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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Umweltministerin nimmt Stellung Frau Lemke, was haben Sie eigentlich gegen Autos?
Die Ampelkoalition streitet erbittert um die Autobahnen. Die grüne Umweltministerin Steffi Lemke erklärt, wieso sie sich mit der FDP nicht einig wird.
Sollen neue Autobahnen künftig genauso schnell geplant und gebaut werden können wie Bahnstrecken und Windräder? Über diese Frage streitet die Ampelkoalition seit Wochen. Mittendrin: die grüne Umweltministerin Steffi Lemke.
Warum die Grünen den schnellen Autobahnneubau unbedingt verhindern wollen und wie eine Lösung aussehen könnte – darüber spricht Lemke im Interview mit t-online.
t-online: Frau Lemke, was haben Sie eigentlich gegen Autos?
Steffi Lemke: Ich habe ein äußerst entspanntes Verhältnis zum Auto. Ich nutze es, wenn es notwendig ist. Genauso wie ich gerne den Zug nehme, Rad fahre oder zu Fuß gehe.
Trotzdem wollen die Grünen die Zahl der Autos deutlich reduzieren, und bei neuen Straßen sind sie auch skeptisch. Warum?
Wir müssen uns an den Bedürfnissen der Menschen orientieren. Und Radfahrer, Fußgänger und Bahnfahrer haben genauso Bedürfnisse wie Autofahrer. Zugleich wollen wir alle unsere Gemeinden lebenswert halten, saubere Luft atmen, die Natur genießen und ohne Staus und Verspätungen ankommen. Dem werden wir nicht gerecht, wenn wir dem Auto Vorrang geben.
Um Vorrang geht es aber doch nicht. Die FDP will, dass Autobahnen genauso schnell geplant und gebaut werden können wie Bahnstrecken.
Wer alles priorisiert, der priorisiert am Ende gar nichts. Der Ausbau der Schiene ist jahrzehntelang vernachlässigt worden. Es wurde an den falschen Stellen gespart. Deshalb gibt es jetzt vielerorts keine gute Bahnanbindung. Zugleich leben wir in dem Land mit dem zweitdichtesten Straßennetz der Welt. Mir geht es darum, alle Verkehrsmittel in den Blick zu nehmen. Es braucht Balance.
Das heißt: Am besten keine neuen Straßen mehr, egal ob bald Autos über sie fahren, die elektrisch und damit klimaneutral sind?
Den Grünen geht es nicht darum, überhaupt keine neuen Straßen mehr zu bauen. Der Konflikt in der Ampelregierung hat sich an der Frage entzündet, ob beim Neubau von Straßen der Umwelt-, Natur- und auch der Lärmschutz zurücktreten sollte hinter das "überragende öffentliche Interesse" des Neubaus von Straßen. Das halten wir für falsch.
Wäre es nicht vernünftig, die langwierigen Planungsverfahren auch für Autobahnen zu verkürzen – und anschließend politisch zu entscheiden, was wirklich gebaut wird? Bahntrasse oder Autobahn?
Es spricht überhaupt nichts dagegen, Planungsverfahren zu beschleunigen: durch Digitalisierung oder mehr Personal in den Genehmigungsbehörden. Aber es spricht etwas dagegen, in Zeiten von Klima- und Artenkrise die Standards beim Umwelt- und Naturschutz abzubauen, um schneller Autobahnen errichten zu können. Diese Standards schützen nicht nur die Natur, sondern auch die Menschen.
Beim Bau von Windrädern argumentieren die Grünen immer, der Naturschutz werde durch die schnelleren Verfahren materiell gar nicht abgebaut. Es würden nur Einspruchsfristen und Ähnliches verkürzt. Was stimmt denn jetzt?
Der Ausbau von Windkraft dient dem Klimaschutz. Die Ampelfraktionen haben sich im Koalitionsvertrag darauf verständigt, die Planungsverfahren für erneuerbare Energien, Netze und Bahnstrecken zu beschleunigen. Und für andere Projekte eben nicht.
Das heißt: Die Standards für Windräder abzubauen ist okay, weil es dem Klimaschutz dient – und für Straßen nicht?
Das übergeordnete Ziel des Klimaschutzes spielt natürlich eine Rolle. Bei den erneuerbaren Energien habe ich mit Robert Habeck aber auch einen Kompromiss gefunden, der dem Artenschutz hilft – und den Bau trotzdem beschleunigt. Wir haben etwa Artenhilfsprogramme eingeführt. Aber ich will nicht verschweigen, dass das ein schwieriger Prozess war. Den kann man nicht auf alle anderen Bauprojekte übertragen.
Bei den Flüssiggasterminals ging es aber ebenfalls mit der Beschleunigung. Und die bringen dem Klima auch nichts.
Das haben wir ermöglicht, um eine Notsituation abzuwenden: die Energiekrise. Die Sicherheit der Versorgung hatte in dieser Ausnahmesituation Vorrang vor anderen Belangen.
Trotzdem gibt es Widerstand. Gegen ein Flüssiggasterminal vor Rügen gab es kürzlich eine große Demonstration. Können Sie den Ärger nachvollziehen?
Ich verstehe gut, dass die Menschen sich für ihre Heimat engagieren. Das Wirtschaftsministerium muss noch mal sehr genau prüfen und erläutern, welche Flüssiggasterminals wirklich gebraucht werden.
Zurück zu den Straßen. Wer mit Menschen in ländlichen Regionen spricht, der stellt fest: Sie sind oft auf ihr Auto angewiesen.
Das ist in der Tat oft so. Deshalb brauchen wir einen differenzierten und ideologiefreien Blick auf unsere Infrastruktur für die verschiedenen Lebenssituationen. Und keine Konzentration aufs Auto.
Wenn es keine Alternative zum Auto gibt, ist es aber doch keine Ideologie. Für manche Menschen ist das Auto auch ein Freiheitsversprechen. "Freie Fahrt für freie Bürger": Können Sie dem anders als die FDP so gar nichts abgewinnen?
Jeder Mensch kann ja sein Verhältnis zum Auto für sich selbst klären.
Wir fragen Sie persönlich.
Mein Freiheitsbegriff speist sich aus der friedlichen Revolution in der DDR. Und das wird mich wohl bis ans Ende meines Lebens prägen. Ich bin 1989 für Freiheit, Demokratie und freie Wahlen auf die Straße gegangen.
Sie stammen aus Sachsen-Anhalt. Dort ist die Landtagswahl 2021 für die Grünen auch so schlecht gelaufen, weil Annalena Baerbock vorher eine Benzinpreis-Debatte ausgelöst hatte. Halten Sie es nicht für ein Problem, dass die Grünen oft als Anti-Auto-Partei dastehen?
Ich kann nur für einen vernünftigen Blick auf alle Verkehrsträger werben.
Das Verkehrsministerium hat eine Prognose errechnen lassen, nach welcher der Güterverkehr enorm zunehmen wird. Es ergibt sich also schon faktisch die Notwendigkeit, die Straßeninfrastruktur zu verbessern.
Es muss da reagiert werden, wo konkret Bedarf ist. Ich bin skeptisch, ob alle prognostizierten Bedarfe so eintreten werden. Beim Ausbau der Elbe hat man auch über viele Jahre mit einem Bedarf argumentiert, der nie auch nur ansatzweise eingetreten ist.
Jetzt reden wir aber von einem Anstieg des Güterverkehrs bis 2050 um die Hälfte.
Wenn auf dem vorhandenen Straßennetz mehr Lkw-Verkehr stattfinden soll, längere, schwerere Lkw, dann muss dafür ja in allererster Linie das vorhandene Straßennetz ertüchtigt werden. Das betrifft vor allem Hunderte Brücken, die dringend saniert werden müssen. Darauf müssen wir uns konzentrieren, um zumindest das, was jetzt schon rollt, am Rollen zu halten.
Und was ist mit dem Güterverkehr, der dazukommt?
Auch für den brauchen wir doch in allererster Linie das vorhandene Straßennetz, das aber auch funktionieren muss, und intakte Brücken.
Wenn Sie die Wünsche der Wirtschaft nach neuen Straßen infrage stellen: Müssen sich die Grünen dann nicht gefallen lassen, dass Ihnen Wirtschaftsfeindlichkeit vorgeworfen wird?
Das hieße ja, dass ich im Gegenzug den Vorwurf machen müsste, dass alle, die Straßen bauen wollen, gegen die Natur und gegen den Umweltschutz sind. Und das würde ich nicht tun, weil ich beide Vorwürfe weder für zielführend halte, noch gerechtfertigt finde.
Um den Autobahnstreit zu lösen, hatte die FDP den Grünen beim vergangenen Koalitionsausschuss eine Liste mit 144 Straßenbauprojekten angeboten, die beschleunigt werden sollten. Darunter waren gar keine klassischen Neubauten, sondern es ging um Ausbau und Erweiterung. Warum sind Sie trotzdem dagegen?
Wir reden ja nicht über ein paar Meter neue Autobahn, wenn Lücken geschlossen oder die Anzahl der Spuren erhöht wird. Es werden große Flächen benötigt, die teilweise wertvolle Natur bis hin zu Mooren und Wäldern zerstören. Wir müssen auch künftig vernünftig prüfen, wie das mit dem Natur- und Umweltschutz vereinbar ist. Dafür die Standards abzusenken, halte ich für falsch.
Auch wenn man sich darauf einigen würde, weniger als die 144 Straßenprojekte beschleunigt zu bauen, wie es die SPD jetzt vorgeschlagen hat?
Es bleibt der falsche Weg. Diese Projekte liegen teilweise auch in sehr eng bebauten Gebieten. Die Standards auch für den Lärmschutz gibt es dort aus sehr guten Gründen. Wie gesagt, sie schützen Menschen. Beschleunigen sollten wir mit mehr Personal und einem effizienteren Projektmanagement.
Die Bürger haben durch Krieg und Corona erlebt, dass besondere Herausforderungen besondere Mittel erfordern. Warum erlaubt die Regierung manche Abweichungen von der Regel und manche nicht?
Ich nehme wahr, dass die Menschen möchten, dass zwischen dem Bedürfnis nach Mobilität und der Notwendigkeit von Klima- und Naturschutz abgewogen wird. Und genau dafür brauchen wir Standards. Wenn man sagen will, der Straßenausbau hat "überragendes öffentliches Interesse" und ist wichtiger als Natur- und Klimaschutz, dann merke ich, dass die Menschen das nicht verstehen können.
Wenn die Menschen direkt betroffen sind, wollen sie aber auch keine klimafreundlichen Bahnstrecken vor der Haustür.
Das kann ich nachvollziehen, Deutschland ist nun mal ein dicht besiedeltes Land. Auch wenn wir Infrastrukturprojekte beschleunigt planen, sollten wir immer die Risiken und Nutzen abwägen und dafür sorgen, dass verlorene Natur an anderer Stelle ausgeglichen wird.
Welcher Weg führt jetzt aus dem Autobahn-Dilemma?
Wir müssen jetzt das Wichtigste tun: Brücken reparieren, Schienenwege ausbauen, Straßen dort sanieren und reparieren, wo sie kaputt sind. Und wo es absolut notwendig ist, müssen wir gegebenenfalls auch neue Straßen bauen. Zu all dem haben Volker Wissing und ich Vorschläge gemacht, in vielem sind wir einig. Das sollten wir nicht länger in Geiselhaft nehmen für einen Streit, den wir im Moment nicht lösen können.
Mit dem Verkehrsminister sind Sie sich also schon einig und könnten eine Lösung präsentieren?
Ich denke schon, dass Volker Wissing weiß, wie dringlich die Brückensanierung, im übrigen auch bei Straßen, ist.
Woran hakt es dann?
Ich weiß nicht, warum der Koalitionsausschuss keine Lösung finden konnte. In der Runde bin ich nicht dabei. Das Verkehrsministerium hat Vorschläge gemacht, zusammen mit meinem Umweltministerium haben wir daraus sinnvolle Lösungen erarbeitet. Die sollten wir jetzt einfach auf den Weg bringen.
Könnte in dem Streit ein Deal helfen? Wenn Volker Wissing bei den CO2-Einsparzielen im Verkehrssektor ausreichend liefert, denken die Grünen noch mal über die Planungsbeschleunigung bei den Autobahnen nach?
Ein Gesetz mit einem anderen zu verknüpfen, ergibt in der Regel keine sinnvollen Lösungen. Da entstehen ganz komische Kompromisse, die man niemandem mehr erklären kann.
Wie sehr spielt in diesem Streit eine Rolle, dass die Grünen mal wieder einen symbolischen Erfolg für den Klimaschutz brauchen?
Mit dieser Kategorie kann ich wenig anfangen. Die Grünen brauchen keine symbolischen Erfolge, sondern wir alle brauchen dringend gute Antworten auf die Klimakrise.
Das eine schließt das andere ja nicht aus. So wie das Beispiel Tempolimit beweisen könnte?
Wir Grüne halten das Tempolimit für richtig, wegen des Klimas und der Verkehrssicherheit. Doch es steht nicht im Koalitionsvertrag. Das respektiere ich. Gegenwärtig ist dieser Knoten nicht durchzuschlagen. Wir haben im Koalitionsvertrag aber auch keinen beschleunigten Neubau von Autobahnen beschlossen. Das muss auch respektiert werden.
Manche Grüne kritisieren, dass sich Olaf Scholz im Autobahnstreit nicht klar genug positioniert. Wünschen Sie sich auch mehr Klarheit vom Kanzler? Oder fürchten Sie das eher, weil die SPD Autobahnen auch gut findet?
Ich hatte mit Volker Wissing und Olaf Scholz mehrere Gespräche zu dem Thema. Die waren sehr konzentriert und zielorientiert. Das hat aber das Problem nicht aufgelöst, da es Punkte gibt, an denen wir uns noch nicht einig sind.
Und wann soll es eine Lösung geben?
Aus meiner Sicht gerne sofort.
Könnte die Koalitionsklausur in Meseberg ab Sonntag Bewegung bringen?
Dort werden wir über die langfristigen Ziele der Koalition sprechen. Aber die Gespräche laufen natürlich auf verschiedenen Ebenen weiter.
Und wann wird endlich entschieden?
Ich bleibe dabei, dass wir schnellere Brückensanierungen schnell auf den Weg bringen sollten.
Frau Lemke, vielen Dank für das Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Steffi Lemke im Bundesumweltministerium