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EM: So laufen die Polizei-Grenzkontrollen ab


Vor Ort bei den Grenzkontrollen zur EM
"Den Baseballschläger können sie sich später wieder abholen"


29.06.2024Lesedauer: 7 Min.
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Quelle: t-online

Innenministerin Faeser bezeichnet die Grenzkontrollen zur EM als vollen Erfolg. Doch wie sieht die Situation vor Ort aus? Am polnischen Grenzposten kämpfen die Polizisten mit gleich zwei Herausforderungen.

Sie wissen genau, worauf sie achten müssen. Jetzt zum Beispiel. Ein grauer Kombi fährt auf die Grenzpolizisten zu. Der Mann am Steuer trägt Schwarz, eine Glatze und Tattoos. Zwei Männer, muskelbepackt, sitzen auf der Rückbank, einer auf dem Beifahrersitz. Auf der Hutablage liegt ein polnisches Trikot. Einer der Grenzbeamten hebt die Kelle: rechts ranfahren, Kontrolle.

Dienstagmorgen, die Autobahn 15 bei Klein Bademeusel hinter Forst in der brandenburgischen Lausitz. Auf der anderen Seite der Neiße liegt Polen. Schon seit dem vergangenen Oktober finden hier wieder Grenzkontrollen statt. Damals ließ Innenministerin Nancy Faeser (SPD) die temporären Grenzposten einrichten, um gegen Schleusernetzwerke vorzugehen.

Fußballfans werden grundsätzlich kontrolliert

Jetzt, während der Fußball-Europameisterschaft, wurden diese nochmals verstärkt. Insgesamt 22.000 Bundespolizisten sind bundesweit pro Tag im Einsatz, auch an den Grenzen. Sie sollen Hooligans, aber auch mögliche Terroristen vom Land und den Stadien fernhalten. Wie genau diese sich verteilen, will die Polizei "aus einsatztaktischen Gründen" nicht verraten.

Die Sicherheit des Fußballturniers hat oberste Priorität. Für die Grenzbeamten an der A15 bedeutet das ein Vielfaches an Kontrollen. Nicht mehr nur potenzielle Schleuser werden herausgewinkt, auch jedes Fahrzeug, das einen Hinweis auf Fußballfans erkennen lässt.

Der graue Kombi rollt nun auf die Fläche neben der verengten Fahrbahn. Dort ist ein großes weißes Zelt aufgebaut, von beiden Seiten offen. Frank Malack und Matthias Grund winken den Kombi heran. Es ist warm an diesem Morgen, Hauptkommissar Grund, 38, und Erster Hauptkommissar Malack, 46, tragen Sonnenbrillen und dunkelblaue T-Shirts unter ihren schutz- und stichsicheren Westen. Beide sind seit mehreren Jahren an der Grenze aktiv.

"Guten Tag, die Bundespolizei! Ausweis und Führerschein bitte!", sagt Grund zu dem glatzköpfigen Fahrer. Der versteht kein Deutsch. Englisch geht besser, der Mann lächelt die Beamten an, reicht die geforderten Dokumente. "Destination?", fragt Malack. Die vier Polen wollen nach Dortmund, wo später am Tag das Spiel der polnischen Nationalmannschaft gegen Frankreich stattfindet. Malack will die Tickets sehen, der Fahrer zeigt sie ihm. Es stellt sich heraus, dass er mit seinem Sohn und zwei Freunden unterwegs ist. Die Stimmung ist entspannt.

Autodurchsuchung: Trikot sorgt für das meiste Aufsehen

Nur zur Sicherheit will Malack noch in den Kofferraum schauen. Sein Blick fällt auf das Trikot. "Which player? (Welcher Spieler?) Lewandowski?", will er wissen und greift nach dem Shirt. Auf der Rückseite prangt die Nummer Eins mit einem ihm unbekannten Namen – es ist der des Fahrers. Für die Polizisten ist klar: Von dieser Gruppe geht keine Gefahr aus, Malack und Grund lassen sie weiterfahren – und wünschen noch einen schönen Tag.

An diesem Tag ist das Polizeiaufgebot an der Grenze besonders hoch, weil nicht nur Polen am Abend spielt, sondern auch ein Spiel in Berlin stattfindet. Das Olympiastadion ist weniger als zwei Autostunden von der Grenze entfernt. Bei der Schichtübergabe um 8 Uhr morgens tummeln sich deswegen zeitweise mehr als 20 Beamte in dem Zelt.

Der große Fanverkehr ist allerdings bereits vorbei, gerade drängen sich vor allem Lkw durch die verengte Sichtkontrollstelle auf der Autobahn. Keiner von ihnen wird herausgewinkt. Erst eine schwarze BMW-Limousine wieder, in der eine Familie sitzt, alle in weiß-rote Polen-Trikots gekleidet. Der Fahrer spricht ein bisschen Deutsch, die Beamten kontrollieren kurz die Ausweise und die Tickets. Auf einen Blick in den Kofferraum verzichten die Bundespolizisten. Eine Frau auf dem Beifahrersitz und zwei Kinder auf der Rückbank, das werden schon keine Krawallmacher sein.

Überall dort, wo ein Bezug zum Fußball erkennbar ist, kontrollieren die Polizisten Autos – auch um diese statistisch zu erfassen. Woher kommen die Fans? Wollen sie zum Stadion oder zur Fanmeile? All das sind wichtige Erkenntnisse, um sich auf zukünftige Situationen vorzubereiten. Grund und Malack haben bei dieser EM bisher aber noch keinen Fußballfan aus dem Verkehr ziehen müssen.

86 Hooligans an Einreise gehindert

Die meisten Menschen, die sie kontrollierten, seien entspannt, sagt Grund und sein Kollege Malack weist darauf hin, dass manche "erst an den Spielorten mit Alkohol zum Problem" würden. Ohne festen Anhaltspunkt sei es zudem schwierig, EU-Bürger an einer Einreise zu hindern. Hat ein Fußballfan aber einen Baseballschläger dabei, darf die Polizei ihn einkassieren – es besteht die Gefahr, dass er diesen beim Fußball einsetzt. "Bei der Rückreise kann er sich den wieder abholen", sagt Malack.

Wie herausfordernd die Lage an den deutschen Grenzen gerade ist, zeigen auch die Zahlen, die das Innenministerium jüngst veröffentlichte – aber auch, wo noch immer der Schwerpunkt liegt: Von den insgesamt 3.261 Personen, denen während der vergangenen drei Wochen die Einreise verweigert wurde, waren lediglich 86 Hooligans, der Rest waren sonstige Verdächtige, Schleuser und Geflüchtete. An der deutsch-polnischen Grenze wurden in dieser Zeit rund 100 Menschen festgenommen, Fußballfans waren nicht darunter.

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Hauptkommissar Grund spricht von einer "Zwitter-Funktion", die er und seine Kollegen im Moment an den Grenzen einnähmen: die Sicherheit der EM gewährleisten und gegen illegale Migration kämpfen. Die Lage an der Grenze bezeichnet er diplomatisch als "herausfordernd, aber auch spannend".

"Wir wissen, wer hierhergehört und wer nicht"

Grund und Malack fahren an diesem Morgen nun weiter zur nächsten Grenzstelle. Insgesamt vier Straßen führen im Gebiet der Bundespolizeiinspektion Forst von Polen nach Deutschland. Eine dauerhafte Kontrolle gibt es allerdings nur auf der Autobahn. Auf den anderen Wegen stehen die Grenzbeamten zwar täglich, aber nur zeitweise und zu unterschiedlichen Uhrzeiten.

Im Forster Stadtteil Sacro führt eine kleine Straße ins Nachbarland. Der Blick geht auf weite Felder – ländliches Idyll. Von einer verschärften Grenzkontrolle ist hier wenig zu sehen, bis Malack und Grund mit ihrem Polizeibulli vorfahren. Sie postieren sich auf beiden Straßenseiten und warten. Alle paar Minuten fährt ein Auto vorbei, einen Grund zur Kontrolle sehen die beiden bei keinem, viele Autos haben deutsche Nummernschilder. Meist kommen die Fahrer vom Tanken oder Zigarettenholen.

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Hin und wieder hebt Hauptkommissar Malack die Hand, um entgegenkommende Autofahrer zu grüßen. "Wir wissen, wer hierhergehört und wer nicht", sagt er. Über Funk kommt eine Meldung herein, plötzlich geht alles ganz schnell. "Rein in den Wagen", ruft Grund. "Und anschnallen."

Die Tasche fliegt durch das gesamte Auto

Der Ford-Polizeibulli rast los, so rasant, dass Grunds Tasche auf der Rückbank durch den Wagen fliegt. Nasenspray, Wasserflaschen, Karabinerhaken verteilen sich auf dem Boden. Sie einzusammeln, dafür ist jetzt keine Zeit.

Ein Anwohner hat die Polizei informiert, weil er zwei verdächtige Fahrzeuge mit fremdem Kennzeichen an einem Bahnübergang entdeckt hat. Er vermutet Schleuser, die auf Geflüchtete warten. Vor Ort angekommen, entdecken die Polizisten die Fahrzeuge samt durchgegebenen Kennzeichen sofort. Doch ein genauerer Blick auf die dunkelgrünen Fahrzeuge zeigt: Sie gehören einer Gartenfirma, nicht Schleusern. Ganz in der Nähe stutzen sechs Männer in orangefarbenen Arbeitsanzügen Büsche an der Bahnstrecke. Verwundert schauen sie zum Polizeibulli herüber, der schnell wieder kehrtmacht und davonfährt.

Die illegale Migration beschäftigt die Menschen in der Grenzregion sehr. Die Polizisten erzählen, dass sie häufig Hinweise aus der Bevölkerung bekommen. "Das sind kleine Dörfer, wo jeder jeden kennt. Da fällt es auf, wenn eine Gruppe von 20 Geflüchteten plötzlich da ist", sagt Malack.

"Hier kennt jeder jeden, da fällt eine 20-köpfige Gruppe auf

Doch die Grenzkontrollen zeigen offenbar Wirkung: Seit sie hier in Polen, aber auch in Tschechien und der Schweiz im Oktober wieder eingeführt wurden, sinken die Zahlen der neuen Asylbewerber. Im Mai waren es noch 17.231, weniger als die Hälfte der Novemberzahlen. 14.450 unerlaubte Einreisen verhinderten allein die Grenzpolizisten an der polnischen Grenze.

Malack und Grund sind sich sicher: Neben den verhinderten Einreisen wirkten die Kontrollen auch präventiv, es machen sich weniger Menschen auf den Weg, weil sie das Risiko kennen. Allerdings wissen auch sie: Die Bundespolizei Forst kontrolliert an vier Straßen, die Grenze erstreckt sich aber über ein Gebiet von 60 Kilometern. Möglichkeiten für illegale Übertritte gibt es weiterhin genug.

Der Polizeibulli hält ein paar Kilometer weiter an einer Weide. Der Geruch von Kuhmist weht von den nahe gelegenen Bauernhöfen herüber. Menschen sind keine zu sehen, doch ihre Spuren sind eindeutig. Ein schmaler, plattgetretener Pfad zieht sich durchs hohe Gras. Er führt direkt von der Neiße, dem Grenzfluss, zum kleinen Forstweg, auf dem Malack und Grund nun patrouillieren. Sie wissen: Die Migranten werden auf polnischer Seite mit einem Auto an die Grenze gefahren und müssen dann durch den Grenzfluss schwimmen. Dort werden sie dann von einem anderen Fahrzeug abgeholt. Die Wege sind bekannt, dauerhaft kontrollieren lassen sie sich nicht.

Die Spuren die illegalen Migration sind deutlich sichtbar

Vor der Einführung der Grenzkontrollen waren die Polizisten mehr im Hinterland unterwegs, beobachteten Knotenpunkte wie diese. Das können sie jetzt nur noch sporadisch. Dabei wurde die Zahl der Beamten bereits verstärkt.

Auf den bekannten Fußrouten entdecken Grund und Malack heute nichts Ungewöhnliches. Da kommt der nächste Funkruf. Eine Waffe wurde gefunden, die beiden sollen zur Unterstützung kommen – zum kleinen Grenzübergang in Sacro, wo noch wenige Stunden zuvor kein einziges Auto verdächtig erschien. Als sie ankommen, sitzt ein Pole mit leerem Blick auf dem Fahrersitz seines Autos, er umklammert eine Wasserflasche, sein voluminöser Bauch quillt unter dem Unterhemd hervor.

Die Kollegen haben ihm die Waffe bereits abgenommen und geben sie Grund. Der nimmt sie prüfend in Augenschein: eine Gaspistole. Er versucht, das Befüllungsventil abzudrehen. Es gelingt ihm nicht, es klemmt. Doch das ist egal. Allein die Optik sei Gefahr genug. "Die Waffe sieht aus wie eine echte Pistole, für einen nächtlichen Überfall in Berlin reicht das allemal." Natürlich behauptet der Mann, dass er sie dafür nicht bei sich trug.

Die Pistole wird später vernichtet, der Fahrer erhält eine Anzeige und darf weiterfahren. "Einen Fußballfan hätten wir in dieser Situation nicht einreisen lassen", meint Grund. Denn die Sicherheit bei der EM hat Priorität, da gelten andere Maßstäbe.

Doch nötig war das hier an der polnischen Grenze bisher nicht.

Verwendete Quellen
  • Persönliche Beobachtungen vor Ort
  • Anfrage an das Bundesinnenministerium
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