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Kaukasus: Armenier verlassen Bergkarabach – ein Pater aber bleibt


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Aserbaidschan übernimmt Bergkarabach
"Ich werde dieses Kloster nicht zurückgeben"


22.11.2020Lesedauer: 4 Min.
Pater Hovhannes neben einem russischen Militärfahrzeug: Russland entsendet knapp 2.000 Friedenssoldaten für fünf Jahre nach Bergkarabach.Vergrößern des Bildes
Pater Hovhannes neben einem russischen Militärfahrzeug: Russland entsendet knapp 2.000 Friedenssoldaten für fünf Jahre nach Bergkarabach. (Quelle: Stringer/reuters)
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Viele Armenier verlassen in diesen Tagen Bergkarabach. Einer bleibt und zeigt sich trotz des Kriegsausgangs nicht gebrochen. Damit spricht er vielen aus der Seele.

Pater Ter Hovhannes Hovhannesyan will bleiben, obwohl in diesen Tagen seine Welt um ihn herum zerbricht. Seine armenischen Landsleute räumen ihre Häuser, decken die Dächer ab – was zurückbleibt, verbrennen sie. Nicht ein Stein soll mehr auf dem anderen stehen, wenn Aserbaidschan in diesen Tagen die Kontrolle über große Teile Bergkarabachs übernimmt.

Seit fast 30 Jahren lebt der Pater in Bergkarabach – der Region, wegen der sich Aserbaidschan und Armenien in den vergangenen Wochen zum wiederholten Male bekriegt haben. Die De-facto-Republik Bergkarabach wird seit Langem überwiegend von Armeniern bewohnt, in einer UN-Resolution wurde das Gebiet bis zu einer endgültigen Lösung des Konflikts Aserbaidschan zugesprochen. "Die Armenier wollen ihre Häuser nicht dem Feind überlassen", sagt Hovhannes. "Sie haben sie mit eigenen Händen Stein für Stein erbaut, nun zerstören sie sie mit einem tiefen Schmerz".


Sein Zuhause ist das Kloster Dadivank. Im Mittelalter erbaut, ist es ein zentrales Symbol der armenischen Kirche – auch weil es zeigt, wie lange die christliche Tradition schon in der Region verankert ist. Hovhannes hat dem Kloster in den vergangenen Jahren zu neuem Glanz verholfen. Als er es 2006 übernommen hat, war es in keinem guten Zustand, erzählt er. Noch in Zeiten der Sowjetunion seien auf dem Gelände Tiere gehalten worden. Er entdeckte, dass sich unter der schmutzigen Fassade Malereien befanden. In mühseliger Arbeit richtete er die Gebäude wieder her, 2015 erst wurden sie dann mithilfe von Investoren und Freiwilligen aufwendig restauriert. Auf Facebook präsentiert er sein Kloster der Welt. Dort ist auch er zu sehen, in schwarzer Kutte, mit Kreuzanhänger, grauem Bart und entschlossenem Blick.

Christliche Symbole werden in Sicherheit gebracht

Mit dem Krieg geht den Armeniern nun nicht nur dieses Kloster, sondern auch ein großer Teil der Region Bergkarabach verloren. Der Pater traut den "Vandalen", so nennt er die Aserbaidschaner, zu, alles zu zerstören. So wie er denken viele: In der gesamten Region wurden bereits Kirchen leergeräumt und die christlichen Symbole in Sicherheit gebracht. Wie real diese Angst ist, darüber lässt sich nur mutmaßen. Allerdings berichten Menschenrechtsorganisationen von Kriegsverbrechen auf beiden Seiten, wobei Aserbaidschan deutlich mehr begangen haben soll. Unter anderem sind armenische Gefangene öffentlich hingerichtet worden, außerdem hat sich Aserbaidschan offenbar von syrischen Söldnern unterstützen lassen.

Auch Hovhannes hat zunächst Chatschkars, sogenannte Gedächtnissteine mit kunstvollen Fräsungen und einem Kreuz in der Mitte, aus seinem Kloster geschafft. Dann geschah nach Tagen des Bangens ein kleines Wunder: Russische Friedenstruppen werden das Kloster bewachen und dessen Fortbestand garantieren – zumindest für die kommenden fünf Jahre. Was danach passiert, ist ungewiss.

Der Pater mit der Kalaschnikow

Der Pater hat in den vergangenen Tagen viele Interviews gegeben, in Armenien ist er bekannt. Das liegt an seiner Hingabe für das Kloster. Noch bevor nun klar war, dass die Russen es beschützen werden, hatte er bereits den Beschluss gefasst, dort zu bleiben. Er wolle die Schönheit des Ortes bewahren. "Die Kirche gehört Gott und soll für immer der christlichen Welt gehören", sagt er.

Er ist auch bekannt für seinen Kampfeswillen. Dabei greift er teils zu drastischen Botschaften, die auch in Armenien umstritten sind: Am 10. November, nachdem Armenien und Aserbaidschan unter der Schirmherrschaft von Russland und der Türkei das Friedensabkommen unterzeichnet hatten, bezichtigt er den Premier Nikol Paschinjan auf seinem Facebook-Profil als Verräter. Dazu posierte er auf einem Bild mit einer Kalaschnikow, zum wiederholten Mal.

Gegenüber westlichen Medien äußert er sich zwar moderater, seine Botschaft aber ist klar: "Ich werde dieses Kloster nicht zurückgeben". Der Geistliche, der selbst Anfang der 1990er noch als Student im Krieg um Bergkarabach gekämpft hat, zeigt sich trotz des Ausgangs des Krieges nicht gebrochen – und spricht damit vielen Armeniern aus der Seele.

Der Konflikt um Bergkarabach: Die Führung der Sowjetunion sprach das überwiegend armenisch bewohnte Gebiet 1921 Aserbaidschan zu. Dagegen gab es in Bergkarabach immer wieder Proteste, bis Ende der 1980er Jahre ein blutiger Konflikt ausbrach, in den schließlich auch Armenien einstieg und gemeinsam mit der Armee Bergkarabachs die Region unter ihre Kontrolle brachte. Bergkarabach selbst bezeichnet sich als unabhängig, in einer UN-Resolution wurde das Gebiet bis zu einer endgültigen Lösung des Konflikts Aserbaidschan zugesprochen. Mehr dazu lesen Sie hier.

Vom Westen im Stich gelassen

Denn nicht nur für Hovhannes, auch für viele Armenier ist trotz des Waffenstillstandsabkommens die Frage um Bergkarabach nicht geklärt. Tausende demonstrierten in den vergangenen zwei Wochen in der Hauptstadt Eriwan, schimpften den Premier wie der Geistliche als "Verräter" und forderten seinen Rücktritt. Sich mit dem Status quo nach mehreren Wochen Krieg abzufinden, das erfreut sich hier keiner Beliebtheit. Die nun demonstrierenden Armenier fühlen sich aber nicht nur von ihrer Regierung verraten. Der Rest der Welt habe weggeschaut, als Aserbaidschan sie mithilfe der Türkei am 27. September überfallen hat, meinen sie.

Trotz aller Enttäuschung liegt die Hoffnung der Armenier nun auf Europa und Russland. Das denkt auch Pater Hovhannes: "Die Frage darf nicht nur auf den Schultern Armeniens liegen bleiben. Auch Europa muss eingreifen." Die Hoffnung lastet nun auf der "Minsker Gruppe", die seit 1992 bereits den Konflikt begleitet und auch jetzt wieder verhandeln will. Die Gruppe gehört zur Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und wird von den USA, Russland und Frankreich angeführt. Russland ist Armeniens Schutzmacht und auch der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian betonte bereits die enge Verbundenheit Frankreichs zu dem Land. Nur: Wenn in den vergangenen Jahren nicht einmal ein Friedensabkommen zustande kam, wieso sollte es nun passieren?

Viele Armenier sind in den vergangenen Tagen noch einmal zum Kloster Dadivank gekommen – das letzte Mal für eine längere Zeit? Pater Hovhannes sieht das anders: "Nicht um sich zu verabschieden", sagt der Geistliche. Sondern um zu beten – und um zu zeigen, dass sie an ihn und die Kirche glauben. Er ist sich sicher, dass die Menschen bald wieder in ihre Häuser zurückkehren können. Viel mehr aber als auf ein weiteres Wunder zu hoffen, bleibt den Armeniern nicht.

Verwendete Quellen
  • Telefongespräch mit Ter Hovhannes Hovhannesyan und Dolmetscherin
  • Eigene Recherche
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