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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Hybrider Krieg gegen Deutschland Eine Frau nimmt es mit den Diktatoren auf
Schmiergelder, Desinformation, Online-Kampagnen: Hybride Angriffe auf den Westen spielen für die Justiz in Deutschland oft keine Rolle. Das soll sich ändern, und eine Justizpolitikerin mit Verfassungsschutz-Vergangenheit geht voran.
Wer mit Russlands Geheimdiensten zusammenarbeitet, um in Deutschland die Propaganda des Kremls zu verbreiten, ist oft fein raus. Der Grund ist eine Gesetzeslücke: Der sogenannte Spionageparagraf stellt Agententätigkeit nur dann unter Strafe, wenn sie auf "die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnisse" gerichtet ist.
Wer FSB und GRU also mit Informationen versorgt, hat Strafe zu befürchten. Wer ihre Desinformation an die deutsche Öffentlichkeit weitergibt, hingegen nicht. Und auch wenn ausländische Dienste Schläger bezahlen, um in Deutschland Gegner einzuschüchtern, kann das als normale Körperverletzung vor dem Amtsgericht landen, ohne zu berücksichtigen, dass hier ein fremder Staat Aufträge für solche Taten auf deutschem Boden erteilt hat.
"Deutschland ist ein Paradies für ausländische Staaten"
Eine Expertin fällt deshalb ein ernüchterndes Urteil: "Deutschland ist in vielerlei Hinsicht oft ein Paradies für ausländische Staaten", sagte Felor Badenberg, Berliner Justizsenatorin und zuvor Vizepräsidentin beim Bundesamt für Verfassungsschutz, t-online und dem ARD-Politikmagazin "Kontraste". "Wir erzählen seit zehn Jahren von hybrider Kriegsführung, aber was tun wir dagegen?"
Beim Verfassungsschutz, wo sie intensiv mit ausländischer Einflussnahme befasst war, habe sie sich manchmal geärgert, dass die Justiz wenig tue. Dann wechselte die CDU-Politikerin mit dem Amt als Justizverantwortliche in Berlin auch die Perspektive und glaubt, das Problem erkannt zu haben: eine Regelungslücke in einer veränderten Welt. Sie hat sich an die Spitze gestellt, um die Lücke zu schließen – und erklärt t-online ihre Idee: Sabotage des demokratischen Willensbildungsprozesses muss sich im Strafgesetz wiederfinden. Das Thema liegt jetzt bei Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP).
Mit 16:0 Stimmen hat die Justizministerkonferenz am 6. Juni Badenbergs Vorstoß zugestimmt, andere gesetzliche Regelungen zu prüfen. Der Beschluss fällt in eine Zeit, in der sich auch die Meldungen über mutmaßliche Sabotagetätigkeit und physische Attacken durch ausländische Staaten als mutmaßliche Auftraggeber häufen. In Bayreuth wurden mutmaßliche Saboteure verhaftet, beim Feuer in der Berliner Dependance des Waffenherstellers Diehl steht eine mögliche russische Brandstiftung im Raum, Meldungen über Verdachtsfälle häufen sich europaweit.
"Deutschland hätte bei 'Voice of Europe' nichts machen können"
Was die deutsche Spionageabwehr seit Jahren sagt, ist zunehmend auch in der deutschen Politik angekommen: Deutschland steht im Fokus umfassender hybrider Angriffe. Die zielen demnach darauf ab, "die öffentliche Meinung und den politischen Kurs in Deutschland im eigenen Sinne zu beeinflussen sowie die eigene Position im internationalen Machtgefüge zu stärken", wie der aktuelle Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) festhält.
Deutschland ist mit Frankreich auch das Hauptziel der "Doppelgänger"-Fake-Kampagne in sozialen Netzwerken: Tag für Tag werden dort seit gut zwei Jahren prorussische und antiwestliche Artikel auf Nachbauten seriöser Nachrichtenseiten verbreitet. Selbst wenn es Beteiligte in Deutschland geben würde, wäre die Justiz hier machtlos. Und nicht nur das, so Badenberg: "Wir hätten auch in Deutschland nichts machen können, wenn 'Voice of Europe' in Deutschland gewesen wäre."
"Voice of Europe" ist ein Einfluss-Netzwerk, das der aus der Ukraine stammende prorussische Politiker Wiktor Medwedtschuk aufgebaut hat und gegen das tschechische Behörden wegen möglicher Schmiergeldzahlungen unter anderem an AfD-Politiker Petr Bystron ermitteln. Badenberg: "Ich glaube, dass wir große Fische gar nicht kriegen, weil wir nicht hinschauen können. In dem Fall können wir den Tschechen dankbar sein."
"Wir müssen doch nicht zum Jagen getragen werden"
Andere Staaten in Europa seien mit ihren Möglichkeiten schon weiter. Die EU-Kommission treibe auch Regelungen voran. "Früher oder später werden wir EU-Vorgaben dazu umsetzen müssen, aber wir müssen doch nicht zum Jagen getragen werden", sagt Badenberg. Das findet sich im Votum der Justizminister abgeschwächt: Der Rechtsstaat müsse sich mit "gebotenen rechtsstaatlichen Mitteln zur Wehr setzen". heißt es dort.
Für Badenberg am naheliegendsten ist eine Änderung des Paragrafen 99 im Strafgesetzbuch, des "Agenten"-Paragrafen: Er stellt auf geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik ab, "die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen" gerichtet ist. Es geht also um Spione, die Informationen aus Deutschland an fremde Regierungen weitergeben. Badenberg: "Wir berücksichtigen nicht, wenn etwas nach Deutschland getragen wird." Um das zu ändern, müsse man nur den zitierten Halbsatz rausnehmen oder "oder sonstige Handlungen" ergänzen, so die Justizsenatorin.
Ihr Hintergedanke: Der Paragraf ist damit verbunden, dass ein großer Apparat in Gang gesetzt wird. "Der Generalbundesanwalt ermittelt, es gibt die Möglichkeit der Telekommunikationsüberwachung, Observationen sind möglich." Die Zahl solcher Fälle sei überschaubar: "Es sind einzelne Konstellationen, wo man sagt, da müsste man mal genauer hingucken. Fälle, bei denen man sich intern fast sicher ist, aber nicht weitermachen kann, weil man keine Aufklärungsmöglichkeit hat."
Dabei gehe es nicht nur um Operationen aus Russland oder China. "Wir sehen auch Aktivitäten des Iran oder der Türkei. Man könnte sich auch die Frage stellen, welche Aktivitäten die Dava-Partei entwickelt." Die Dava-Partei wurde im Januar 2024 gegründet, sie hat enge Verflechtungen zur AKP, der Partei des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan.
Im Fall Lisa hatte Russland mit Lüge Empörung geschürt
Als Badenbergs Vorstoß durch ein Interview in der "Berliner Zeitung" bekannt wurde, gab es schnell Kritik: Die Meinungsfreiheit drohe beschnitten zu werden. In der Justizministerkonferenz habe sie aber nachvollziehbar erklärt: "Es geht aber nicht um Einschränkung der Meinungsfreiheit oder gar Gesinnungsschnüffelei, sondern um die Verbreitung von falschen Tatsachen im Interesse eines fremden Staates, um Unruhe zu stiften."
Sie denkt dabei an Einflussversuche wie im Fall Lisa Anfang 2016. Damals hatten staatliche russische Medien mit Berichten über eine – wie sich später herausstellte – erfundene Vergewaltigung einer minderjährigen Russlanddeutschen bundesweite Proteste ausgelöst. Befeuert wurden sie durch den Putin-treuen Funktionär eines Spätaussiedlerverbands, dem Weggefährten frühere Kontakte zum KGB nachsagen. Die Affäre führte zu diplomatischen Spannungen und gilt bis heute als Paradebeispiel russischer Einflussversuche in Deutschland. Gegen solche ausländische Einflussnahme strafrechtlich nicht vorgehen zu können, müsse geändert werden.
Ob die Bitte der Bundesländer bei Bundesjustizminister Buschmann allerdings Gehör findet, ist noch unklar. "Zurückhaltend", beschreibt Badenberg dessen Reaktion. Auf Anfrage von t-online und "Kontraste" antwortete eine Sprecherin des Ministeriums mit dem Hinweis auf bereits bestehende Straftatbestände. Das Ministerium werde prüfen, ob gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht.
Ausführlich berichtet "Kontraste" am Donnerstag um 21.45 Uhr in der ARD über die Zunahme von Sabotage, Cyberangriffen und Desinformation durch Russland.
- Eigene Recherchen
- Gespräch mit Felor Badenberg
- gesetze-im-internet.de: Paragraf 99 Strafgesetzbuch
- jm.niedersachsen.de: Beschluss der Justizministerkonferenz (PDF-Download)
- berliner-zeitung.de: Justizsenatorin Badenberg: Sabotage der Demokratie soll Straftat werden