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Michael Kretschmer (CDU): Schadet Sachsens Ministerpräsident der Partei?


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Sachsens Ministerpräsident Kretschmer
Er schadet ihm


Aktualisiert am 29.06.2024Lesedauer: 7 Min.
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Falscher Freund: Hat Kretschmer gelernt, sich mit CDU-Chef Merz zu arrangieren? (Quelle: Florian Gaertner/photothek.de/imago-images-bilder)

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer gilt in seiner Partei oft als Quertreiber, weil er sagt, was viele Menschen in seinem Bundesland denken. Ist er damit eine Belastung für den CDU-Vorsitzenden?

Im großen Kultursaal der Ortsgemeinde Triebel in Sachsen ist am Dienstagabend viel los. Die Stuhlreihen sind schnell besetzt, wer zu spät kommt, muss an die Wand gelehnt stehen. Nicht schlimm, sagt einer der Gäste. Wann hat man schon mal die Möglichkeit, den Ministerpräsidenten zu treffen?

Michael Kretschmer ist an diesem Abend zum Bürgerdialog im Vogtland. Das Format macht der sächsische Ministerpräsident seit 2018. Es kommt gut an. Er steht vorne, das Publikum darf Fragen stellen. Rund 90 Minuten, dann gibt es belegte Brötchen, Bratwurst und Bier. Für die Besucher kostenlos, versteht sich.

Ein Mann meldet sich und tritt ans Mikrofon: "Herr Kretschmer, erst mal Respekt dafür, wie Sie sich für sächsische Interessen einsetzen", sagt er. Er wisse, dass der CDU-Politiker dafür Gegenwind bekomme, auch von der eigenen Parteispitze. Er sei selbst lange konservativer CDU-Wähler, erzählt er, macht eine Pause und fügt dann hinzu: "gewesen". "Halten Sie durch", sagt er noch.

Kretschmer weiß, dass der Mann kein Einzelfall ist. Viele derjenigen, die sich im Laufe des Abends melden, werden sich ähnlich äußern. Für die CDU in Sachsen ist das im Wahlkampf genau das Problem.

Der Ausreißer in der CDU

Michael Kretschmer ist seit Dezember 2017 Ministerpräsident von Sachsen. Im September will der CDU-Politiker aus Görlitz wiedergewählt werden. Sein Dilemma: Nach der Wahl könnte es schwierig werden eine Mehrheitsregierung zu bilden. Denn während die AfD im Freistaat mit einem Stimmenanteil von mehr als 30 Prozent stärkste Kraft werden könnte, drohen die derzeitigen Koalitionspartner von Kretschmer, SPD und Grüne, aus dem Landtag zu fliegen. Beide stehen in den Umfragen derzeit bei sechs Prozent. Um drinzubleiben, brauchen sie mindestens fünf.

Eine heikle Situation. Denn die CDU will einerseits versuchen, möglichst stark zu werden, im besten Fall vor der AfD zu landen. Und gleichzeitig hat Kretschmer kein Interesse daran, am Ende ohne Partner dazustehen.

Hinzu kommt, dass die Persönlichkeitswerte des Ministerpräsidenten zwar gut sind. Bei einer möglichen Direktwahl würden 58 Prozent der Befragten den Amtsinhaber wählen, während gerade mal 17 Prozent für Jörg Urban von der AfD wären. Allerdings erfährt die CDU insgesamt deutlich weniger Zustimmung (29 Prozent).

Das dürfte auch daran liegen, dass Kretschmer oft anderer Meinung ist als Teile seiner Parteispitze – und das kundtut. Immer wieder schert er aus, grenzt sich bewusst ab, etwa wenn es um Waffenlieferungen an die Ukraine geht.

In Sachsen feiern sie Kretschmer dafür. In Berlin ärgern sich hingegen Parteimitglieder immer wieder über seine Aussagen, auch im Konrad-Adenauer-Haus. Die Frage, die sich dieser Tage im Wahlkampf stellt, ist: Schadet Kretschmer am Ende der CDU im Bund? Oder andersrum?

Kretschmer ist froh über jeden, der noch reden will

Am Dienstag bleibt Kretschmer nach der Fragerunde in Triebel noch länger vor Ort. Im Innenhof des Kultursaals steht er vor der Bierzeltgarnitur, zieht genüsslich an seiner Zigarette, kneift dabei die Augen ein bisschen zusammen. Tagsüber raucht er nicht. Nur abends. Quasi als Belohnung für den Tag. "Noch ein Bier?", fragt ihn jemand. "Och, wieso nicht", sagt Kretschmer mit Blick auf sein leeres Glas. Dann setzt er sich in eine Runde – und redet.

Für Ministerpräsidenten sind Termine wie diese in aller Regel sehr dankbar. Man pflegt den Austausch, zeigt sich menschlich. Meistens sieht der Ablauf so aus: Ankommen, Vorgespräch, dann Fragen, ein paar Selfies, Abfahrt.

Kretschmer hingegen bleibt, bis keiner mehr zu ihm kommt. Er ist froh um jeden, der noch reden will. Wohl auch, weil unter den Besucherinnen und Besuchern an diesem Abend ein paar sind, die die AfD wählen dürften. Immer wieder kommt in der Debatte die Frage auf, warum die CDU eine Koalition mit der Partei ausschließe. Ob man den Wählerwillen wirklich so ignorieren könne. "Sie hätten mit denen doch viel mehr Schnittstellen als mit den Grünen", sagt ein Mann und bekommt großen Applaus.

Wieder und wieder erklärt Kretschmer, warum er mit der AfD nicht arbeiten will. Betont, es gehe ihm gar nicht darum, wer etwas sagt, sondern was gesagt werde. Dass die Rechtsextremen Björn Höcke und Maximilian Krah längst nicht mehr die Ausnahme seien. In der Runde scheint das zu funktionieren – es stößt zumindest nicht auf Widerspruch. Aber hält es die Menschen wirklich davon ab, die AfD zu wählen?

"Früher hat es gereicht zu sagen: 'Die sind Nazis'"

Im Wahlkampf will der CDU-Politiker auf Themen wie Migration, aber auch Pflege setzen. So will Kretschmer etwa die Pflegeversicherung reformieren. Es könne nicht sein, dass Menschen ihr Leben lang arbeiten und dann im Alter zu Sozialhilfeempfängern würden, weil sie sich von ihrer Rente die Kosten nicht mehr stemmen könnten. "Das ist unwürdig", sagt Kretschmer t-online. Starke Schultern müssten mehr tragen als schwache. Deshalb sei es richtig, die Pflegeversicherung zu reformieren und mit Steuerzuschüssen zu stabilisieren. Das Ziel sei klar: "Auch mit einer kleinen Rente von vielleicht 1.200 Euro muss ein Pflegeheimplatz ohne Gang zum Sozialamt finanziert werden können."

Fragt man den CDU-Politiker, ob er sich um die hohen Zustimmungswerte für die AfD bei der Landtagswahl sorgt, sagt der: "Es nervt mich, dass in Berlin von vielen auf den Osten als Problem geblickt wird." Wenn Politik aufhöre, Probleme zu lösen, dann würden die Menschen Parteien wie die AfD wählen.

Früher habe es gereicht zu sagen "Die sind Nazis", damit die Menschen die AfD nicht wählen. "Das ist heute nicht mehr so", sagt Kretschmer. Man müsse die Themen klären. Etwa: Migration, Energiepreise und ja, auch das Thema mit dem Krieg. Da müsse zumindest mal ein Diskurs zugelassen werden, fordert er.

Kritik am "Gerede" über eine Brandmauer

Dass sein Parteichef Merz das anders sieht, weiß Kretschmer. Merz scheut sich auch bei Wahlkampfterminen in Leipzig nicht, für Waffenlieferungen an die Ukraine zu plädieren. Kretschmer kommentiert das nicht. Dass es ihm vor Ort nicht hilft, ist dennoch klar.

Auch, dass seine Partei und vor allem Merz immer wieder von einer Brandmauer sprechen, macht es für Kretschmer in Sachsen nicht leichter. "Wir tun uns selbst keinen Gefallen, wenn wir ständig von einer Brandmauer sprechen", sagt Kretschmer t-online. Er betont zwar: "Ich arbeite nicht mit der AfD zusammen, weil das für mich eine Partei ist, die abgedriftet ist. Da wird Hass geschürt, die SS verharmlost, Frauenfeindlichkeit toleriert – das geht mit meinen Werten nicht überein."

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Kretschmer sagt aber auch: "Wenn Vertreter demokratisch von Menschen gewählt wurden, ist es unsere Pflicht, damit umzugehen." Das "Gerede" über eine Brandmauer habe den Eindruck vermittelt, der AfD würden parlamentarische Rechte vorenthalten, kritisiert Kretschmer. Das war und sei nicht der Fall.

Dem CDU-Ministerpräsidenten in Sachsen geht das häufiger so, dass in Berlin etwas gesagt wird, das ihm dann die Arbeit erschwert. Fragt man ihn nach Merz, sagt er ganz loyal: "Friedrich Merz ist der Parteivorsitzende und designierter Kanzlerkandidat." Natürlich freue er sich, wenn der Chef ihn im Wahlkampf unterstütze. Von Parteifreunden Kretschmers ist allerdings zu hören, dass der sich immer wieder über Aussagen des Vorsitzenden ärgere.

Erst vergangene Woche forderte der CDU-Chef im ZDF-Sommerinterview alle Wähler im Osten auf, "jetzt in dieser Situation die CDU zu wählen". Da andere Parteien bei den Landtagswahlen im Herbst "keine Rolle spielen" werden, könnte nur so ein AfD-Sieg verhindert werden, sagte Merz dort. Dass Kretschmer am Ende die SPD und womöglich auch nochmal die Grünen braucht, um eine Mehrheit zu bilden, lässt der CDU-Chef mit seiner Aussage außer acht. Kretschmer kritisiert das zwar nicht. Sagt aber mit Blick auf Wahlempfehlungen: "Offensichtlich haben die ganzen Aufforderungen vor der Europawahl wie 'Wählt nicht die AfD' oder 'Wählt weltoffen' wenig verfangen. Die Menschen lassen sich nicht vorschreiben, was sie wählen sollen."

"Ihr seid eine winzig kleine Minderheit"

Andersherum erzählt man im Umfeld von Merz, dass auch der nicht immer ganz glücklich über die Aussagen seines Parteifreundes sei. Etwa beim Thema Schuldenbremse, wo sich Kretschmer wie mehrere andere CDU-Ministerpräsidenten in den vergangenen Monaten deutlich offener für eine Reform gezeigt hatte als sein Parteichef.

Aber auch mit Blick auf die Ukraine sind die Unterschiede deutlich sichtbar. Der CDU-Chef fährt bei dem Thema eine klare Linie. Er hat Kanzler Olaf Scholz (SPD) oft kritisiert, bei Waffenlieferungen zu zögerlich gewesen zu sein. Die Zeitenwende nicht ausreichend ernst genommen zu haben. Als Kretschmer wiederum im November des vergangenen Jahres davon sprach, den Krieg "einzufrieren", soll Merz, so erfuhr t-online aus dessen Umfeld, sehr irritiert gewesen sein.

Dennoch sagt Merz, wenn man ihn nach Kretschmer fragt: "Sachsen stünde nicht dort, wo es heute steht, ohne den Einsatz des Ministerpräsidenten." Die Arbeit werde gesehen. In Sachsen, wo Michael Kretschmer große Zustimmung genieße. Aber auch innerhalb der CDU Deutschlands. "Michael Kretschmer steht für eine Politik, die die Stärken und die Potenziale Deutschlands entfaltet", so Merz.

Wie passt der Ärger, den beide im Hintergrund übereinander geäußert haben sollen, also mit Aussagen wie diesen zusammen? Und wer wird nun wem eher gefährlich?

Merz und Kretschmer brauchen sich gegenseitig

Die Wahrheit ist, die zwei brauchen einander. Für die CDU ist Kretschmer in Sachsen unverzichtbar. Merz bleibt also nichts übrig, als sich mit dem Querschießer seiner Partei zu arrangieren. Denn Fakt ist auch: Am Ende des Tages spricht Kretschmer genau das aus, was viele Menschen in seinem Bundesland denken. Er repräsentiert eine Gruppe, die in der West-CDU wenig Zuspruch und noch weniger Anerkennung findet, die es aber dennoch gibt – und die durchaus wichtig ist.

Einer der einflussreichsten CDU-Landesfürsten im Westen, Hendrik Wüst, etwa sagt über ihn: Kretschmer wisse, worauf es den Menschen im Freistaat ankomme. "Ich habe großen Respekt vor seinem Politikstil, der vor allem den Dialog mit den Menschen in den Blick nimmt", so Wüst. Es könne einem persönlich manchmal viel abverlangen, sich mit Meinungen auseinanderzusetzen, die nur schwer nachzuvollziehen sind. "Aber genau das ist es, was Michael Kretschmer jeden Tag auf eine vorbildliche Weise vorlebt."

Und umgekehrt ist Kretschmer auch von Merz abhängig. Den Grund dafür hat er selbst genannt: "Merz ist Parteivorsitzender und designierter Kanzlerkandidat". Wenn der sächsische Ministerpräsident mehr als ein Sprachrohr sein will, wenn er für seine Leute wirklich etwas bewegen will, dann geht das nur mit der CDU im Bund.

Und so müssen Merz und Kretschmer letztendlich gar nicht groß zusammenarbeiten. Es könnte schon reichen, wenn sie eine Form der Koexistenz finden, in der sie einander nicht in die Parade fahren.

An diesem Wochenende trifft sich die CDU am Sonntag zu einer Klausurtagung des Präsidiums. Es soll um die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen gehen und auch um eine Strategie für den Umgang mit der AfD. Wie t-online erfuhr, wird Kretschmer daran nicht teilnehmen – andere Termine. Vielleicht sind es aber auch die Zweifel daran, wie ergiebig die Runde für ihn selbst sein wird.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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