Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Zwischen Russland-Ärger und Trump-Angst China geht auf Abstand zu Putin
Chinas Staatschef Xi Jinping steht 2025 vor massiven Herausforderungen. Eine schwächelnde Wirtschaft und geopolitische Rückschläge bedrohen seine strategischen Ziele. Das führt zu neuen Konflikten – auch mit Wladimir Putin.
In der internationalen Politik gilt oft eine Faustregel: Je öfter ein Staats- und Regierungschef sich öffentlich zeigt, desto besser läuft es für ihn politisch. Die Auftritte von Kremlchef Wladimir Putin erhöhten sich erst wieder mit zunehmendem Erfolg seiner Armee im Ukraine-Krieg. Auch der künftige US-Präsident Donald Trump mischt sich seit seinem Wahlsieg in geopolitische Fragen ein, obwohl er sein Amt erst am 20. Januar antritt.
Ruhiger ist es hingegen um den chinesischen Staatschef Xi Jinping geworden. Jüngst gab es lediglich eine Neujahrsansprache, in der Xi noch einmal Putin seine Freundschaft versicherte und Taiwan mit einer "unvermeidbaren Wiedervereinigung" drohte. Doch was sind diese Worte tatsächlich wert? Danach hielt sich China in großen internationalen Fragen wieder bedeckt, und es ist kaum spürbar, dass die Volksrepublik in ihrem Selbstverständnis als Supermacht internationale Krisenpolitik betreiben möchte.
Der Grund dafür ist simpel und komplex zugleich: Für die chinesische Führung läuft es aktuell nicht wirklich gut, innen- wie außenpolitisch.
Xi Jinping erlebte 2024 ein Horrorjahr. Die chinesische Wirtschaft schwächelt, mit dem Wahlsieg von Trump droht ein neuer Handelskrieg mit den USA und Verbündete wie Putin oder der ehemalige syrische Diktator Baschar al-Assad verursachten geopolitische Rückschläge. Zu all dem eskalierte ein Machtkampf innerhalb der Kommunistischen Partei in China. Das Jahr 2025 kann aus Chinas Perspektive nur besser werden.
Um seine langfristigen strategischen Ziele nicht aus dem Blick zu verlieren, setzt Xi nun vorerst auf eine veränderte Taktik: China geht in Deckung. Pekings Angst vor Trump ist groß. Man möchte ihm keinen Grund liefern, den Konflikt mit der Volksrepublik weiter zu eskalieren. Dafür geht Xi wirtschaftlich sogar auf Abstand zu Wladimir Putin.
Embed
Chinas Wirtschaft ist angeschlagen
Der Druck auf die Volksrepublik ist immens. Die chinesische Wirtschaft, lange Zeit eine globale Wachstumsmaschine, kämpft mit tiefgreifenden Problemen. Ein Schrumpfen der Bevölkerung, steigende Erwerbslosigkeit und eine schwache Inlandsnachfrage belasten das System. Xi Jinpings Konjunkturprogramme brachten bislang kaum Besserung, während Verschuldung und Deflation zunehmen.
Die wirtschaftliche Schwäche löst in China Unruhe aus. Der soziale Gesellschaftsvertrag – Wohlstand im Austausch gegen Loyalität – gerät ins Wanken.
Die Folgen dieser wirtschaftlichen Entwicklung wiegen schwer: Die Rendite zehnjähriger chinesischer Staatsanleihen sind zu Jahresbeginn auf ein Allzeittief von 1,6 Prozent gefallen, die Renditedifferenz zwischen China und den USA lag auf einem noch nie dagewesenen Niveau von 300 Basispunkten. Die chinesische Zentralbank pausierte gar den Kauf von Staatsanleihen. Zudem verschärfen eine Immobilienblase in China und ein stagnierender Aktienmarkt die großen Unsicherheiten.
Aber woher kommt diese Schwächephase? Einerseits leidet China noch immer unter den Folgen der sehr restriktiven Corona-Politik in der Pandemiezeit. Andererseits spürt die Volksrepublik die wirtschaftlichen Folgen des geopolitischen Bebens, das Russland mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine ausgelöst hatte. Nun wird immer deutlicher: Putins Krieg und die Eskalation des Systemkonflikts zwischen dem Westen und dem Bündnis zwischen Russland und China kamen für Xi zu früh.
Trump verschafft China Exporthoch
Die chinesische Führung hatte Putin bei seinem Krieg in Europa weiterhin den Rücken freigehalten, indem sie die Handelsbeziehungen zu Russland weiter ausbaute. Das schadet China allerdings wirtschaftlich.
Schlagartig sahen nicht nur Länder des westlichen Bündnisses die Notwendigkeit, ihre Wirtschaft unabhängiger von chinesischen Einflüssen zu machen. Selbst viele von Chinas Nachbarländern oder Schwellenländer wie Mexiko sehen Xi Jinpings Machtpolitik kritisch, möchten weniger abhängig von der Volksrepublik werden.
Diese alarmierende wirtschaftliche Entwicklung mit Blick auf das Ausland zeigt sich auch in den massiven Kapitalabflüssen und am Vertrauensverlust ausländischer Investoren in China.
So schlecht die gegenwärtige Lage auch ist, gibt eine Zahl Peking Hoffnung: Die chinesischen Exporte sind im vergangenen Jahr trotz zunehmender Handelsbarrieren auf ein Rekordhoch gestiegen. Laut dem chinesischen Zollamt exportierte die Volksrepublik 2024 Waren im Wert von umgerechnet fast 3,6 Billionen US-Dollar. Das sind 5,9 Prozent mehr als im Vorjahr.
Doch das dürfte nur eine Atempause sein, die ausgerechnet mit dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA zu erklären ist – und mit der Angst vor einem neuen Handelskrieg. Denn chinesische und US-Unternehmen konnten so noch Geschäfte abschließen, ohne dass neue Zölle eingeführt oder bestehende erhöht werden.
Konflikte mit Russland
Klar ist: Die zweite Amtszeit von Trump wird Xi neue Probleme bringen. Bereits in seiner ersten Amtszeit führte der Republikaner einen Handelskrieg gegen China, sein Nachfolger US-Präsident Joe Biden blieb auf diesem Kurs, ließ etwa chinesische Autos verbieten. Nun plant Trump offenbar drastische Zollerhöhungen. Mit Zöllen von bis zu 60 Prozent könnten wichtige Sektoren wie Elektronik, Textilien und Elektromobilität hart getroffen werden.
Gleichzeitig bereitet sich Washington darauf vor, chinesische Investitionen in kritische Technologien weiter einzuschränken. Diese Maßnahmen könnten nicht nur Chinas Exporte stark belasten, sondern auch den technologischen Fortschritt der Volksrepublik bremsen.
Deswegen agiert China aktuell sehr vorsichtig, um die Amerikaner nicht zu provozieren. Das ist auch mit Blick auf Russland erkennbar. Aus Angst, selbst Ziel westlicher Sanktionen zu werden, sind etwa chinesische Kreditinstitute bereits auf Abstand zu ihren russischen Handelspartnern gegangen.
So weigern sich mittlerweile die meisten chinesischen Banken, mit russischen Finanzinstituten zu kooperieren. Putin gab im Dezember sogar zu, dass die gegenseitige Zahlungsabwicklung zwischen China und Russland die größte Herausforderung für die Handelsbeziehungen sei.
Es ist aber nicht das einzige Problem: Peking blockiert seit Längerem den Bau der geplanten "Power of Siberia 2"-Pipeline, die Russland mehr Geld aus Gasgeschäften in die Kassen spülen würde. Außerdem sollen wichtige Häfen in der Shadong-Provinz in China für russische Öltanker gesperrt worden sein, weil die Schiffe mit US-Sanktionen belegt wurden.
Daraus lassen sich vor allem zwei Rückschlüsse ziehen: Die westlichen Sanktionen sind effektiver als ihr Ruf, wenngleich die USA und ihre Verbündeten sehr lange nach Ausbruch des Krieges gebraucht haben, um eine Wirkung zu erzielen. Zudem sucht Xi aktuell eher die Distanz zu Putin, um selbst keinen Schaden zu nehmen.
Xi Jinping ist innenpolitisch angeschlagen
Xi scheint einen Teil des wirtschaftlichen Wohlstands Chinas für seine geostrategischen Ziele zu opfern – und das stößt bei chinesischen Unternehmen und Geschäftsleuten auch auf Kritik. Um sein System zu stabilisieren, könnte Xi vermehrt versuchen, die wirtschaftliche Stagnation als notwendiges Opfer für die nationale Stärkung im Konflikt mit den USA darzustellen. Politische Stabilität und ideologische Einheit würden dabei über wirtschaftliches Wachstum gestellt.
Ob die chinesische Bevölkerung diesem Narrativ folgen wird, bleibt jedoch fraglich. Viele Chinesinnen und Chinesen sehen in der aktuellen Wirtschaftspolitik keine Vision, sondern einen Weg in die Sackgasse.
Dabei hat die Beliebtheit des chinesischen Präsidenten 2024 innenpolitisch schon deutlich gelitten. Auch in der Kommunistischen Partei und der Armee wachsen die Probleme. Im vergangenen Jahr wurden hochrangige Militärbeamte wie Verteidigungsminister Li Shangfu und Admiral Miao Hua entlassen, was ein Bild von systemischer Korruption und interner Zerrissenheit zeichnete.
Diese Entwicklungen schwächten nicht nur Chinas Verteidigungsfähigkeit, sondern auch Xi Jinpings Autorität, weil darunter sein Ruf als unantastbarer Anführer der Kommunistischen Partei leidet.
Der Jahreswechsel, mit dem China am 29. Januar das Jahr der Schlange einläuten wird, hat also eine besondere Bedeutung. Die kommenden Monate werden zeigen, ob Xi Jinping seine ambitionierten Ziele, China zur dominierenden Supermacht zu machen, weiterhin mit seinem autokratischen Kurs kombinieren kann. Wenn nicht, könnte das Land unter seinem Regime in eine Phase der inneren Schwäche und Isolation eintreten. In jedem Fall könnte 2025 ein entscheidendes Jahr für Chinas Zukunft werden – und für Xi Jinping persönlich.
- Eigene Recherche
- foreignpolicy.com: Xi Jinping’s Terrible, Horrible, No Good Year (englisch)
- zdf.de: Xi: "Wiedervereinigung nicht aufzuhalten"
- zeit.de: Mexiko will weniger abhängig von China werden
- fr.de: China befeuert Russlands Wirtschaft – neue Sanktionen deuten Kurs-Wechsel an
- handelsblatt.com: Angst vor Trump treibt Chinas Exporte auf Rekordhoch
- dw.com: China verzeichnet Rekord im Außenhandel
- foreignpolicy.com: 5 Predictions for China in 2025 (englisch)