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Angriffe auf Politiker: Bei den Grünen wird klar etwas übersehen


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Zahlen mit Tücke
Angriffe auf Politiker: Was bei den Grünen übersehen wird


Aktualisiert am 11.05.2024Lesedauer: 7 Min.
Ricarda Lang: Sie ist Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen.Vergrößern des Bildes
Ricarda Lang: Sie ist Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen. (Quelle: M. Popow/imago)
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Bei Angriffen auf Parteien und Politiker geht es derzeit oft darum: Wen trifft es am schlimmsten? Etwas unter geht dabei, woher viele Angriffe tatsächlich kommen.

Übergriffe auf Politiker haben in den vergangenen Tagen Schlagzeilen gemacht – und auch eine Diskussion ausgelöst: Wen trifft es am meisten? t-online lässt Zahlen mit Grafiken sprechen. Es sind Daten für den Zeitraum 2019 bis 2023, die die Polizeidienststellen nach Anzeigen ans Bundeskriminalamt weitergemeldet haben. Die AfD fragt regelmäßig im Bundestag danach – um zu belegen, am häufigsten Opfer zu sein. Manche Statistiken zeigen das, andere nicht.

In den Zahlen verbergen sich auch einige Tücken, überraschende Details und die Erkenntnis: Vor allem die Grünen werden von verschiedenen Seiten aus angegriffen. Das sind sieben Lehren daraus.

1. Grünen-Liegenschaften wurden zum häufigsten Ziel

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Wenn Geschäftsstellen oder Parteibüros attackiert werden, dann trifft es inzwischen am häufigsten die Grünen. Die Grünen in Braunschweig etwa mussten 2023 teilweise im Wochenrhythmus feststellen, dass ihr Büro mit Kot beworfen wurde, dass die Scheibe eingeworfen wurde oder dass groß "Save Europe" und "FCK Pedos" auf die Wand gesprüht wurde. 2023 stellten 224 Meldungen der Grünen einen neuen Höchststand dar, der alte Negativrekord lag 2019 bei 210 Meldungen von Übergriffen auf Immobilien mit AfD-Bezug. Manche angezeigten Fälle sind auch eher banal: Als politisch motivierte Straftat aus dem linken Spektrum findet sich etwa auch, dass bei der AfD Heilbronn Büroschilder verschwanden – 12 Euro Kosten für den Ersatz. Ärgerlich und nervig für die Betroffenen – aber "Angriff" umfasst in der Statistik eben sehr viel. Sachbeschädigungen machen den größten Anteil aus.

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2. Die massivsten Angriffe gab es auf AfD-Liegenschaften

Unter allen Angriffen auf Parteigebäude sind gravierende Fälle mit Sprengsätzen oder Brandstiftung einzeln ausgewiesen. Hier waren alle Parteien seit 2019 selten betroffen, die AfD am häufigsten. Bei ihr gab es auch den wahrscheinlich spektakulärsten Fall mit einer Detonation am AfD-Büro im sächsischen Döbeln: Die Schaufensterscheibe wurde durch eine Kugelbombe nach innen gedrückt, Teile des Inventars wurden erheblich beschädigt, mehre Autos in der Straße in Mitleidenschaft gezogen, und auf der anderen Straßenseite zersplitterten noch zwei Fensterscheiben an Häusern. Der Fall zeigt aber auch: Hinter den Taten müssen nicht immer gewaltbereite Extremisten stecken, es können auch betrunkene Kumpels sein: Die drei Täter (30, 34, 54) waren von einem Skiausflug nach Tschechien zurückgekommen. Von da hatten sie einen in Deutschland verbotenen Riesenböller gekauft und die Sprengkraft unterschätzt. Vor Gericht entschuldigten sie sich vielfach. Sie seien keine AfD-Hasser. Es gab für alle Haftstrafen zur Bewährung.

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Nicht aufgeführt ist in der Einzelauswertung für die AfD ein Brandanschlag 2023 auf das Wahlkreisbüro des schwarzen SPD-Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby in Halle*. Ein Zeuge sah Flammen von der Mitte der Fahrbahn bis zum Gebäude aufsteigen: Ein Täter hatte Brandbeschleuniger verschüttet und auch durch den Briefkastenschlitz gekippt. Vor Gericht stand deshalb ein 56-Jähriger mit massivem Alkoholproblem und psychischer Erkrankung, der zuvor schon rassistische Botschaften geschickt hatte. Bei der Tat war er schuldunfähig.

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3. Die meisten Angriffe gegen Personen galten Grünen

Seit 2022 liegen die Grünen an der Spitze, wenn es um Attacken jeder Art gegen Mitglieder und Repräsentanten von Parteien geht. In diese Statistik fließen auch etwa Beleidigungen, üble Nachrede und Bedrohungen ein und machen den größten Teil aus.

Die Zahlen sind auch sehr davon abhängig, wie niedrig die Schwelle ist, Anzeige zu erstatten. Bei der FDP 2023 gibt es auch so etwas wie einen Strack-Zimmermann-Effekt: Marie-Agnes Strack-Zimmermann hat 2023 begonnen, im großen Stil Hasspostings verfolgen zu lassen. Bereits 2021 hat der Gesetzgeber auch den Schutz von Politikern verschärft, um dem Trend einer Verrohung besser strafrechtlich entgegenzuwirken.

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Aus dem AfD-Lager wird die Bedeutung dieser Auswertung kleingeredet, es seien ja "nur" Worte. Das dürfte man etwa beispielsweise bei der CDU Bremen anders sehen: Im Briefkasten lag ein Umschlag mit Hass-Botschaft und einer Platzpatrone mit einem darauf gemalten Hakenkreuz. Auf der anderen Seite findet sich aber auch die Anzeige eines Frankfurter Linken wegen Beleidigung, dem jemand in einer TikTok-Diskussion geschrieben hatte: "Sie sind mal wieder dämlich."

Als Verleumdung gegen die AfD führt die Statistik von 2023, dass jemand an Sahra Wagenknecht gerichtet im wenig populären Netzwerk Mastodon schrieb: "Sie sind keine Linke. Sie sind wie die AfD, Nazi Pack." Es geht aber noch absurder: Zwei Fälle von Angriffen gegen SPD und CDU gehen zurück auf Beleidigungen in einem Brief an den Querdenken-Gründer Michael Ballweg. Das Schreiben wurde in der JVA Stuttgart-Stammheim bei der Sichtung der Post gefunden und stammte von einem Fan. Es waren Bilder für Ballweg, in denen Gesundheitsminister Karl Lauterbach und Ex-Kanzlerin Angela Merkel mit der NS-Zeit in Verbindung gebracht wurden.

Bei der AfD ist auch mancher empfindlich, obwohl die Partei sich oft als Verteidigerin der Meinungsfreiheit präsentiert: Im bayerischen Traunstein sah ein AfD-Mann Volksverhetzung darin, dass der SPD-Kreisvorsitzende die AfD als rassistisch und demokratiefeindlich bezeichnet hatte – ein "Angriffs"-Fall in der Statistik. Bei einer stichprobenartigen Prüfung finden sich 2023 zahlreiche derartige Anzeigen von AfD-Vertretern, weil ihnen eine "faschistische Einstellung und Gesinnung" vorgeworfen wurde oder sie jemand "Rassist" oder "Nazi" nannte.

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Auch vermeintlich rechte Straftaten können als Angriff gegen einen AfDler in die Statistik eingehen: Ein Gegendemonstrant zeigte einer ankommenden AfD-Politikerin im hessischen Lauterbach mit zwei Fingern ein Hitlerbärtchen und mit der anderen Hand den Hitlergruß. Das wird als Verwenden eines Kennzeichens verfassungswidriger Organisationen unter den Angriffen gegen die AfD aufgeführt.

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4. Bei Gewalt gegen Parteimitglieder liegt die AfD vorne

Ein Teil der erfassten Angriffe bezieht sich explizit auf Gewaltdelikte. Das ist die Statistik für diejenigen, die vermitteln wollen, dass die AfD Hauptopfer sei. In der Öffentlichkeit ist gerade der Fall des sächsischen SPD-Politikers Matthias Ecke in Dresden präsent, fast parallel wurde aber auch ein AfD-Landtagsabgeordneter ins Gesicht geschlagen.

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In der Statistik von diversen Straftaten, die unter Gewalt fallen, ist bei den Grünen ein stetiger Anstieg zu sehen, sie lagen damit 2022 auch an der Spitze. Am häufigsten traf es seit 2019 jedoch die AfD. Ein Hinweis zeigt aber, dass auch diese Statistik erhebliche Tücken hat: Als Gewalt gegen Parteivertreter gehen auch Fälle in die Statistik ein, an denen Parteivertreter gar nicht direkt beteiligt sind. Dabei dreht es sich um Zwischenfälle mit der Polizei bei Gegenprotesten: Landfriedensbruch, Straßenblockaden oder Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte.

Wenn ein Polizist eine AfD-Versammlung schützt, kann ein Schubser des Beamten als Fall von Gewalt gegen die AfD in der Statistik landen. Ein Beispiel ist ein Demo-Umzug in Heidelberg von Impfgegnern mit AfD-Unterstützung: Störende Antifa-Aktivisten sollten von Polizisten weggedrängt werden, um eine Eskalation zu vermeiden. Als sich ein Mann gegen das Wegschieben stemmte, verletzte sich ein Polizist leicht im Bereich der linken Schulter. Das wird als einer der Fälle von Gewalt gegen AfD-Vertreter aufgeführt. Vor allem angesichts der Proteste mit Bauern seit Jahresanfang 2024 könnten in der nächsten Statistik auch vermehrt Fälle landen, wo es beim Schutz von Grünen-Veranstaltungen zu Zwischenfällen zwischen Polizei und Demonstranten gekommen ist.

5. Polizei-Statistik ist für Motive oft blind

Besonders bei den Gewaltdelikten gegen Vertreter von Parteien fällt auf, dass die politische Motivation bei einem Großteil der Fälle unklar bleibt. Das hängt auch mit den Entwicklungen der vergangenen Jahre zusammen: Hinter Angriffen stecken vermehrt Gruppen, die nicht unbedingt ins Rechts-Links-Schema passen, auch wenn sie oft vor allem rechtsoffen sind: "Querdenker", Impfgegner, radikale Gegner von Ukraine-Unterstützung.

Dem BKA fehlen Kategorien, die es etwa beim Verfassungsschutz bereits gibt. Angriffe aus dem Reichsbürgerlager wurden in Stichproben teilweise als politisch motivierte Kriminalität von rechts verzeichnet, zum Teil aber auch als "Sonstige Zuordnung". Angriffe aus dem Lager von Russland-Unterstützern oft als "Sonstige Zuordnung", vereinzelt als "ausländische Ideologie", zum Teil auch als links. Insgesamt haben die Angriffe aus dem Lager "Sonstige Zuordnung" stark zugenommen – Menschen, die sich als "Regierungskritiker" oder "Systemkritiker" bezeichnen.

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Leicht mit der Zuordnung tun sich Polizisten vor allem bei Angriffen auf die in weiten Teilen rechtsextreme AfD: von links. So etwa, als am Wahlkreisbüro der AfD Gera "Wixx verein", "Leute waren hier" und "fuck you" geschmiert wurde. Ohne Ermittlung der Täter sind solche allgemein gehaltenen Graffiti bei anderen Parteien oft als "Sonstige Zuordnung" abgespeichert.

NS-Symbole, die als Graffiti oder Schmierereien gegen die AfD auftauchten, wurden in der Regel als politisch motivierte Kriminalität von Links oder unter "Sonstige" zugeordnet. Das widerspricht der häufigen Behauptung von rechten Vertretern, solche Symbolik würde immer als rechte Straftat erfasst. Allerdings wurde eine E-Mail an die Potsdamer AfD mit dem Text "Ich will euch alle abschlachten ihr JUDEN!!" als Bedrohung von Rechts erfasst.

In der öffentlichen Diskussion wird die Schuld an Angriffen auf die demokratischen Parteien überwiegend automatisch Rechts zugeordnet. Tatsächlich machen Angriffe aus dem linken Lager auf linke Parteien einen erheblichen Anteil aus. Vor allem die Grünen trifft es: An manchen Büros kam die Partei kaum hinterher, Botschaften im Zusammenhang mit der Räumung des Protestcamps in Lützerath zu entfernen. Linksextreme sehen in den Grünen Verräter und zeigen das den Parteivertretern auch vielfältig.

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Vor dem gleichen Dilemma stehen die Grünen auch wegen ihrer Ukraine-Unterstützung. Wenn sie als "Kriegstreiber" beleidigt werden, wird das meist links zugeordnet – auch wenn dazu verbotene NS-Symbole genutzt werden. Die Szene speist sich zugleich auch aus den Gruppen der verschwörungsideologischen Corona-Proteste und Impfgegner, bei denen das Links-/Rechts-Schema nicht passt – sie landen in der Kategorie "sonstige Zuordnung". Solche Angriffe haben in der Coronazeit und während des Ukraine-Kriegs zugenommen und lassen sich nicht der AfD zuschreiben.

7. Am häufigsten trifft es die AfD-Plakate

Täglich melden Parteien derzeit zerstörte Plakate. Übergriffe auf Matthias Ecke – SPD und Grünen-Vertreter – gab es gerade beim Aufstellen von Plakaten. Bei zerstörten oder gestohlenen Plakaten war die AfD in den vergangenen Jahren tatsächlich am häufigsten betroffen – im vergangenen Jahr fast eingeholt von den Grünen. Auch da wird aus den einzelnen Anzeigen deutlich, dass die Grünen nicht nur Hassobjekt von rechts sind, sondern auch Attacken von radikalen Umweltschützern und von Gegnern einer Ukraine-Unterstützung ausgesetzt waren. Die Anzeigen belegen aber auch hier wieder eine Tücke bei der Erfassung.

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Erfasst wird die Zahl der Anzeigen, nicht die Zahl zerstörter Plakate. Von den 546 Fällen, bei denen die AfD 2023 bundesweit betroffen war, wurden 11 allein von einer Bürgermeisterwahl in Sachsen-Anhalt gemeldet: Dort wurde in Raguhn-Jeßnitz der bisherige AfD-Landtagsabgeordnete Hannes Loth als erster AfD-Politiker Deutschlands zum hauptamtlichen Bürgermeister gewählt. Er stand zeitweise täglich bei der Polizei auf der Matte, sein Team zeigte auch laut Statistik an einem Tag mehrfach einzelne Beschädigungen oder Diebstähle eines Plakats an. Eine Meldung zeigt messerscharfe Kombinationsgabe: Nachdem Loth ein "Hitlerbärtchen", dicke Augenbrauen und SS-Runen auf die Stirn gemalt wurden, notierte die Polizei, dass "durch die Bemalung beim unbedarften Betrachter der Eindruck entstehen (dürfte), dass der Kandidat der rechten Szene zugeordnet werden könnte".

*Wir hatten an dieser Stelle zunächst versehentlich Leipzig geschrieben, Diabys Büro ist in Halle.

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