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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kampf gegen die Klimakrise Die heißen Tage vor den heißen Jahren
In drei Wochen muss sich die Regierung auf effektiven Klimaschutz geeinigt haben. Doch alle drei Koalitionspartner drücken sich vor der entscheidenden Erkenntnis.
Wenn man einen Topf mit Wasser auf den Herd stellt, den Herd ganz aufdreht und einen Deckel auf den Topf legt, dann erhitzt sich erst das Wasser, dann die Luft und dabei steigt der Druck. Ähnlich sieht es aktuell auf der Welt aus: Die Energie der Sonne, die von mehr und mehr Treibhausgasen in der Atmosphäre gehalten wird, erhitzt Wasser und Luft. Und der politische Druck steigt.
Angetrieben von Straßenprotesten der "Fridays for Future"-Bewegung, als Folge von immer neuen Studien, die noch schlimmere Folgen in Aussicht stellen, als Reaktion auch auf spürbar heißer werdende Sommer, Dürren, Brände und Tropenstürme steht Klimaschutz im Mittelpunkt des Interesses. Wichtige Entscheidungen stehen an.
In etwa drei Wochen wird die deutsche Bevölkerung wissen, ob ihre Regierung in der Lage ist, die Wirklichkeit als wirklich anzuerkennen und ob sie es schafft, eine dieser Wirklichkeit angemessene Politik zu formulieren. Bis Ende des Monats soll ein Klimaschutzprogramm stehen. Gelingt das nicht, bleibt kaum noch Zeit, die Erderhitzung zu begrenzen. Gelingt es nicht, wird es außerdem Ende des Jahres gar keine Regierung geben. Womit der Klimaschutz in Deutschland erneut um Monate zurückgeworfen würde.
Man kann also sagen, dass diese Wochen vom 3. bis zum 23. September 2019 wegweisende Wochen sein werden. Die heißen Tage vor den heißen Jahren, so oder so.
Wolfgang Schäuble gegen die Orthodoxie
Wolfgang Schäuble steht mit 76 Jahren nicht unbedingt für die Zukunft, aber wenn es einen Geist der Bundesrepublik gäbe, er spräche durch Schäuble. Insofern passt es, dass dieser Mann auf Einladung der Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer den Impulsvortrag hielt, mit dem er in der CDU-Zentrale in Berlin die Teilnehmer in das CDU-Werkstattgespräch zum Klimaschutz entließ.
Man dürfe die Kosten, die umweltschädigendes Verhalten habe, nicht auslagern, sagte er denen, die keinen flächendeckenden CO2-Preis wollen. "Wir werden nicht umhin kommen, den Wahnsinn zu verbieten", sagte er denen, die Verbote verbieten wollen. "Am Ende ist die Gefahr groß, dass wir auf der Suche nach einer perfekten Lösung nichts hinkriegen", sagte er denen, die sich Zeit lassen wollen. "Es wird auch nicht zum Nulltarif zu haben sein", sagte er allen, die Belastungen für alle ausschließen wollen. Schließlich: Klimaschutz zu unterlassen, wird teurer als Klimaschutz.
Zeitgleich am Dienstag traf sich einige Kilometer weiter in Berlin an der Spree die Landesgruppe der CSU, um sich nach der Sommerpause zu sammeln und ein eigenes Klimapapier zu beraten – das nicht in allem zu den Leitgedanken passt, die Schäuble vorgab.
CSU will Zertifikatehandel mit festgelegtem Höchstpreis
Die CSU im Bundestag um Alexander Dobrindt spricht sich gegen eine CO2-Steuer aus und für eine Ausweitung des Zertifikatehandels in Deutschland auf Gebäude und Verkehr – allerdings mit einem festgelegten Höchstpreis. Die Pendlerpauschale soll im Gegenzug erhöht werden. Andere Vorschläge: Die Mehrwertsteuer auf Bahntickets soll von 19 auf 7 Prozent sinken – eine Fahrt von Dresden nach Köln würde dann 137 statt 152 Euro kosten. Billigflüge unter 50 Euro sollen besteuert werden. Der Staat soll Sparern, die eine Klimaanleihe kaufen, zwei Prozent Zinsen garantieren.
Mit den beiden Veranstaltungen werden die Arbeiten der Union an einer Klimaschutzstrategie langsam ausgerichtet. Eine Arbeitsgruppe unter Leitung der beiden stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion Andreas Jung (CDU) und Georg Nüßlein (CSU) gibt es schon. Zugleich zeigen die parallelen Veranstaltungen, dass noch viel zu tun bleibt. CSU-Chef Markus Söder veröffentlicht laufend neue Vorschläge. Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt wagte sich schon vor.
Möglich, dass es um Inszenierung einzelner Politiker geht, möglich auch, dass es darum geht, der SPD Handlungsspielraum zu nehmen, indem man ihr einen bereits lang ausverhandelten Kompromiss vorsetzt – so lief es einst bei der Flüchtlingspolitik.
Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht die Frage, ob CO2-Ausstoß über eine Steuer auf fossile Energieträger oder durch einen Emissionshandel verteuert werden soll. Verfechter eines Emissionshandels argumentieren, er regle die Preiserhöhungen effizienter als eine Steuer und nur er gebe wirklich eine Höchstmenge an CO2 vor, das noch ausgestoßen werden darf. Verfechter einer Steuer bestreiten in der Regel beides nicht, argumentieren aber, dass die Umsetzung lange dauern würde. Das war auch das Ergebnis von drei Gutachten, die das Bundesumweltministerium in Auftrag gegeben hat, ebenso wie der Bericht der so genannten Wirtschaftsweisen an die Kanzlerin.
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Die zweite zentrale Frage lautet, ob es neben solchen Preissystemen auch Verbote geben soll. Ob etwa ein Enddatum für Ölheizungen oder die Zulassung von Autos mit Verbrennungsmotoren festgesetzt werden soll oder nicht.
Vorschläge des Werkstattgesprächs
Die Teilnehmer der CDU-Werkstatt legten sich nicht auf ein Modell zur CO2-Bepreisung fest, auch wenn die Partei mehrheitlich ein Emissionshandelsystem bevorzugt. Viel war von Innovationen die Rede, von Einsparmöglichkeiten durch Digitalisierung, von Technologieoffenheit. Die Ergebnisse waren detailliert, aber nicht wirklich neu. Unbeantwortet blieben die bekannt heiklen Fragen: Wie sich die Landwirtschaft in den Zertifikatehandel eingliedern lässt. Ob der Konsum von Fleisch und Milchprodukten schlicht zu hoch sein könnte. Oder was passiert, wenn der CO2-Preis so hoch steigt, dass es für Unternehmen existenzgefährend wird.
Am Mittwoch und Donnerstag nimmt der Fraktionsvorstand von CDU und CSU die Ergebnisse von Werkstattgespräch und Landesgruppenklausur mit nach Potsdam zur gemeinsamen Fraktionsklausur. Am 6. und 7. September tritt in Bayern der CSU-Vorstand zur Klausur zusammen. Am 13. September treffen sich CDU, CSU und SPD zu einem Arbeitstreffen – es ist die letzte geplante große gemeinsame Abstimmungssitzung vor dem Klimakabinett. Am 16. September tagen dann CDU-Präsidium und Parteivorstand. Erst dann will die CDU ihre Vorschläge, die bis dahin von unterschiedlichen Akteuren vorgelegt wurden, zusammengeführt und ein gemeinsames Klimapaket entworfen haben – wobei am folgenden Vormittag noch die CSU-Landtagsfraktion zur Klausur zusammenkommt, die möglicherweise noch Änderungswünsche verlautbaren könnte.
Die SPD hat ihre Grundideen bereits im Juni in einem Klimapapier vorgelegt. Es wurde nach dem Rücktritt der Parteivorsitzenden Andrea Nahles, die es federführend erarbeiten sollte, etwas hektisch entworfen, in den Tagen vor der Veröffentlichung grundlegend umgearbeitet und bleibt in zentralen Fragen sehr vage. Ob sie eine CO2-Steuer möchte, wie es die SPD-Umweltministerin Svenja Schulze will, oder doch mit einem Zertifikatehandel leben könnte, geht daraus nicht hervor. Zunächst hieß es aus der Partei, es handle sich um einen ersten, nicht den finalen Aufschlag. Jetzt soll es doch die zentrale Grundlage sein. In jedem Fall besteht die SPD darauf, dass es bis Ende des Jahres ein eigenes Klimaschutzgesetz gibt.
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Der große Tag: Der 20. September
Viel Zeit wird dann nicht mehr sein, zwischen dem 16. September, an dem die CDU weiß, was sie fordern will, und dem entscheidenden 20. September, wenn eine Einigung im Klimakabinett ansteht: Die Bundesregierung will sich einigen, alles zusammenbringen und bündeln. So hat es Angela Merkel vor ihrem Sommerurlaub versprochen: "Der 20. September wird ein entscheidender Tag sein", sagte sie damals.
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Weil dieser entscheidende Tag ein Freitag ist, werden zugleich voraussichtlich weltweit Abertausende Jugendlich auf die Straße gehen und entschlossenen Klimaschutz fordern. Die "Fridays for Future"-Bewegung bereitet seit Monaten einen globalen Aktionstag vor.
Sollte die Regierung an diesem Tag trotz des Versprechens der Kanzlerin und des Drucks von der Straße ohne eine Einigung auseinandergehen, kommt Merkel international in Schwierigkeiten. Zwei Tage später bricht die Kanzlerin nämlich nach New York auf, wo UN-Generalsekretär Antonio Guterres zu einem Klima-Sondergipfel geladen hat. Dort ist sie dann entweder sprechfähig oder nicht.
Ist sie es nicht, stünde Mitte Oktober die Koalition vor dem Aus. Eine vereinbarte gemeinsame Überprüfung würde wohl ergeben, dass es keine Grundlage für die Regierung mehr gibt. Olaf Scholz, noch Vizekanzler, Finanzminister, Klimakabinettsmitglied und Kandidat für den SPD-Vorsitz, formulierte es im Interview mit dem "Spiegel" so: "Wir brauchen einen großen Wurf in der Klimapolitik, wenn wir als Regierung weiter eine Berechtigung haben wollen, das Land zu führen."
Der Elefant im Raum
Selbst wenn sich die drei Parteien einigen, bleibt noch die Frage, ob sich die Antwort der Regierung an der Erreichung der Klimaziele orientieren, oder am Klimaziel von Paris – beide stehen nämlich im Konflikt zueinander. In Paris einigten sich die Staaten darauf, die globale Erwärmung auf 2 Grad, besser 1,5 Grad zu begrenzen. Später legten sie "NDC" fest, nationale Beiträge, oft Nationale Klimaziele genannt, die aber nicht ausreichen, um das Paris-Ziel zu erreichen. Würden sich alle Staaten an ihre Ziele halten, was fast kein Staat schafft, auch Deutschland nicht, würde sich die Erde immer noch um mehr als 3 Grad erwärmen. Wenn die Erwärmung nicht ohnehin schneller verläuft, als bisher vermutet wurde, worauf einiges hindeutet.
In den drei Regierungsparteien war eine Anpassung der Klimaziele an das Klimaziel bisher kein Thema. Dafür erscheint die Aufgabe schon jetzt als zu groß und fordernd. Olaf Scholz nennt die Klimaziele "ehrgeizig", obwohl sie in Bezug auf das Pariser Klimaziel immer noch unterambitioniert sind. Annegret Kramp-Karrenbauer nannte den 20. September ein Zwischenziel auf dem Weg zu einem CO2-neutralen Deutschland im Jahr 2050. Auch das dürfte neueren Erkenntnissen zufolge zu spät sein, um das Pariser Klimaziel noch einzuhalten.
- Eigene Recherchen