Geländegewinne als Verhandlungsmasse? Ukraine: Putin will noch mehr Gebiete erobern

Der Ukraine könnte bald eine weitere russische Offensive bevorstehen. Regierungskreise in Kiew berichten von entsprechenden Vorbereitungen.
Russland plant nach Angaben ukrainischer Regierungskreise eine größere Offensive in den kommenden Wochen. Damit soll der Druck auf die Ukraine erhöht werden, weitere Konzessionen für mögliche Friedensverhandlungen zu machen, berichtet die Nachrichtenagentur AP. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte unter Berufung auf Geheimdienstberichte, dass Russland neue Vorstöße nahe Sumy, Charkiw und Saporischschja plane.
"Sie ziehen die Gespräche in die Länge und versuchen, die USA in endlose und sinnlose Diskussionen über falsche 'Bedingungen' zu verwickeln, nur um Zeit zu gewinnen und dann zu versuchen, mehr Land zu erobern", sagte Selenskyj bei einem Besuch in Paris. Nach AP-Informationen wird diese Einschätzung auch von westlichen Verbündeten geteilt.
Russland hat einen US-Vorschlag für einen 30-tägigen Waffenstillstand abgelehnt. Ein Abkommen über eine Waffenruhe im Schwarzen Meer kam ebenfalls nicht zustande, weil Russland weitere Forderungen nachlegte.
Weiterhin schwere russische Angriffe auf zivile Objekte
Trotz der Bemühungen um Friedensverhandlungen bombardiert Russland weiterhin zivile Einrichtungen in der Ukraine. Am Freitag starben vier Menschen, als russische Drohnen die Stadt Dnipro angriffen. Acht Personen wurden bei einem Angriff auf Selenskyjs Heimatstadt Krywyj Rih verletzt.
Angesichts der massiven russischen Drohnenschläge jede Nacht gegen die Ukraine hat Präsident Wolodymyr Selenskyj die USA zum Handeln aufgerufen. Es bedarf einer scharfen Reaktion Amerikas, Europas und all jener, die sich um ein Ende des Kriegs bemühen, sagte Selenskyj in seiner in Kiew verbreiteten allabendlichen Videobotschaft. Allein in der Nacht zum Samstag habe es mehr als 172 Drohnenangriffe auf das Land gegeben.
Kremlherrscher Wladimir Putin selbst hatte bei seinem Besuch einer Marinebasis in Murmansk davon gesprochen, dass die russischen Truppen vorrücken und die Frontlinie kontrollieren. Ukrainische Militärkommandeure sagten, dass russische Einheiten kürzlich ihre Angriffe verstärkt haben, um ihre taktischen Positionen vor der erwarteten breiteren Offensive zu verbessern. "Sie brauchen Zeit bis Mai, das ist alles", sagte der ukrainische Militäranalyst Pavlo Narozhnyi, der mit Soldaten arbeitet und von ihnen Informationen erhält, der AP.
Möglich ist, dass Russland Truppen aus Kursk abzieht, um an anderer Stelle anzugreifen. Diese hätten einen großen Teil des kurzzeitig von der Ukraine eroberten russischen Territoriums zurückerobert und seien hochmotiviert, sagte ein ukrainischer Kommandeur der Nachrichtenagentur. "Sie bereiten Offensivaktionen an der Front vor, die sechs bis neun Monate dauern sollen, fast das ganze Jahr 2025", sagte der ukrainische Militäranalyst Oleksii Hetman, der Verbindungen zum Generalstab des Militärs hat.
Ukraine dringt offenbar in Belgorod ein
Die Ukraine hatte weite Teile der russischen Region Kursk in einem Überraschungsangriff eingenommen, wohl auch, um diese als Verhandlungsmasse einzusetzen. Mittlerweile hat aber Russland fast 80 Prozent zurückerobert.
Dennoch geben Kiews Truppen nicht auf. Bei Belgorod, ebenfalls auf russischem Gebiet, soll ihnen ein Vorstoß gelungen sein. Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, seien ukrainische Truppen bis zu 18 Kilometer tief in russisches Gebiet eingedrungen. Russische Militärblogger hatten zuerst auf den Vorstoß aufmerksam gemacht. Von offizieller Seite gab es zunächst keine Bestätigung. Die Aktion dürfte aber auch eher eine Ablenkungsmaßnahme sein. Die Ukraine hat an mehreren Frontabschnitten zu kämpfen und dürfte derzeit kaum Material und Truppen haben, um sich in Belgorod festzusetzen.
- apnews.com: "Russia-Ukraine war: Spring fighting ramps up as talk of cease-fire persists" (englisch)
- reuters.com: "Moscow advances in Kursk, fights Ukrainians in another part of Russia, war bloggers say" (englisch)
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa