Nachtsitzung vor dem Klimakabinett Es geht auch um Merkels Vermächtnis
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Das Erbe der Kanzlerin, die Zukunft der Regierung, die Rettung des Planeten: Es geht um viel, wenn die Koalition sich jetzt zu Beratungen trifft. Doch entscheidende Fragen sind noch offen.
In der Politik sind Symbole wichtig und wenig ist so symbolisch wie eine Nachtsitzung. Eine Nachtsitzung steht für harte Arbeit, zähe Verhandlungen, Selbstaufgabe der Regierenden. Eine solche Nachtsitzung kündigt die Regierungskoalition für diese Nacht von Donnerstag auf Freitag an, als Vorbereitung des Klimakabinetts, das am Freitag tagen wird. Danach soll es das große Klimapaket vorstellen.
Am Abend kommen nun bereits die Spitzen der Koalition im Koalitionsausschuss zusammen. Sie sollen zusammenschnüren, was bisher in Parteigremien beschlossen, vor allem aber in inoffiziellen Gesprächen verhandelt wurde. Man rechne mit einem sehr langen Treffen bis in den Morgen, heißt es aus dem Kabinett.
Klassisches Polittheater und doch viel mehr
Einerseits ist dieses Treffen also klassisches Polittheater, um am Ende sagen zu können, man habe sich wirklich aufgerieben. Die Klimakrise ist nicht neu, die Fridays-for-Future-Bewegung jung, aber doch auch schon ein Jahr alt, die Europawahl, die allen zeigte, dass Klimaschutz Wahlen beeinflussen kann, vier Monate her. Es hat also keinen zwingenden Grund gegeben, sich in letzter Minute in einer Nachtaktion zusammenzuraufen.
Andererseits hängt diesmal an diesem Treffen ausnahmsweise wirklich existenziell viel. Die Dramatik entspringt nicht allein der Inszenierung, sondern der Wirklichkeit. Das Vermächtnis Angela Merkels steht auf dem Spiel, die man einst "Klimakanzlerin" nannte. Die Zukunft der Koalition, weil die SPD den Fortbestand von einem wirklichkeitsadäquaten Klimaschutzpaket abhängig macht. Vor allem aber die Zukunft des lebenswerten Planeten, der zwar nicht von Deutschland allein bewahrt werden kann, der aber ganz sicher nicht bewahrt werden wird, wenn nicht einmal ein reiches, stabiles, technisch hochentwickeltes Land wie Deutschland im Einklang mit den Pariser Klimazielen handelt, während es von vernünftigen Menschen regiert wird, die das Problem anerkennen und ordentlich Druck von der Straße bekommen.
Viele offene Fragen
Der Ablauf dieses inszenierten und doch echten Finales ist so geplant: Die Spitzen der Koalition treffen am Donnerstag die grundlegenden Entscheidungen. Ein Zwischenstand mit Maßnahmen vom Montagabend, der t-online.de vorliegt, listet bereits sehr viele Einzelmaßnahmen auf. In dieser Runde sollen die wichtigsten Fragen geklärt werden.
Danach trifft sich am Freitag das Klimakabinett, in dem vor allem diejenigen Minister sitzen, in deren Verantwortung die Sektoren fallen, die besonders viel CO2 freisetzen. Dort werden dann noch Ressortbefindlichkeiten verhandelt. Am Freitag soll dann das Ergebnis vorgestellt werden. Noch sind viele entscheidende Fragen offen.
1. Maßnahmenbündel oder Eckpunktepapier?
Zum Beispiel ist noch unklar, ob die Koalition überhaupt ein umfangreiches, detailliertes Maßnahmenpaket vorstellt. Danach sah es bis zuletzt aus. Angela Merkel hat vor Monaten gesagt: "Der 20. September wird ein entscheidender Tag sein."
Jetzt wird aber auch erwogen, nur ein Eckpunktepapier vorzustellen und die ausgearbeitete Version in den kommenden Wochen nachzuliefern. Das wäre, nach all den Wochen, nach den vielen Beschlüssen der Parteien, nach der Nachtsitzung und in Anbetracht der Tatsache, dass Merkel am Sonntag zum UN-Klimagipfel nach New York fliegen will, sehr wenig.
2. Klimaschutzgesetz oder nicht?
Offen ist auch die Frage, ob sich die Regierung für ein Klimaschutzgesetz entscheidet oder nicht. Die SPD verlangt das, im Entwurf vom Montag steht es als Vorschlag des von Olaf Scholz geführten Finanzministeriums – in eckigen Klammern: Man ist sich nicht einig.
Die Idee eines solches Gesetzes: Die Reduktion nach Sektoren soll einzelnen Ministerien zugerechnet werden. Wenn etwa der Verkehr weiterhin mehr Treibhausgase ausstößt als erlaubt, und wenn Deutschland deshalb Milliarden Euro Strafe an die EU zahlen muss, soll dafür das Verkehrsministerium aufkommen müssen, nicht die Regierung als Ganzes. Die Union lehnt das bisher ab.
Kommt es nicht, wäre das ein Argument für die SPD, im Winter aus der Koalition auszusteigen, wenn sie das denn will.
3. Welche Bepreisung?
Bis zum Donnerstag ist auch noch unklar, welche Form der CO2-Bepreisung die Regierung möchte. Die Koalitionspartner sind sich darin einig, dass CO2 im Verkehr und im Gebäudebereich einen Preis bekommen soll. Aber bis zum Schluss ist unklar, ob es eine CO2-Steuer geben soll oder einen nationalen Zertifikatehandel, wie ihn CDU und CSU offen befürworten.
Er ist damit die wahrscheinlichere Lösung. In der Diskussion sind Mindestpreise und Höchstpreise: Mindestpreise, um zu garantieren, dass der Preis hoch genug ist, um Verhaltensänderung lohnend zu machen. Höchstpreise, um zu verhindern, dass Unternehmen pleitegehen oder der Protest zu groß wird. Damit würde allerdings auch der große Vorteil des Zertifikatehandels untergraben: dass man die Menge an erlaubten Treibhausgasen genau vorgeben kann.
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Diskutiert wird auch, Mindestpreis und Höchstpreis zu Beginn auf dieselbe Höhe zu setzen. Damit ergäbe sich ein Festpreis, ähnlich einer Steuer; wer sich Zertifikate kaufen muss, Ölraffinerien etwa, müsste nicht bieten, sondern nur kaufen. Das könnte die Einführung eventuell beschleunigen.
Das ist nämlich das große Problem des Zertifikatehandels: Es würde dauern, ihn einzuführen. Aus der Regierung heißt es, man könnte das wohl bis 2020 geschafft haben. Der Öko-Think-Tank Agora Energiewende hält das für ausgeschlossen.
4. Wie wird das Geld wieder ausgezahlt?
Alle Partner sind sich einig, dass Einnahmen durch einen CO2-Preis zumindest teilweise an die Menschen zurückfließen sollen. Unklar ist aber noch, wie viel davon auf welche Art an wen gehen soll.
Wahrscheinlich wird es keine pauschale Ausschüttung in gleicher Höhe an alle Menschen geben. Sondern es soll womöglich denen etwas gegeben werden, die mehr CO ausstoßen und für die es teurer würde: Pendler zum Beispiel oder Besitzer von älteren, großen Häusern auf dem Land. Eine höhere Pendlerpauschale oder Förderung für den Einbau neuer Heizungen sind in der Diskussion. Ein Teil des Geldes könnte auch für Investitionen genutzt werden.
5. Reichen die Einsparungen?
Unklar ist auch, ob die Regierung die nötigen CO2-Einsparungen zusammenbekommt. Die von Gutachtern kalkulierten und bereits angegebenen Maßnahmen im Entwurf vom Montag reichen dafür bei Weitem nicht. Das Problem: Die wichtigste Maßnahme ist der CO2-Preis, und der steht noch nicht fest. Seine Folgen sind auch schwer zu kalkulieren.
Vor allem im Verkehrssektor ist die Lücke noch groß. Dort setzt die Regierung auch stark darauf, Menschen durch Anreize auf den Umstieg etwa auf Elektroautos zu bewegen. Doch ob solche Förderungen wirklich stark wirken, bezweifeln Experten. Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und zuletzt begehrter Gesprächspartner in den Parteien, bezweifelt im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters, dass milliardenschwere Förderprogramme den Treibhausgasausstoß wirklich senken.
Am Ende kommt es aber genau darauf an: dass die Treibhausgasemissionen wirklich zurückgehen.
6. Ist das alles finanziert?
Die Regierung plant sehr teure Förderprogramme. Zuletzt war von 40 Milliarden Euro für vier Jahre die Rede, es ist aber denkbar, dass es teurer wird. Dafür ist aktuell im Haushalt nicht genügend Geld vorgesehen, und die Regierung hält weiter daran fest, keine neuen Schulden machen zu wollen. Unklar ist also, wie die Programme finanziert werden sollen.
7. Bleiben Subventionen für schädliche Treibstoffe?
Die Maxime der neuen Bepreisung lautet: Was dem Klima schadet, soll teurer werden, was dem Klima nicht schadet, soll günstiger werden. Allerdings fallen derzeit etwa auf Diesel viel weniger Steuern an als auf Benzin. Dieses Diesel-Privileg ist jahrzehntealt. Kerosin, mit dem Flugzeuge fliegen, ist von Energiesteuern befreit.
Das sind nur zwei von vielen Subventionen für klimaschädliches Verhalten, die das Umweltbundesamt auflistet. Insgesamt geht es um viele Milliarden Euro im Jahr. Ob sich daran etwas ändert, ist auch noch unklar.
8. Perspektive nur bis 2030?
Unklar ist schließlich die Perspektive des Programms. Der Entwurf trägt den Titel "Klimaschutzprogramm 2030 zur Umsetzung des Klimaschutzplans 2050". Das ist wohl die Zielrichtung: die Erreichung der Klimaziele für 2030, also eine Minderung des Treibhausgasausstoßes verglichen mit 1990 um 55 Prozent, was ziemlich sicher nicht ausreichen wird, um das Paris-Ziel von 1,5 Grad einhalten zu können.
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Dabei verweist die Regierung auch auf die langfristigen Ziele, nämlich Treibhausgasneutralität 2050. Dann dürfen alle Menschen weltweit nicht mehr Treibhausgase emittieren, als von Bäumen, Ozeanen oder Mooren wieder gebunden wird. Diese Ziele erwähnt die Regierung.
Doch klar ist, dass der Schritt hin zu einer Halbierung der Emissionen nicht so groß ist wie der zu einer treibhausgasneutralen Gesellschaft danach. Verschiebt die Regierung also die Verantwortung dafür ins Jahr 2030, oder kalkuliert sie zumindest mit ein, wie ihre Maßnahmen auch über 2030 hinaus wirken werden und können? In New York, auf dem UN-Klimagipfel am Montag, wird es jedenfalls darum gehen, konkrete Maßnahmen zu präsentieren – für Reduktionen bis 2030 und zur Erreichung von Treibhausgasneutralität 2050. Kann die Kanzlerin dann etwas vorweisen?
- Eigene Recherchen
- Agora: Ein Emissionshandelssystem für die nicht vom EU ETS erfassten Bereiche
- Reuters: Klimaforscher zweifelt an Sinn teurer Klimaschutz-Förderprogramme
- Umweltbundesamt: Umweltschädliche Subventionen