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USA: Kamala Harris ist unbeliebteste Vizepräsidentin – wieso liefert sie nicht?


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Was steckt hinter dem Absturz?
Kamala Harris – Amerikas unbeliebteste Vizepräsidentin

  • Bastian Brauns
Von Bastian Brauns, Washington

Aktualisiert am 02.01.2022Lesedauer: 8 Min.
Kamala Harris: Vielversprechende Vize-Präsidentin oder Fehlbesetzung?Vergrößern des Bildes
Kamala Harris: Vielversprechende Vize-Präsidentin oder Fehlbesetzung? (Quelle: imago-images-bilder)

Was macht eigentlich Kamala Harris? Diese Frage wird immer drängender für Joe Bidens einst so vielversprechende Vizepräsidentin. Viele sehen in ihr mittlerweile nur noch eine Fehlbesetzung.

Was hat Amerikas Vizepräsidentin Kamala Harris mit Stars wie Michael Jackson, Nelson Mandela und Muhammad Ali gemeinsam? Ihnen allen widmete das renommierte US-Magazin "Time" in den vergangenen Jahren eine sogenannte "commemorative edition", also eine eigene Gedenkausgabe.

Einen bemerkenswerten Unterschied aber gibt es dabei: Die Sonderhefte für den Sänger, den Freiheitskämpfer und den Boxer erschienen, um das Vermächtnis und die Lebensleistung der verstorbenen Persönlichkeiten zu würdigen. Das Spezialheft für die quicklebendige Kamala Harris mit dem Untertitel "Die faszinierende Geschichte der ersten Frau unserer Nation als Vizepräsidentin" kam hingegen bereits wenige Wochen nach ihrer Amtseinführung heraus.

Debütantin und Dilettantin?

Zu früh für eine Bilanz, wie es scheint. Oder eben gerade zur richtigen Zeit. Denn das Kapitel mit Kamala könnte viel eher als gedacht ein jähes Ende finden. Ihr Ruf leidet und die Beliebtheitswerte von Harris sind für einen US-Vize auf den schlechtesten gemessenen Wert seit 50 Jahren gefallen. Nur noch 37,9 Prozent der Befragten waren laut Umfragen zufrieden mit ihren Leistungen. 52,7 Prozent sind unzufrieden. Das gab es noch nie in jüngerer Zeit. Ein Desaster für die Debütantin.

Dazu häufen sich Berichte über ihre angeblich chaotische Amtsführung, über Angestellte, welche kündigend die Flucht vor ihr ergreifen sollen, und zu Gerüchten über ein Zerwürfnis mit Joe Biden. Ständig erscheinen Artikel zu ihrem politischen Versagen ausgerechnet bei jenen Aufgaben, die ihr übertragen wurden: die Lösung der Migrationsprobleme und eine Wahlrechtsreform, die insbesondere das Wahlrecht von Minderheiten schützen soll.

In Washingtoner Politikkreisen zeigt sich manch einer darüber nicht verwundert. Wie dilettantisch die Vizepräsidentin agiere, habe man im Grunde schon gesehen, als Kamala Harris 2019 ihre Vorwahl-Kampagne zur eigenen Präsidentschaftskandidatur nach nur elf Monaten wegen Geldproblemen einstampfen musste, heißt es vielerorts. Joe Biden habe sie nur nominiert, um als Kandidat nach Barack Obama und Hillary Clinton besser bei Frauen und Minderheiten zu punkten. Sein Part hingegen sollte die weiße Arbeiterschaft sein.

Verglüht mit Kamala Harris über der US-Hauptstadt derzeit ein Stern, der noch gar nicht richtig aufgegangen war? Hat sie sich oder hat man ihr womöglich zu viel zugemutet?

Historisch, aber noch ohne Leistungen

Die Erwartungen an die oft so charmant, herzlich und mitreißend auftretende Kalifornierin waren und sind jedenfalls groß. Vielleicht so groß wie noch nie zuvor für die Nummer zwei in den Vereinigten Staaten.

Gleich dreifach historisch war Harris in dieses Amt gestartet, das oftmals als reine Statistenrolle belächelt wurde. Aber sie ist darin die erste Frau der US-Geschichte. Sie ist die erste "Person of Color". Und sie ist erstmals die Stellvertreterin eines Joe Biden, dem ältesten jemals ins Amt gekommenen US-Präsidenten.

Die sogenannten "Running Mates" für den Vizeposten werden in US-Wahlkämpfen fast immer strategisch besetzt. Etwa um wackelige Bundesstaaten für den Präsidenten zu gewinnen. Oder auch, um mögliche Nachfolger frühzeitig in Stellung zu bringen. So war George H. W. Bush acht Jahre lang der Vizepräsident von Ronald Reagan, bevor er selbst Präsident wurde.

Bei Kamala Harris aber scheint die Wahrscheinlichkeit so hoch wie nie, früher als gedacht die Nummer eins und damit zugleich die erste Frau in diesem Staatsamt zu werden. Entweder, weil Joe Biden schon während seiner Amtszeit aus gesundheitlichen Gründen ausscheiden könnte. Oder spätestens 2024 bei den nächsten Wahlen, sollte sich der Präsident entgegen seiner stets notwendigen Beteuerungen doch dazu entschließen, mit 82 Jahren nicht ein zweites Mal antreten zu wollen.

Unter besonderer Beobachtung

Es liegt also erst mal nahe, dass die Medien und die politischen Gegner – Republikaner ebenso wie Demokraten – viel genauer und sehr viel früher als bislang hinsehen, wer da womöglich über Nacht zur mächtigsten Person aufsteigen könnte oder wie ihre bisherigen Leistungen aussehen. Aber ist das womöglich ungerecht?

In einem Interview mit dem Magazin "Politico" sagte Joe Bidens Regierungssprecherin Jen Psaki kürzlich, es stehe "außer Frage", dass die vielen derzeit laufenden Angriffe gegen Kamala Harris zumindest zum Teil daher rührten, dass sie eine Frau sei und einer Minderheit angehöre. "Damit lastet wirklich viel auf ihren Schultern", sagte Psaki. Es ist eine Lesart, die von Harris' Kritikern vehement bestritten wird.

Ein Vergleich ist zwar schwierig, aber mit Condoleezza Rice war tatsächlich schon zu Zeiten von George W. Bush eine Frau mit afroamerikanischen Wurzeln immerhin zunächst Sicherheitsberaterin des US-Präsidenten und danach sogar Außenministerin. Ihre Beliebtheitswerte blieben stets ziemlich stabil.

Das Land war damals nach dem 11. September 2001 aber auch nicht derart gespalten und politisch radikalisiert wie heute. Kamala Harris gilt 2021 zumindest aus Sicht vieler Republikaner als Vertreterin der verhassten Progressiven, die das Problem der illegalen Migration an der US-Südgrenze zu Mexiko weder lösen kann noch wirklich lösen will. Heißt: 20 Jahre später können Rassismus und Chauvinismus durchaus wieder eine größere Rolle spielen als während der Bush-Regierung.

Bei den Progressiven im eigenen Lager hingegen gilt Harris eher als unliebsame Hardlinerin, gerade in Fragen der Migration. "Do not come!" – Für diesen an potenzielle Flüchtlinge gerichteten, aber auch ziemlich unbeholfen wirkenden Satz bei ihrer Reise nach Guatemala in diesem Jahr bekam die Vize-Präsidentin viel Schelte aus dem linksliberalen Spektrum der Demokraten. Zugleich war die Anzahl der illegalen Einwanderer bereits im Juni dieses Jahres doppelt so hoch wie im gesamten Zeitraum 2020.

Harris kämpft stets an zwei Fronten. So wie sie das ihr anvertraute Thema der Migration behandelt, bringt sie aber beide Lager gegen sich auf – die Rechten ebenso wie die Linken. Zwar sanken ihre Beliebtheitswerte seit Amtsantritt kontinuierlich. Mit Beginn der öffentlichen Kontroversen zur Migration aber ging es dann im Sommer erst so richtig nach unten. Ihr Ansatz, die Wirtschaft in den Herkunftsländern auch unter Mithilfe von US-Konzernen zu stärken, mag nachhaltig sein. Schnelle Ergebnisse kann sie mit allein dieser Strategie aber nicht liefern.

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Harris kann nicht liefern

So rhetorisch einfallslos wie "Do not come" wirkt bei Harris derzeit fast jeder Versuch, politisch etwas zu bewegen. Auch von einem immer wieder aufs Neue wiederholten "Get your booster" lassen sich Impfskeptiker und Impfgegner kaum überzeugen. Dabei wird eine massive Steigerung der Impfquote auch in den USA als Schlüssel zur Überwindung der Pandemie angesehen. Harris' Charme und ihre Spritzigkeit scheinen verflogen. Sie wirkt gereizt, genervt und bisweilen auch unglücklich.

Kein Wunder, auch bei ihrem zweiten großen Thema, der Wahlrechtsreform, geht nichts wirklich voran. Der sogenannte "John Lewis Voting Rights Advancement Act" and der "Freedom to Vote Act" sollen verhindern, dass das Wählen für Minderheiten insbesondere in republikanisch regierten Bundesstaaten erschwert wird. Doch im US-Senat stößt Harris mit ihren Vorhaben nach wie vor auf den Widerstand ausgerechnet zweier Demokraten, Joe Manchin und Kyrsten Sinema. Zwar kann die Vizepräsidentin im Falle eines Patts mit ihrer Stimme die fehlende Mehrheit garantieren. Aber eben nur, wenn auch wirklich alle 50 demokratisch geneigten Senatoren mitziehen.

Damit ist Harris letztlich gar nicht die viel beschworene Königsmacherin. Sie und damit auch Präsident Joe Biden sind abhängig von Manchin und Sinema. Dass diese beiden Senatoren die Quertreiberei zu ihrem Markenkern entwickelt haben, kann man Harris zwar kaum anlasten. Aber am Ende geraten die Gründe für das Scheitern in den Hintergrund. Entscheidend ist, ob es der Vizepräsidentin gelingt, zu liefern. Das weiß Harris auch selbst. "Ich habe eine Aufgabe zu erledigen. Und ich werde diese Aufgabe erledigen", sagte sie in einem am 26. Dezember ausgestrahlten Interview mit dem Fernsehsender CBS.

Führungsschwäche oder falsche Berater?

Das zumindest im politischen Washington heiß diskutierte Lieblingsthema kam dabei aber nicht zur Sprache: die Amtsführung der Vizepräsidentin. Eine ungewöhnlich hohe Anzahl von Mitarbeitern von Kamala Harris hat nämlich bereits im Laufe ihres ersten Jahres gekündigt. Was gegen Ende einer Amtszeit durchaus üblich ist, scheint laut Berichten der "Washington Post" und von CNN und darin aufgeführten Aussagen von Harris' Angestellten aber am Führungsstil der Vizepräsidentin zu liegen. Von "destruktiven Verhaltensmustern" ist die Rede und davon, dass sie ihre Mitarbeitenden teils so in die Zange nehme, als wäre sie noch immer Generalstaatsanwältin in Kalifornien oder die Vorsitzende eines Untersuchungsausschusses.

Solche Zuschreibungen sind für Machtmenschen, insbesondere für männliche, nicht unüblich. Dass sie bei Harris so thematisiert werden, könnte durchaus ein Hinweis auf versteckten Sexismus sein. Andererseits sind Kamala Harris und Joe Biden auch explizit mit dem Anspruch angetreten, nach der Trump-Ära einen anderen Führungsstil einkehren zu lassen.

Eilig twitterte ein Mitarbeiter von Kamala Harris nach diesen Berichten im Dezember: "Hallo. Mein Name ist David Gins. Ich arbeite für Vizepräsidentin Harris im Auftrag des amerikanischen Volkes als stellvertretender Director for Operations und ich liebe meinen Job." Das machte die Sache allerdings auch nicht mehr besser – im Gegenteil, es wirkte hilflos und inszeniert.

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Aus Kreisen von Demokraten in Washington, die mit Harris' Team arbeiten, heißt es nach Informationen von t-online, dass vor allem Harris' Stabschefin Hartina Flournoy ein Problem darstelle. Die 65-Jährige arbeitete ab 2013 bereits als Stabschefin für das Büro des Ex-Präsidenten Bill Clinton. Zuvor organisierte sie ab 2007 die Spenden für den Vor-Wahlkampf von Hillary Clinton. Dass Flournoy dabei unliebsame Kollegen bei den Demokraten wegbeißen kann, sollen insbesondere Mitarbeiter von Bernie Sanders zu spüren bekommen haben. Kurz gesagt: Hartina Flournoy gilt als echter Drachen im Vorzimmer von Kamala Harris und damit als unausstehliche Vorgesetzte für die Mitarbeiter. Auch weil sie aus dem Clinton-Lager stammt, heißt es, nicht Harris sondern Bill und vor allem Hillary zögen die eigentlichen Strippen im Hintergrund.

Was wird bleiben?

Nicht all das kann Kamala Harris selbst angelastet werden. Die Beliebtheitswerte eines Vizes hängen in den USA immer auch mit den Werten des Präsidenten zusammen. Und Joe Biden überzeugt derzeit sogar so wenig wie der bislang unbeliebteste US-Präsident aller Zeiten, Donald Trump.

In seiner Biografie über Kamala Harris schreibt der Journalist Dan Morain über ihre großen Ambitionen vom Vor-Wahlkampf 2019: "Auch wenn ihre Kampagne stotternd zum Stillstand kam, noch bevor die ersten Stimmen abgegeben wurden, hatte Harris großen Eindruck gemacht. Etwas bleibt von ihr immer in Erinnerung. So läuft das bei Kamala Harris." Unterschätzen sollte man sie nicht.

Die Frage kurz vor 2022, dem Jahr der wichtigen Zwischenwahlen, lautet daher: Was genau wird von ihr in Erinnerung bleiben? Wird es mehr sein als eine viel zu frühe Gedenkausgabe des "Time"-Magazins? Die Republikaner jedenfalls haben das Migrationsthema und die Südgrenze zu Mexiko bereits zu einem Hauptthema für den Wahlkampf auserkoren. Sollten die Demokraten bei den Midterms krachend verlieren, dürfte dies nicht nur Joe Biden, sondern explizit auch Kamala Harris angelastet werden.

Wohl nie galt eine Nummer Zwei als so aussichtsreiche nächste Nummer eins. Doch so eng Kamala Harris' Chancen und Ambitionen mit dem hohen Alter des amtierenden US-Präsidenten verbunden sind, so klar hängt auch ihr Schicksal mit Joe Bidens möglichem politischen Niedergang zusammen. Doch Kamala Harris ist eine Kämpferin. Einen Satz ihrer Mutter Shyamala wiederholte sie auf ihrem Weg nach oben jedenfalls immer wieder: "In vielen Dingen bist du vielleicht die Erste, aber sorge dafür, dass du nie die Letzte bist."

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