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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Angela Merkel Heiter im Angesicht der drohenden Katastrophe
Die Kanzlerin zeigt sich auf ihrer Sommerpressekonferenz viel gelöster als vor einem Jahr. Dabei legt das beherrschende Thema des Tages etwas anderes nahe.
Die Bundeskanzlerin ist die wichtigste Politikerin des Landes. Entsprechend sind öffentliche Auftritte der Kanzlerin üblicherweise konkurrenzlos wichtige Termine im politischen Berlin, wenn nicht gerade der US-Präsident zu Gast ist oder vielleicht der Papst. Aber dann ist die Kanzlerin meist sowieso auch selbst anwesend.
Das gilt jedenfalls in normalen Zeiten – aber die Zeiten sind nicht normal, weil sich die Erde nach und nach aufheizt und diese Klimakrise die Grundlagen der physischen Existenz der Menschheit ebenso in Frage stellt wie die Art und Weise, auf die Gesellschaften organisiert sind.
Und so hatte Angela Merkel am Freitagvormittag echte Konkurrenz, als sie im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin anderthalb Stunden lang die Fragen von Journalisten beantwortete. Denn zeitgleich sprach nur ein paar hundert Meter entfernt die 16-jährige Aktivistin Greta Thunberg auf der "Fridays for Future"-Demo; und so richtig ließ sich nicht sagen, welcher Termin eigentlich wichtiger und welche der beiden Frauen gerade eigentlich einflussreicher ist.
Die Klimakrise ist das beherrschende Thema der Konferenz
Im Saal der Bundespressekonferenz war trotzdem jeder Platz besetzt. Doch Greta Thunberg beeinflusste auch diesen Termin, bei dem es kein Thema gibt und Journalisten alles abfragen, von Merkels Haltung zu Religion im Kosovo bis zur Lage der SPD. Der Klimaschutz war neben der Iran-Krise und der kürzlich erfolgten Wahl Ursula von der Leyens zur EU-Kommissionspräsidentin das Thema, das am häufigsten zur Sprache kam. "Sie haben uns sicherlich zur Beschleunigung getrieben", antwortete Merkel auf die Frage, welchen Einfluss Greta Thunberg und die "Fridays for Future"-Demonstrationen auf die Klimapolitik haben. Merkel redet in ihrem Eröffnungsvortrag ausführlich über Klimapolitik, gleich die erste Frage und etliche weitere zielten auf die Klimakrise ab.
Darin unterschied sich die anderthalbstündige Pressekonferenz deutlich von der aus dem Vorjahr.
Die stand damals ganz unter dem Eindruck der Koalitionskrise, vor allem der Krise zwischen CDU und CSU. Im Streit über eine eher symbolisch als tatsächlich wirkungsvolle Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze zwischen Deutschland und Österreich hatte der damalige CSU-Chef Horst Seehofer zwischendurch mit Rücktritt gedroht und mit dem Bruch von Union und Regierungskoalition kokettiert.
Enorme Dringlichkeit vor einem Jahr
Damals wurde Merkel immer wieder betont grundsätzlich, fragte etwa, "ob wir wirklich aus der Geschichte gelernt haben". Immer wieder kam ein existentieller Ernst, eine enorme Dringlichkeit in Merkels Antworten durch, die auch danach über Monate bei jeder Gelegenheit als Hüterin der Weltordnung auftrat.
Merkel ist zwar immer ernsthaft. Aber diese Dringlichkeit fehlte diesmal, auch darin unterschied sich die Pressekonferenz von der aus dem Vorjahr. Merkel wirkte gelöst, sorgte für viele Lacher. Sie sagte trocken über den auffallend umtriebigen Gesundheitsminister Jens Spahn: "Er schafft eine Menge weg, wenn ich das mal so sagen darf." Sie philosophierte mehrere Minuten lang über Lebenstechniken, die man sich in der DDR angeeignet habe und in der Bundesrepublik nicht mehr brauche, wie: "Tomatenmark horten". Sie witzelte auf eine Frage nach ihrem Zittern, "als Mensch habe ich ja auch ein persönliches Interesse an meiner Gesundheit."
Vergleicht man die Pressekonferenz vor einem Jahr mit der vom Freitag, drängt sich der Eindruck auf, als habe sich die Weltlage entspannt. Als könne man jetzt wieder halbwegs in Ruhe den Koalitionsvertrag abarbeiten.
Klimaschutz als nüchterne Zielerreichung
Den Eindruck erweckte Merkel auch, wenn sie über die Klimaschutzpolitik sprach. Sie sagte zwar Sätze wie: "Europa muss in Fragen des Klimaschutzes sein Gewicht in die Waagschale werfen." Oder: "Es gibt niemanden in der Bundesregierung, der die Klimaziele in Frage stellt."
Aber sie gab nicht zu erkennen, dass sie das Problem und ihre eigene Rolle bei der Lösung für so bedeutend hielte wie ihre Rolle als Verteidigerin des Multilateralismus.
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Auf die Frage, ob sie finde, dass Deutschland so rasch und energisch gehandelt habe, wie sie es selbst 1995 als Umweltministerin der Welt angeraten hatte, sagte sie, Deutschland habe einst sein Reduktionsziel für 2010 eingehalten und sich dann eben einfach für 2020 zu viel vorgenommen. Man habe das Ziel, die Emissionen gemessen am Zustand von 1990 bis 2010 um ein Fünftel zu reduzieren, auch deshalb erreicht, weil im Zuge der deutschen Einheit viel Industrie verloren ging. Das sei dann natürlich bis 2020 anders gewesen – Deutschland sollte seine Emissionen eigentlich um 40 Prozent gegenüber 1990 verringern, wird aber wohl nicht mehr als 32 Prozent schaffen.
Man könnte daraus folgern, dass die Anstrengungen schon vor 2010 nicht ausreichten und nur die Weltlage zufälligerweise günstig war. Merkel schloss daraus, dass man sich eben später etwas arg ambitionierte Ziele gesetzt habe.
Deutschlands Ziele passen nicht zum Klimaabkommen
Was dabei unausgesprochen blieb: Deutschland verfehlt nicht nur seine nationalen Klimaziele – diese Ziele reichen wie die der EU und die fast aller anderen Staaten bei Weitem nicht aus, um das Ziel des Pariser Abkommens zu erfüllen: Also eine Erderwärmung um nicht mehr als 2, besser nur 1,5 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts zu garantieren. Würden sich die Staaten an ihre Zusagen halten (was sie derzeit wie Deutschland nicht tun), wird sich die Erde eher um 3 Grad oder mehr erwärmen.
Und man könnte hinzufügen: Es deutet einiges darauf hin, dass sich die Erde sogar schneller aufheizt als gedacht, weil etwa die Permafrostböden in der Arktis viel schneller auftauen als vermutet. Das hieße, dass man bei der Aushandlung des Pariser Abkommens noch von mehr Emissionen ausging, als sich die Welt tatsächlich leisten kann.
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Zumindest eine Entscheidung kündigte die Kanzlerin an. In zwei Monaten soll das Klimakabinett beschließen, wie es weitergeht in der Klimaschutzpolitik. Merkel sagte, sie halte einen CO2-Preis für sinnvoll, andere gesetzliche Maßnahmen aber ergänzend auch. Die SPD will eine CO2-Steuer, die Union eher irgendwann den Emissionshandel ausweiten.
Bislang können sich die Koalitionspartner nicht einigen. Das soll sich jetzt ändern, versprach Merkel: "Der 20. September wird ein entscheidender Tag sein."
- Pressekonferenz (vor Ort)