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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nordkoreas Opfer im Ukraine-Krieg Putin verliert sein Gesicht
Kim Jong Un schickt Russland Kanonenfutter: Nordkoreanische Soldaten sprengen sich im Ukraine-Krieg selbst in die Luft, bevor sie in Gefangenschaft geraten. Wladimir Putins Gegenleistung dafür ist eine Gefahr für die koreanische Halbinsel.
Es sind immer noch sehr seltene Bilder, aber in den vergangenen Monaten sind Videos deutlich häufiger geworden. Ausländische Touristen besuchen Nordkorea, machen Busreisen durch das Land, sonnen sich am Strand oder essen abends in nordkoreanischen Restaurants.
Seitdem russische Urlauber unter strenger Bewachung der nordkoreanischen Führung in die Diktatur reisen dürfen, teilen sie ihre Videos in den sozialen Netzwerken. Damit geben sie westlichen Beobachtern teilweise ungewollt einen Einblick in die abgeschottete Autokratie.
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Allein im Jahr 2024 sollen laut Angaben russischer Medien 1.500 russische Touristen Nordkorea besucht haben, Tendenz steigend. In ihre Nähe lässt die Diktatur sehr regimetreue Nordkoreanerinnen und Nordkoreaner, ihre Reiseführer sind Geheimdienstmitarbeiter. Die russischen Touristen erleben Propagandatouren, die Nordkorea möglichst modern darstellen sollen. Das bestätigen die Russinnen und Russen dann auch – ganz im Sinne der Kim-Diktatur – in ihren Videos.
Die Bilder sprechen aber auch eine andere Sprache: Besonders außerhalb von Pjöngjang ist eine unterernährte Bevölkerung zu sehen, mit Kohle betriebene Kraftwerke und kaum Verkehr auf den Straßen. Es sind auch Folgen der internationalen Sanktionen, die seit Jahrzehnten aufgrund des nordkoreanischen Atomprogramms verhängt wurden.
Doch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine bot Diktator Kim Jong Un eine Chance, um diese Isolation zu überwinden. Kremlchef Wladimir Putin ist schwach und nicht einmal sein strategischer Partner China unterstützt Russland mit Waffen oder Soldaten. So ließ sich Nordkorea bereitwillig von Russland in den Krieg in Osteuropa ziehen.
International ist der Schulterschluss mit einem Paria wie Nordkorea ein drastischer Gesichtsverlust für Russland. Für Kim dagegen ist Putin einerseits ein Goldesel, der dringend benötigte Devisen ins Land bringt – russische Touristen müssen etwa in US-Dollar zahlen.
Andererseits ist die russische Gegenleistung für Nordkoreas Unterstützung massiv: Putin hilft Kim nicht nur aus der Isolation, sondern er möchte auch das nordkoreanische Militär modernisieren. Das wird zur Gefahr für die gesamte Region in Ostasien.
Nordkorea greift Russland unter die Arme
Im Zentrum der medialen Berichterstattung stehen oft die etwa 10.000 nordkoreanischen Soldaten, die offenbar von der russischen Militärführung hauptsächlich in der südrussischen Region Kursk eingesetzt werden. Es sind Schicksale, die in mehrfacher Hinsicht dramatisch sind.
Kims Truppen wussten angeblich nicht einmal, in welches Land sie gebracht wurden. Sie sind überfordert, schießen teilweise auf russische Stellungen. Und bevor sie in Gefangenschaft geraten, müssen sie sich selbst töten. Das tun sie teilweise, indem sie Granaten neben ihrem Kopf zünden.
Die nordkoreanische Diktatur hat Putin also Kanonenfutter geschickt, das die russische Armee kompromisslos verheizt. Die nordkoreanischen Soldaten haben im Prinzip keine Wahl, Befehle zu missachten. Denn in Nordkorea ist die Sippenhaft ein zentrales Machtinstrument der Führung und die Familien der Soldaten leben in stetiger Gefahr.
Noch bedeutender als die Soldaten sind aber die nordkoreanischen Waffenlieferungen an Russland. Die US-Zeitung "Wall Street Journal" (WSJ) berichtete, dass Nordkorea im Dezember 2024 20.000 Container mit Munition an Putin geschickt hat. Eher minderwertige Munition wie 122-mm- und 152-mm-Artilleriegranaten bis zu den neueren ballistischen Raketen der Hwasong-11-Klasse.
Aber auch Panzerhaubitzen und Mehrfachraketenwerfer soll Pjöngjang geliefert haben. Bisher soll Nordkorea durch Waffengeschäfte mit Moskau laut "WSJ" bis zu 5,5 Milliarden Dollar verdient haben.
Kim wird durch Putin aufgewertet
Nordkorea gehört zu den ärmsten Ländern der Welt und gleichzeitig befeuert der russische Munitionsbedarf in Putins Krieg die nordkoreanische Rüstungsproduktion. Doch Kim bekommt von Russland weit mehr als Geld für seine Unterstützung.
Die Lage haben vor allem die USA im Blick, die stets gegenseitige Lieferungen von Russland und Nordkorea mit Satelliten überwachen. US-Außenminister Antony Blinken warnte am 6. Januar: "Nordkorea erhält bereits russische Militärausrüstung und Ausbildung", sagte er. "Nun haben wir Grund zu der Annahme, dass Moskau beabsichtigt, fortschrittliche Weltraum- und Satellitentechnologie mit Pjöngjang zu teilen."
Die Amerikaner haben durchaus Grund für ihre Befürchtungen, denn eine engere Kooperation in den Bereichen Luftwaffe, Weltraum und Raketentechnologie ergibt auch aus russisch-nordkoreanischer Perspektive besonders Sinn. Denn die nordkoreanische Armee hat genau in diesen Bereichen einen großen Modernisierungsbedarf. Das modernste Kampfflugzeug der nordkoreanischen Luftwaffe – die MiG-29 – wurde im Jahr 1977 entwickelt, das Gros ihrer Ausrüstung ist gar noch älter.
Außerdem schaut die nordkoreanische Führung sehnsüchtig auf russische Raketentechnologie, um vor allem die eigenen atomaren Fähigkeiten zu verbessern. Hier zeigen sich bereits erste Folgen der strategischen Partnerschaft zwischen Nordkorea und Russland: Anfang Januar will Nordkorea laut eigenen Angaben seine erste Hyperschallrakete erfolgreich getestet haben. Wenn das wirklich stimmen sollte, wäre das ohne russische Unterstützung kaum möglich gewesen.
Kim opfert also 10.000 nordkoreanische Soldaten, einen Haufen alter konventioneller Munition und erhält dafür viel Prestige für seine Diktatur. Er wird von Putin hofiert, traf ihn mehrmals persönlich, bezeichnet ihn als "besten Freund".
Der Kremlchef wiederum wird weitere UN-Sanktionen gegen Nordkorea blockieren. Die USA befürchten derweil, dass Moskau die Kim-Diktatur als Atommacht anerkennen würde. Für Kim Jong Un kommt der Krieg in Europa also einem Jackpot gleich. Noch vor wenigen Jahren wollte sich kaum jemand mit den Autokraten blicken lassen, geschweige denn ihn aufrüsten.
Gefahr für den Frieden auf der koreanischen Halbinsel
Es war am Ende wahrscheinlich ein Akt der Verzweiflung, dass Putin sich an Nordkorea wandte. Aber die Folgen dieser sicherheitspolitischen Kooperation könnten die Sicherheitsarchitektur in Ostasien ordentlich durchschütteln.
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Nordkorea ist eine Erbdiktatur, in der es für die Kim-Familie seit Staatsgründung im Jahr 1948 vor allem um ihren eigenen Machterhalt geht. Die größten Bedrohungen dafür sind innenpolitische Aufstände und das wirtschaftlich erfolgreiche Südkorea, das von den USA unterstützt wird. Noch immer herrscht zwischen Nord- und Südkorea kein Frieden, auch wenn die Kämpfe im Koreakrieg 1953 endeten. Der Konflikt ist eingefroren und es hat sich eine militärische Pattsituation entwickelt, die bislang den Frieden bewahrt.
Putin rüttelt an diesem Frieden. Denn nach dem Schulterschluss mit Kim im Sommer ließ dieser im Oktober 2024 in der nordkoreanischen Verfassung Südkorea als "verfeindeten Staat" verankern. Moskau und Pjöngjang haben außerdem einen Verteidigungspakt geschlossen, der das militärische Bündnis weiter vertieft.
Sollte Nordkorea nun also womöglich Atomsprengköpfe mit Hyperschallraketen nach Südkorea schießen können, ohne dass die Südkoreaner diese abfangen können, verschiebt sich das Machtgleichgewicht auf der koreanischen Halbinsel. Dadurch steigt die Kriegsgefahr erheblich.
Dementsprechend ist die Stärkung Nordkoreas durch Russland brandgefährlich für die Region. Insbesondere wird Südkorea nun über eine weitere Aufrüstung nachdenken – auch über eine atomare. Das könnte diesen Konflikt noch mehr zu einem Pulverfass machen.
Aber auch Putin geht mit seinem neuen Bündnispartner ins Risiko. Denn mit einer Destabilisierung der koreanischen Halbinsel dürfte der Kremlchef ebenso seinen wichtigsten und mächtigsten Verbündeten verärgern – China. Peking ist sicherlich nicht an einem Machthaber an seiner eigenen Landesgrenze interessiert, der auch atomar weiter hochgerüstet wird und den man in der Volksrepublik für unberechenbar hält.
Vielleicht ist auch das ein Grund dafür, warum der chinesische Präsident Xi Jinping in den vergangenen Monaten etwas auf Abstand zu Russland gegangen ist. Der Preis, den Russland politisch und strategisch für nordkoreanische Soldaten bezahlt, ist also immens.
- Eigene Recherche
- edition.cnn.com: Blinken warns Russia is close to sharing advanced satellite technology with North Korea (englisch)
- economist.com: What North Korea gains by sending troops to fight for Russia (englisch)
- chathamhouse.org: North Korea and Russia’s dangerous partnership (englisch)
- dw.com: Nordkorea: Test neuer Hyperschallrakete war erfolgreich
- gisreportsonline.com: The global ramifications of the Russia-North Korea pact (englisch)
- wsj.com: Satellite Images Show North Korea Boosting Arms Flow to Russia (englisch)
- spiegel.de: Russlands Munitionsverbrauch befeuert Nordkoreas Waffenproduktion
- zeit.de: Nordkorea öffnet Grenzgebiet wieder für Tourismus
- tagesschau.de: "Enormer Prestigegewinn für Kim Jong Un"
- zdf.de: Kim grüßt seinen "besten Freund" Putin
- morgenpost.de: Kim Jong-un stärkt sich mit unheimlichen Freunden
- nzz.ch: Moskau verhindert die Kontrolle der Uno-Sanktionen gegenüber Nordkorea