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Israel | Angehöriger von Hamas-Geisel: "Seitdem leben wir in der Hölle"


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Angehöriger von Hamas-Geisel
"Jetzt ist es mein Job, meinen Sohn zu finden"

  • David Schafbuch
InterviewVon David Schafbuch

Aktualisiert am 22.01.2024Lesedauer: 5 Min.
imago images 0387799401Vergrößern des Bildes
Plakate erinnern an die Geiseln der Hamas in Tel Aviv: Noch immer sind zahlreiche Israelis in der Gewalt der Terroristen. (Quelle: Debbie Hill/imago-images-bilder)

Tamir Nimrodi wurde am 7. Oktober von der Terrororganisation Hamas entführt. Seitdem versucht sein Vater alles, um seinen Sohn wiederzusehen.

Alon Nimrodi hat ereignisreiche Tage hinter sich: In Israel traf er zuletzt etwa Außenministerin Annalena Baerbock. Am vergangenen Montag empfing ihn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Berlin. Nimrodi ist weder Politiker noch Diplomat. Doch es sei nun sein Job, mit ihnen zu reden, sagt er. Denn Alon Nimrodis 19-jähriger Sohn, der Deutsch-Israeli Tamir, wurde am 7. Oktober von Hamas-Terroristen entführt. Seitdem versucht Nimrodi, alles in Bewegung zu setzen, damit sein Sohn wieder freikommt.

Seit Tamir an jenem schicksalhaften Tag in den Gazastreifen verschleppt wurde, wisse die Familie nichts mehr über seinen Gesundheitszustand oder seinen Aufenthaltsort. t-online sprach mit Alon Nimrodi am Rande seines Besuches in Berlin.

t-online: Herr Nimrodi, Ihr Sohn wurde von der Hamas am 7. Oktober als Geisel genommen. Wo waren Sie, als Sie davon gehört haben?

Alon Nimrodi: Ich bin von Tamirs Mutter geschieden und war an diesem Tag mit meiner Partnerin im Urlaub in Griechenland. Er ist mein ältester Sohn, seine Mutter war mit seinen zwei jüngeren Schwestern in Israel. Wir erfuhren am Nachmittag, dass Tamir gekidnappt wurde. Meine jüngste Tochter hatte ein Video gesehen, wie Tamir gefangen genommen wurde, und ist weinend zu ihrer Mutter gelaufen.

Das Video hatte die Hamas veröffentlicht.

Die ersten Aufnahmen waren von schlechter Qualität. Wir konnten das Gesicht von Tamir und seinen beiden Freunden nicht genau erkennen, die ebenfalls gefangen genommen wurden. Ich habe es mir immer wieder angesehen. Gewissheit hatten wir erst, nachdem die Hamas ein zweites Video veröffentlicht hatte.

Ihr Sohn verrichtete zu dem Zeitpunkt seinen Militärdienst und arbeitete mit zwei seiner Freunde auf einem Stützpunkt in der Nähe des Gazastreifens.

Tamir sah in dem Video direkt in die Kamera und überquerte zu Fuß die Grenze zum Gazastreifen. Er trug keine Schuhe und keine Brille, dabei kann er ohne sie fast nichts sehen. Tamir arbeitete als Lehrer für das Militär, er trug deshalb keine Waffe. Am Samstagabend informierte uns dann auch die Regierung darüber, dass unser Sohn entführt wurde. Seitdem leben wir in der Hölle. Vorher war ich Immobilienmakler und hatte einen kleinen Cateringdienst. Jetzt ist es mein Job, meinen Sohn zu finden.

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Können Sie sich an den letzten Moment erinnern, als Sie ihn gesehen oder gesprochen haben?

Er mag es nicht, wenn wir ihn stören, während er beim Militär ist. Wir sehen ihn nur an den Wochenenden. Das Letzte, was er uns mitgeteilt hat, war eine Einkaufsliste. Er schrieb mir, dass er auf mich zählen würde, dass ich alles besorgen könne. (lacht)

Haben Sie seitdem irgendwelche Informationen darüber erhalten, wie es Ihrem Sohn geht?

Nein. Wir wissen lediglich, dass er von der Hamas verhört wurde, das ist alles. Vor zwei Monaten wurde ein weiteres Video von seinen zwei gefangenen Freunden veröffentlicht. Sie machten einen gesunden Eindruck. Einen Monat später hat die israelische Armee ihre Leichen gefunden. Ich sage immer: Die Zeit hat sie getötet. Was mit Tamir passiert ist, wissen wir nicht. Aber wir können nicht länger warten. Die Geiseln müssen so schnell wie möglich freikommen.

Wie hat sich die Stimmung in Israel seit dem 7. Oktober verändert?

Am 7. Oktober hat das Land Israel seinen eigenen Holocaust erlebt. Gleichzeitig ist die gesamte Bevölkerung wieder enger zusammengerückt. Die Zivilgesellschaft unterstützt uns wirklich sehr. Wir hoffen, dass das so bleibt. Das wäre das einzig Gute, was dieser Tag verursacht haben könnte.

Und was sagen Sie zur Politik Ihrer Regierung? Es gibt seit den Terroranschlägen immer wieder große Proteste: Unter anderem wird kritisiert, dass sie sich nicht genug mit den Geiseln beschäftige.

Viele Leute kritisieren unsere Regierung. Uns bleibt aber gerade nichts anderes übrig, als ihr zu vertrauen. Ich habe noch nie an einer dieser Demonstrationen teilgenommen. Ich tue nur Dinge, von denen ich glaube, dass sie meinem Sohn und den anderen Geiseln konkret helfen könnten. Ich will mit Interviews für Aufmerksamkeit sorgen und spreche viel mit Menschen, die helfen wollen. Unsere Politiker werden sich nach dem Krieg verantworten müssen, aber nicht jetzt.

Sie sind hier in Berlin, weil Ihr Sohn auch einen deutschen Pass hat. Wie bewerten Sie die Arbeit der deutschen Regierung in diesem Konflikt?

Tamirs Mutter hat deutsche Vorfahren, deshalb ist er Israeli und Deutscher. Die Bundesregierung tut wirklich sehr, sehr, sehr viel, um all ihren Staatsangehörigen zu helfen. Wir vertrauen der deutschen Regierung mehr als unserer eigenen.

Warum ist das so?

Ich sehe den deutschen Politikern an, dass sie ehrlich zu uns sind. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Außenministerin Annalena Baerbock, Justizminister Marco Buschmann oder der außenpolitische Berater von Herrn Scholz, Jens Plötner: Ich habe sie alle getroffen und erkannt, dass sie sehr viel für Israel tun und versuchen, alle Geiseln zu befreien. Sie sehen das als ihre Pflicht an. Sie tun viel mehr als das, was in den Medien berichtet wird.

Hatten Sie vergleichbare Treffen auch mit Mitgliedern aus Ihrer Regierung?

Ich habe mit vielen Politikern gesprochen, auch mit unserem Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und Präsident Izchak Herzog. Aber unsere Politiker sagen uns nicht die Wahrheit, sie sind nicht wie die deutschen. Ich glaube, dass sie hinter verschlossenen Türen anders sprechen.

Was, meinen Sie, verschweigen sie?

Sie sagen uns gar nichts. Wir hören nur, dass sie mit dem Krieg weitermachen wollen und die Armee unterstützt werden muss.

Die israelische Regierung hat auf die Terrorangriffe der Hamas mit einem massiven Militäreinsatz reagiert. Manche halten die Maßnahmen für überzogen. Wie sehen Sie das?

Ich bin kein Militärexperte, aber mich interessieren die Menschen im Gazastreifen nicht. Mir geht es nur um unsere geliebten Angehörigen, die dort gefangen gehalten werden. Für die interessiert sich niemand im Gazastreifen.

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Fürchten Sie nicht, dass die Geiseln möglicherweise durch die Militärschläge gefährdet werden könnten? Drei von ihnen sind bei einem Einsatz der israelischen Armee im Dezember ums Leben gekommen.

Ich habe keine Idee, was der beste Weg ist. Ich weiß nur, dass alle Geiseln möglichst schnell freikommen müssen. Ob das auf militärischem oder diplomatischem Weg am einfachsten machbar ist, kann ich nicht sagen. Die Menschen in Europa sollten nicht vergessen: Israel ist eure Mauer gegen den Terrorismus. Wir beschützen euch im Nahen Osten, also solltet ihr auch uns beschützen. Niemand möchte hier, dass es zu solchen Anschlägen wie in Israel kommt. Das sollte niemand vergessen. Die Situation der Geiseln sollte jeden Tag auf der Titelseite aller Zeitungen stehen.

Was würden Sie Ihrem Sohn sagen, wenn er jetzt durch die Türe käme?

Ich würde ihn zuerst lange umarmen. Dann würde ich ihm sagen, was wir alles unternommen haben, um ihn zurück nach Hause zu holen, dass ich ihn sehr vermisst habe und ihn sehr liebe.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Alon Nimrodi
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