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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Warum Trumps Zollkrieg scheitert Wall Street in Panik, Washington in Aufruhr

Washington ist geschockt, die Wall Street taumelt weiter, denn Trumps Zollkrieg gerät außer Kontrolle. Der US-Präsident führt seinen von Instinkten getriebenen Handelskonflikt weiter. Inzwischen wächst auch Widerspruch im eigenen Lager.
Bastian Brauns berichtet aus Washington
Einen Tag, nachdem Donald Trump eine Pause für einen guten Teil seiner massiven Zölle ankündigen musste, war im Weißen Haus Schadensbegrenzung angesagt. Und so inszenierte der US-Präsident vor den Fernsehkameras der Nation ein Kabinettstreffen. Der einzige Plan: Normalität vortäuschen. Die um den großen Holztisch versammelten Minister sollten Trump ihre erfolgreiche Arbeit präsentieren, damit er zufrieden nickend jedem und damit vor allem sich selbst auf die Schulter klopfen konnte.
Rund eine Stunde lang versicherte sich die versammelte amerikanische Regierungsmannschaft gegenseitig, wie großartig sie seien. Ein aufgeführtes Schauspiel, das Trumps Pressesprecherin Karoline Leavitt wie so oft lobte als die transparenteste Regierung, die je im Weißen Haus gewesen sei. Vor allem Trumps Handelsminister Howard Lutnick und sein Finanzminister Scott Bessent bemühten sich um gute Stimmung und das Wohlwollen von Trump. Ein artiges Abnickertreffen, das man dem Stil nach eher aus dem Kreml in Moskau gewohnt ist.
Handelskrieg ohne Plan: Ein wirtschaftlicher Hurrikan
Wie sehr die Schilderungen der wirtschaftlichen Lage im Regierungssitz des US-Präsidenten an der Realität vorbeigehen, ist offensichtlich. Denn trotz der vom Präsidenten verkündeten teilweisen Zollpause von 90 Tagen geht das Chaos weiter. Nicht nur alle chinesischen Importe sind von Strafzöllen von inzwischen 145 Prozent betroffen. Auch Trumps Grundzoll von 10 Prozent auf Waren aus aller Welt hat weiter Bestand. Und auch die EU, insbesondere Deutschland, ist weiterhin mit neuen Strafzöllen von 25 Prozent auf Autoexporte konfrontiert. Kein Wunder also, dass sich die Aktienkurse immer noch auf Talfahrt befinden.
Ratlose Experten sehen kein Gewinner-Szenario
Und so gibt es kaum eine Veranstaltung der zahlreichen Denkfabriken in der US-Hauptstadt, die sich nicht mit den dramatischen Folgen von Trumps Politik beschäftigt. Auch bei einem Treffen des renommierten "Council on Foreign Relations" mit zahlreichen Wirtschaftsexperten wie der Ökonomin Rebecca Patterson ging es in dieser Woche um den von Trump entfesselten "Hurrikan für die Weltwirtschaft".
Wirklich erklären, was dahintersteckt, konnte dort keiner. Einig war man sich nur in einem: In der Trump-Regierung gibt es offenbar keine Ausstiegsstrategie und auch kein Gewinner-Szenario. Im Weißen Haus sitzt kein Präsident, der einen genialen Plan hat.
Rücktrittsdrohung im Präsidentenjet?
Es scheint viel eher Improvisation unter hohem Druck am Werk zu sein. Trumps früherer langjähriger Mitarbeiter Anthony Scaramucci sprach in seinem Podcast "The Rest is Politics" gar von einem Streit, der laut seinen Informationen stattgefunden haben soll. Vor der verkündeten Zollwende habe der US-Finanzminister Scott Bessent dem Präsidenten auf dem gemeinsamen Rückflug von Mar-a-Lago mit Rücktritt gedroht.
Ihm bliebe angesichts der dramatischen Finanzlage des Landes gar nichts anderes übrig, soll Bessent zu Trump gesagt haben. Auf dem Höhepunkt der Krise wollte Trump seinen Minister aber offenbar nicht gehen lassen. Zu sehr wäre das auf ihn selbst zurückgefallen. Doch selbst wenn Scaramucci, der längst mit Trump gebrochen hat, diese Episode nicht geschildert hätte: Es ist inzwischen weitgehend bekannt, was geschehen ist.
Der sichere Finanzhafen ist in Gefahr
Was zu der abrupten Zollpause führte, gilt sowohl an der Wall Street als auch in Washington als offenes Geheimnis, auch wenn Trumps Sprecherin und seine Minister es öffentlich vehement abstreiten: Nach seinem vermeintlichen "Tag der Befreiung", an dem die Zölle verkündet wurden, stürzten die globalen Märkte ab. Ein Fiasko bahnte sich an, als dann noch überall auf der Welt amerikanische Staatsanleihen, die sogenannten US-Treasuries, abgestoßen wurden. Denn weil das Vertrauen in den US-Staat, den vermeintlich sichersten Finanzhafen der Welt, sank, verlangten die Investoren höhere Zinsen auf diese als Risikoaufschläge für die Bindung ihres Geldes. Die Renditen für langjährige US-Staatsanleihen schossen daher in die Höhe.
Die Alarmglocken an der Wall Street schrillten ohrenbetäubend laut, als die Renditen für 30-jährige Staatsanleihen die 5-Prozent-Marke überschritten. Deshalb lenkte Trump offensichtlich ein. So viel gab der Präsident gewissermaßen selbst vor Reportern zu. "Wissen Sie, die Leute wurden ein wenig nervös", sagte Trump auf die Frage, warum er seine vermeintliche Zollwende verkündet habe. Tage zuvor hatte er noch getönt, er sei bereit, all die Kritik wegzustecken. Weil es um etwas Größeres gehe: das von ihm angekündigte "goldene Zeitalter". Und tatsächlich verfolgt Trump diesen Plan ohne Plan weiter.
Mit Folgen: Weil die Unsicherheit auch weiterhin an den Märkten regiert und China als einer der größten Gläubiger der USA amerikanische Staatsanleihen im großen Stil abstößt, liegen diese nur einen Tag nach Trumps Zoll-Pause schon wieder an der 5-Prozent-Marke.
Das Kernproblem scheint so banal wie problematisch: Im Weißen Haus wird offenbar primär aus dem Bauch heraus agiert, und nicht auf Grundlage von Analysen. In Trumps zweiter Amtszeit sind seine engsten Berater Ideologen und Loyalisten wie Howard Lutnick oder Peter Navarro. Scott Bessent scheint nun der erste Minister zu sein, der in größter Not mäßigend auf Trumps Instinkte einwirken konnte. Trumps Hybris, es im Alleingang selbst mit der Wall Street aufnehmen zu können, hat mit Bessents Einschreiten wohl einen ersten Dämpfer erhalten.
Republikaner gegen Trump: Die Koalition zeigt Risse
Trumps kopflos wirkendes Agieren trifft aber vor allem außerhalb der Regierung auf Widerstand – und das sogar im konservativen Lager. Seine radikale Zollpolitik legt eine schwelende Krise innerhalb der Republikanischen Partei offen. Die über viele Jahre gewachsene Koalition zwischen der wirtschaftsfreundlichen Elite und der kulturkämpferischen MAGA-Bewegung ("Make-America-great-again") beginnt, Risse zu zeigen.
Die Wall-Street-Unterstützer in der Republikanischen Partei reagierten mit Entsetzen auf Trumps Zollankündigungen. Denn sein Wirtschaftsnationalismus kollidiert mit den Freihandelsinteressen vieler republikanischer Geldgeber. Einer der prominentesten unter ihnen ist ausgerechnet der Multimilliardär Elon Musk. Der Tesla-Chef sprach sich nicht nur für eine Abschaffung jeglicher Zölle zwischen den USA und der EU aus, sondern lieferte sich auch einen offenen Streit mit Trumps Handelsbeauftragten Peter Navarro, den er als "dumm wie ein Sack Ziegel" beschimpfte.
Besonders bemerkenswert ist der Widerstand aus dem inneren Zirkel der konservativen Machtelite. Die New Civil Liberties Alliance – finanziert von dem konservativen Milliardär Charles Koch und Leonard Leo, dem Chef der konservativ-libertären Juristenvereinigung Federalist Society – hat sogar Klage gegen Trumps Zölle eingereicht. Dem US-Präsidenten soll die ihm einst vom Kongress zugestandene Macht, Zölle aufgrund einer von ihm selbst erklärten nationalen Notlage zu erheben, wieder entzogen werden. Aber nicht nur diese ungewöhnliche Konstellation zeigt, wie tief die Gräben innerhalb des konservativen Lagers geworden sind.
Vertrauensverlust auf allen Ebenen
Trump greift aber nicht nur die wirtschaftlichen Grundinteressen seiner wohlhabenden Unterstützer an. Denn von deren Spendengeldern sind auch Senatoren, Kongressabgeordnete und die Gouverneure in den Bundesstaaten abhängig. Sie alle wollen wiedergewählt werden, und ihre Wahlkampagnen benötigen finanzielle Unterstützung. Zudem müssen sie sich nun auch der wachsenden Kritik ihrer Basis stellen. Im republikanisch kontrollierten Senat formiert sich daher Widerstand. Senator Charles Grassley, ein langjähriger konservativer Hardliner, arbeitete zuletzt sogar mit Demokraten zusammen, um die Macht des Kongresses bei Zollentscheidungen wiederherzustellen.
Zudem wächst die Inflationsangst in den USA angesichts der eingeführten Zölle. Darüber können die im März nur moderat um 2,4 Prozent angestiegenen Preise nicht hinwegtäuschen – das lässt sich unter anderem am gesunkenen Konsum ablesen. Trumps Zölle treffen dabei nicht nur Großkonzerne wie Apple, sondern gefährden selbst kleinste Unternehmen im ganzen Land. Abertausende von amerikanischen Geschäftsmodellen beruhen auf günstigen Importen, insbesondere aus China.
Dabei könnte sich der psychologische Schock des Handelschaos sowohl für die US-Wirtschaft als auch für Donald Trump als schädlicher erweisen als die Zölle selbst. Vertrauen ist zerbrechlich – bei Investoren ebenso wie bei Verbrauchern und Wählern. Laut mehreren Umfragen sinkt mit den Börsenkursen auch Trumps Beliebtheit. So erklären sich inzwischen nur noch um die 43 Prozent der Befragten zufrieden mit der Arbeit des Präsidenten. 53 Prozent hingegen sind unzufrieden.
- nytimes.com: The Investors Who Prop Up America Won’t Soon Forget This (englisch)
- Podcast The Rest Is Politics US: Trump backs down, Tariffs frozen (englisch)
- Webseminar Council on Foreign Relation: Trump’s Tariffs Explained: Price Hikes & the Future of the Global Economy (englisch)
- thenation.com: Trade Catastrophe Could Be the Thing That Finally Tears the GOP Apart (englisch)
- realclearpolling.com: President Trump Job Approval (englisch)
- bsl.gov: Consumer Price Index March 2025 (englisch)