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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kaum Frauen in der Bundeswehr "Einige Soldaten haben patriarchale Vorstellungen"
Wird es in Deutschland bald wieder eine Wehrpflicht geben? Im Interview erklärt die Militärsoziologin Maja Apelt, weshalb sie das für keine gute Idee hält und was die Bundeswehr tun kann, um mehr Frauen für sich zu gewinnen.
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) stellt heute seine Pläne für einen Wehrdienst vor. Erste Details sind schon bekannt: Pistorius will demnach die Wehrfähigkeit aller Vertreter eines Jahrgangs erfassen, sowohl Frauen als auch Männern soll die Bundeswehr dafür einen Fragebogen schicken, der auch die Bereitschaft zum Dienst an der Waffe abklopft. Bestenfalls, so die Hoffnung im Verteidigungsministerium, melden sich so freiwillig genug junge Leute.
Damit folgt Pistorius in weiten Teilen dem Vorbild Schweden, wo eine ähnliche Form aus Pflicht und Freiwilligkeit herrscht. Ein Problem bleibt: Verpflichten lassen sich laut Artikel 12a des Grundgesetzes lediglich Männer. Doch auch darüber hinaus gibt es Probleme beim Anwerben von Frauen für die Truppe, wie die Militärsoziologin Maja Apelt im Interview erklärt.
Mit t-online sprach sie bereits vor einigen Wochen darüber, weshalb sie eine Wehrpflicht ablehnt, mit welchen Problemen Frauen in der Bundeswehr konfrontiert sind und was die Truppe tun kann, um auch für Frauen attraktiver zu werden. Hier lesen Sie das weiterhin sehr aktuelle Gespräch.
t-online: Frau Apelt, kommt die Wehrpflicht in Deutschland zurück?
Maja Apelt: Zwar gibt es viele Fürsprecher und auch einige nachvollziehbare Argumente dafür. Trotzdem glaube ich das nicht. Anders als die frühere Wehrpflicht, die nur Männer betraf, wird ja jetzt eher über eine allgemeine Dienstpflicht für Männer und Frauen gesprochen. Dafür müsste allerdings das Grundgesetz geändert werden. Und es ist fraglich, ob die dafür erforderliche Zweidrittelmehrheit im Parlament zustande käme. Zu bedenken wären auch die Kosten für die Streitkräfte für neue Kasernen, Uniformen, Ausrüstungen und Ausbilder. Am Ende würden auch Arbeitskräfte an anderer Stelle fehlen.
Wenn die Wehrpflicht trotzdem kommt: Halten Sie das schwedische Modell für geeignet?
Das schwedische Modell baut ja zum einen darauf auf, dass die Armee gut in die Gesellschaft integriert ist, und zum anderen darauf, dass sich der Bedarf allein durch freiwillige Wehrdienstleistende decken lässt. Davon können wir in Deutschland nicht ohne Weiteres ausgehen. Zudem ist der Anteil derjenigen, die sich als Zeit- oder Berufssoldaten weiterverpflichten, trotz Wehrpflicht auch in Schweden gesunken. Das Personalproblem bei Zeit- und Berufssoldaten würde sich bei einer Einführung des schwedischen Modells also vermutlich auch in Deutschland nicht lösen. Problematisch wäre es aber vor allem dann, wenn man junge Menschen gegen Ihren Willen zwangsrekrutieren muss.
Wieso wäre das problematisch?
Die komplette Struktur der Bundeswehr muss sich wieder zurückentwickeln, wenn sie mit Menschen arbeitet, die dort nicht sein wollen. Man müsste wieder stärker mit Sanktionen arbeiten. Jemand, der in der Truppe gegen seinen Willen dient, ist auch nicht geeignet, mit anspruchsvollem, teils gefährlichem technischen Material umzugehen. Und der will vermutlich auch keine Zusatzqualifikationen erwerben. Die Wehrpflicht ist keine Antwort auf die Personalprobleme der Bundeswehr.
Was wäre besser?
Die Frage ist schwierig zu beantworten. Wir brauchen technisch noch besser ausgerüstete Streitkräfte, die das vorhandene Personal passend einsetzen und Karrierechancen bieten. Das würde den Dienst attraktiver machen. Tendenziell müssen die Streitkräfte wohl mit wenig Personal zurechtkommen. Aber wenn sich die sicherheitspolitische Lage weiter verschärft, was wir nicht hoffen, vielleicht würden mehr junge Menschen die Notwendigkeit sehen, den Streitkräften beizutreten.
Zur Person
Maja Apelt ist Professorin für Organisations- und Verwaltungssoziologie an der Universität Potsdam. Sie forscht unter anderem zur Chancengleichheit und Diversität in den Streitkräften.
Vor allem Frauen lassen sich kaum für die Streitkräfte begeistern. Nur rund 13 Prozent des militärischen Personals ist weiblich. Die meisten dienen im Sanitätsdienst. Rechnet man diese heraus, fällt die Quote auf unter neun Prozent. Wieso ist die Bundeswehr für Frauen so unattraktiv?
Das Militär ist auf Männer ausgerichtet. Uniformen und Schutzanzüge fehlen immer wieder in kleineren Größen. Wenn eine kleine Frau eine zu große Uniform trägt, fühlt sie sich zusätzlich lächerlich gemacht. Beklagt wird auch, dass Uniformen für Schwangere fehlen. Ehe diese kommt, ist manches Kind schon geboren. Es fehlt in manchen Einrichtungen an Duschen und Toiletten für Frauen. Die Berichte der Wehrbeauftragten zeigen, dass die männlichen Kameraden immer wieder an der Fähigkeit von Soldatinnen zweifeln, insbesondere in Führungspositionen. Auch sexuelle Übergriffe kommen in so einer großen Organisation immer wieder vor.
Was tut die Bundeswehr gegen Diskriminierung von Frauen in der Truppe?
Es gibt zahlreiche Gleichstellungsbeauftragte, die bei bestimmten Personalfragen, bei Einstellungen und Beförderungen mit einbezogen werden. Außerdem haben die Vorgesetzten die Pflicht, sich mit Gleichstellung auseinanderzusetzen. In der Bundeswehr wird formal also mehr für Frauen getan als in manch anderen Organisationen. Leider kommt das nicht in jeder Einheit, in jedem Bereich und bei jedem Vorgesetzten gleichermaßen an.
Für Frauen wurden erst seit 2001 alle Laufbahnen in der Bundeswehr geöffnet. Steckt die Stigmatisierung noch in den Köpfen mancher Soldaten?
Definitiv. In den ersten Jahren kamen in mancher Kaserne vielleicht zwei Frauen auf 1.000 Männer. Die standen dann unter ständiger Beobachtung. Wenn diese Frauen bestimmte körperliche Aufgaben nicht so gut bewältigten wie ihre männlichen Kameraden, fühlten sich viele in ihren Vorurteilen bestätigt. Waren sie aber sportlicher, wurde gesagt: "Kann die das wirklich? Unsere Erfahrungen von anderen Frauen sind doch andere."
Da ist nicht mehr die einzelne Frau, die als Maskottchen galt, sondern eine Gruppe, die den Männern Positionen wegnehmen könnte.
Maja Apelt
In einer Organisation, die von einer großen Mehrheit dominiert ist, haben die Minderheiten immer damit zu kämpfen, dass sie sich an die Normen der Mehrheit anpassen müssen. In dem Fall der Bundeswehr sind das die Normen von Männlichkeit. Zugleich grenzt die Mehrheit sich von der Minderheit ab. Das besagt die Theorie der Tokenisierung.
Würde es da nicht helfen, wenn Frauen über die Wehrpflicht in größerem Stil zur Bundeswehr eingezogen würden?
Einen Zwangsdienst für Frauen einzuführen, um Stigmatisierung abzubauen, ist wohl kaum der richtige Weg. Richtig aber ist, dass mit steigendem Anteil die Diskriminierung nicht gleich verschwindet, sondern die Probleme zunehmen. Denn dann nehmen die Soldaten ihre Kameradinnen eher als Konkurrenz wahr. Da ist nicht mehr die einzelne Frau, die vielleicht als Maskottchen galt, sondern eine Gruppe, die den Männern Vorgesetztenpositionen wegnehmen könnte.
Wie zeigt sich das?
Einige Soldaten haben die patriarchale Vorstellung, Männer müssten Frauen beschützen und dass Frauen deshalb bestimmte Positionen nicht einnehmen sollten. Andere reagieren konkurrierend, unter dem Motto: "Wenn sie nicht genauso viel Gewicht heben und Märsche in derselben Länge gehen können, sind sie am falschen Platz". Und wenn Soldatinnen bestimmte Positionen erreichen, gibt es Beschwerden, dass diese Frauen bevorzugt würden. Steigt aber der Frauenanteil, können sich Frauen austauschen und ihre Stimme gegen Diskriminierung erheben. Dafür hat die Bundeswehr ja die Instrumente.
Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, eine Quote von 20 Prozent Frauen in den Streitkräften zu erreichen. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius warb vergangenes Jahr explizit um Frauen in der Bundeswehr. Warum sind Frauen in den Streitkräften wichtig?
Es gibt neben den kämpferischen Aufgaben auch Peacekeeping-Einsätze, also Einsätze, in denen die Bundeswehr mit der Zivilbevölkerung in Kontakt tritt. Frauen haben mehr Verständnis für die Anliegen von Frauen in Konfliktgebieten. Zum anderen: Wenn das Militär die Gesellschaft repräsentieren soll, dann soll sich Vielfalt auch in der Bundeswehr wiederfinden, nicht nur insgesamt, sondern auch auf unterschiedlichen Statusebenen.
Was kann die Bundeswehr tun, um langfristig mehr Frauen auch in höheren Dienstgraden zu gewinnen?
Zum Beispiel sollte die Bundeswehr bei den Karrierewegen mehr Rücksicht auf die Familien nehmen. Auf dem Weg in den Generalstab müssen alle Anwärter und Anwärterinnen an einem zweijährigen Generalstabslehrgang in Hamburg teilnehmen und in Bonn im Verteidigungsministerium Dienst tun. Dieser Weg fällt aber häufig in die Zeit, in der Soldaten und Soldatinnen Familien gründen und Kinder großziehen.
Vielen Dank für dieses Gespräch, Frau Apelt.
t-online hat dieses Interview bereits Ende April geführt. Der Vorspann ist mit Blick auf Pistorius' Präsentation am heutigen Mittwoch aktualisiert worden, das Interview selbst erfuhr vor der erneuten Publikation keine Anpassungen.
- Telefongespräch mit Maja Apelt