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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Brutaler Bürgerkrieg Größte Flüchtlingskrise der Welt – und keiner schaut hin
Im Sudan tobt ein brutaler Bürgerkrieg. Er hat die weltweit größte Flüchtlingskrise ausgelöst. Besonders schwer davon betroffen sind Kinder.
Jedes sechste Kind weltweit wächst in einem Kriegs- oder Konfliktgebiet auf. Das zeigt eine aktuelle Schätzung des Kinderhilfswerks Unicef. Betroffen sind also insgesamt etwa 460 Millionen Kinder. Besonders schlimm ist die Lage in einem Land, das die meisten Menschen in westlichen Ländern kaum wahrnehmen. Und das, obwohl dort die international größte Flüchtlingskrise herrscht. Die Rede ist vom Sudan. Seit April 2023 tobt dort ein brutaler Bürgerkrieg.
Millionen Kinder im Sudan sind von Gewalt betroffen. Allein in der umkämpften Stadt El Fascher in der westsudanesischen Region Darfur sollen zwischen April und Oktober dieses Jahres mindestens 150 Kinder ums Leben gekommen sein. Im Jahr 2023 hat es 1.721 schwere Kinderrechtsverletzungen gegeben, wie aktuelle Daten der Vereinten Nationen aufzeigen.
Die Jüngsten und Wehrlosesten der Gesellschaft werden dort von bewaffneten Gruppen für den Kampf oder andere Dienste rekrutiert. Mädchen, oft noch im Kindesalter, werden Opfer von Vergewaltigungen und sexualisierter Gewalt. Kinder werden verstümmelt und getötet.
Der Geschäftsführer von Unicef Deutschland, Christian Schneider, war zuletzt Ende November im Sudan. Er berichtet von traumatisierten Kindern, die Gräueltaten miterleben mussten: "Ich begegnete Kindern, die von Schüssen auf flüchtende Frauen und Mädchen erzählten." Ein Mädchen berichtete ihm, wie seiner Schwester an einem Checkpoint ein Gewehrlauf an den Kopf gehalten worden war. "Dies sind Erlebnisse, die kein Kind je erleben sollte – und die kein Kind je vergessen wird."
Elf Millionen Menschen auf der Flucht
Die blutigen Kämpfe im Sudan dauern bereits seit April 2023 an. Zu jener Zeit eskalierte ein Machtkampf zwischen dem De-facto-Machthaber Abdel Fattah al-Burhan und seinem früheren Stellvertreter Mohamed Hamdan Daglo. Seitdem herrscht im Sudan Bürgerkrieg.
Daglos Miliz mit dem Namen Rapid Support Forces (RSF) konnte wichtige Siege verbuchen. Sie kontrolliert nun den größten Teil der westsudanesischen Region Darfur. El Fascher ist die letzte große Stadt, in der al-Burhans Regierung noch die Kontrolle hat. Beide Konfliktparteien nehmen keine Rücksicht auf Verluste. Ihnen werden schwere Menschenrechtsverbrechen vorgeworfen.
Mehr als elf Millionen Menschen sind vor den landesweiten Kämpfen geflohen, etwa die Hälfte von ihnen sind Kinder und Jugendliche. Viele leben nun in Ägypten, im Südsudan und im Tschad unter prekären Bedingungen.
Laut UN forderte der Bürgerkrieg bis zum November rund 25.000 Todesopfer. Eine aktuelle Studie der Hochschule für Hygiene und Tropenmedizin in London geht jedoch von mehr als 61.000 Toten aus. Der Chef des norwegischen Flüchtlingsrats sagte zuletzt, es stünden 24 Millionen Menschenleben auf dem Spiel. Lesen Sie hier mehr darüber.
Mehr als die Hälfte der sudanesischen Bevölkerung, etwa 26 Millionen Menschen, leidet Hunger. Krankheiten wie Cholera und Dengue-Fieber greifen immer weiter um sich, das Gesundheitssystem ist weitgehend zusammengebrochen.
Sogar auf Flüchtlingslager wird geschossen
Sonntagabend eskalierte die Situation weiter: Das Flüchtlingslager Samsam in der sudanesischen Region Nord-Darfur wurde beschossen. Dort haben Hilfsorganisationen und UN-Einrichtungen ihre Büros. Es ist bisher noch nie unter direkten Beschuss genommen worden, auch, wenn es in der Nähe des Lagers schon lange Kämpfe gibt.
Schätzungen zufolge leben in Samsam mindestens 500.000 Menschen. Es ist seit Monaten überfüllt, weil Tausende vor den Kämpfen in der nahegelegenen Provinzhauptstadt El Fascher dorthin geflohen sind. In dem Lager ist bereits eine Hungersnot ausgebrochen.
Einige Hilfsorganisationen haben Samsam bereits verlassen. Eine Organisation, die geblieben sind, ist Ärzte ohne Grenzen (MSF). Eine Sprecherin der Organisation sprach von einer katastrophalen Lage. Es sei Panik ausgebrochen, Tausende versuchten zu fliehen. Auch in der Nähe des MSF-Krankenhauses sei es zu Beschuss gekommen, die Klinik werde evakuiert.
So viele Kinderrechtsverletzungen wie nie zuvor
Nicht nur im Sudan, sondern auch weltweit gab es im Jahr 2023 so viele schwere Kinderrechtsverletzungen wie nie zuvor. Die UN zählt 32.990, doch Unicef glaubt, die Dunkelziffer sei noch höher. Abgesehen von Somalia ist die Situation besonders gravierend in Gaza und in der Ukraine. In Gaza werden jeden Tag durchschnittlich über 67 Kinder getötet oder verletzt. In der Ukraine wurden seit dem russischen Angriff 2022 etwa 16 Kinder pro Woche getötet. Unicef glaubt, dass diese Zahlen im kommenden Jahr erneut steigen werden.
Für das kommende Jahr schätzt Unicef, dass 213 Millionen Kinder in Krisenregionen humanitäre Hilfe benötigen. Die Organisation gibt an, für seine Nothilfeprogramme im Jahr 2025 Finanzmittel in Höhe von 9,9 Milliarden Dollar (9,43 Milliarden Euro) einzuplanen.
- Unicef: "Situationsbericht 2024"
- Nachrichtenagenturen afp und dpa
- Mediendienst Integration: "Die größte Flüchtlingskrise der Welt"