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Schäuble ist tot: Er machte Berlin 1991 mit seiner Rede zur Hauptstadt


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Trauer um Wolfgang Schäuble
Der große Unvollendete


Aktualisiert am 28.12.2023Lesedauer: 5 Min.
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Mit 81 Jahren gestorben: Der CDU-Politiker Wolfgang Schäuble. (Quelle: IMAGO/Frank Hoermann/SVEN SIMON)
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Kein Politiker hat als Parlamentarier und als Minister über so viele Jahrzehnte die Bonner und die Berliner Republik geprägt wie Wolfgang Schäuble. Ein Nachruf auf einen Mann, dessen Loyalität immer größer war als sein Machtwille.

Im Korrespondentenleben sammeln sich im Laufe der Jahrzehnte Hunderte von Begegnungen mit Politikern an. Von bleibender Erinnerung sind allenfalls ein bis zwei Handvoll. Wolfgang Schäuble war ein Mann, der diese Momente bereithalten konnte und den man deshalb nie vergessen wird. Streng genommen hat er mir beim ersten Aufeinandertreffen beigebracht, wie Politik funktioniert.

Einmal im Jahr gab der Mann aus dem südbadischen Gengenbach der heimatlichen Badischen Zeitung ein Interview. Es war noch zu Bonner Zeiten, Helmut Kohl regierte und Schäuble hielt die Unionsfraktion zusammen. Die erfahrene Kollegin des Parlamentsbüros nahm den Autor als jungen Hüpfer mit zum Interview, und als der sich im Laufe des Gesprächs darüber echauffierte, dass bei diesen unseligen Kompromisssuchen immer nur Halbgares herauskommt, schaute Schäuble den Gast in seinem Büro mit dieser unnachahmlichen Mischung aus Tadel und Milde und einem durchdringenden Blick an, der bis auf die Knochen ging. "Junger Mann", sagte er dann, "der Kompromiss ist die höchste Kunst in der Politik. In der Politik geht es immer darum, einen Kompromiss zu finden. Das ist deshalb kein Schimpfwort, sondern ein Ehrentitel."

Keine Berliner Republik ohne Schäuble

Die auslaufende Bonner und erst recht die Berliner Republik ist ohne Wolfgang Schäuble nicht denkbar. Übrigens hat er mit seiner historischen Rede im Bonner Plenarsaal maßgeblich dazu beigetragen, dass der Regierungsumzug überhaupt stattfand. Zugespitzt kann man sagen: Ohne Schäuble gäbe es gar keine Berliner Republik.

Er war irgendwie immer da, als Minister, als Fraktionschef, als Bundestagspräsident. Und diese Mischung aus Milde und Strenge, die er in der Lehrstunde dem jungen ungestümen Korrespondenten der Badischen Zeitung zuteil werden ließ, zeichnete ihn zeit seines politischen Lebens aus.

Video | Wolfgang Schäuble mit 81 Jahren gestorben
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Quelle: reuters

Es gibt wenige politische Persönlichkeiten, die sich so zurücknehmen konnten und dabei doch immer präsent geblieben sind. Seine Souveränität, seine Selbstdisziplin und sein Blick für das Bevorstehende machten ihn erhaben, ohne dabei eine Arroganz an den Tag zu legen, die er sich mindestens am Ende seiner Laufbahn als dienstältester Parlamentarier des Deutschen Bundestages hätte herausnehmen können.

Eine einzige Begebenheit ist in Erinnerung, in der er die Contenance verlor und seinen Mitarbeiter, in dem Fall seinen Pressesprecher, vor versammelter Medienmeute zur Schnecke machte, weil dieser die Unterlagen nicht schnell genug zur Hand hatte. Der Mann kam aber später wieder zu Kräften.

Die oberste Tugend des Wolfgang Schäuble

Die oberste Tugend des Wolfgang Schäuble war zugleich sein Verhängnis – in dem Sinne, dass er wegen seiner Bereitschaft bis ins Mark loyal zu sein, nie die Nummer eins wurde. Er diente Helmut Kohl ebenso ergeben wie Angela Merkel, auch wenn die eine oder andere Bemerkung den politisch Feinhörenden deutlich machte, dass Merkel für ihn nicht in der gleichen Liga unterwegs war wie der Mann aus Oggersheim, der tatsächlich auch mehr Geschichte geschrieben hat.

Dabei war ihm stets Wolfgang Schäuble zu Diensten. Die Wiedervereinigung, die Kohl einen Platz in den Geschichtsbüchern sicherte, hat er zusammen mit seinem Ost-Counterpart Günther Krause in ein Vertragswerk gegossen. In dieser Zeit stand Schäuble in der Blüte seiner politischen Kraft. Und just in diesem Zenit ereilte ihn ein Schicksalsschlag ungefähr zur gleichen Zeit wie Oskar Lafontaine, dem er deshalb bei aller politischen Gegensätzlichkeit menschlich eng verbunden bleibt.

Bei einem Attentat am 12. Oktober 1990 verletzte der psychisch kranke Dieter Kaufmann den damaligen Innenminister Schäuble sowie einen weiteren Mann während einer Wahlkampfveranstaltung in Oppenau mit Schüssen aus einem Revolver. Seit dem Attentat war der bis dahin leidenschaftliche und ordentliche Tennisspieler Schäuble vom dritten Brustwirbel an abwärts gelähmt und auf einen Rollstuhl angewiesen. Lesen Sie hier, was eine Querschnittslähmung für Betroffene bedeutet.

Aber diesen unermesslich schweren Schlag ging Schäuble mit einer Mischung aus Demut und eisernem Willen an. Unvergessen die Bilder von seinen Aufenthalten auf der geliebten Urlaubsinsel Sylt, wo er sich mit einem Spezialfahrrad fit hielt. Die Querschnittslähmung hielt gerade für einen viel reisenden Finanzminister Wolfgang Schäuble große Strapazen bereit, die man ihm aber zu keinem Moment anmerkte. Seine Ausnahmerolle als Primus inter Pares der Minister im Kabinett von Angela Merkel war mit Händen zu greifen, als er für einige Wochen komplett ausfiel und ins Krankenhaus musste, in manchen Redaktionen wurden schon die Nachrufe vorbereitet. Merkel hielt auch da an Schäuble fest, und Peter Altmaier übernahm interimistisch das Finanzressort, bis Schäuble wieder an seinen Arbeitsplatz zurückkehren konnte.

Politisch blieb Schäuble bei allen Verdiensten und Ämtern, die er bekleidete, ein Unvollendeter. Helmut Kohl hat es mit erbarmungslosem Machtinstinkt immer vermocht, Schäuble zu nutzen und ihm zugleich die Schwingen zu stutzen. Schäubles Versäumnis wiederum war es, Helmut Kohl vor der Wahlniederlage gegen Gerhard Schröder 1998 nicht klargemacht zu haben, dass es nicht mehr geht, dass er beiseite treten müsse, um der Union noch eine Chance bei der Wahl zu ermöglichen. Er machte es nicht, weil ihm dazu am Ende der Killerinstinkt und der Wille anderer Machthungriger fehlte. Und er artikuliere zu jener Zeit im "Stern" einen gnadenlosen Satz, der in Wahrheit über allem hing und den sonst keiner aussprach: "Ein Krüppel als Kanzler? Die Frage muss man stellen." Geführt hatte das legendäre Interview die inzwischen ebenfalls verstorbene Korrespondentenlegende Hans Peter Schütz. Mit Schütz hatte Schäuble besonders gerne den Tennisschläger geschwungen, als er das noch konnte.

Vielleicht hat man in Wolfgang Schäuble mehr den Intellektuellen gesehen, als tatsächlich in ihm steckte. Vielleicht, weil man ihm, wie der Kollege Bernd Ulrich in der "Zeit" einst notierte, so schön beim Denken zuschauen konnte. Er zelebrierte die Nachdenklichkeit. Dabei war er im Kern eher der Jurist und Macher als der Politphilosoph, auch wenn nicht zuletzt altersbedingt manche seiner Einlassungen so eingeordnet wurden. Aber er war ein Mann, der Dinge in ihrer Bedeutung früh kommen sah. Als die Grünen sich als Partei formten und zunehmend die Politik prägten, da machte sich der aufgeklärte Konservative mit seinem baden-württembergischen Landsmann und Kollegen im Parlament, Hans-Peter Repnik, daran, auch der Union die Notwendigkeit des Ökologischen und der Nachhaltigkeit ans Herz zu legen. Diese grüne Ader hatte er mit seiner zweiten Chefin nach Kohl, Angela Merkel gemeinsam.

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Kohl und Merkel verwehrten ihm die beiden höchsten Ämter

Und wie Kohl einen Kanzler Wolfgang Schäuble verhindert hat, hat Merkel einen Bundespräsidenten Wolfgang Schäuble verhindert. Die doppelte Tragik im politischen Leben des Wolfgang Schäuble. Von beiden echten Alphatieren der CDU, denen er diente, um die wirkliche Erfüllung seines politischen Lebens gebracht worden zu sein.

Umso eindrücklicher in Erinnerung die letzte persönliche Begegnung mit Wolfgang Schäuble unter vier Augen in seinem Berliner Büro. Es war irgendwann Anfang des Jahres 2017, die schicksalsergebene Migrationspolitik der Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte Ende 2016 dazu geführt, dass Merkel ganz knapp vor einem Putsch in der Union stand. Es war ganz eng für sie.

Die Schlüsselfiguren seinerzeit: Die beiden CDU-Granden Volker Bouffier, damals dienstältester CDU-Ministerpräsident und eben Wolfgang Schäuble. Es war bekannt, dass Schäuble am Kontrollverlust litt, den gerade viele Unionsanhänger in dieser Frage empfanden. Im Laufe eines intensiven und ungewöhnlich offenen Gespräches dann die Frage an ihn: Sie hatten es in der Hand, Herr Schäuble, warum haben Sie es nicht gemacht?

"Nein, das stimmt nicht, Sie irren sich, es lag nicht in meiner Hand", entgegnete Schäuble, und die Chuzpe dieser wahrheitswidrigen Behauptung konnte einem den Atem verschlagen.

Und doch ist in dieser Szene, in dieser Begebenheit die ganze Größe und die ganze Tragik des Wolfgang Schäuble eingefangen. Seine Loyalität war zu jedem Moment seines politischen Lebens stärker als sein Machtwille.

In der Nacht vom Dienstag auf Mittwoch ist Wolfgang Schäuble in seinem Heimatort Gengenbach gestorben.

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