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"Höcke kann sich nicht herausreden": AfD-Politiker wegen SA-Parole vor Gericht


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Höcke vor Gericht
"Er hat es gewusst"

  • Annika Leister
InterviewVon Annika Leister

18.04.2024Lesedauer: 5 Min.
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Nazi-Slogan verwendet: Höcke steht vor Gericht. (Quelle: reuters)

AfD-Rechtsaußen Björn Höcke steht vor Gericht, weil er eine Parole der SA verwendet hat. Worum es eigentlich geht und was von Höcke zu erwarten ist, erklärt der Direktor der KZ-Gedenkstätte Buchenwald.

Drei Wörter sind es, die Deutschland ab Donnerstag intensiv beschäftigen dürften: "Alles für Deutschland". Zu verantworten hat das der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke. Er hat die Wörter in einer Rede verwendet, in einer zweiten hat er sie zum Teil vom Publikum rufen lassen.

Deswegen steht Höcke ab Donnerstag in Halle vor Gericht, bisher sind vier Termine angesetzt. Der Vorwurf: Verwenden von Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation.

Denn der Spruch war in der NS-Zeit die Parole von Hitlers Schlägertruppe, der Sturmabteilung (SA). Diese war ein wichtiges Werkzeug der NSDAP, drangsalierte mit teils massiver Gewalt Juden und Andersdenkende. Welche Bedeutung die Parole hatte und warum wir alle sie kennen sollten, erklärt der Historiker Jens-Christian Wagner, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.

t-online: Herr Wagner, wann und wie wurde die Parole "Alles für Deutschland" verwendet?

Jens-Christian Wagner: Die Parole wurde seit den 1920er-Jahren während der gesamten Zeit des Nationalsozialismus durch die SA verwendet. Sie war ihr Leitspruch und ihr Slogan. So wie die SS den Slogan hatte "Unsere Ehre, unsere Treue" oder die Nationalsozialisten ganz allgemein Straßenzüge vollschmierten mit der Parole "Ein Volk, ein Reich, ein Führer". Das heißt, die Parole "Alles für Deutschland" war im Nationalsozialismus öffentlich omnipräsent. Sie war überall zu sehen, auf den Straßen, auf Veranstaltungen der SA, sie war auf den Dolchen der SA-Mitglieder eingraviert. Sie gehört zum Standardrepertoire der NS-Propaganda.

Juristisch lautet der Vorwurf: Höcke habe ein Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation verwendet. Welche Rolle spielte diese Organisation, die SA, im Nationalsozialismus?

Die SA, die "Sturmabteilung", war eine militärisch organisierte, uniformierte Schlägerbande, die insbesondere für die Phase der Machteroberung der Nationalsozialisten von 1930 bis 1934 wichtig war. Sie hatte Hunderttausende Mitglieder, die sich Straßenschlachten mit Linken lieferten und Juden misshandelten. Ab 1933 wurde die SA vom Regime als Hilfspolizei eingesetzt und betrieb Folterkeller und Konzentrationslager. 1934 entmachtete Hitler die SA-Spitze im sogenannten Röhm-Putsch. Nun wurde die SS, die "Schutzstaffel", wichtiger. Sie übernahm auch die Leitung der Konzentrationslager. Die SA blieb trotzdem eine nationalsozialistische Massenorganisation. 1938 hatte sie noch einmal eine tragende Rolle für den Terrorapparat, als ihre Mitglieder bei den Novemberpogromen Synagogen niederbrannten und Juden ermordeten.

Jens-Christian Wagner ist Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.
Jens-Christian Wagner ist Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. (Quelle: Martin Schutt/dpa)

Zur Person

Jens-Christian Wagner, 1966 geboren, studierte Geschichte und promovierte 1999 mit einer Studie zur Geschichte des Konzentrationslagers Mittelbau-Dora. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Zwangsarbeit, zur Folter und zum Morden in deutschen Konzentrationslagern folgten. Seit 2020 ist er Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und Professor für Geschichte in Medien und Öffentlichkeit an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Höcke hat die SA-Parole 2021 in einer Rede verwendet. Er sagt heute: Er habe nicht gewusst, dass es die Parole der SA war und strafbewehrt ist. Wie glaubwürdig ist das?

Ich halte das nicht für glaubwürdig. Höcke ist Geschichtslehrer. Und er ist jemand, der sich im rechtsextremen Milieu und mit rechtsextremer Propaganda sehr, sehr gut auskennt. Dieser Spruch ist in der rechtsextremen Propaganda seit Langem verbreitet. 2006 gab es das erste Mal ein Gerichtsurteil, in dem die Parole als strafbar bewertet wurde. 2009 hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages diese Einschätzung noch einmal untermauert. Herr Höcke kann sich aber schon deswegen nicht herausreden, weil er Wiederholungstäter ist.

Sie meinen seinen zweiten Auftritt in Gera im Dezember 2023, bei dem er das Publikum animiert hat, die Parole zu rufen?

Ja. Da war die Staatsanwaltschaft schon aktiv, die Ermittlungen liefen bereits, über Höckes vorangegangenen Auftritt wurde bereits seit Monaten in den Medien berichtet. Selbst wenn man ihm zugutehalten würde, dass er es beim ersten Mal nicht wusste – was ich nicht tue – so gibt es nur den einen Schluss: Beim zweiten Mal hat er es gewusst und ganz bewusst damit gespielt.

Video | Höcke lässt Publikum SA-Parole brüllen
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Quelle: t-online

Was ist sein Ziel?

Höcke ist ein dezidierter Geschichtsrevisionist und das nicht erst seit seiner berüchtigten Dresdner Rede vom Januar 2017, als er eine Wende in der Erinnerungspolitik um 180 Grad gefordert hat. Er praktiziert diese 180-Grad-Wende nahezu tagtäglich: Er provoziert ständig, redet die Verbrechen des Nationalsozialismus klein und versucht den Nationalsozialismus so zu rehabilitieren oder sogar zu verherrlichen.

Wie zum Beispiel?

Höcke vertritt den Kern nationalistischer Ideologie: Er versucht, eine ruhmreiche, großartige deutsche Geschichte zu postulieren, auf die wir uneingeschränkt stolz sein sollen. Deswegen muss er versuchen, die NS-Verbrechen kleinzureden oder umzudeuten. Nach den Demonstrationen für Demokratie und gegen Rechtsextremismus hat er behauptet, diese Demonstrationen erinnerten ihn an die Fackelmärsche der Nationalsozialisten von 1933. Er behauptet immer wieder, die Nationalsozialisten seien Sozialisten, Linke gewesen – das ist natürlich kompletter Humbug. Und in einem Austausch mit Elon Musk im Medium X hat er jüngst erklärt, die Paragrafen, die ihn nun betreffen, dienten dazu, die Deutschen niederzuhalten und zu verhindern, dass sie "wieder zu sich selbst finden". Das ist klassischer nationalistischer, demokratiefeindlicher Geschichtsrevisionismus, den Herr Höcke da vertritt.

Welche Rolle spielt der Geschichtsrevisionismus insgesamt für die AfD?

Er gehört zur DNA der AfD, er ist ein zentraler ideologischer Grundpfeiler der Partei. Denken wir nur an Alexander Gaulands Spruch, mit dem er die NS-Zeit zum "Vogelschiss" erklärte. Einige Funktionäre vertreten solche Positionen aber besonders aggressiv: Höcke, Matthias Helferich oder der EU-Spitzenkandidat Maximilian Krah. Hinter ihnen wiederum stehen die ideologischen Einflüsterer aus der rechtsextremen Denkfabrik in Schnellroda um Götz Kubitschek.

Kommt Höcke das Gerichtsverfahren jetzt auch gelegen, um weiter an der Erinnerungskultur zu rütteln?

Er wird das vor Gericht sicherlich versuchen. Zur zentralen propagandistischen Strategie der AfD gehört es schließlich, zunächst zu provozieren, also einen Tabubruch zu begehen. Und dann auf die notwendig folgende Empörung über diesen Tabubruch zu behaupten, man werde verfolgt, man sei ein Opfer.

Tatsächlich dürfte es bisher vielen Deutschen unbekannt gewesen sein, dass der Spruch "Alles für Deutschland" unter Strafe steht. Ist das Strafrecht noch zeitgemäß?

Selbstverständlich. Dass viele den Spruch nicht kennen, macht es vielleicht sogar noch notwendiger, dagegen vorzugehen. Sonst lässt man geschichtsrevisionistischen Provokateuren wie Höcke freien Lauf.

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Was sagt es über Deutschland aus, dass so viele ahnungslos sind?

Das zeigt, dass wir in der Aufklärungsarbeit noch viel Luft nach oben haben. Und es zeigt auch, wie wichtig die Arbeit ist, die unter anderem in den Gedenkstätten geleistet wird. Aber darauf darf sie sich keinesfalls beschränken.

Was fehlt?

Ganz zentral ist der Geschichtsunterricht in den Schulen. Da haben wir in den letzten Jahren leider feststellen müssen, dass in etlichen Bundesländern Curricula geändert wurden und der Anteil des Geschichtsunterrichts reduziert wurde. Das ist kontraproduktiv, das ist ein Fehler. Was wir brauchen, ist ein demokratisches, ein kritisches, ein auf Reflexion ausgerichtetes Geschichtsbewusstsein. Dazu gehört grundlegend zunächst mal ein historisches Grundwissen.

Die AfD ist auf sozialen Medien wie TikTok stark. "Unsere Vorfahren waren keine Verbrecher", postulierte der EU-Spitzenkandidat Maximilian Krah dort vor Kurzem in einem Video. Haben Schulunterricht und Gedenkstättenarbeit dagegen überhaupt einen Stich?

Umso wichtiger sind sie. Wir sollten dabei nicht mit dem erhobenen Zeigefinger agieren, sondern müssen Interesse für die Geschichte wecken. Es muss vermittelt werden, wie die nationalsozialistische Gesellschaft als eine radikal rassistische und antisemitische Gesellschaft funktioniert hat. Wir dürfen nicht nur um die Opfer trauern, sondern müssen fragen, warum sie zu Opfern geworden sind. Wir müssen auch fragen, wie die Täter zu Tätern wurden.

Je länger die NS-Zeit zurückliegt, desto schwerer ist das. Wie weckt man dieses Interesse?

Indem man Jugendlichen und auch den Älteren klarmacht, dass die Mechanismen, die zu den Verbrechen beigetragen haben, auch heute noch wirken. Ideologien der Ungleichwertigkeit, Verheißungen der Ungleichheit, Kriminalisierungsdiskurse gegenüber Ausgegrenzten, gegenüber Minderheiten spielen auch heute eine große Rolle. Jedem sollte bewusst werden: Das ist kein historisch abgeschlossenes Thema, sondern hat eine riesige Relevanz für unsere demokratische Selbstverständigung im Hier und Jetzt. Letzten Endes lernen wir aus der Geschichte des Nationalsozialismus, in welcher Gesellschaft wir nicht leben wollen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Wagner.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Jens-Christian Wagner
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