Zwischen Tanga-Verbot und Sexismus Trump-Land am Strand
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Warum hat Donald Trump trotz seiner Anklagen so viel Rückhalt? Spurensuche in Myrtle Beach, einem scheinbar unpolitischen Ferienparadies. Dort, wo das konservative Amerika allgegenwärtig ist.
Bastian Brauns berichtet aus Myrtle Beach, South Carolina
"Sind dir die Titten nicht aufgefallen?", fragt Dennis und zeigt zu der riesigen leuchtenden Eule auf dem Dach. Ich schaue genauer hin und studiere das Logo einer legendären US-Fast-Food-Kette, die es im politisch korrekten Washington nicht gibt.
Die Augen der "Hooters"-Eule wirken wie ein ziemlich praller Busen. "In der Mitte, die weißen Kreise, das sind die Nippel", erklärt Dennis noch. Alles Teil des expliziten Geschäftsmodells, einem Gegenmodell zum Feminismus. Der Name ist Programm. Die Doppeldeutigkeit von "Hooters" meint den Ruf einer Eule, bezeichnet im Amerikanischen aber auch die Brüste einer Frau. Im Deutschen würde man wohl Hupen sagen.
Zusammen mit meinem amerikanischen Freund Dennis stehe ich vor "Hooters" in Myrtle Beach, im Bundesstaat South Carolina, wenige hundert Meter vom Atlantik entfernt. Neben Ocean City rund 700 Kilometer weiter im Norden sowie Palm Beach und Miami Beach ganz unten in Florida, ist Myrtle Beach einer der beliebtesten Strandorte an der US-Ostküste. Holidays und Hooters – beides steht hier für unbekümmerten Spaß und auch für ein Lebensgefühl in den konservativen Südstaaten, von dem niemand so profitiert wie Donald Trump.
Symbol für die "gute alte Zeit"
Dabei gibt es wohl kaum einen Ort in den USA, der auf den ersten Blick unpolitischer wirkt. Amerikaner wollen hier nicht nachdenken, sondern sich vergnügen. 20 Millionen Touristen kommen jedes Jahr nach Myrtle Beach.
Tatsächlich aber ist die Wahlbeteiligung hier und den benachbarten Wahlkreisen im Vergleich zum Rest des Landes überdurchschnittlich hoch. Bei den Präsidentschaftswahlen 2020 lag sie bei 71,7 Prozent. Das sind fast 10 Prozentpunkte über dem Landesdurchschnitt. Bei Trumps zweiter Kandidatur wählten ihn hier deutliche 66 Prozent. Trump bleibt in dieser Gegend beliebt. Dass sich daran 2024 etwas Nennenswertes ändert, gilt laut Umfragen als unwahrscheinlich.
South Carolina ist MAGA-Land und Myrtle Beach der Ort, an dem man dem Phänomen zumindest näher kommt, warum all die historisch einmaligen Vorwürfe gegen einen ehemaligen US-Präsidenten und ihre juristische Aufarbeitung Trumps Beliebtheit nichts anhaben können.
In Myrtle Beach wird die Sehnsucht nach einer übersichtlichen Welt zur Wirklichkeit. Hier sind Männer noch Männer und Frauen noch Frauen. Es ist die Sehnsucht nach einer Zeit, in der auch "Hooters" in Florida gegründet wurde und Sexismus nicht Sexismus genannt werden musste. Das war 1983.
Der Reiz von Myrtle Beach: Wie im Rest von South Carolina laufen die Uhren noch langsamer. Schwule Pärchen lassen sich hier kaum blicken. Noch immer bekämpfen hier Politiker die gleichgeschlechtliche Ehe. In Myrtle Beach heißt zwar der berühmteste, älteste und größte Souvenirshop der Stadt "Gay Dolphin". Eröffnet hat er 1946. Damals hieß "gay" einfach nur fröhlich. An "queer" oder "trans" war da erst recht noch nicht zu denken.
Der fleischgewordene Gegenentwurf zu Washington
Dennis und ich haben Hunger, deshalb landen wir im "Hooters". Drinnen mampfen die Menschen Burger mit Chickenwings. Frittierte Essiggurken dippen sie in Sour Cream und Sriracha-Sauce. Die Kundschaft hier ist weißer und übergewichtiger als im rund 1.000 Kilometer entfernten Washington. Dort kostet ein Wellness-Smoothie mit Antioxidantien und Matcha-Pulver rund 20 Dollar. Auf dem "Home Run Burger" im "Hooters" in Myrtle Beach liegen vier Lagen Fleisch, dazu gibt es Pommes für insgesamt nicht einmal 17 Dollar.
Schlank müssen bei "Hooters" nur die Bedienungen sein. Das Anforderungsprofil: durchtrainiert und betont jung, nicht selten im Cheerleader-Alter. Sie tragen knallenge Tops und orangefarbene Höschen. Beim Laufen rutschen sie zwischen ihre Pobacken.
Trotzdem gibt es Etikette in diesem Etablissement. Gäste ohne T-Shirt oder Schuhe werden ausdrücklich nicht bedient, ist auf einem Schild zu lesen. Die Gegenleistung: großartiger Service der knapp bekleideten "Hooter Girls". Das bekannteste "Hooter Girl" ist übrigens Lynne Austin (mittlerweile 62). 1986 schaffte sie es auf die Titelseite des Playboys.
Die Frau, die uns den Weg zu unserem Platz gezeigt hat, verabschiedet sich mit einem "Welcome, Hon", eine Kurzform von "Honey", die hier im Süden für Schätzchen verwendet wird. Dennis sagt, ich solle die berühmten "Hooters Original Style Wings" bestellen, dazu Sriracha-Sauce und Gitterpommes. "Hooters" betreibt heute mehr als 480 Restaurants weltweit, die meisten in Texas. Sie ist der fleischgewordene Gegenentwurf zu Wokeness und Washington.
Ein Ferienort, der wächst und wächst
Amerika fernab des politischen Betriebs, das heißt in Myrtle Beach mehr als 50 Minigolfplätze. Der Strandort in South Carolina ist damit die "Putt-Putt"-Hauptstadt der Nation. Mit biederen Freibad-Minigolfplätzen in Deutschland haben sie wenig zu tun. Eine Landschaft als Südseeinsel, eine mit Dinosauriern, eine mit Piraten. Der von künstlichen Felsen herabstürzende Wasserfall ist blau eingefärbt. Es soll schließlich authentisch wirken.
Das SkyWheel am Strand ist zwar schon ein paar Jahre alt, aber nach wie vor das neuntgrößte Riesenrad im Land. Es gibt Aquarien, Freizeitparks, Restaurants und zahlreiche Läden der Billigkette "Dollar Tree". Dazwischen fast nur Souvenir- und Candy-Shops, Spielhallen und mehrere Filialen von "Waffle House". Statt einer geräumigen Lobby haben die Hotels am Strand hier riesige, schlangenförmige Wasserrutschen in ihren Erdgeschossen.
Das mit dem Sex darf aber nicht übertrieben werden. Am kilometerlangen "Grand Strand" geht es strenger zu als im "Hooters". Hier herrscht explizites Tanga-Verbot. Myrtle Beach ist ein Familienort. Außer zur Spring Break, die meist einwöchigen Frühlingsferien der Colleges und Universitäten in den USA – dann fallen hier die Studenten ein.
Wer gegen diese Verordnungen ansonsten verstößt, muss mit Geldbußen von bis zu 500 US-Dollar und mit Gefängnisstrafen von bis zu 30 Tagen rechnen. Es gibt auch hier politische Korrektheit, aber im Südstaaten-Modus.
Die Alltagsprobleme fernab von Washington
Es ist ein Lebensgefühl, das voll im Trend liegt. Immer mehr Amerikaner zieht es hierher in den Süden. 2022 galt Myrtle Beach und das Umland des Ortes als die mit am schnellsten wachsende Region in den USA. Lebten hier 2010 noch rund 370.000 Menschen, waren es 2020 bereits mehr als 550.000. Tendenz weiter steigend.
Wer sich hier fortbewegen will, ist entweder mit dem Auto angereist oder schnappt sich einen Uber oder ein Fahrzeug des Wettbewerbers Lyft. Auch für kurze Wege, versteht sich. Fahrräder, Fehlanzeige. An den Namen der Fahrer lässt sich ebenfalls erkennen: South Carolina ist das Gegenteil von Washington, New York oder Los Angeles. In den großen Küstenstädten sind Uber und Lyft oft der Dritt- oder Viertjob für Menschen aus Äthiopien, Afghanistan und auch für viele schwarze Amerikaner. In Myrtle Beach heißen die Billig-Chauffeure hingegen Larry, Gilbert oder Fred. Weiße Männer um die 70, die ihre Rente aufbessern müssen.
Als ich bei Gilbert einsteige, um zum Aquarium mit den Haien, Rochen und Pinguinen zu kommen, entschuldigt er sich. "Ich muss noch kurz dieses Telefonat mit meiner Bank beenden", sagt er. "Kein Problem", sage ich. Er bittet die Frau von der Bank um Hilfe. Helfen kann sie aber nicht. "Kann ich Ihnen sonst noch weiterhelfen?", spult sie ihren gelernt freundlichen Service-Satz herunter. Gilbert seufzt: "Nein, können Sie nicht." Er solle noch einen großartigen Tag haben, wünscht ihm die Frau und legt auf.
Gilbert fährt los und hat gerade viel Geld verloren. Auf der Suche nach einer Servicenummer von Apple geriet er vor wenigen Stunden offenbar in den Google-Ergebnissen an eine Telefonnummer von Betrügern. "Der Mann hatte einen indischen Akzent", sagt Gilbert. Mehr als eine Stunde lang habe er mit ihm telefoniert und ihm auf Verlangen alle möglichen Daten mitgeteilt. Als Gilbert auflegte, war seine Kreditkarte um 5.000 Dollar ärmer. "Ich hätte das doch merken müssen", sagt er und versucht, nicht verzweifelt zu wirken.
Trump, der praktische Problemlöser
Die Alltagsprobleme der Menschen von Myrtle Beach überwiegen die große Politik. Die Gerichtsverfahren gegen Donald Trump lassen die Leute hier kalt. Wichtiger sind pragmatische Lösungen für das Heute, statt komplexer Antworten für Morgen.
Das weiß auch Trump. Rund 250 Kilometer von der Küste entfernt spricht er an diesem Tag in South Carolina in der Stadt Columbia bei der "Silver Elephant Gala" der republikanischen Partei. Minutenlang redet er über Umweltschutzregularien aus Washington, die in Wahrheit nur das Leben der Menschen erschweren würden.
Das fange schon bei den "kleinen Dingen" an, sagt Trump. Zum Haarewaschen benötige man heute zehn Minuten. Denn in modernen Wasserhähnen müssten sparsame Strahlregler eingesetzt werden. "Ich habe die alle herausgerissen", witzelt er. Der Saal lacht. Trump triumphiert als Entertainer. Es sind lebensnahe Beispiele, über die sich jeder schon geärgert hat. In den Umfragen liegt er auch hier in South Carolina vorne. Und das, obwohl mit Tim Scott und Nikki Haley sogar zwei von hier stammenden und beliebten Politiker bei den Vorwahlen der Republikaner antreten.
Verkaufsschlager Donald Trump
Auf dem Highway in den Norden von Myrtle Beach hat Richard Kligman einen Weg gefunden, aus Trump Geld zu machen. Innerhalb seines Ladens für Lenkdrachen hat er 2022 sein Segment politisch extrem erweitert und noch einen großen "Trump-Store" eröffnet. Er selbst stammt aus Washington und gibt an, 2020 für den demokratischen Senatskandidaten für South Carolina gestimmt zu haben.
Seit er begonnen habe, Trump-Fahnen in seinem Schaufenster zu platzieren, hätten ihm die Leute die Dinger förmlich aus der Hand gerissen, sagt er. Sein Geschäft mit dem Ex-Präsidenten als Wackelkopf und Flaschenöffner, auf Strandtüchern, Stickern und Kugelschreibern läuft seither Bombe. In Interviews sagt Kligman: "Die Nachfrage nach Trump-Produkten hier unten im Süden ist überwältigend." In seinem dazugehörigen Onlineshop verkauft er auch eine Fake-Kreditkarte. Auf der steht: "White Privilege". Ein Spaß für Weiße.
In Myrtle Beach wird es Nacht. Die Fahrgeschäfte der Freizeitparks blinken. An einem Stand kann man sich mit Spielzeug-Maschinengewehren Stofftiere schießen. Geruch von Zuckerwatte und Maiskolben mit Butter. Aus den Lautsprechern schallt "Like a Virgin" von Madonna von 1984.
Ein paar Meter weiter laufen tatsächlich zwei Männer Händchen haltend an einem Lokal mit dem Namen "Captain Benjamin's" vorbei. Drinnen gibt es "All you can eat"-Seafood-Buffet für rund 30 Dollar. Draußen vor dem Eingang steht ein dicklicher, blonder Junge im Grundschulalter und starrt die beiden an. Er trägt ein schwarzes T-Shirt, das zu den Verkaufsschlagern im Ferienparadies von South Carolina gehört. "I Love Hot Moms" (Ich liebe heiße Mütter) ist darauf zu lesen.
- Eigene Recherchen vor Ort