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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bedrohung durch Vertreibungspläne "Es fühlt sich wie ein Albtraum an"
Rechtsextreme sollen mit rechten AfD-Parteimitgliedern und Politikern der Werteunion einen Plan zur Deportation von Millionen Menschen besprochen haben. Wie geht es den Bedrohten?
In ganz Deutschland waren die Menschen in dieser Woche auf den Straßen: "Wer AfD wählt, wählt Nazis!", und: "AfD-Verbot sofort prüfen!" – so lauteten die Slogans auf Protesten gegen die AfD. Deren Auslöser war eine Recherche des Investigativmediums "Correctiv": Demnach sollen Rechtsextremisten im Potsdamer Landhaus Adlon einen "Masterplan" zur millionenfachen Vertreibung von Menschen aus Deutschland geschmiedet haben – darunter auch Politiker der AfD und der Werteunion.
Menschen sollten demnach aus Deutschland vertrieben werden, wenn sie in den Augen der Teilnehmenden die falsche Hautfarbe oder Herkunft haben – unabhängig davon, ob sie in Deutschland geboren sind, die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen oder ein Recht auf Asyl haben. Auch Menschen, die sich für Geflüchtete einsetzen, sollen vertrieben werden. Wie verbreitet diese Ideen auch in der ganzen AfD sind, lesen Sie hier.
Doch wie geht es den Menschen, die laut den Plänen der Rechtsextremen vertrieben werden sollen? Und was fordern sie? t-online hat einige von ihnen gefragt.
Rikarda Baric-Habibivand ist deutsch-kroatische Unternehmerin:
"Als wir noch Kinder waren, sagte mein Vater immer, dass wir froh und dankbar sein sollen, in Deutschland aufzuwachsen, denn in keinem anderen europäischen Land hätten wir so viele Möglichkeiten und Freiheiten. Fast 20 Jahre später sehe ich diese nun in Gefahr. Und zwar nicht nur durch faschistische Parteien wie die AfD, die inzwischen jede unserer Gesellschaftsschichten infiltriert hat, sondern vor allem aufgrund des kollektiven Wegschauens und des Nichtstuns."
Hesam Misaghi ist iranischer Videoredakteur und lebt seit 2010 in Deutschland:
"Ich bleibe nicht, wo ich nicht gewollt und geliebt werde. In meinem Geburtsland, dem Iran, durfte ich nicht einmal studieren und habe als Bahá'i (Anm. d. Red.: religiöse Minderheit im Iran) manchmal Hass und Hetze erfahren. Als Blogger wurde ich verfolgt und musste das Land verlassen. In Deutschland konnte ich mich in meinen Lieblingsfächern bis zum Master weiterbilden und nach dem Studium direkt in einem deutschen Unternehmen anfangen. Ich fühlte mich aufgenommen und zugehörig.
Als ich die Recherche von Correctiv gelesen habe, musste ich lachen. Die Pläne sind so aus der Zeit gefallen. In Deutschland wandern manche im Winter in andere Länder aus, um von dort aus zu arbeiten. Wir haben täglich mit Menschen aus der ganzen Welt zu tun und kommunizieren in verschiedenen Sprachen. Die Recherche wirkt auf mich deshalb wie ein Spielfilm aus dem History-Genre. Sollte es in Deutschland dazu kommen, dass Menschen wie in der Diktatur im Iran vertrieben werden, wäre das für mich nicht das erste Mal. Ich habe Erfahrung damit und werde meinen Teil dazu beitragen, dass das nicht passiert."
N. Habibivand, iranisch-deutscher Automatisierungsingenieur, und seine beste Freundin M. Rezazadeh, iranisch-deutsche Grundschullehrerin und Sozialpädagogin, sagen:
"Als wir vor 30 Jahren nach Deutschland kamen, haben wir Hoffnung gehabt auf ein Leben in Sicherheit und Demokratie. Es fühlt sich wie ein Albtraum an, als ob jemand uns die Freiheit, die Sicherheit und die Lebensfreude wegnehmen möchte. Wir haben unsere Kindheit hier erlebt, haben unsere Schulbildung und Studium absolviert und leisten nun einen verdienten Beitrag für die Allgemeinheit und vor allem für die Demokratie. Die AfD möchte das Ganze mit Füßen treten und genau das erlauben wir nicht. Wir lassen uns unsere Demokratie nicht zerschlagen und uns separieren."
Juliana Luisa Gombe ist deutsch-angolanische Gründerin und Vorsitzende des Vereins "Toleranz Lernen und Leben e.V." (TOLL e.V.) sowie Teilhabeberaterin beim Malteser Hilfsdienst e.V. in Magdeburg:
"Ich bin fassungslos über die Pläne der AfD-Politiker und anderer Extremisten. In Angola kämpfte ich gegen Korruption, Ungerechtigkeit und die Diktatur der angolanischen Regierung, weshalb ich in Deutschland politisches Asyl beantragen musste. Ich lebe hier nun seit 28 Jahren. Meine Kinder sind hier zum Teil geboren und sozialisiert. Ich habe die doppelte Staatsbürgerschaft. Das heißt, ich bin auch Deutsche.
Wenn dieser Plan umgesetzt wird, wird er mein Leben und das meiner Familie zerstören. Tatsächlich wirkt es sich bereits auf mein tägliches Leben aus: Es gibt Nächte, in denen ich nicht schlafen kann, und ich habe reale Angst. Aber was ich am meisten fürchte, sind die Reaktionen von Faschist:innen auf der Straße. Ich fordere Solidarität von meinen Mitbürger:innen und Handeln von der Regierung! Wir müssen alle gemeinsam unsere Demokratie schützen!"
Danial Ilkhanipour ist deutsch-iranischer SPD-Politiker in der Hamburgischen Bürgerschaft:
"Wenn man sich wirklich mit der Entwicklung der AfD beschäftigt hat, sind die aktuellen Geschehnisse nicht überraschend. Was mir große Sorgen bereitet, sind die Geschwindigkeit, in der die AfD immer unverhohlener ihre wahren Absichten herausstellt, und der nur kurze gesellschaftliche Aufschrei. Es scheint, als sei die breite Gesellschaft dazu bereit, diese Pläne hinzunehmen. Sie sitzt wie ein Kaninchen vor der Schlange. Einige hoffen, dass es schon gut gehen wird, oder denken, sie seien ja nicht gemeint. Aber klar muss sein: Jeder ist betroffen. Wir alle sind gemeint.
Während die Erfolge der AfD für Demokraten die Angst um die Demokratie wachsen lassen, bedeuten sie für Menschen mit sichtbarer Migrationsgeschichte auch Existenzängste. Denn auch wenn die AfD nicht regiert, so hat sie bereits jetzt Einfluss auf unser Leben. Unsere Lebensqualität nimmt stetig ab. Und auch das ist von ihnen gewollt: Dass wir freiwillig das Feld räumen und unsere neue oder alte Heimat verlassen.
Aber man stelle sich mal vor, wenn alle Menschen mit Migrationsgeschichte auch nur für einen Tag in einen Generalstreik gehen würden: Da bräuchte man keine Trecker, um dieses Land lahmzulegen. Vielen ist nicht bewusst, welche existenzielle Rolle Migrant:innen in diesem Land spielen – Migrant:innen, die zunehmend als unerwünscht gelten. Wir haben es satt, dass so über uns gesprochen wird. Aber um dem etwas entgegenzuhalten, müssen wir alle kämpferischer werden. Hier geht es um die Grundlage unserer Existenz!"
- Unwort des Jahres: Das hat es mit dem Begriff "Remigration" auf sich
Joelina hat die türkische Staatsbürgerschaft, lebt aber seit ihrer Geburt in Deutschland:
"Ich bin eine muslimische trans Frau mit Migrationshintergrund. Als das mit dem geheimen Treffen herauskam, war mein erster Gedanke: So hat also alles mal angefangen. Dann wurde mir klar, dass ich mehrfach betroffen bin. Die könnten sich also einfach aussuchen, mit welcher Begründung sie mich abschieben könnten.
Eine Abschiebung in das Land, für welches ich den Pass besitze, wäre jedoch mein Todesurteil. Dann hätte ich nur die Wahl, qualvoll zu sterben oder den einfachen Weg zu gehen, bevor sie mich holen kommen. Als queere Personen haben wir schon genug psychische Belastung durch die Gesellschaft. Dazu kommen nun auch noch Existenzängste."
Stefan Zeh ist in Deutschland geboren. Als Kind einer polnischen Mutter und eines griechischen Vaters hat der Psychologe seit 2017 die deutsche Staatsbürgerschaft:
"Meine Eltern sind nach Deutschland gekommen, um hier ein besseres Leben zu führen. Als meine alleinerziehende Mutter mich großgezogen hat, hat sie mir Werte wie Nächstenliebe, Empathie, Solidarität und Respekt mitgegeben. Das hat mich zu einem sehr sozialen Menschen gemacht: Ich helfe depressiven Menschen dabei, einen Therapieplatz zu finden, stehe Jugendlichen mit HIV zur Seite, laufe für soziale Projekte mit, sammele Müll in benachteiligten Stadtteilen und habe mich politisch viel engagiert, um die Gesundheitsversorgung in Deutschland zu verbessern.
All das wird jetzt von der AfD mit Füßen getreten. Mit den Plänen der Rechtsextremisten geht es mir sehr schlecht. Ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass diese Menschen in keiner Form so viel Engagement zeigen wie ich für dieses wunderbare Land. Daher macht es mich so wütend, dass sie mir sagen möchten, dass ich keinen Platz hier hätte und vertrieben werden soll. Ich bin mehr Teil von Deutschland, als sie es jemals sein werden. Ich fordere jetzt sofort ein AfD-Verbot und eine CDU, die sich wehrt. Ich will, dass Merz endlich abtritt, denn er ist mit seiner Politik Steigbügelhalter der AfD."
Chris Pyak ist Coach für internationale Fachkräfte und Autor des Buches "How To Win Jobs & Influence Germans". Mit seinen Kindern und seiner Frau aus Usbekistan lebt er in Deutschland:
"Ich bin von den Plänen des Treffens als politischer Gegner der AfD betroffen und auch als Mann meiner ausländischen Frau und Vater meiner Kinder, die Deutsche mit dunkler Haut sind. Ich finde es unfassbar, dass jetzt nicht ganz Deutschland in Flammen steht und ein AfD-Verbot sofort angegangen wird. Seit 13 Jahren helfe ich zudem internationalen Fachkräften bei der Jobsuche in Deutschland und denke jetzt ernsthaft darüber nach, damit aufzuhören.
Meine Klienten sind Wissenschaftler, Ingenieure, Software-Entwickler und Data-Analysten – gut ausgebildete Menschen, deren Bild von Deutschland oft noch von unserem einst guten Ruf geprägt ist. Ich kann ihnen aber nicht mehr guten Gewissens sagen, dass sie hier ein besseres Leben und größere Zukunftschancen als in anderen Ländern erwartet. Ich glaube nicht mehr an die Reformfähigkeit Deutschlands. Wir führen seit 30 Jahren die gleichen Diskussionen und klammern uns an der Vergangenheit fest, statt die Zukunft zu gestalten."
- Anfragen an Chris Pyak, Stefan Zeh, Danial Ilkhanipour, Joelina, Juliana Luisa Gombe, Rikarda Baric-Habibivand, Hesam Misaghi, N. Habibivand und M. Rezazadeh
- correctiv.org: "Geheimplan gegen Deutschland"