF STEPHAN WEIL


Sie meinen die Schuldenbremse?

Ja, im Moment haben wir doch die Situation, dass wir erkennbar nicht die notwendigen Investitionen aufbringen, um Schaden von der Gesellschaft abzuwenden. Die Bundeswehr ist da nur ein Beispiel von manchen anderen. Der Investitionsbedarf ist bei der Infrastruktur riesig, das gilt für Schienen, Brücken, Straßen, Energienetze, Krankenhäuser und vieles mehr. Es wird am Ende für alle viel teurer, wenn wir das alles noch länger aufschieben. Deswegen müssen wir über eine Reform der Schuldenbremse reden. So wie es ist, kann es nicht bleiben.

Solange die FDP in der Regierung ist, wird das vermutlich nicht passieren.

Das mag sein. Vor der nächsten Bundestagswahl rechne ich auch nicht mehr damit. Aber danach wird sich etwas bewegen, da bin ich sicher. Es gibt zum Beispiel auch immer mehr Ökonomen, die vor Jahren noch die Schuldenbremse vehement verteidigt haben, aber heute aus guten Gründen auf eine Reform drängen, die dem Staat mehr Handlungsfreiheit für Investitionen gibt. Ich glaube, spätestens die nächste Bundesregierung wird dieses Thema angehen müssen.

Nach der Europawahl droht der SPD bei den Wahlen in Ostdeutschland die nächste Schlappe. Wenn die Genossen etwa in Sachsen aus dem Landtag fliegen, ist es dann an der Zeit, über einen neuen Kanzlerkandidaten zu sprechen?

Nein. Wir haben einen sehr guten Bundeskanzler, eine solche Diskussion kann der SPD nur schaden.

Der gerade erwähnte Umfragekönig Boris Pistorius kommt Ihnen da nicht in den Sinn?

Wie gesagt: Die Stelle ist schon vergeben.

Hätte er das Zeug dazu?

Boris Pistorius ist ein guter Freund von mir. Er war ein herausragender Innenminister von Niedersachsen und ist der beste Verteidigungsminister seit Langem in Deutschland. Aber noch einmal: Der Bundeskanzler und damit auch der nächste SPD-Kanzlerkandidat heißt Olaf Scholz.

Bevor US-Präsident Joe Biden seine Kandidatur aufgab, war von ranghohen Demokraten wochenlang verbreitet worden, ein Kandidatenwechsel sei undenkbar. Bis er dann doch eintrat, weil Bidens Siegchancen gegen Trump weiter schrumpften. Ist ein "Biden-Moment" der deutschen Politik wirklich völlig ausgeschlossen?

Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. Der Rückzug von Biden hing wohl auch stark damit zusammen, dass es große Zweifel gab, ob er sein Amt vier weitere Jahre ausführen kann. Diese Zweifel werden in Bezug auf Olaf Scholz nirgendwo geäußert, und es gibt dafür auch keinen Anlass. Es gibt gute und schlechte Phasen in der Politik. Nach meiner Erfahrung lohnt es sich immer, in einer Krise der Führung den Rücken zu stärken. Dann kommen meistens auch wieder bessere Zeiten.

Herr Weil, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Stephan Weil
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