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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wahl in Belarus Putin hat sie in einer Falle
Alexander Lukaschenko lässt sich am Sonntag erneut im Amt des Präsidenten bestätigen. Die Wahl ist nicht demokratisch, aber Belarus hat ohnehin große Teile seiner Souveränität verloren. Die Kontrolle über das Land hat Wladimir Putin.
Es war vor allem für viele deutsche Filmfans ein Schock, als im November 2024 ein Video von ihm aus Minsk auftauchte: Der deutsche Schauspieler und Regisseur Til Schweiger spielte in einem Werbespot mit, der in der belarussischen Hauptstadt gedreht wurde.
Auf einer Pressekonferenz redete Schweiger darüber, wie schön und sicher es doch in Belarus sei. Die Menschen seien freundlich, würden viel lachen, und man habe ihm einen Arzt an die Seite gestellt, der ihm eine Vitamin-Infusion verabreicht habe. Nun fühle er sich wie neugeboren, sagte Schweiger.
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Für die Regimepropaganda des belarussischen Diktators Alexander Lukaschenko war das ein gefundenes Fressen. Schnell tauchten im Netz Videos mit Schweigers Aussagen auf, die wie ein Imagefilm anmuteten. Der Schauspieler wehrte sich: Teile der Pressekonferenz seien aus dem Kontext gerissen worden, um Botschaften zu unterstützen, die "weder seinen Überzeugungen noch seinen Absichten" entsprächen, erklärte er auf Instagram. Zu spät, denn der politische Schaden war längst angerichtet.
Lukaschenko ist aktuell daran interessiert, sein Image international zu verbessern. Er hat die Wahl 2020 manipulieren lassen, die anschließenden Proteste hat sein Regime bis 2021 blutig niederschlagen lassen. Eine wirkliche belarussische Opposition gibt es nur noch im Ausland, seit Beginn der Proteste 2020 haben mehr als 600.000 Menschen Belarus verlassen. Über 1.000 Regimekritiker sollen weiterhin in Gefängnissen des Staates sitzen.
Am Sonntag finden wieder Präsidentschaftswahlen in Belarus statt. Es ist eine Wahl, die weder frei noch fair ist und für Machthaber Lukaschenko eher ein demokratisches Feigenblatt darstellt. Der Diktator wird sich im Amt bestätigen lassen, dabei hat er die Kontrolle über Belarus längst verloren. Denn sein Terrorregime kann nicht darüber hinwegtäuschen, wer in dem Land wirklich das Sagen hat: Es ist der russische Präsident Wladimir Putin.
Russland stützt Lukaschenko
Als bei den Sommerprotesten 2020 allein in der Hauptstadt Minsk rund 100.000 Menschen gegen das Regime protestierten, war Lukaschenko schwach wie nie. Er ist seit 1994 an der Macht – und damit länger als Autokraten wie Wladimir Putin in Russland oder Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei.
Während sich die Staaten der Europäischen Union 2020 hinter die belarussische Demokratiebewegung stellten, stützte der Kreml Lukaschenko. Putin schickte Sicherheitsberater; das belarussische Regime konnte insbesondere durch die Rückendeckung aus Moskau gegen die Protestbewegung vorgehen.
Mit Verweis auf das militärische Abkommen zwischen beiden Staaten erklärte Russland damals, dass es "die erforderliche Hilfe bei der Lösung auftretender Probleme leisten" würde.
Das war auch eine klare militärische Drohung, die durch den Beginn der russischen Invasion in der Ukraine im Februar 2022 im Nachhinein für belarussische Oppositionelle noch bedrohlicher erschien.
Putin und Lukaschenko verbindet eine jahrzehntelange Partnerschaft. Beide gingen in der Vergangenheit gemeinsam jagen, Eishockey spielen oder Skifahren. Aber aus Perspektive des Kreml sprechen hauptsächlich zwei Eigenschaften für den Erhalt des belarussischen Regimes: Lukaschenko ist erstens kein Demokrat und zweitens lässt er sich von Russland kontrollieren.
Für Putin gehören Belarus und die Ukraine zu Großrussland, es sind in seinem historischen Verständnis keine souveränen Staaten.
Komplette Abhängigkeit
Dabei hatte Putin eigentlich ein einfaches Spiel. Die Proteste im Jahr 2020 vergleichen Experten mit einer Nahtoderfahrung für das Regime. Lukaschenko stand international fast alleine da, flüchtete sich daher in die Arme des russischen Präsidenten. Doch das erkaufte sich das belarussische Regime mit der Aufgabe der eigenen Souveränität.
Belarus war schon immer abhängig vom großen Nachbarn. Doch mittlerweile gehen 70 Prozent der belarussischen Exporte nach Russland, 20 weitere Prozent werden durch Putins Reich befördert. Eine nahezu komplette Abhängigkeit, zumal 90 Prozent der belarussischen Gas- und Ölimporte aus Russland kommen.
Lukaschenko sitzt also in Putins Falle.
Das zeigt auch ein Blick auf die sicherheitspolitische Lage des Landes. Belarus war seit seiner Unabhängigkeit abhängig von russischen Militärgütern, das Land mit seinen 9,2 Millionen Einwohnern musste ohnehin immer die russische Militärmacht fürchten. Doch Putin nutzte Lukaschenkos verzweifelte Lage aus, um das zu erreichen, was das belarussische Regime eigentlich stets verhindern wollte: russische Soldaten auf belarussischem Boden.
Seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine nutzt die russische Armee das Nachbarland als Aufmarschgebiet. Aus Belarus fliegen russische Raketen auf ukrainische Ziele, dort werden Verletzte versorgt, Panzer repariert und die russische Luftwaffe startet hier ihre Einsätze.
Außerdem stationierte Russland taktische Atomwaffen in Belarus. Lukaschenko betont zwar immer wieder, dass Russland diese Waffen nur mit seiner Zustimmung einsetzen würde. Das ist vielleicht eine naive Annahme – wahrscheinlich aber schlicht gelogen.
Immerhin muss der belarussische Machthaber den Schein der Unabhängigkeit Belarus' wahren. Eine Mehrheit der belarussischen Bevölkerung und des Militärs ist gegen eine russische Vorherrschaft – und die Armee ist eine zentrale Machtbasis der Diktatur. Die belarussische Armee lehnt auch eine Beteiligung am Ukraine-Krieg ab.
Es scheint gar so, als konnte Lukaschenko den Kreml überzeugen, auf Söldner aus Nordkorea zu setzen. Ein Angriffsbefehl des belarussischen Militärs könnte schließlich eine Revolte in Lukaschenkos Staat auslösen. Russland müsste womöglich militärische Kapazitäten für die Verteidigung des Lukaschenko-Regimes freiräumen.
Flucht aus Putins Fängen?
Dieses Risiko möchte Putin aus strategischen Gründen nicht eingehen. Es gibt aber keinen Zweifel daran, dass er in Belarus die Kontrolle hat. Lukaschenko fehlt es schlicht international an Alternativen zu Russland. Er weiß genau, dass sich daran wenig ändern wird, solange der Ukraine-Krieg läuft und solange westliche Sanktionen gegen Russland und Belarus bestehen. Denn Belarus kann die russische Armee nicht aus dem Land jagen und wird somit weiterhin indirekt an Putins Krieg beteiligt sein.
Lukaschenko hofft daher wahrscheinlich auf die Friedensbemühungen von US-Präsident Donald Trump. Dieser hatte angekündigt, sich mit Putin zu treffen und den Krieg in 100 Tagen beenden zu wollen. Der belarussische Diktator wird hoffen, dass diese Bemühungen erfolgreich sind. Bereits seit September 2024 baut er politisch für diesen Fall vor.
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Seit Monaten lässt sein Regime immer mal wieder 15 bis 30 politische Gefangene frei. Das sehen Experten als Signal gegenüber dem Westen. Lukaschenko in einem Interview mit dem britischen Sender BBC Anfang November: "Ich habe nie gesagt, dass wir eine Verschlechterung der Beziehungen zum Westen möchten. Sie haben angefangen mit den Sanktionen gegen uns." Die Freilassungen seien aber aus humanitären Gründen, deshalb solle der Westen nun nicht "herum kläffen". Der Diktator schimpfte: "Ihr wollt keine Beziehungen mit uns und wir brauchen auch keine mit euch."
Doch wahrscheinlich ist alles an diesen Aussagen falsch. Lukaschenko ist kein Humanist und die Begnadigten sind offenbar auch nicht mehrheitlich krank und schwach. Innenpolitisch bringen die Freilassungen dem Regime ebenso nicht viel. Deswegen lassen diese Entwicklungen einen Schluss zu: Lukaschenko baut politisch für Frieden in der Ukraine vor und sendet Signale in Richtung Westen.
Lukaschenko möchte sich ein Stückchen aus Putins Fängen befreien. Ob jedoch westliche Länder dabei mitspielen, ist zumindest fraglich. Denn der Diktator wird am Sonntag seine siebte Amtszeit als Präsident beginnen. Eine Macht, die vor allem auf Repressionen gegen die eigene Bevölkerung aufgebaut ist.
- Eigene Recherche
- mdr.de: Belarus: Letzte "Wahl" für Machthaber Lukaschenko?
- ft.com: Putin ally Alexander Lukashenko to cement grip on Belarus in ‘sham’ elections (englisch)
- theguardian.com: ‘A ritual for a dictator’: Lukashenko critics decry Belarus election (englisch)
- zeit.de: Wenn selbst die Opposition für den Diktator wirbt
- apnews.com: Belarus election is poised to extend the 30-year rule of ‘Europe’s last dictator’ (englisch)
- rnd.de: "Lukaschenko genießt tatsächlich viel Zustimmung in der Bevölkerung"
- deutschlandfunk.de: Lukaschenkos Begnadigungen und trügerische Dialogsignale
- mdr.de: Til Schweigers "Wahlkampf-Auftritt" und Lukaschenkos Ängste
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP