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Müllermilch & die AfD: Treffen mit Alice Weidel? Unternehmer spricht Klartext


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AfD-Erfolg in Deutschland
"Viele Firmen scheuen sich, Tacheles zu reden"


Aktualisiert am 08.12.2023Lesedauer: 5 Min.
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Quelle: Sascha Fromm

Der Chef von Müllermilch kumpelt mit Alice Weidel – und große Teile der deutschen Wirtschaft schweigen zur AfD. Das sei fatal, sagt der Unternehmer Harald Christ.

Harald Christ empfängt in seinem Büro am Berliner Kurfürstendamm, die Decken sind hoch, der Stuck ist prunkvoll, der Ausblick auf die Prachtpromenade exzellent. In der Ecke steht eine Europafahne. Christ raucht während des Gesprächs, trinkt Coke Zero.

Der 51-Jährige ist Unternehmer, mit unterschiedlichen Firmenbeteiligungen und seiner Beratungsfirma Christ & Company hat er es zum Millionär geschafft. Und Christ ist seit Langem gut in Parteien vernetzt: Bis 2019 war er in der SPD, danach wechselte er zur FDP.

Zurzeit treibt Christ ein Thema besonders um: der Erfolg der AfD – und das Schweigen der deutschen Wirtschaft dazu.

t-online: Herr Christ, würden Sie mit Alice Weidel zu Abend essen?

Harald Christ: Nein, ganz sicher nicht. Da kann ich mir wesentlich angenehmere Tischpartner vorstellen.

Was sagen Sie zu Theo Müller, dem Müllermilch-Chef, der das tut und im Anschluss verkündet: Er sehe keine Hinweise auf NS-Ideologie in der Partei?

Herrn Müller steht frei, zu essen, mit wem er will. Wir leben in einer Demokratie. Die beiden können sich aber kaum intensiv über die Politik der AfD unterhalten haben, sonst würde Herr Müller wohl ein anderes Fazit ziehen.

Und zwar welches?

Wer sich nur ein wenig inhaltlich mit der AfD beschäftigt, der muss erkennen, dass die Partei einen rechtsnationalen Kern hat und rechtsextreme Ideen propagiert. Sie wendet sich gegen vieles, was unsere Werte, unsere Demokratie ausmacht: ein klares Bekenntnis zu Europa und zur Nato, zu Menschenrechten und Minderheitenschutz, eine klare Haltung gegen Kriegsverbrecher wie Wladimir Putin. Um nur ein paar Punkte zu nennen. Mein Fazit wäre: Viele Funktionäre der AfD wollen ein anderes, undemokratisches Land. Ein Land, in dem ich nicht leben möchte. Ein Land, das im Übrigen auch Unternehmer abschreckt.

Woran machen Sie das fest?

Ich reise viel – und die Sorgen im Ausland sind groß. Viele fragen mich: Was ist denn da in Deutschland los, was passiert da gerade?

Wer fragt Sie das?

Diese Fragen kommen von Investoren ebenso wie von jungen Leuten, von potenziellen Fachkräften im Ausland. Für die Investoren ist oft der Blick entscheidend: Die Stimmung in Deutschland wird schlechter, die politische Stabilität und ein europafreundliches Umfeld ist nicht mehr unbedingt gewährleistet – da wollen wir nicht investieren. Es geht keiner davon aus, dass die AfD 2025 den Kanzler stellt. Aber Investoren sehen stark, dass sich das politische Spektrum weiter radikalisiert. Die AfD macht den Standort Deutschland für sie unsicherer und damit unattraktiver.

Und was hören Sie von Fachkräften?

Die AfD befördert mit ihrem Populismus ein Klima des Hasses, in dem Menschen ihrer Aggressivität freien Lauf lassen. Junge Fachkräfte aus dem Ausland fürchten dieses Klima, Rassismus zum Beispiel auch in ihrem Lebensalltag. Warum sollte man sich das freiwillig antun, wenn man einfach in ein anderes Land gehen kann?

Wenn diese Stimmen in der Wirtschaft im Ausland so laut sind, warum ist die deutsche Wirtschaft dann so still? Politiker fordern schon lange: Ihr müsst euch positionieren, ihr müsst den Menschen das Standortrisiko klarmachen.

Es gibt Unternehmer, die sich deutlich äußern. Der frühere Siemens-Chef Joe Kaeser gehört zum Beispiel dazu, der Evonik-Boss Christian Kullmann oder der Autobauer VW haben sich klar positioniert. Aber wahr ist auch: Es sind zu wenige. Viele Unternehmer scheuen sich, Gesicht zu zeigen, Tacheles zu reden.

Warum?

Aus unterschiedlichen Gründen. Viele Unternehmer wollen keinen Stress. Mit der eigenen Belegschaft, weil da einige AfD wählen. Oder mit den Kunden, von denen einige sich neu orientieren. Es herrscht bei zu vielen deutschen Unternehmern ein ausgeprägter Opportunismus vor, bei einigen auch pure Ignoranz.

Sind deutsche Manager feige?

Nein, das ist eine zu harte Wortwahl. Ich würde eher sagen: Deutschlands Manager sind oftmals zu konfliktscheu. Das hat auch mit dem System zu tun, in dem sie groß werden. Man robbt sich hier Stück für Stück an die Spitze – am besten funktioniert das, wenn man nicht aneckt. Und wenn man sich gegen die AfD ausspricht, eckt man zurzeit extrem an. Man muss dann auch bereit sein, Anfeindungen auszuhalten. Pauschalisieren sollte man aber auch hier nicht – es gibt auch Vorbilder.

Welche Anfeindungen haben Sie erlebt?

Da ist alles dabei: Diffamierungen, Beleidigungen, Drohungen – das ganze Programm. Manche kommen anonym per Brief, andere über soziale Medien. Dort werden sie oft auch breit gestreut von Trollarmeen, gar nicht von realen Menschen. Wir sind mittlerweile in Deutschland so weit, dass viele Berater ihren Managern sagen: Lass' das besser, das bringt nur Ärger.

Sie sind selbst Kommunikationsberater. Warum halten Sie sich nicht an den Rat?

Soll ich mich etwa einschüchtern lassen? Wir leben in einer Demokratie. Ich darf meine Meinung ebenso deutlich artikulieren wie jeder Funktionär der AfD. Wenn wir so weit kommen, dass ich schweigen muss, dann sieht es düster aus für Deutschland.

In Ostdeutschland ist die AfD derzeit mit weitem Abstand stärkste Kraft, in drei Bundesländern wird im nächsten Jahr gewählt.

Die AfD ist inzwischen ein bundesweites Phänomen, sie hat auch in Hessen und in Bayern viel zu gut abgeschnitten. Im Osten herrscht aber noch stärker die Mentalität vor: Wir lassen uns nichts vorschreiben, erst recht nicht aus Berlin. Das haben wir jahrzehntelang hinter der Mauer erlebt, jetzt machen wir unseren Frust deutlich. Ich kann teilweise verstehen, warum das so ist: Die Wende hat viele Menschen im Osten massiv getroffen, arbeitslos gemacht, Biografien gebrochen. Aber ich hoffe dennoch, dass es nicht so bleibt. Auch, weil diese Haltung Konsequenzen für unser Land hat. Es muss allen klar sein: AfD wählen löst keine Probleme, vielmehr macht sie es schwieriger, Lösungen zu finden. Es ist eben keine Alternative für Deutschland.

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Was meinen Sie genau?

Nehmen wir die Ukraine-Politik zum Beispiel. Es ist ein Feld, auf dem die AfD eine ablehnende Haltung im Osten, eine Kuschelei mit Kriegsverbrechern befeuert. Das wird oft so hingenommen, als ob es so einfach wäre. Die Folgen aber werden wenig bedacht: Wir disqualifizieren uns als Land wegen dieser Stimmung für viele Partner in Politik und Wirtschaft. Ich werde mit meiner Stiftung für Demokratie und Vielfalt am 19. April 2024 eine große Benefiz-Operngala in Berlin ausrichten, mehr als 1.000 Gäste aus Politik, Wirtschaft, Medien, Kultur, ein Opernkonzert mit internationalen Stars, große Bühne. Wir sammeln Spenden für die Klitschko-Initiative #WeAreAllUkrainians und möglicherweise weitere Einrichtungen. Solche Signale braucht es noch viel mehr.

Aber noch einmal: Die AfD steht in Umfragen im Osten seit Langem bei über 30 Prozent. Wie soll denn der Umschwung kommen?

Ich hoffe, dass sich die Menschen vor den Wahlen noch einmal stärker mit dem Programm der Partei auseinandersetzen und erkennen: Die AfD bietet null Lösungen, hat keine Antworten auf die Herausforderungen, die vor uns liegen. Im Gegenteil: Eine starke AfD schafft neue Probleme für uns. Es gibt ausreichend demokratische Parteien die wählbar sind und nicht vom Verfassungsschutz beobachtet werden müssen.

Das AfD-Programm ist seit Langem bekannt, es interessiert die Menschen offenbar nicht.

Ich hoffe, dass sich mehr Leute mit Einfluss, bekannte Multiplikatoren, trauen, Klartext zu sprechen. Es braucht dabei besonders auch Multiplikatoren aus dem Osten. Die anderen Parteien müssen außerdem stärker eingestehen: Wir haben ein massives Problem, wir erreichen einen großen Teil der Bevölkerung nicht mehr, sie sind unser überdrüssig. Sie müssen stärker die Lebensrealität von Menschen verstehen, die nicht den ganzen Tag Zeitung lesen, die dem politischen Betrieb nicht ständig im Detail folgen, weil es sie nicht immer interessiert, weil ihr Alltag sie zu sehr fordert. Politik muss den Menschen dienen und das Vertrauen zurückgewinnen, dass das auch so ist.

Herr Christ, vielen Dank für dieses Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Harald Christ
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