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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Fernost statt Wildwest China und Deutschland verbünden sich gegen Trump
Während der Handelsstreit mit den USA eskaliert, suchen China und Europa den Schulterschluss. In Berlin trifft sich Premier Li mit Merkel, Steinmeier und Co. – das Machtgefüge in der Welt verschiebt sich.
Europas Blick richtet sich in diesen Tagen Richtung China. Entnervt vom Handelskonflikt mit Washington und dem Abschottungskurs von US-Präsident Donald Trump suchen Deutschland und seine Partner in der EU noch intensiver die Nähe zur neuen Großmacht.
Umgekehrt bemüht sich auch Peking um engere Bande mit Europa. Denn auch China ficht derzeit einen erbitterten Handelsstreit mit den Amerikanern aus. Erst am Freitag hatten sich Washington und Peking gegenseitig mit Milliarden-Strafzöllen belegt. Nun sucht China Verbündete, um Front zu machen gegen Trumps Protektionismus.
Es ist etwas ins Rutschen geraten, seit der US-Immobilientycoon im vergangenen Jahr ins Weiße Haus einzog. Die alte Weltordnung zerfällt. Die Amerikaner ziehen sich als Ordnungsmacht zurück, die sie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind. Gleichzeit attackieren sie mit voller Wucht die multinationalen Bündnisse, die den globalen Handel ordnen und den Frieden in der Welt erhalten sollen. Beim Nato-Gipfel am Mittwoch und Donnerstag droht die nächste Eskalation. Trump fordert von den Partnern eine deutliche Aufstockung der Verteidigungsausgaben.
Drei Gipfel in elf Tagen
Vor diesem Hintergrund nähern sich Europa und China nun an, wie gleich mehrere wichtige Treffen zeigen. Bereits am Wochenende trafen sich die Staats- und Regierungschefs von 16 mittel- und osteuropäischen Ländern mit Chinas Premier Li Keqiang in Sofia. Heute finden in Berlin die fünften deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen statt. Und am kommenden Montag und Dienstag reisen die Spitzen der Europäischen Union zum EU-China-Gipfel nach Peking.
Kanzlerin Angela Merkel empfing zum Beginn des Kabinettstreffens am Montagvormittag den chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang im Bundeskanzleramt. Anschließend berieten die Regierungsmitglieder in einer Plenarsitzung. Am Nachmittag wurden mehrere Verträge und Abkommen unterzeichnet. Am späten Nachmittag wollte Li auch Bundespräsident Frank-Wal
Im Mittelpunkt der Beratungen standen der Zollstreit und die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und China, das seit 2016 größter deutscher Handelspartner im Güterbereich ist. So wollen Peking und Berlin künftig etwa beim autonomen Fahren enger zusammenarbeiten. Siemens und der chinesische Internetkonzern Alibaba planen, mit einer Partnerschaft das industrielle Internet der Dinge in China zu fördern. Auch sollte der Bau einer Batteriezellenfabrik des chinesischen Konzerns CATL in Erfurt vertraglich besiegelt werden. BMW gab am Montag bekannt, Batteriezellen im Wert von vier Milliarden Euro von CATL zu kaufen.
China erschwert noch immer den Marktzugang
Allerdings ist die Freude über die Entwicklung nicht ungetrübt. Die Bundesregierung beklagt die Menschenrechtslage in China und die mangelnde Rechtsstaatlichkeit. Li widersprach in Berlin Vorwürfen, die Situation habe sich sogar noch verschlechtert. Das Gegenteil sei der Fall: Die Achtung der Menschenrechte habe sich deutlich verbessert. Li betonte, dass er bei dem Thema mit Deutschland im Gespräch bleiben wolle. "Wir sind gerne bereit zum Menschenrechtsdialog auf Augenhöhe", sagte er.
Deutsche Unternehmer monieren zudem Beschränkungen beim Marktzugang in China, Behördenwillkür oder langsames und zensiertes Internet. Die Zahl der Beschwerden oder Hilfegesuche bei der Botschaft in Peking hat sich in drei Jahren verdreifacht. Mit weiteren Investitionen in China halten sich deutsche Unternehmen zurück.
Skeptisch wird auch gesehen, dass sich ausgerechnet China nun als Bewahrer des weltweiten Freihandels geriert, obwohl sich das Land im internationalen Vergleich stark abschottet. Dennoch pochte Li wie auch Merkel in Berlin auf einen freien Welthandel. Wenn Strafzölle zwischen den USA und China erhoben würden, treffe das auch deutsche Firmen, sagte Merkel. Deshalb sei das multilaterale System so wichtig.
Tatsächlich kam China seinen Handelspartnern zuletzt entgegen. Es hat Zölle gesenkt, hebt schrittweise den Joint-Venture-Zwang in der Autoindustrie auf und hat eine neue Negativliste vorgelegt, die neue Bereiche für Investitionen öffnet. Nicht zuletzt deshalb, aber auch vor dem Hintergrund des Zollstreits mit den USA zogen deutsche Exporte in die Volksrepublik im ersten Halbjahr kräftig an. Von Januar bis Mai stiegen die Ausfuhren laut Statistischem Bundesamt um 9,1 Prozent auf 37,1 Milliarden Euro – gleichzeitig gingen die Ausfuhren in die USA um 1,9 Prozent auf 46 Milliarden Euro zurück.
Premier Li: "Austausch in beiden Richtungen"
Beim Spitzentreffen am Wochenende in Sofia sagte Premier Li dann auch eine weitere Öffnung seines Landes für Investoren und Waren aus dem Ausland zu, verbunden mit Reformen. Er warb zugleich für engere Wirtschaftsbeziehungen. "Es geht um einen Austausch in beiden Richtungen", sagte er.
Gleichzeitig trat er Kritik am Format des Treffens entgegen. So war moniert worden, China verfolge mit dem "16 plus 1"-Treffen die Absicht, einen Keil in die EU zu treiben und einen Gegenpol zu den Treffen des Europäischen Rates in Brüssel zu etablieren. Tatsächlich hat Peking in den vergangenen Jahren zahlreiche Infrastrukturprojekte auf dem Balkan und in Osteuropa im Milliardenumfang angeschoben, hat neue Industrien angesiedelt und sich in ansässige Firmen eingekauft – was nicht selten mit politischem Wohlwollen honoriert wurde.
In Serbien etwa übernahm der chinesische Stahriese HBIS das größte Stahlwerk des Landes in Smederevo. In Griechenland hat der chinesische Reederei-Konzern COSCO knapp 70 Prozent des Hafens in Piräus für 40 Jahre gepachtet. In Kroatien erhielt eine chinesische Staatsfirma den Zuschlag zum Bau einer wichtigen Brücke im Süden des Landes – zum Ärger großer europäischer Unternehmen. Und in Tschechien versprach China ein Investitionsprogramm in Milliardenhöhe. Die Regierung in Prag vollzog praktisch als Dankeschön einen radikalen Kursschwenk in seiner Tibetpolitik.
China will starkes Europa
Experten betonen, dass es Peking bei seinen Investments nicht nur um wirtschaftliche Beziehungen geht. Das Ziel sei es auch, die Debatte über China innerhalb Europas zu seinen Gunsten zu beeinflussen und ein Gegengewicht zum in Teilen deutlich chinakritischen Kurs in der EU zu etablieren. Dazu soll eben auch das "16 plus 1"-Forum dienen.
Dieser Einschätzung versuchte Premier Li in Sofia entgegenzutreten. China sei an einem starken Europa interessiert, betonte der Regierungschef. Sein Land wolle Europa als einen "vereinigten und prosperierenden Partner" sehen. Alles andere wäre schlecht für China, "und nichts anderes".
- dpa, Reuters, AFP
- Gastbeitrag von Forschern der Friedrich-Naumann-Stiftung
- Eigene Recherchen