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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Krieg in der Ukraine Jetzt wütet Trump
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Die russische Invasion in der Ukraine läuft nun seit drei Jahren. Wladimir Putins Armee ist aktuell zwar in der Offensive, beißt sich aber seit Kriegsbeginn militärisch die Zähne aus. Jetzt steht die Entscheidung offenbar kurz bevor.
Es war ein Schrecken, den viele westliche Staaten anfangs noch unterschätzten. Ende 2021 zog Kremlchef Wladimir Putin mehr als 100.000 Soldaten und militärisches Gerät an der ukrainischen Grenze zusammen. Damals reisten der frisch gewählte Bundeskanzler Olaf Scholz und der französische Präsident Emmanuel Macron noch nach Moskau, verhandelten mit Putin, um das Schlimmste zu verhindern. Ohne Erfolg.
Der russische Präsident gab den Angriffsbefehl, seine Armee begann am 24. Februar 2024 einen Angriffskrieg gegen das Nachbarland und rückte auf die ukrainische Hauptstadt Kiew vor.
Doch Putin hatte sich verrechnet, den Widerstandswillen der Ukraine massiv unterschätzt. Die ukrainische Armee legte nicht die Waffen nieder, ihr Präsident Wolodymyr Selenskyj verließ nicht das Land. Diese fatale Fehleinschätzung führte dazu, dass der versuchte russische Vormarsch auf Kiew für Russland zu einem der größten Desaster der Militärgeschichte wurde.
Drei Jahre nach Beginn der russischen Invasion halten die Kämpfe noch immer an. Den Preis für Putins imperiale Ziele zahlen die Bevölkerungen beider Länder: Die Ukraine und Russland beklagten in den drei Kriegsjahren bislang Hunderttausende Todesopfer. Die russische Armee führt einen gezielten Krieg gegen die ukrainische Zivilbevölkerung, besonders der Osten des Landes liegt in Trümmern.
Nun intensivieren vor allem westliche Unterstützer der Ukraine ihre Bemühungen, den Konflikt zu befrieden. Aber Putin war bislang nicht zu Kompromissen bereit, hielt an seinem Kriegsziel fest, die Ukraine langfristig zu unterwerfen. Haben die Friedensbemühungen von US-Präsident Donald Trump Aussicht auf Erfolg? Eine Bestandsaufnahme.
Putin ist in der Offensive
Gegenwärtig ist die militärische Lage für die ukrainische Armee prekär. Gekämpft wird vor allem im Osten der Ukraine, aber auch in der nordöstlichen ukrainischen Region Charkiw und im südrussischen Kursk liefern sich beide Seiten erbitterte Gefechte. Dabei ist die russische Armee aktuell an allen Frontabschnitten in der Offensive.
Aus ukrainischer Perspektive macht lediglich Hoffnung, dass Russland sehr langsam vorankommt. Ein Großteil des dritten Kriegsjahres waren Putins Truppen im Angriff, aber die tatsächlichen Erfolge sind vergleichsweise gering. Größere Durchbrüche der Russen blieben aus.
Auf dem Papier lesen sich die russischen Erfolge seit dem Februar 2024 eher überschaubar: Russland konnte insgesamt etwa 4.500 Quadratkilometer im dritten Kriegsjahr erobern, die Ukraine brachte es vor allem mit den Offensiven in Kursk auf etwa 530 Quadratkilometer. Der Unterschied ist erheblich, aber gemessen daran, dass die Ukraine seit vielen Monaten in Verteidigungs- und Rückzugsgefechten steckt, kann sie noch immer den russischen Vormarsch bremsen.
Doch das ist lediglich auf den ersten Blick so. Denn in der Ukraine tobt ein Abnutzungskrieg, bei dem beide Armeen stetig versuchen, die jeweils andere möglichst stark zu schwächen. Aus Putins Perspektive ist es dementsprechend eigentlich egal, wo seine Armee gegen die Ukraine kämpft und wie schnell sie vorrückt. Am Ende geht es für Russland darum, unter Inkaufnahme von hohen eigenen Verlusten die ukrainische Armee langsam immer weiter zu schwächen, sodass sie mittelfristig aufgeben muss. Denn zahlenmäßig bleibt die russische der ukrainischen Armee überlegen.
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Eine zweite Ebene dieses Abnutzungskrieges besteht aus Angriffen auf kritische Infrastruktur. Mittlerweile gibt es schätzungsweise mehr als 2.000 russische Drohnenangriffe pro Monat, die auch auf die Infrastruktur im Landesinneren der Ukraine zielen. Während des kalten ukrainischen Winters möchte der Kreml damit die ukrainische Kriegsfähigkeit schwächen und die Zivilbevölkerung demoralisieren.
Auch die Ukraine hat mittlerweile eine eigene Drohnenproduktion aufgebaut, die es ermöglicht, Infrastruktur in Russland anzugreifen. Immer wieder kommt es zu Angriffen auf russische Öldepots oder Flugplätze. Dieser Drohnenkrieg gegen Infrastruktur findet täglich parallel zum eigentlichen Frontgeschehen statt.
Laut den Angaben westlicher Geheimdienste sollen etwa 650.000 russische Soldaten an den Fronten im Einsatz sein. Die ukrainische Armee hingegen soll über etwa 400.000 Soldaten an der Front und über weitere 400.000 Kräfte verfügen, die als Reserve oder für andere Aufgaben in frontfernen Gebieten eingesetzt werden. Russland geht aber davon aus, langfristig auf mehr Soldaten und militärisches Gerät zurückgreifen zu können als die Ukraine.
Russland setzt auf Sieg
Das erklärt Putins skrupellose Kriegstaktik. Er opfert täglich Hunderte Menschen in dem Bewusstsein, dass er über mehr Reserven verfügt als seine ukrainischen Gegner. Doch es ist nicht nur die Quantität an Personal, die Putin aktuell in die Karten spielt. Neben der größeren Verfügbarkeit von Infanterie und Drohnen hat die russische Armee noch weitere Vorteile: etwa die Luftüberlegenheit in Verbindung mit dem Einsatz von Gleitbomben und mehr verfügbare Artillerie und Artilleriemunition.
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Was Putin fordert
Russland fordert die vollständige Übergabe und Anerkennung der von Putin annektierten Oblasten Luhansk, Donezk, Cherson, Saporischschja sowie der Krim. Weitere Forderungen sind die Entmilitarisierung und zukünftige Neutralität der Ukraine. Nato-Soldaten sollen nicht in der Ukraine stationiert werden.
Der Kreml hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, den Krieg noch länger führen zu können. Die russische Wirtschaft wurde auf Kriegswirtschaft umgestellt. So will das Land jährlich 70.000 Gleitbomben produzieren, und allein aus Nordkorea sollen jährlich etwa drei Millionen Artilleriegranaten geliefert werden. Die Unterstützer der Ukraine können im Vergleich gerade einmal die Hälfte an Artilleriemunition liefern.
Putin hat militärisch also kaum Gründe, sich an den Verhandlungstisch zu setzen – und das macht eine mögliche Befriedung des Konfliktes äußerst schwierig.
Russland hat zweifellos große wirtschaftliche Probleme. Die finanziellen Reserven aus dem russischen Wohlstandsfonds, der jahrelang mit Geld aus Rohstoffgeschäften gefüllt wurde, ist nahezu aufgebraucht. Die Inflation ist immens, und die russische Zentralbank scheint den Kampf aufgegeben zu haben, ihr mit Zinserhöhungen entgegenzuwirken. Ferner wird es durch die westlichen Sanktionen für Russland immer schwieriger, seine Rohstoffe an andere Staaten zu verkaufen.
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Auch wenn Putin seinen Krieg noch länger wird führen können, kommt es parallel zu einem langsamen Niedergang der russischen Wirtschaft. Aber für den Kremlchef geht es um mehr als um Sieg oder Niederlage: Er hat viel investiert, und nur 20 Prozent der Ukraine besetzt. Deswegen muss Putin innerpolitische Angst vor der Endabrechnung haben. Es geht nicht nur um sein politisches Vermächtnis; das Kriegsdesaster könnte ihn auch sein Leben kosten. Denn die Bilanz ist für Russland bislang katastrophal.
Vielleicht hat Putin auch deshalb keine seiner Forderungen aufgegeben.
Die Ukraine ist in Bedrängnis
Auch die Ukraine steht am Scheideweg. Militärisch wird es für Kiew immer schwieriger, Personal zu rekrutieren. Die Front ist überdehnt, die ukrainische Armee hat zu wenig Soldaten, um den gesamten Frontverlauf zu verteidigen. Deswegen schafft es Russland immer wieder, Lücken in der Front zu lokalisieren und die ukrainischen Verteidiger Stück für Stück zurückzudrängen.
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Was die Ukraine möchte
Ein Ziel der Ukraine ist die Wiederherstellung der eigenen Souveränität in den Grenzen von 1991. Kiew möchte Bündnisfreiheit, also das Recht, der Nato und der EU beitreten zu dürfen. Russland soll für die entstandenen Kriegsschäden in der Ukraine aufkommen.
Der Mangel an Soldaten und ihre verkürzten Ausbildungszeiten führen dazu, dass es der Ukraine an erfahrenen Kämpfern an der Front fehlt, und es zu Desertionen kommt. Den Personalmangel müsste die Ukraine außerdem durch eine Überlegenheit an Material ausgleichen, aber die westlichen Unterstützungen kamen zu zögerlich.
Stand jetzt kann die Ukraine den Krieg wahrscheinlich noch länger durchhalten, aber eben nicht so lange wie Russland.
Doch das größte Problem für die Ukraine liegt aktuell augenscheinlich woanders: in Washington. Durch den Amtseintritt von US-Präsident Donald Trump wird der Ukraine-Krieg in eine neue Phase eintreten, das steht schon jetzt fest. Der Republikaner wird sich mit Putin in Saudi-Arabien treffen, um mit ihm über einen möglichen Frieden zu verhandeln.
Um für Gesprächsbereitschaft beim russischen Präsidenten zu sorgen, verzichtet Trump auf verbale Angriffe in Richtung des Kreml. Aber der Republikaner geht noch viel weiter.
Trump legte der Ukraine einen Knebelvertrag vor, der das Land zur Abgabe eines großen Teils ihrer Bodenschätze verpflichten sollte. Als Selenskyj dies ablehnte, geriet Trump sichtlich in Rage und übernahm in seinen darauffolgenden Äußerungen Narrative der russischen Propaganda. Den ukrainischen Präsidenten nannte er einen "Diktator ohne Wahlen", obwohl die Ukraine während des Kriegs keine Wahlen abhalten kann.
Die Ukraine und ihre europäischen Verbündeten bleiben bei den Gesprächen mit Putin außen vor. Gleichzeitig fordert Trump, dass die Europäer die Sicherheitsgarantien für die Ukraine übernehmen – obwohl diese das Land nicht ausreichend vor Russland schützen können.
Trump wirkt im Ukraine-Krieg wie eine tickende Bombe – und es bleibt ungewiss, ob sie auf russischer oder ukrainischer Seite explodiert. Auch Putin ist nicht sicher.
Deshalb ist es völlig unklar, wie es nun im vierten Kriegsjahr weitergeht. Eigentlich müsste die US-Regierung die Ukraine massiv militärisch unterstützen, um Putin an den Verhandlungstisch zu zwingen. Aber danach sieht es gegenwärtig nicht aus. Stattdessen scheint es Trump vor allem um Geld zu gehen, und erst die Zeit wird zeigen, inwiefern er sich von Russland manipulieren lässt. Die Welt hält in den kommenden Monaten den Atem an.
- Eigene Recherche