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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Katrin Göring-Eckardt "Dieser Fehler darf sich jetzt nicht wiederholen"
Braucht es eine Impfpflicht? Ja, hat Katrin Göring-Eckardt schon im November gesagt. Warum Omikron daran nichts ändert und wie eine Pflicht aussehen könnte, erklärt die Grünen-Politikerin im Gespräch.
t-online: Frau Göring-Eckardt, brauchen wir eine allgemeine Impfpflicht?
Katrin Göring-Eckardt: Ja. Wir müssen die Impfpflicht jetzt einführen, damit sie im Herbst wirken kann und wir aus der Corona-Dauerschleife herauskommen. Wir haben vieles probiert, um die Impfquote zu heben. Aber es hat alles nicht gereicht, um so viele Menschen zu impfen, wie es Corona nötig macht.
Warum hat es nicht gereicht?
Weil es zunächst nicht genügend Impfstoff gab und die Terminvergabe anfangs zu schleppend verlief. Erst die neue Bundesregierung hat jetzt eine längst überfällige neue Impfkampagne gestartet. Es gab manches, was in den ersten beiden Jahren der Pandemie einfach nicht gut genug gemacht wurde.
Was zum Beispiel?
Ich hatte etwa nicht den Eindruck, dass die ersten Aufklärungskampagnen des Gesundheitsministeriums ausreichend Menschen erreicht haben, die nicht so gut Deutsch sprechen. Da ist unter der Verantwortung von Jens Spahn viel zu wenig passiert. Und wir sind manchmal leider zu bürokratisch.
Das heißt: Wir brauchen jetzt eine Impfpflicht, weil Politiker vorher Fehler gemacht haben?
Diese Zuspitzung teile ich nicht. Es haben nicht immer alle alles richtig gemacht, das ist so. Das ist in einer nie dagewesenen Krise aber auch nicht überraschend. Man muss ehrlich sagen: Manches wussten wir alle gemeinsam einfach nicht besser. Der Fehler im Krisenmanagement der alten Bundesregierung war, dass oft zu spät gehandelt wurde und viel zu wenig vorausschauend. Dieser Fehler darf sich jetzt nicht wiederholen. Die Impfpflicht hilft uns nicht gegen die akute Omikron-Wand, aber sie hilft uns, um für die Zukunft vorzusorgen.
Katrin Göring-Eckardt, 55 Jahre, sitzt seit 1998 im Deutschen Bundestag. Sie war viele Jahre Fraktionschefin der Grünen, zuletzt gemeinsam mit Anton Hofreiter. Im neuen Bundestag ist sie zur Vizepräsidentin gewählt worden.
Bitte in einem Satz: Das wichtigste Ziel der Impfpflicht ist ...
... dieses ewige Auf und Ab der Corona-Wellen zu beenden, das alle mürbe macht.
Wenn man Gesundheitsminister Karl Lauterbach oder NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst zuhört, hat man eher den Eindruck, es gehe um ein Signal an die Geimpften: "Jetzt knöpfen wir uns mal die Verweigerer vor." Ist das ein gutes Argument?
Mir geht es um den Schutz der Bevölkerung und unseres Gesundheitssystems. Da geht es nicht nur um den Schutz vor einer Erkrankung, sondern auch vor einer Belastung für andere. Impfen ist auch ein Akt der Solidarität. Mein Eindruck ist: Die seelische Lage der Nation wird doch immer bedrückender.
Woran machen Sie das fest?
Ich habe in der vergangenen Woche Corona-Intensivstationen besucht. Die Lage in den Kliniken ist hochangespannt. Für die Beschäftigten, für die Angehörigen von Covid-19-Patienten, aber auch für andere Kranke, deren Operationen zum Teil mehrfach verschoben werden müssen. Oder nehmen wir die Familien, von denen viele eigentlich nicht mehr können und trotzdem weitermachen. Die einen sagen, wir müssten die Schulen unbedingt offen halten. Die anderen haben ein Kind mit Vorerkrankung und setzen sich für genau das Gegenteil ein. Ich möchte diesen Kreislauf des Schlechten durchbrechen.
Alle Bürger werden Sie nie überzeugen können. Auf welche Impfquote zielen Sie denn mit der Impfpflicht?
Wir müssen eine Impfquote von weit über 90 Prozent erreichen. Natürlich nur von den Menschen, die sich impfen lassen können. Das ist inzwischen die wissenschaftliche Mehrheitsmeinung – und ein guter Grund für die Impfpflicht. Anfangs dachten die Expertinnen und Experten ja, eine Herdenimmunität lasse sich mit rund 70 Prozent erreichen. Das ist mit den Mutationen leider utopisch geworden.
Und Sie halten eine Impfquote von deutlich mehr als 90 Prozent bis zum Sommer für realistisch?
Die Impfpflicht kann nicht sofort eingeführt werden. Jetzt geht es darum, die Voraussetzungen zu schaffen: Ausreichend Impfstoff, viel mehr und flächendeckend organisierte Beratungen und Impfangebote an jeder Ecke. Das muss jetzt kommen, damit die Impfpflicht im Herbst greifen kann.
Derzeit sind noch mehr als 15 Millionen Bürger ungeimpft, für die es zugelassene Produkte gibt.
Deshalb brauchen wir niedrigschwelligere Angebote: Neben den Haus- und Fachärzten unbedingt auch die Impfzentren, ob in einer Stadthalle oder beim Supermarkt. Alle Bürgerinnen und Bürger sollten einen persönlichen Brief mit ihren nächstgelegenen Impfmöglichkeiten erhalten.
Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass die Omikron-Variante vor allem mildere Verläufe auslöst. Ändert das etwas an Ihrer Haltung zur Impfpflicht?
Omikron ist milder, aber eben nicht mild. Da müssen wir aufpassen, dass die Menschen sich nicht in falscher Sicherheit wiegen. Die Fachleute warnen ja gerade vor neuen Mutationen zum Herbst. Und über die Langzeitfolgen gerade bei Kindern wissen wir auch noch viel zu wenig. Wir dürfen die Welle also nicht einfach durchlaufen lassen ...
... was de facto an vielen Schulen im Moment passiert.
Es stecken sich gerade zu viele Kinder an, das stimmt. Doch ich finde nicht, dass man sagen kann, wir ließen das Virus an den Schulen einfach durchlaufen. Im Gegensatz zu anderen Ländern gilt bei uns noch eine Maskenpflicht, Quarantäneregeln und weitere Schutzmaßnahmen. Die Schulen tragen eine ungeheure Last in dieser Pandemie und die Kinder haben schon auf so viel verzichtet. Auch deshalb bin ich jetzt für eine Impfpflicht.
Für wen sollte sie gelten?
Ich bin für eine Impfpflicht für alle ab 18 Jahren.
Warum nicht ab 50 Jahren, wie es ein Antrag des FDP-Gesundheitspolitikers Andrew Ullmann vorsieht?
Auf den Intensivstationen liegen auch jüngere Ungeimpfte. Der Eindruck, es würden nur noch Ältere schwer krank, stimmt so nicht mehr. Meine Überlegung ist aber vor allem: Wir wissen nicht, wie schwer eine mögliche nächste Mutation die Jüngeren trifft. Deshalb sind wir mit einer Impfpflicht ab 18 am besten für die Zukunft gerüstet. Das ist bei unseren guten Erfahrungen mit der Impfung sehr gut vertretbar, und auch einfach und verständlich zu kommunizieren.
In unserem Rechtsstaat gilt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, was bedeutet: Bei einem Eingriff in die Rechte des Einzelnen muss unter anderem das mildeste Mittel gewählt werden. Wäre das nicht trotzdem die Impfpflicht ab 50 Jahren?
Es ist immer die Frage, was das Ziel ist. Geht es Ihnen nur um den Schutz der vulnerablen Risikogruppen, wäre das so. Mir geht es aber gerade um Vorsorge für Weiterentwicklungen von Mutationen. Und da kann niemand mit Sicherheit sagen, nur Personen über 50 seien betroffen. Deshalb bin ich dafür, alle Erwachsenen gleich zu behandeln. Wir dürfen nicht vergessen: Jeder Covid-Intensivplatz weniger gibt anderen Patienten, die gerade auf ihre OP warten müssen, die Chance, früher dranzukommen. Auch das gilt es mitzubedenken.
Haben Sie keine Sorge, dass das Verfassungsgericht die Impfpflicht ab 18 später kippt?
Ich bin zuversichtlich, dass wir eine gute Begründung vorlegen können. Es wird Aufgabe der zuständigen Ministerien sein, den Antrag, für den sich die Mehrheit im Bundestag aussprechen wird, verfassungsfest auszugestalten.
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Braucht es denn noch einen Mechanismus, der die Impfpflicht scharf stellt? Oder wollen Sie das Vorhaben durchziehen, egal was noch passiert?
Es geht doch nicht ums Durchziehen. Es geht um einen adäquaten Umgang mit der Pandemie. Wir haben in den vergangenen zwei Jahren doch erlebt: Das Virus hat uns immer wieder überrascht und überholt. Es ist jetzt die Aufgabe, diese Corona-Dauerschleife so gut es geht für die nächste Zeit zu beenden.
Also: Wenn der Bundestag die Impfpflicht beschlossen hat, kommt sie definitiv?
Sollten wir ohne ein Gesetz bis zum Sommer auf eine Impfquote von 95 Prozent kommen, dann würde die Impfpflicht schlicht niemanden mehr betreffen. Das ist aus meiner Sicht aber ein sehr theoretischer Fall.
Muss die Impfpflicht zeitlich befristet werden?
Ich bin dafür, ja. Wir müssen jederzeit in der Lage sein, auf neue Erkenntnisse zu reagieren. Welcher Zeitraum angemessen ist, ob nun zwei oder drei Jahre zum Beispiel, müssen die Experten entscheiden.
Wie soll die Einhaltung eigentlich kontrolliert werden?
Ich stelle es mir so vor: Zunächst einmal werden alle Bürgerinnen und Bürger angeschrieben und müssen nachweisen, dass sie geimpft sind. Wer das nicht kann, bekommt bis zu einer Frist Zeit, seine drei Impfungen nachzuholen. Dann wird es natürlich auch Kontrollen geben, vorzugsweise überall dort, wo jetzt auch schon die 2G-Regeln überprüft werden. Und anlassbezogen, wo besonders viele Menschen zusammenkommen.
Das heißt, ab Sommer drohen immer und überall Kontrollen?
Es soll kontrolliert werden, wo jetzt auch kontrolliert wird. In der Regel sollten das Ordnungsbehörden machen. Darüber hinaus kann es sicher auch Kontrollen vom Arbeitgeber geben, zum Beispiel bei Neueinstellungen. Ich bin überzeugt, dass sich die allermeisten Menschen an die Vorgaben halten werden. Wir kontrollieren doch auch nicht ständig, ob alle bei Rot an der Ampel stehenbleiben. Aber die große Mehrheit tut es.
Eine kleine Mehrheit wiederum verweigert sich vielen Corona-Regeln notorisch. Was macht man mit diesen Bürgern?
Die bekommen ein Bußgeld. Das sollte so hoch sein, dass es schmerzhaft ist.
... was heißt "schmerzhaft" in Euro?
Viel spricht für ein Bußgeld im mittleren dreistelligen Bereich. Das wäre auch in einem angemessenen Verhältnis zu anderen Bußgeldern.
Es gibt allerdings sehr hartnäckige Verweigerer.
Man sollte sich nicht leicht freikaufen können, sondern müsste diesen Betrag im Zweifel immer wieder zahlen, wenn Fristen nicht eingehalten werden. Eine Erzwingungshaft wird es nicht brauchen, es gibt andere Möglichkeiten, ein Bußgeld einzutreiben.
Über die Pfändung des Gehalts beim Arbeitgeber?
Auch darüber können wir diskutieren.
Warum führen wir kein Impfregister ein, so wie es andere Länder machen?
Das Impfregister ist eine gute Idee, für den Moment halte ich sie nicht für praktikabel. Aber: Weil wir davon ausgehen müssen, dass es künftig wieder Pandemien geben kann, sollten wir möglichst bald anfangen, eins aufzubauen. Wenn wir den Datenschutz dabei von Anfang an mitdenken, bekommen wir das gut hin.
Als Sie Mitte November als eine der Ersten eine Impfpflicht in die Debatte einbrachten, klangen Sie zuversichtlich, dass die Ampelkoalition sich einig wird. Warum hat das nicht funktioniert?
In der SPD und bei den Grünen gibt es große Mehrheiten für eine Impfpflicht. Ich bin damals davon ausgegangen, dass das auch für die Koalition insgesamt gilt. Und ich hoffe weiterhin, dass es auch so kommen wird. Parteipolitik ist für mich aber nicht entscheidend. Wichtig ist mir, dass wir zu einer sinnvollen Vorsorge kommen und durch die Gewissensentscheidung im Bundestag der breiten gesellschaftlichen Debatte gerecht werden – und dann klug entscheiden.
Es ist also kein Problem, wenn die Ampel keine Mehrheit hat?
Nein. Bei einem Klimagesetz oder dem Haushalt wäre es ein Problem, bei einer solchen Gewissensentscheidung nicht.
Das heißt: Der Bundestagsabgeordnete Olaf Scholz, der sich für eine Impfpflicht ab 18 ausgesprochen hat, wäre in seinem weiteren Job als Bundeskanzler nicht beschädigt, wenn der Bundestag diese nicht beschließen würde?
Nein. Dann hätte Olaf Scholz eine Abstimmung verloren – und ich mit ihm. Es kommt in der Politik immer wieder vor, dass man seine Position nicht durchsetzt.
- Gespräch mit Katrin Göring-Eckardt per Videokonferenz