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Antisemitismus in der muslimischen Community: "Judenhass ist völlig normal"


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Juden in Deutschland
"Das ist brutal und beängstigend"

  • Annika Leister
InterviewVon Annika Leister

Aktualisiert am 17.10.2023Lesedauer: 5 Min.
Pro-Palästina-Demonstration in Frankfurt: Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel sind die Reaktionen zum Teil extrem.Vergrößern des Bildes
Pro-Palästina-Demonstration in Frankfurt: Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel sind die Reaktionen zum Teil extrem. (Quelle: Boris Roessler/dpa)

Nach dem Massaker der Hamas in Israel ist die Lage auch auf deutschen Straßen angespannt. Gefährdeter waren Juden hierzulande seit 1945 nicht, warnt Elio Adler.

Davidsterne auf Haustüren und Israelhass auf Demonstrationen: Nachdem die Hamas in Israel mehr als 1.300 Menschen abgeschlachtet hat, sind die Reaktionen auch in Deutschland extrem. Im Fokus steht für Polizei und Politik nun nicht nur die Unterstützung für Israel – sondern auch die Sicherheit von Juden in Deutschland.

Wie sicher lebt man als Jude gerade in Deutschland? Ein Gespräch mit Elio Adler. Der 52-Jährige ist Gründer und Vorsitzender des Vereins "Werteinitiative – jüdisch-deutsche Positionen", der sich für die Sicherung einer Zukunft für Juden in Deutschland einsetzt.

t-online: Herr Adler, in Berlin werden gerade Häuser, in denen Juden leben, mit Davidsternen markiert. Wie groß ist die Gefahr für Juden in Deutschland?

Elio Adler: Die Gefahr war schon immer hoch. Jüdische Gebäude stehen seit jeher unter Polizeischutz, als jüdisch erkennbare Gruppen bewegen sich mit Sicherheitsbegleitung. Aktuell aber kochen die Aggressionen hoch. Mit schrecklicher Konsequenz: Die Sicherheitslage für jüdisches Leben ist so schlecht wie noch nie. Das ist für deutsche Juden die heikelste Situation seit 1945.

Sie sind in Berlin sehr präsent, treten auch im Fernsehen auf. Wie geht es Ihnen?

Ich bin verunsichert und tief beunruhigt. Ich bewege mich in einer jüdischen Community, in der die Nerven blank liegen. Entwicklungen, die wir immer befürchtet haben, treten jetzt so schnell ein, wie wir es alle nicht erwartet haben. Der Antisemitismus, der gerade geäußert wird, ist brutal und für uns alle beängstigend.

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Tun Polizei und Politik genug, um jüdische Communitys zu schützen?

Jüdische Einrichtungen stehen unter Schutz, der institutionelle Schutz ist da und wurde verschärft. Aber es ist unmöglich, hunderttausend Juden in Deutschland einzeln zu schützen. Die Davidstern-Schmierereien beispielsweise aber richten sich gegen Privatpersonen, die damit markiert werden. Das ist für die Betroffenen massiv angsteinflößend.

Was kann, was sollte die Zivilgesellschaft tun, um zu helfen?

Zivilgesellschaft muss Zivilcourage zeigen. Das bedeutet nicht, dass man sich bei etwaigen Angriffen dazwischenschmeißen muss. Das kann es bedeuten, muss es aber nicht. Wichtig ist, dass man judenfeindliche Sprüche und Hass in seinem eigenen Umfeld nicht durchgehen lässt. Dass man widerspricht. Und dass man aufmerksam und aktiv ist: Wenn Wände beschmiert werden, wenn Menschen sich auffällig verhalten – dann darf man das nicht ignorieren, sondern sollte die Polizei oder potenziell Betroffene informieren. Menschen müssen verstehen, dass jüdisches Leben in Gefahr ist. Sie müssen keine Helden sein, aber aufmerksame Mitbürger und auf Jüdinnen und Juden achten.

Am Wochenende hat es verstärkt pro-palästinensische Demonstrationen gegeben. Mit vielen Teilnehmern und "Allahu Akbar"-Rufen. Was denken Sie, wenn Sie solche Szenen sehen?

Natürlich muss es pro-palästinensische Demonstrationen geben dürfen. Wir haben Demonstrations- und Meinungsfreiheit – und das ist gut so. Der extreme Hass, der dort aber zum Teil geäußert wird, ist völlig inakzeptabel.

Wie groß ist das Problem des Antisemitismus in der muslimischen Community?

In großen Teilen der muslimischen Community ist Judenhass völlig normal. Das wissen wir seit Langem. Bis vor wenigen Tagen aber wurde man kritisch angeschaut, wenn man das klar formuliert hat. Mittlerweile haben viele verstanden, dass es tatsächlich ein Problem ist. Die sehr viel wichtigere Frage ist nur, was man dagegen tun will. Judenhass ist in vielen Herzen und Köpfen sehr tief verankert. Der ist nicht per Anordnung oder durch einen kleinen Workshop in der Schule zu beseitigen. Vor allem ist es eine Illusion zu glauben, dieser Hass richte sich nur gegen uns. Diese Menschen verachten die freiheitlich-demokratische Art, wie wir zusammenleben wollen insgesamt. Oder glauben Sie, die haben etwas für Frauenrechte übrig? Für sexuelle Selbstbestimmung und Meinungsfreiheit?

In Berlin wurden mehrere pro-palästinensische Demonstrationen untersagt. Ein umstrittener Schritt. Was halten Sie davon?

Es handelt sich nicht um ein pauschales Demo-Verbot. Es geht um Demonstrationen, die von Veranstaltern angemeldet wurden, die aus einer bestimmten Ecke kommen und schon polizeibekannt sind. Dazu gehören zum Beispiel Personen aus dem Umfeld von Samidoun (Anmerkung der Redaktion: Netzwerk mit Verbindungen zu palästinensischen Terrororganisationen). Man weiß, was in der Vergangenheit auf solchen Demonstrationen passiert ist – und wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass es wieder passiert. Der Hass regiert. Im Fall der verbotenen Demo in Berlin äußerte sich das so: 24 verletzte Polizisten, 120 Festnahmen, Drohungen gegen ein jüdisches Restaurant. Deswegen begrüßen wir diese Verbote ausdrücklich.

Kanzler Scholz hat am Donnerstag im Bundestag ein Verbot der Hamas und des Samidoun-Netzwerks bekannt gegeben. Die Kritik aber ist groß: Der Kanzler sei vorgeprescht – und habe Akteuren so die Chance gegeben, Beweismaterial zu vernichten. Ist die Kritik gerechtfertigt?

Das hängt davon ab, wie schnell die Verbote jetzt umgesetzt werden. Die Sicherheitsbehörden kennen die Akteure und haben sie im Blick, sie können sich nicht einfach in Luft auflösen. Ich gehe davon aus, dass die Beweise, die nötig sind, schon im Vorfeld gesammelt worden sind.

Acht deutsche Geiseln hat die Hamas in Gaza in ihrer Gewalt. Was muss das Auswärtige Amt jetzt tun?

Es ist eine höllische Situation gerade. Jeder Schachzug der Regierung kann andere schädliche Folgen haben. Es gibt schließlich nicht nur die deutschen Geiseln, sondern mehr als 150 Geiseln aus aller Welt. Ich hoffe sehr, dass diese Nationen sich gut miteinander abstimmen und koordiniert vorgehen. Die größte Gefahr ist, dass die Allianz der Länder, aus denen Geiseln stammen, aufbricht.

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Die Bundesregierung steht in besonderer Verantwortung für die Sicherheit Israels und für Juden in Deutschland. Wie bewerten Sie insgesamt das Agieren der Politik gerade?

Der Beschluss des Bundestags in der vergangenen Woche war notwendig und inhaltlich hervorragend. Aber: Es kommt darauf an, was jetzt daraus wird. Da stehen viele Maßnahmen drin, die zusammengenommen ein wirksames Paket sein könnten. Aber sie müssen eben auch alle angepackt und umgesetzt werden. Und die Politik muss sich beeilen. Sie darf nicht Wochen warten, sie muss in den nächsten Tagen handeln.

Der Bundestag sieht in seinem Beschluss "aufenthaltsrechtliche Maßnahmen" vor, also gegebenenfalls Ausweisungen.

Das ist neu und sinnvoll. Es wäre ein deutliches Signal der Abschreckung: Wer auf unsere freiheitliche demokratische Grundordnung spuckt und unsere Werte verachtet, der verwirkt sein Recht, bei uns zu leben.

Solche Verfahren sind kompliziert und aufwendig. Inwiefern verändert das die Gesamtlage?

Man kann so die Anzahl der Hasser reduzieren. Das hilft. Es spielt eine Rolle, wie viele Menschen solche Gedanken in sich und auf die Straße tragen. Das ist ein Baustein in dem Puzzle, das es braucht, um der Situation Herr zu werden.

Kanzler Scholz reist an diesem Dienstag nach Israel. Was erwarten Sie von seinem Besuch?

Wenn ein Freund einen anderen Freund in einer Notlage besucht, erwartet man, dass er zuhört, sich einfühlt, nicht belehrt, sondern fragt: "Was brauchst du?" Und dann nach Kräften hilft. So sollte es auch zwischen Deutschland und Israel sein.

Herr Adler, vielen Dank für das Gespräch!

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Elio Adler
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