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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Drohender Krieg zwischen Israel und dem Iran Putin greift ein, Xi duckt sich weg
China und Russland streben zusammen mit dem Iran eine neue Weltordnung an. Doch unterstützen Xi Jinping und Wladimir Putin das iranische Mullah-Regime auch in einem möglichen Krieg gegen Israel?
Es war ein Schlag mitten ins Herz: Vergangene Woche tötete eine Explosion im Zimmer eines Gästehauses der iranischen Regierung in Teheran den Auslandschef der islamistischen Hamas, Ismail Hanija. Israel bekennt sich nicht zu dem Angriff, streitet aber auch nicht ab, für die Tötung von Hanija verantwortlich zu sein. Die Wut beim iranischen Regime und seinen Verbündeten ist groß. Sie schwören Rache.
Seither wartet Israel auf einen möglichen iranischen Angriff. Es ist unklar, wann die Mullahs angreifen werden. Unklar ist auch, welchen Umfang ein Angriff haben wird. Doch Israels Verbündete bereiten sich bereits vor. Vor allem die USA verlegen weitere Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe in die Region. Eine Drohung in Richtung Teheran, die den Iran von einer völligen Eskalation abschrecken soll.
Doch wie sieht es mit den Verbündeten des Iran aus? Immerhin betonen China und Russland immer wieder den strategischen Schulterschluss mit dem iranischen Mullah-Regime – insbesondere der Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine hat die Autokratien immer weiter zusammenrücken lassen. Doch die aktuelle Eskalation im Nahen Osten zeigt, dass diese Partnerschaft durchaus Grenzen hat.
Während China seinen Einfluss nicht geltend macht, steckt besonders Wladimir Putin in einem Dilemma. Der Kreml mischt im Nahen Osten mit, hat die russischen Beziehungen zu Israel nachhaltig geopfert, um das iranische Regime zu unterstützen. Trotzdem möchte Russland eine Eskalation begrenzen, denn einen Krieg würde der Iran verlieren, und das könnte wiederum zu einem Regimewechsel in Teheran führen. Ein Albtraum für Putin.
Russland liefert Waffensysteme
Vor dem Terroranschlag der Hamas gegen Israel im Oktober 2023 hatte der Kreml noch gute Beziehungen zur israelischen Regierung. Das änderte sich im vergangenen Jahr schlagartig. Putin verzichtete darauf, den Terrorakt der Islamisten scharf zu verurteilen, weil er die russischen Beziehungen zu muslimischen Staaten verbessern wollte – Staaten, die traditionell solidarisch mit den Palästinensern sind. Wie westliche Diplomaten im Gespräch mit t-online erklären, war das eine Fehleinschätzung, weil auch viele islamische Länder den Terrorismus der Hamas verurteilen.
Für Putin entwickelte sich vor allem der Iran zum wichtigsten Partner im Nahen und Mittleren Osten. Das Mullah-Regime galt international als Paria, kaum ein Land wollte seine diplomatischen Beziehungen zu den Islamisten ausbauen. Doch Russland benötigte iranische Drohnen im Ukraine-Krieg, und die iranische Führung bot sich China und Russland als strategischer Partner an, um mittelfristig die westlich dominierte Weltordnung und die Hegemonie der USA abzulösen. In der Folge entstand ein Pakt der Autokratien.
Vor diesem Hintergrund war es keine Überraschung, dass Putin die Tötung von Hanija verurteilte und er vergangenen Montag seinen Vertrauten Sergei Schoigu, den Sekretär des russischen Nationalen Sicherheitsrates, nach Teheran schickte. Wahrscheinlich war dieser Besuch schon länger geplant. Dass er aber dennoch stattfand und dass Russland im Angesicht der aktuellen Eskalation zwischen dem Iran und Israel trotzdem Waffensysteme an Teheran liefert, ist ein klarer Schlag gegen Israel.
Und mehr: Es markiert einen neuen Tiefpunkt in den russisch-israelischen Beziehungen.
Schoigu kündigte in Teheran an, dass das iranische Regime nicht nur russische Luftverteidigungssysteme erhalten solle, sondern auch Iskander-Kurzstreckenraketen. Die Lieferung der Luftverteidigungssysteme sei bereits angelaufen, hieß es nach Gesprächen des Kreml mit ranghohen Vertretern des Iran. Die Iskander-Raketen haben zwar nur eine Reichweite von bis zu 500 Kilometern und können aus dem Iran Israel nicht erreichen. Aber sie können atomar bestückt werden.
Diese Waffenlieferungen sprechen für die Sorge Moskaus, dass die USA und ihre Verbündeten einen Regimewechsel im Iran militärisch forcieren könnten. Das ist Putins große Angst, ein Szenario, das er verhindern möchte. Aber um jeden Preis?
Putin gibt rote Linie vor
Mit Blick auf die aktuelle Eskalation steckt Russland in einer Zwickmühle. Putin drängte laut Insidern die iranische Führung zur Mäßigung bei Vergeltungsaktionen gegen Israel. Schoigu soll eine entsprechende Nachricht an den obersten Führer des Iran, Ajatollah Ali Chamenei, übergeben haben. Wie die Nachrichtenagentur Reuters von eingeweihten Personen aus der Islamischen Republik erfuhr, rät der Kremlchef dem Iran von Angriffen auf israelische Zivilisten ab, aber eben nicht allgemein von einem Gegenschlag.
Die russische Botschaft lautet also: Der Iran kann durchaus Israel angreifen. Das daraus resultierende Chaos könnte eben im Interesse des Kreml liegen. Es soll zwar kein großer Krieg im Nahen Osten entstehen, der russische Sicherheitsinteressen berührt und den das iranische Regime am Ende nicht überstehen könnte. Aber Putin setzt auf Unruhe in der Region. Immerhin würde das die westliche Aufmerksamkeit von der Ukraine ablenken – und davon würde Russland profitieren.
Der russische Präsident lässt also den Mullahs bei einem möglichen Vergeltungsschlag fast freie Hand, setzt aber Grenzen, um eine mögliche Eskalation einzudämmen. Es ist eine ähnliche Strategie wie die des chinesischen Präsidenten Xi Jinping mit Blick auf die Ukraine. Auch China lässt den russischen Präsidenten seinen Angriffskrieg führen, gibt aber rote Linien vor: Der Einsatz von Atomwaffen etwa ist für Peking inakzeptabel.
Der Iran ist abhängig von China
Zwischen China, Russland und dem Iran gibt es also keine strategische Partnerschaft auf Augenhöhe. Der Iran ist das schwächste Glied in der Kette, China die dominierende Supermacht. Trotzdem zeigt vor allem der Nahostkonflikt, dass Supermächte nur bedingt Einfluss auf die gegenwärtige Dynamik haben. Die US-Regierung hat es bisher nicht geschafft, dass Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auf eine Deeskalation der Lage hinarbeitet. Und auch China scheint nur bedingt Einfluss auf Teheran zu haben.
Aber möchte Xi Jinping diesen überhaupt geltend machen? Die Möglichkeit hätte er, denn China hat einen Hebel. Die Volksrepublik ist der wichtigste Handelspartner des Iran, importiert immer mehr iranisches Rohöl und nutzt das Land als Absatzmarkt für eigene Produkte. Peking setzt auf Handel mit dem Mullah-Regime, hat dem Iran den Zugang zur Brics-Vereinigung und zur Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit ermöglicht. Außerdem investiert China seit Jahren in iranische Infrastruktur.
In jedem Fall gibt es also eine wirtschaftliche Abhängigkeit des Iran von der Volksrepublik. Das allein führt jedoch nicht automatisch dazu, dass Peking auch Einfluss auf die gegenwärtige Situation hat. Denn wenn Xi Jinping seinen Einfluss auf Teheran zu offensiv nutzte, hätte das wahrscheinlich abschreckende Wirkung auf andere Staaten in der Region, die auch abhängig von China sind. Peking setzt auf wirtschaftliche Zusammenarbeit und möchte sich gleichzeitig möglichst aus den politischen Angelegenheiten seiner Partner heraushalten. Das ist der strategische Kern der chinesischen Außenpolitik, und die chinesische Führung bewirbt genau das als ordnungspolitisches Gegenmodell zur Hegemonie der USA.
China hat seine Interessen im Blick
Mit Blick auf den Nahen Osten liegt vor allem eines auf der Hand: Der Fokus der chinesischen Politik liegt auch in der Region auf dem globalen Wettstreit mit den Vereinigten Staaten. Deswegen hat für Peking vor allem Priorität, sich strategisch von den USA abzusetzen.
Offiziell gibt sich China im Konflikt zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas zwar neutral, aber das ist lediglich Fassade. Chinesische Staatsmedien kritisieren die israelische Regierung, während die Führung bis heute den Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 nicht verurteilt hat. Peking rief damals alle Seiten zur Mäßigung auf und machte kein Geheimnis daraus, dass die israelische Besetzung des Gazastreifens als Problem gesehen wird. Dagegen verurteilte das chinesische Außenministerium den israelischen Angriff auf ein iranisches Botschaftsgebäude in Damaskus im April scharf.
Dementsprechend ist zu erwarten, dass Peking dem iranischen Mullah-Regime auch in der aktuellen Lage im Hintergrund politische Rückendeckung gibt. Darauf verlassen kann sich der Iran allerdings nicht. Xi ist vorsichtig, viel vorsichtiger als Wladimir Putin. Es wäre nicht das erste Mal, dass China gemeinsame Initiativen mit Teheran einstellt, weil der Druck aus dem Westen zu groß wird. Fest steht: Xi hat vor allem seine Interessen im Blick, und da die chinesische Wirtschaft schwächelt, ist China aktuell an Entspannung mit dem Westen interessiert.
Deswegen ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich die chinesische Führung auch bei einer möglichen Eskalation zwischen dem Iran und Israel eher wegduckt, und vielmehr beide Seiten zu einer Entspannung aufruft. China möchte sich auf keinen Fall im Nahostkonflikt die Finger verbrennen, so wie andere Großmächte es schon oft getan haben. Das steht im Gegensatz zu Russland, denn Putin hat mit Blick auf die Beziehungen zum Westen eher wenig zu verlieren.
- deutschlandfunk.de: Wie groß ist Pekings Einfluss auf den Iran?
- tagesschau.de: Iran droht Israel mit "harter Bestrafung"
- faz.net: China soll Iran einhegen – das wird schwierig
- spiegel.de: USA bitten China, Türkei und Saudi-Arabien um Einflussnahme auf Iran
- stern.de: Russland stattet Iran mit Waffen aus
- spiegel.de: Putin schickt Sicherheitsratssekretär Schoigu nach Teheran
- fr.de: Russland liefert Iran Waffen: Mischt Putin beim Flächenbrand in Nahost mit?
- merkur.de: Russland soll Iskander-Raketensysteme im Iran stationieren
- tagesspiegel.de: Putin drängt Teheran zur Mäßigung
- Eigene Recherche