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Annalena Baerbock in Syrien: Al-Scharaa verweigert Handschlag


Erstes Treffen in Syrien
Neuer Machthaber empfängt Baerbock ohne Handschlag

Von dpa, afp, sic

Aktualisiert am 03.01.2025Lesedauer: 5 Min.
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Videos zeigen die Begrüßung und was es damit auf sich hat. (Quelle: t-online)
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Überraschend ist Außenministerin Annalena Baerbock am Freitag nach Syrien gereist. Der neue Machthaber in Damaskus empfing sie nach westlichem Maßstab eher unterkühlt. Baerbock stellte nach dem Besuch Forderungen.

Außenministerin Annalena Baerbock und ihr französischer Amtskollege Jean-Noël Barrot sind vom syrischen De-facto-Herrscher Ahmed al-Scharaa empfangen worden. Der Anführer der islamistischen Rebellengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) begrüßte die im Auftrag der EU angereisten Außenminister im früheren Palast des vor rund vier Wochen gestürzten Langzeit-Machthabers Baschar al-Assad in der Hauptstadt Damaskus.

Al-Scharaa empfing Baerbock und Barrot am Eingang zum Palast auf einem langen roten Teppich. Wie für ihn bei Begegnungen mit Frauen üblich, begrüßte der Islamist Baerbock nicht per Handschlag, wohingegen er Barrot die Hand entgegenstreckte. Nachdem der Franzose zunächst zur Begrüßung seine rechte Hand auf die Herzgegend gelegt hatte, nahm er schließlich doch kurz die Hand Al-Scharaas.

Nahost-Experte: "Das ist nicht gut"

Der Politikwissenschaftler und Nahost-Experte Volker Perthes blickte mit Sorge auf die Szene. "Das ist nicht gut, auch wenn wir das aus anderen Ländern kennen, wo extrem konservativ-islamische Männer an der Macht sind: Iran etwa und bis vor einiger Zeit auch Saudi-Arabien", sagte Perthes dem "Stern". Der Politologe erklärte weiter: "In Syrien gehört das nicht zur Tradition. Ich hoffe, dass al-Scharaa dafür auch in Syrien kritisiert werden wird."

Baerbock hingegen sah den Vorgang wohl gelassener: "Schon als ich angereist war, war mir jedenfalls klar, dass es hier offensichtlich nicht gewöhnliche Handschläge geben wird", sagte die Grünen-Politikerin auf die Frage einer Journalistin. Aber ebenso klar habe man den islamistischen Gastgebern gemacht, dass man diese Praxis missbillige, so Baerbock. Der französische Außenminister Jean-Noël Barrot, mit dem sie im Auftrag der EU nach Damaskus gereist war, habe seine Hand ebenfalls nicht zum Handschlag ausgestreckt.

Vor allem habe man im Gespräch klargemacht, dass Frauenrechte ein Gradmesser dafür seien, wie frei eine Gesellschaft ist, sagte Baerbock. Ganz so schwierig habe da am Ende des Gesprächs ein Handschlag nicht mehr gewirkt. Aus Delegationskreisen war zu hören, dass al-Scharaa am Ende des Gesprächs noch mal die Hand ausgestreckt habe, es dann aber nicht mehr zu einem Handschlag gekommen sei.

Unter der Führung von al-Scharaas Miliz HTS war am 8. Dezember der langjährige syrische Machthaber Baschar al-Assad gestürzt worden. Auch er hatte seine Gäste stets im Präsidentenpalast empfangen.

HTS-Anführer Al-Scharaa hatte sich von Al-Kaida losgesagt

Al-Scharaa war früher unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Dscholani bekannt. Die Gruppe HTS ging aus der Al-Nusra-Front hervor, einem Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida. Al-Scharaa hatte sich von Al-Kaida und der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) losgesagt. Bis heute gibt es aber Berichte, denen zufolge die HTS-Führung den Kontakt zu Al-Kaida hält.

Nach ihrem Besuch forderte Baerbock von der neuen islamistischen Führung in Syrien die Einbeziehung aller gesellschaftlichen Gruppen. Zusammen mit Barrot habe sie das Angebot der Europäischen Union unterbreitet, dabei mitzuhelfen, dass "das zukünftige Kapitel Syriens ein friedliches und freies wird", sagte Baerbock am Freitag in Damaskus nach dem Treffen mit al-Scharaa. Europa werde jedoch "nicht Geldgeber neuer islamistischer Strukturen sein", warnte sie.

Baerbock hatte schon zu Beginn ihres Besuches in Syrien erklärt, sie werde die HTS weiter an ihren Taten messen. Bei aller Skepsis dürfte man aber jetzt nicht die Chance verstreichen lassen, die Menschen in Syrien an diesem wichtigen Scheideweg zu unterstützen.

Deutschland bietet Syrien Hilfe beim Machtübergang an

Die beiden Außenminister drangen in Damaskus auf einen friedlichen und alle Bevölkerungsgruppen umfassenden Übergang. Zuvor besuchten Baerbock und Barrot das berüchtigte Saidnaja-Gefängnis nahe Damaskus.

Deutschland wolle Syrien helfen bei einem "inklusiven friedlichen Machtübergang, bei der Versöhnung der Gesellschaft, beim Wiederaufbau", erklärte Baerbock. Dazu gehöre die Gleichberechtigung von Frauen sowie aller ethnischen und religiösen Gruppen.

Baerbock war am Morgen kurz nach ihrem französischen Kollegen Barrot in Damaskus eingetroffen. Beide reisten in enger Absprache und im Namen der EU mit dem Mandat der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas, wie ein Sprecher des Außenministeriums in Berlin mitteilte.

"Ein klares Signal an die Syrerinnen und Syrer"

Baerbock und Barrot wurden als erste Außenminister westlicher Staaten von der neuen syrischen Führung empfangen. Die deutsche Außenministerin wurde begleitet von Staatsminister Tobias Lindner, dem Sonderkoordinator des Auswärtigen Amtes für Syrien.

Die Reise sei "ein klares Signal an die Syrerinnen und Syrer: Ein politischer Neuanfang zwischen Europa und Syrien, zwischen Deutschland und Syrien ist möglich", erklärte Baerbock zu Beginn ihrer Reise. "Mit dieser ausgestreckten Hand, aber auch mit klaren Erwartungen an die neuen Machthaber, reisen wir heute nach Damaskus", erklärte sie.

Deutschland wisse, "wo die HTS ideologisch herkommt, was sie in der Vergangenheit getan hat", erklärte Baerbock mit Blick auf die Islamisten in Syrien. "Wir hören und sehen aber auch den Wunsch nach Mäßigung und nach Verständigung mit anderen wichtigen Akteuren." "Bei aller Skepsis" werde die Bundesregierung "die HTS weiter an ihren Taten messen", kündigte die Außenministerin an.

Außenminister besuchen berüchtigtes Saidnaja-Gefängnis

"Jahrzehnte der Unterdrückung, der Gräuel des Assad-Regimes und sein furchtbarer Bürgerkrieg haben enorme Wunden bei Millionen Menschen in Syrien geschlagen", erklärte Baerbock. Ein ganzes Land sei davon gezeichnet und schöpfe gleichzeitig nun berechtigte Hoffnung, dass die Zukunft besser werde. Allen sei aber klar, "dass das ein steiniger Weg wird".

"Gemeinsam stehen Frankreich und Deutschland an der Seite des syrischen Volkes, in all seiner Vielfalt", erklärte Barrot im Onlinedienst X. Beide Länder wollten "einen friedlichen und anspruchsvollen Übergang im Dienste der Syrer und für die regionale Stabilität unterstützen".

Zum Auftakt ihres Besuchs in Syrien besuchten Baerbock und Barrot das Saidnaja-Gefängnis in der Nähe von Damaskus. Bei ihrem Besuch in der unter dem gestürzten Staatschef Assad berüchtigten Haftanstalt wurden die beiden Chefdiplomaten von Vertretern der syrischen Zivilschutzorganisation Weißhelme begleitet. Gemeinsam besichtigten Baerbock und Barrot die unterirdischen Zellen und Kerker, in denen viele Insassen unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten und zu Tode gefoltert wurden.

"Gerechtigkeit ein Eckpfeiler für die Versöhnung"

"Wenn ich heute hier sehe, was die Menschen in dieser Hölle, in diesem Höllengefängnis, durchgemacht haben, dann wird deutlich, wie wichtig Ihre Arbeit war", sagte Baerbock an die Weißhelme gewandt. Deutschland hat die Weißhelme ab 2016 unterstützt.

Es sei wichtig gewesen, "auf die Stimmen der freien Menschen in Syrien zu hören", wie etwa auf die der Weißhelme. Diese hätten "unterstrichen, was für ein Regime das Assad-Regime war, das Folter angewandt hat, die sich niemand vorzustellen vermochte". Nun sei es an der internationalen Gemeinschaft zu helfen, und "den Menschen, die hier in diesem Höllengefängnis gelitten haben, Gerechtigkeit zu verschaffen", so Baerbock.

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Bei den Gesprächen mit der neuen Führung in Damaskus wollten sie und ihr französischer Kollege weitergeben, dass "Gerechtigkeit ein Eckpfeiler für die Versöhnung" in Syrien sei. In diesem Zusammenhang betonte die Ministerin, wie wichtig es sei, "die Beweise zu sichern und den Menschen Gerechtigkeit widerfahren" zu lassen.

Wohl rund 30.000 Inhaftierte in Saidnaja seit 2011

Laut der Vereinigung der Gefangenen und Vermissten des Saidnaja-Gefängnisses (ADMSP) wurden seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges im Jahr 2011 etwa 30.000 Menschen im Saidnaja-Gefängnis inhaftiert. Am Tag des Sturzes von Assad seien mehr als 4.000 Menschen entlassen worden. Viele Häftlinge sind im Gefängnis umgekommen oder werden nach wie vor vermisst.

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Was hat es mit dieser Geste auf sich?
Außenministerin Annalena Baerbock und ihr französischer Kollege Jean-Noel Barrot sind in Syrien vom aktuellen Machthaber Ahmed al-Scharaa in Damaskus empfangen worden.
Bei der Begrüßung im Palast des gestürzten Machthabers Baschar al-Assad streckt der Anführer der islamistischen Rebellengruppe Hajat Tahrir al-Scham jedoch nur Barrot die Hand aus.
Baerbock geht leer aus.
Al-Scharaa ist Islamist. Demnach ist es für ihn nicht üblich, bei einem Treffen mit einer Frau die Hand zu reichen.


Barrot traf in Damaskus auch Vertreter der Zivilbevölkerung, darunter Christen, die wegen der Machtübernahme der Islamisten besorgt sind, und Vertreter anderer Gruppen, die von Assad unterdrückt wurden. Am Vorabend hatte Barrot auch den Chef der von Kurden dominierten Demokratischen Kräfte Syriens (SDF), Maslum Abdi, getroffen. Die Kurden, die von den USA unterstützt werden und jahrelang die islamistische Miliz Islamischer Staat (IS) bekämpft hatten, befürchten, ihre halb-autonome Stellung im Norden Syriens unter den neuen islamistischen Machthabern in Damaskus zu verlieren.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagenturen dpa und AFP
  • Vorabmeldung des "Stern" vom 3. Januar 2025
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