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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Außenminister Heiko Maas "Wir lassen uns das nicht gefallen"
Die Corona-Krise hat viele Länder fest im Griff, trotzdem gibt es global immer mehr Konflikte. Der Weltgemeinschaft fällt es immer schwerer, diese Probleme zu lösen. Außenminister Maas nennt die Gründe dafür.
Die Corona-Pandemie ist aktuell die größte globale Krise, aber auch immer mehr Kriege und Konflikte halten die Welt in Atem. Daneben ringen vor allem die Großmächte USA, China und Russland um Macht und Einfluss. Durch zunehmenden Protektionismus sind die Vereinten Nationen und speziell der UN-Sicherheitsrat gegenwärtig oft nicht in der Lage, diese Probleme in internationaler Zusammenarbeit zu lösen.
Deutschland sucht in dieser politischen Welt der Krisen und des Umbruchs seinen Platz in der politischen Ordnung nach der Pandemie. Die Bundesrepublik ist in internationalen Krisen oft als Vermittler tätig. Aber übernimmt Deutschland international genug Verantwortung?
Darüber spricht t-online mit Heiko Maas. Auch der Bundesaußenminister ist gegenwärtig in Quarantäne, nachdem es eine Corona-Infektion in seinem Bekanntenkreis gab. Seitdem steuert der Chefdiplomat die deutsche Außenpolitik von zu Hause, wir erreichen ihn in seinem Wohnzimmer.
t-online: Herr Maas, Sie sind wegen einer Corona-Erkrankung in Ihrem Umfeld in Quarantäne gegangen. Wie macht man als Außenminister Politik aus dem Wohnzimmer?
Maas: Das funktioniert gar nicht so schlecht. Ich mache ständig Videokonferenzen und telefoniere noch mehr als üblich.
Sie haben gar keine persönlichen Kontakte?
Nein. Aber keine Sorge: Alle zwei Tage kommt jemand vorbei und stellt mir Essen vor die Tür.
Die deutsche Außenpolitik ist gegenwärtig also nur eingeschränkt handlungsfähig.
Nein, ich bin auch aus dem Wohnzimmer handlungsfähig. Grundsätzlich hat die Corona-Krise unsere Arbeit aber nicht leichter gemacht. In Krisenverhandlungen über Waffenembargos oder Friedensverträge ist es sinnvoll, wenn man dem Gegenüber auch mal in die Augen schauen kann. Wir sind alle froh, wenn das wieder möglich ist.
Dann haben Sie das TV-Duell der amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump und Joe Biden also aus Ihrem Wohnzimmer verfolgt. Es hat auch hierzulande viele Menschen schockiert und ratlos zurückgelassen. Die wichtigsten US-Politiker werfen sich Beschimpfungen an den Kopf, statt über politische Lösungen zu diskutieren: Nehmen Sie das noch ernst?
Bedauerlicherweise muss ich das ernst nehmen. Tatsächlich bin ich von der demokratischen Kultur etwas anderes gewöhnt. Die chaotische Debatte mit den ständigen Unterbrechungen und Beschimpfungen – insbesondere durch den amtierenden Präsidenten – war ein Abbild der Politik, die zurzeit in den USA gemacht wird. Das ist nicht wirklich vertrauenserweckend.
Noch mal: Sind die USA in dieser Verfassung noch ein ernstzunehmender Partner?
Ja. Denn: Die USA dürfen wir nicht auf dieses Duell und auch nicht auf das Oval Office beschränken. Wir arbeiten mit den Vereinigten Staaten in vielen Punkten vertrauensvoll zusammen.
Aber Donald Trump ist doch völlig unberechenbar, und er gibt den außenpolitischen Kurs vor.
Es ist richtig, dass aus dem Weißen Haus in den vergangenen Jahren zu oft eine Politik der Konfrontation und der Polarisierung gemacht wurde. Doch unsere Beziehungen zu den USA haben so starke Wurzeln, dass sie auch ein Präsident allein nicht ohne weiteres aus der Bahn werfen kann. Uns verbindet noch immer mehr als uns trennt.
Die Eskalation geht ja weit über das TV-Duell hinaus. Präsident Trump hat internationale Abkommen gebrochen und außenpolitische Konventionen umgepflügt. Wie groß ist der Schaden für die transatlantische Partnerschaft?
Es gibt viel Unsicherheit. Die USA ziehen sich immer mehr aus ihrer internationalen Gestaltungsrolle zurück. Es ist schwerer geworden, Lösungen für Krisen und Kriege zu finden, seit Trump im Weißen Haus ist.
Was bedeutet das für Deutschland?
Wir müssen im Dialog mit den Vereinigten Staaten den erratischen Weg von Trump abfedern. Wo andere ihr Land allein an die erste Stelle rücken, setzen wir auf internationale Kooperation. Klimawandel, Digitalisierung, Corona – die großen Fragen unserer Zeit lösen wir nur gemeinsam. Wir wollen zusammenarbeiten. Aber wir lassen eben auch nicht zu, dass andere über unsere Köpfe hinweg zu unseren Lasten handeln.
Sie hoffen also auf einen Wahlsieg Joe Bidens?
Es wird sich in den USA vieles, aber nicht alles ändern, käme ein neuer Präsident ins Amt. Unsere Interessen und Prioritäten sind nicht mehr so deckungsgleich, wie sie das in Zeiten des Kalten Krieges waren. Diese Veränderungen haben weit vor der Wahl Trumps begonnen – und werden seine Präsidentschaft überdauern. Das bedeutet für uns ganz klar: Die EU muss immer mehr Verantwortung übernehmen im globalen Ringen der Großmächte.
Wäre es nicht mal an der Zeit, dass die deutsche Außenpolitik aktiver wird?
Deutschland macht eine aktive Außenpolitik.
Das sehen viele Beobachter im In- und Ausland anders. Auch Vertreter europäischer Staaten fordern ein stärkeres Engagement Deutschlands in internationalen Fragen.
Deutschland übernimmt an sehr vielen Stellen Verantwortung. Um nur einige ganz konkrete Beispiele zu nennen: in Afrika, insbesondere im Sahel, ebenso in Afghanistan, wo wir jetzt eine entscheidende Rolle spielen im Friedensprozess. In der Ukraine hat Deutschland mit Frankreich die Vermittlerrolle übernommen. Mit der Berliner Libyen-Konferenz haben wir in einem Bürgerkrieg Verantwortung übernommen, der die ganze Region destabilisiert.
Frieden herrscht in Libyen aber immer noch nicht.
Aber es gibt nun einen ausgehandelten Waffenstillstand. Wir müssen nicht militärisch ein Gleichgewicht des Schreckens herstellen, um politische Lösungen zu erreichen. Das ist ein Irrglaube. Wir müssen Versorgungswege für Waffen unterbrechen, das ist sicherheitspolitische Verantwortung.
Russland und die Türkei unterstützen ihre jeweiligen verbündeten Konfliktparteien in Libyen aber weiterhin, auch mit Waffen und Soldaten.
Das ist ein Problem, und das müssen wir unterbinden. Deswegen haben wir als EU zur Überwachung des Waffenembargos die Marinemission Irini beschlossen. Daran ist Deutschland übrigens mit bis zu 300 Soldatinnen und Soldaten beteiligt. Das ist nicht nur ein essenzieller Beitrag zur Stabilität in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, sondern es ist auch ein wichtiges Signal europäischer Geschlossenheit und Handlungsfähigkeit, gerade in Zeiten wie diesen.
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat gefordert, dass die EU endlich "die Sprache der Macht" erlernen müsse. Gehören dazu auch mehr Militäreinsätze?
Die EU ist bereit, sich militärisch zu engagieren, das beweisen wir ja etwa gerade vor Libyen. Man kann Konflikte aber mit Militär nur kurzzeitig stoppen. Langfristig muss es immer eine politische Lösung geben. Ziviles Engagement gehört zur "Sprache der Macht" immer dazu.
Deutschland ist allerdings abhängig von seiner Exportwirtschaft. Muss die deutsche Außenpolitik deshalb zurückhaltender auftreten, um Wirtschaftsinteressen nicht zu gefährden?
Es wäre absurd zu bestreiten, dass eine Exportnation wie Deutschland nicht auch viele wirtschaftspolitische Interessen hat. Aber eine wirksame Außenpolitik kann nicht allein mit einer Wirtschaftsaußenpolitik gemacht werden. Deswegen sprechen wir auch mit Ländern wie China Menschenrechtsfragen immer wieder sehr klar an.
Die Mittel der internationalen Gemeinschaft zur Lösung von Konflikten sind schwach. Libyen, Syrien, Ukraine, jetzt der Kaukasus, dazu Corona: Wird die Welt irgendwann aus dem Krisenmodus wieder herauskommen?
Wir haben es momentan tatsächlich mit sehr vielen Krisen zu tun. Ich bin davon überzeugt, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen das Gremium ist, in dem Kriege und Konflikte aufgelöst werden müssen.
Aber der UN-Sicherheitsrat ist doch handlungsunfähig.
Die ständigen Mitglieder blockieren sich zu oft gegenseitig. Das hat dazu geführt, dass in den vergangenen Jahren wenige Konflikte gelöst wurden, aber immer mehr dazugekommen sind. Wir sollten aufhören, uns im Kreis zu drehen und endlich echte Verhandlungen über eine Reform beginnen – so wie es die übergroße Mehrheit der Mitgliedstaaten will.
Die Europäische Union könnte in der Außen- und Sicherheitspolitik als einflussreicher Akteur auftreten. Aber ihre Mitgliedstaaten sind sich schon in elementaren Fragen uneinig. Wie kann sich das ändern?
In der Corona-Krise hat die Europäische Union Antworten auf die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen der Pandemie gefunden. Wenn es darauf ankommt, ist die EU handlungsfähig.
Aber in der Migrationspolitik findet die EU keine gemeinsame Lösung, die Reaktion auf den Brand im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos ist doch beschämend.
Deutschland wird aus Moria neben Kindern auch weitere Geflüchtete aufnehmen – andere Länder nicht. Wir müssen akzeptieren, dass es in vielen Mitgliedstaaten der Europäischen Union – ob es uns gefällt oder nicht – eine andere Migrationspolitik gibt als bei uns. Das ist das Ergebnis demokratischer Prozesse in den Ländern. Auf Basis dessen müssen wir das als EU zusammenführen.
Trotzdem hat die Bundesregierung jahrelang davon geredet, dass sie eine "europäische Lösung" für die Verteilung von Flüchtlingen erreichen wolle. Dieser Ansatz ist gescheitert. Haben Sie sich da ein Luftschloss gebaut?
Wenn wir die Länder am Mittelmeer in migrationspolitischen Fragen entlasten wollen, müssen auch andere EU-Staaten als Deutschland Verantwortung übernehmen. Wenn nicht, bleibt die Migrationspolitik der Spaltpilz der EU. Es muss also eine europäische Lösung geben, die alle mittragen. Eine Koalition der Willigen allein kann das Problem langfristig nicht lösen. Wenn Länder keine Geflüchteten aufnehmen wollen, müssen sie an anderen Stellen in die Pflicht genommen werden, zum Beispiel, indem sie sich stärker für den Schutz der EU-Außengrenzen engagieren.
Zögerlich agiert die EU auch nach der Vergiftung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny. Warum gibt es keine deutliche Antwort an Russland?
Deutschland hat den Fall zur Untersuchung an die dafür zuständige internationale Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) übergeben. Wenn das Ergebnis der deutschen, schwedischen und französischen Labore bestätigt wird, wird es eine deutliche Antwort der EU geben. Da bin ich sicher.
Wie wird die aussehen?
Das werden wir als EU-Mitgliedstaaten gemeinsam entscheiden. Ich bin davon überzeugt, dass dann kein Weg mehr an Sanktionen vorbeiführt.
Sanktionen gegen einzelne Personen oder Wirtschaftszweige oder gegen ganz Russland?
Sanktionen müssen immer zielgerichtet und verhältnismäßig sein. Aber eine so schwerwiegende Verletzung des internationalen Chemiewaffenübereinkommens kann nicht unbeantwortet bleiben. Da sind wir uns in Europa einig.
Deutschland könnte eine klare Antwort senden, indem es den Bau der Nordsee-Pipeline "Nord Stream 2" beendet. Stattdessen hält die Bundesregierung am Weiterbau fest. Einerseits Werte predigen, andererseits Wirtschaftsinteressen den Vorzug geben: Ist das keine Doppelmoral?
Man muss sich sorgfältig überlegen, welche Konsequenzen man aus dem Fall Nawalny zieht. An der Pipeline sind mehr als 100 europäische Firmen beteiligt, die Hälfte davon sind deutsche. Damit würden viele europäische Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen unter einem Baustopp leiden.
Auch durch den Brexit droht wirtschaftlicher Schaden für viele Europäer. Premierminister Boris Johnson hat sein Binnenmarktgesetz durch das Parlament gebracht und damit die Vereinbarung mit Brüssel gebrochen. Muss die EU diesen Affront tolerieren?
Wir lassen uns das nicht gefallen. Die EU-Kommission hat darauf ja auch schon mit einem Vertragsverletzungsverfahren reagiert. Wir müssen unsere Interessen im Blick behalten. Für die EU ist ein Handelsabkommen mit Großbritannien wichtig, denn sonst hätte das viele Nachteile für Arbeitnehmer in Deutschland. Aber umgekehrt ist die britische Wirtschaft noch viel stärker auf ein Abkommen angewiesen.
Aber kann eine Lösung bis Ende des Jahres überhaupt noch gelingen?
Das ist nicht sicher. Wir sind auf alles vorbereitet. Aber auf beiden Seiten gibt es herausragende Interessen für ein Abkommen. Deswegen glaube ich, dass wir in den kommenden Wochen eine ganz heiße Phase in den Verhandlungen erleben werden.
Der Brexit fällt in die Zeit der Corona-Pandemie, der gegenwärtig größten globalen Krise. Sie ging von chinesischem Boden aus. Warum machen Sie mit Ihren europäischen Amtskollegen nicht mehr Druck auf China, die Herkunft des Coronavirus aufzuklären?
Es gibt diesen Druck durch die internationale Gemeinschaft. Es ist wichtig, dass China der WHO umfassenden Zugang gewährt. Das ist auch für die Impfstoffentwicklung wichtig.
Bei der Bekämpfung der Pandemie ist deshalb mehr internationale Solidarität und Zusammenarbeit gefragt. Welches Zeugnis stellen Sie der Weltgemeinschaft in der Krise aus?
Am Anfang war es schwierig, weil das Ausmaß der Pandemie unser Vorstellungsvermögen einfach überschritten hat. Jedes Land hat sich um sich selbst gekümmert, und es ist wenig abgestimmt worden. Das hat sich aber verbessert, vor allem durch die Kooperation in der Europäischen Union. Mittlerweile hat sich in der EU und bei den Vereinten Nationen eine so intensive Zusammenarbeit entwickelt, wie ich sie noch nicht erlebt habe.
Ist das ein Vorbild für den Umgang mit künftigen Krisen?
Tatsächlich könnte die Corona-Pandemie zur Blaupause werden, um viele andere Probleme zu lösen, mit denen wir es weltweit zu tun haben.
Ein großes gemeinsames Ziel haben gerade alle Staaten: Die Rückkehr zur Normalität. Sie selbst dürfen die Quarantäne am morgigen Sonntag verlassen. Was tun Sie als erstes, wenn Sie wieder vor die Tür dürfen?
Ich treffe mich mit meinen Kindern.
Herr Maas, vielen Dank für das Gespräch.
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