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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ampelkoalition Plötzlich regt sich etwas
Zoffen, Zanken, Zetern: Das waren zuletzt die Hauptbeschäftigungen der Ampelkoalition. Jetzt scheint es Hoffnung zu geben – aber nicht überall.
Um zu erahnen, wie mies die Stimmung in der Ampelkoalition in den vergangenen Tagen war, reichte es mitunter, einem Grünen die unkreativste Frage von allen zu stellen: "Wie geht’s?"
Ja, sagte der Grüne dann, persönlich sehr gut. Man müsse nur mal den Friedrich Merz als CDU-Chef loswerden. Dann könne man eine Jamaika-Koalition machen: CDU, Grüne und FDP. "Das größte Problem wären wir dann los." Ein halber Scherz, aber eben nur ein halber.
Jeder-gegen-jeden war zuletzt der Modus der Ampelkoalition. Die Grünen waren sauer auf die FDP, na klar, aber immer stärker auch auf die SPD und den schweigenden Kanzler Olaf Scholz. Die Liberalen griffen genüsslich die Grünen an, piesackten aber auch Scholz, indem sie den Anbau fürs Kanzleramt in Zweifel zogen. Und die SPD verlor bei all dem Gezeter langsam, aber sicher die Geduld mit ihren Partnern.
Die scheinbar unlösbaren Probleme türmten sich auf. Erste Grüne stellten den Sinn der Koalition infrage, wenn es beim Koalitionsausschuss an diesem Sonntag keine Fortschritte gäbe. Inzwischen deuten sich zumindest bei zwei der größten Streitfragen Lösungen an. Bei anderen bleibt es kompliziert.
Wissing lenkt im Verbrenner-Streit ein
Ist das Verbrenner-Aus in der Europäischen Union ab 2035 auch wirklich das Aus für alle Verbrenner-Autos? Das war die Streitfrage, die die FDP in den vergangenen Wochen für viele Koalitionäre überraschend nochmal auf die Tagesordnung setzte, kurz bevor die finale Entscheidung in Brüssel anstand.
Die Ampelkoalition hatte die EU-Kommission schon vor Monaten als Kompromiss gebeten, zu prüfen, wie jene Verbrenner-Autos weiterhin zugelassen werden könnten, die sich ausschließlich mit E-Fuels betanken lassen. Nun stellte Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) fest, dass es eine solche Lösung (noch) nicht gab.
Das Verkehrsministerium verweigerte kurz vor der finalen Abstimmung die deutsche Zustimmung zur gesamten Verbrenner-Verordnung. Viele EU-Staaten und die EU-Kommission waren aufgebracht, Zweifel an der Verlässlichkeit Deutschlands wurden laut. Mit dem möglichen Aus für die Verbrenner-Einigung stand plötzlich wieder infrage, ob das ehrgeizige EU-Klimaschutzprogramm "Fit for 55" insgesamt noch durchzusetzen ist.
Die Grünen fürchteten, dass die FDP nach wie vor den Verbrenner insgesamt retten will. Und nicht nur den, der ausschließlich mit E-Fuels betankt werden kann. Ein ursprünglicher Lösungsvorschlag von Wissing vor einigen Tagen, über den der "Spiegel" berichtete, bestärkte diesen Verdacht nur noch.
Doch nun hat Wissing der EU-Kommission einen Vorschlag präsentiert, der nach t-online-Infos auch Grünen möglich erscheint, sofern die EU-Kommission zustimmt. Die Verordnung bliebe dem "Spiegel" zufolge unangetastet, es müsste also nicht alles neu verhandelt werden, mit der ernsthaften Gefahr eines Scheiterns. Und die EU könnte in einem Rechtsakt die Möglichkeit für reine E-Fuels-Verbrenner schaffen.
Die Grünen dürften damit leben können. Sie gehen ohnehin davon aus, dass kaum Autobauer Verbrenner bauen, die sich ausschließlich mit synthetischen Kraftstoffen betanken lassen. Schlicht, weil E-Fuels zu ineffizient und teuer seien und es sich für die Autobauer nicht lohne.
Annäherung im Heizungsstreit
Noch verhärteter schien zuletzt der Streit um das Verbot des Einbaus neuer Öl- und Gasheizungen ab 2024 zu sein. Die FDP attackierte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) für die angebliche "Verschrottungsorgie", und auch in der SPD wuchs die Kritik – obwohl die Pläne auch von Bauministerin Klara Geywitz (SPD) stammen.
Nun gibt es auch hier Bewegung. Die Grünen kommen FDP und SPD offenbar beim Hauptkritikpunkt, der mangelnden "Technologieoffenheit", entgegen, wie der "Spiegel" berichtet. Demnach dürften auch in Neubauten künftig neben Wärmepumpen, Fernwärme und Stromdirektheizungen auch noch Heizungen neu eingebaut werden, die mit Biogas oder Wasserstoff laufen. Die waren bislang nur in Bestandsgebäuden erlaubt, neben Biomasse- und Hybridmodellen.
Neue Ideen gibt es dem Bericht zufolge auch bei der sozial gestaffelten Förderung der Wärmepumpen. So könnte es für niedrige und mittlere Einkommen eine Art Abwrackprämie für alte Heizkessel geben, damit die neue Wärmepumpe letztlich nur noch in etwa so viel kostet wie eine Gasheizung. Für höhere Einkommen soll es günstige Kredite und auch weiterhin die Möglichkeit gegeben, die Investition zu 20 Prozent von der Einkommenssteuer abzuschreiben.
Wirtschaftsminister Habeck hatte zuletzt betont, dass aus seiner Sicht eine Einigung an den sachlichen Details nicht scheitere, wenn der Wille dazu da sei. Ob es diesen Willen überhaupt gibt, daran hatte er jedoch mit deutlichen Worten gezweifelt. Deshalb bleiben Grüne auch weiterhin skeptisch, bis die Einigung tatsächlich vom Kabinett verabschiedet ist.
Für die Grünen wäre die Möglichkeit, auch in Neubauten Biogas und Wasserstoff zu ermöglichen, ein durchaus schmerzhafter Kompromiss. Sie argumentieren, solche Heizungen seien zum einen deutlich ineffizienter als Wärmepumpen, gerade in Neubauten. Zum anderen würden knappes Biogas und noch knapperer Wasserstoff künftig viel dringender in der Industrie gebraucht.
Nun müssten sie darauf hoffen, dass sich die Menschen durch das Fördergeld und die Aussicht auf einen günstigeren Stromtarif trotzdem auch im Neubau für die Wärmepumpe entscheiden.
Weiter Zoff um die Kindergrundsicherung
Der Streit um die Kindergrundsicherung ist weiterhin verhärtet, was besonders die Grünen ärgert. Sie hatten das Projekt in den vergangenen Wochen ins Zentrum gerückt. Doch die FDP will längst nicht so viel Geld dafür ausgeben wie die Grünen. Und die SPD, so kolportieren es Grüne immer wieder, kämpfe auch nicht sonderlich entschlossen dafür.
Die FDP sieht die Reform, die verschiedene Sozialleistungen vereinen und leichter zugänglich machen soll, vor allem als Verwaltungsreform. Mehr Geld will sie für die Unterstützung eigentlich nicht ausgeben. Finanzminister Christian Lindner (FDP) rechnet mit zwei oder drei Milliarden Euro zusätzlich, etwa für Digitalisierung.
Grüne sind der Ansicht, dass das nicht einmal für eine solche Verwaltungsreform ausreiche. Und sie argumentieren, dass es selbst ohne die Erhöhung irgendwelcher Leistungen mehr Geld brauche, weil es ja das erklärte Ziel sei, sie für die Menschen leichter zugänglich zu machen – und es so schlicht mehr Anträge geben werde.
Familienministerin Lisa Paus (Grüne) verlangt deshalb zwölf Milliarden Euro zusätzlich. Was aus Sicht der Grünen schon knapp gerechnet ist. Bereits die zusätzlichen Anträge für bestehende Leistungen brauche den Großteil auf. Das ursprüngliche Grünen-Konzept sah einst mehr als 20 Milliarden Euro zusätzlich vor.
Wie schnell werden Autobahnen gebaut?
Ebenso ungeklärt ist der Streit um die Autobahnen. Besonders die FDP will, dass neue Autobahnen künftig genauso schnell gebaut und geplant werden können wie Windräder und Bahnstrecken. Wichtigen Teilen der SPD wäre das auch recht.
Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) aber beharrt darauf, die Planungsverfahren etwa bei Natur- und Lärmschutz nicht anzutasten – also kein "überragendes öffentliches Interesse" für Autobahnen zu etablieren. Bisherige Vermittlungsversuche, nur bestimmte Projekte zu beschleunigen, scheiterten bislang.
Der Druck, in dieser Frage zu einer Einigung zu kommen, ist hoch. Denn schon beim vergangenen Koalitionsausschuss war die Frage vertagt worden. Sie sollte bis zum nächsten Mal geklärt werden, hieß es. Auch wegen des Dauerstreits wurde der Koalitionsausschuss dann vom 1. März auf diesen Sonntag verschoben.
Eine weitere Vertagung sähe deshalb gar nicht gut aus. Zumal die diversen Streitigkeiten in der Koalition dazu geführt haben, dass rund 30 Gesetzesvorhaben der Ampelkoalition blockiert sind.
Und wer soll das alles bezahlen?
Wie viel Geld gibt es wofür? Diese Frage wird den Erwartungen zufolge auch am Sonntag beim Koalitionsausschuss nicht geklärt werden. Die Eckpunkte des Bundeshaushalts werden noch auf sich warten lassen. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte von 70 Milliarden Euro gesprochen, die die Bundesministerien zu viel verlangten.
In der Koalition wird zwar darauf verwiesen, dass das wohl eher eine Maximalsumme sei. Aber groß sind die Unterschiede zwischen Wollen und Haben nach wie vor. Das Problem: Große finanzielle Streitfragen wie die Kindergrundsicherung können nicht geklärt werden, solange das Bundeskabinett sich nicht zumindest auf die Eckpunkte des Haushalts einigt.
Im Finanzministerium wird zwar Optimismus verbreitet, dass man die Ressorts schon noch von ihren Wünschen abbringen könne. Doch wie und wann? Das bleibt offen.
- Eigene Recherchen und Gespräche
- spiegel.de: Verkehrsministerium lenkt im Verbrennerstreit offenbar ein
- spiegel.de: Regierung erwägt Abwrackprämie für alte Heizsysteme