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Ampel-Chaos lähmt Deutschlands Außenpolitik: Dieses Scheitern ist fatal


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Ampel-Chaos lähmt deutsche Krisenpolitik
Plötzlich droht ein schnelles Ende


10.11.2024Lesedauer: 5 Min.
Außenministerin Annalena Baerbock und Verteidigungsminister Boris Pistorius: Mit Blick auf den kommenden Bundestagswahlkampf kann sich Deutschland eine Lähmung in der Außen- und Sicherheitspolitik nicht leisten.Vergrößern des Bildes
Außenministerin Annalena Baerbock und Verteidigungsminister Boris Pistorius: Mit Blick auf den kommenden Bundestagswahlkampf kann sich Deutschland eine Lähmung in der Außen- und Sicherheitspolitik nicht leisten. (Quelle: IMAGO/imago-images-bilder)
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Nur wenige Stunden nach dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA zerlegte sich die Ampelkoalition selbst. Für die deutsche Außenpolitik ist es der schlimmstmögliche Zeitpunkt: Deutschland steht international am Scheideweg.

"Doppelwumms". Diesen Begriff hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geprägt, um 2022 die Maßnahmen der Bundesregierung in der Energiekrise zu beschreiben. Doch in der vergangenen Woche erlebte Deutschland einen doppelten Wumms, dessen Erschütterung noch lange Zeit spürbar sein werden.

Am Mittwochmorgen wurden die schlimmsten Befürchtungen im politischen Berlin wahr: Donald Trump hat die Präsidentschaftswahl in den USA gewonnen und unter ihm droht der Protektionismus erneut zum politischen Faden der US-Regierung zu werden – eine erneute Bewährungsprobe für die transatlantischen Beziehungen. Doch während das politische Berlin noch über die nächsten Schritte im Umgang mit Trump debattierte, kam am Mittwochabend der nächste Knall: Scholz entließ seinen Finanzminister Christian Lindner und die FDP stieg aus der Bundesregierung aus, es war das Ende der Ampelkoalition.

Video | Bundeskanzler Scholz äußert sich zur Koalitionskrise
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Quelle: t-online

Für Deutschland kommt der Kollaps der Bundesregierung zur Unzeit. Kurz nachdem klar wurde, dass die deutsche Außenpolitik nach der US-Präsidentschaftswahl möglichst schnell neu justiert werden muss, verlieren sich Kanzler Scholz und der ehemalige Finanzminister Christian Lindner (FDP) in persönlichen Anfeindungen. Deutschland hat mitten in dieser Krisenzeit den Kompass verloren und streitet nun über Neuwahlen und den richtigen Zeitpunkt für eine Vertrauensfrage.

Dabei wiegen die außenpolitischen Probleme so schwer, dass sich Deutschland und der kollektive Westen die Verzögerungsstrategie des Kanzlers vor der Neuwahl nicht leisten kann. Die gegenwärtigen Krisen machen keine Pause, warten auch nicht darauf, bis Deutschland gewählt hat. Der Westen steht führungslos da – und dadurch steht nun vieles auf dem Spiel.

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Ampel-Aus überschattet Trump-Wahl

Zumindest der Zeitpunkt für das Ende der Bundesregierung hat Teile der westlichen Diplomatie überrascht. Deutschland stand im Schatten der US-Wahl – und Streit in Berlin war man in den vergangenen Jahren schon gewohnt. Selbst in Kreisen der Regierungsparteien hielt man zwar nach der Veröffentlichung von Lindners Wirtschaftspapier das Ende der Ampel und den Ausstieg der FDP für sehr wahrscheinlich, aber die Wahl Trumps schien zumindest in den Augen einiger Politiker diesen Prozess noch zu verzögern.

Aber nein. Der Knall kam dann doch schon am Mittwochabend und seither tobt ein Kampf um die Deutungshoheit im politischen Berlin. Wer hat Schuld an der Krise? Und wie geht es nun weiter?

Die Grünen scheinen zumindest in Teilen etwas von den Ereignissen überrumpelt. Der scheidende Grünen-Chef Omid Nouripour stand nach den Regierungskonsultationen im Kanzleramt beim Statement von Robert Habeck hinter dem Wirtschaftsminister. Übernächtigt wirkte er dabei. Immerhin war Nouripour bereits in der Nacht in Fernsehsendungen zur US-Wahl gewesen, danach sprach er bei einer Pressekonferenz der Atlantikbrücke über Trump und die Folgen der US-Wahl.

Neben Habeck sprach am Mittwoch auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zu den wartenden Journalisten. Baerbock war am Morgen erst aus der Ukraine zurückgekommen, veranstaltete direkt am Flughafen eine Pressekonferenz, um über den Trump-Sieg zu sprechen und die Bedeutung der transatlantischen Beziehungen zu betonen. Doch das Ende der Ampel stellte alles auf den Kopf.

"Es ist kein Geheimnis: Ich hatte gestern Mittag eine andere Rede vorbereitet, die ich zu den US-Wahlen halten wollte", sagte Baerbock am Freitag im Bundestag. "Heute liegen die Dinge offensichtlich anders. Wir sind in einer neuen Phase des Regierens." Es ist eine höfliche Formulierung dafür, dass das Ende der Ampel wirkliches Regieren in dieser Legislatur nur noch schwer möglich macht – und das lähmt auch die deutsche Außenpolitik.

US-Machtwechsel stellt vieles auf den Kopf

In der deutschen Bevölkerung wird die Bedeutung des eigenen Landes für das westliche Bündnis oft unterschätzt. Deutschland ist nicht nur militärisch und finanziell der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine, sondern ist auch eine elementare Führungsmacht in Europa. Während Trumps erster Amtszeit übernahm etwa die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine zentrale Führungsrolle im westlichen Bündnis und die deutsch-französische Achse wurde zum Fundament einer Europäischen Union, die dem Republikaner zumindest selbstbewusst gegenübertrat.

Doch das alles liegt in Trümmern. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat selbst mit innenpolitischen Problemen zu kämpfen und seine Beziehung zu Scholz beschreiben Beobachter als schlecht. Auch Merkel und Macron hatten Konflikte, aber sie rauften sich zusammen – mit Blick auf Trump. Jetzt sitzt der Republikaner ab Januar wieder im Weißen Haus, und für die europäischen Verbündeten der USA drängt die Zeit.

Der noch amtierende US-Präsident Joe Biden arbeitete vertrauensvoll mit Scholz zusammen – und er ist bald weg. Baerbock arbeitete eng mit US-Außenminister Antony Blinken zusammen – doch auch er wird bald nicht mehr im Amt sein. Deutschlands Außenpolitik und Wirtschaft stand auf drei elementaren Säulen: Billige Rohstoffe aus Russland, die USA bezahlen die Sicherheit der Bundesrepublik und deutsche Unternehmen exportieren ihre qualitativ hochwertigen Produkte wie Autos nach China und in die USA.

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All das wird enden und ist teilweise schon vorbei. Biden war zwar eine Atempause dieser Entwicklung, aber Trump wird nun den Kurs der USA im Umgang mit Europa wieder auf den eigenen Profit auslegen. Das bedeutet: Auch Deutschland drohen neue Zölle und die kommende Bundesregierung steht vor der Aufgabe, sicherheitspolitisch mehr Verantwortung zu übernehmen und das auch zu finanzieren.

Wahlkampf wird Baerbock einholen

Diese Entwicklung erfordert von der deutschen Außenpolitik nun schnelle Maßnahmen. In der Tat erklärten deutsche Diplomaten in den vergangenen zwei Jahren immer wieder, dass Deutschland Drähte ins Trump-Lager habe. Jetzt steht Deutschland eine intensive Phase der Diplomatie bevor. Noch vor dem Machtwechsel in Washington wird es intensive Gespräche geben, um die künftigen transatlantischen Beziehungen zu justieren – und auf Trump einzuwirken.

Außerdem geht es darum, die Reihen in Gesprächen mit Frankreich, Großbritannien und Polen in Europa zu schließen. Dabei wird es auch um die Zukunft der Ukraine-Unterstützung gehen, wobei auch das Szenario berücksichtigt werden muss, dass Trump die Unterstützung der ukrainischen Verteidigung gegen Russland zurückzieht, weil er den Krieg als europäisches Problem sieht.

Im Hintergrund vor all diesen außenpolitischen Herausforderungen stellt sich für Deutschland aber eine zentrale Frage: Hat die Bundesregierung überhaupt noch die Kraft, um sich mit all dem auseinanderzusetzen?

Deutschland steht nun ein kurzer und intensiver Wahlkampf bevor. Das bindet nicht nur die zeitlichen Ressourcen des Kanzlers, sondern auch die von Baerbock. Die Außenministerin hat unter anderem auch auf eine Kanzlerinnenkandidatur verzichtet, weil sie selbst weiter Krisendiplomatie betreiben wolle. Es ist nicht nur der Ukraine-Krieg, sondern auch der Nahostkonflikt, indem sich insbesondere Baerbock in diesem Jahr stark diplomatisch engagierte.

Doch Baerbocks Strategie steht nun auf dem Prüfstand: Die Bundestagswahl kommt deutlich früher und plötzlich droht ein schnelles Ende ihrer Amtszeit. Die Grünen-Politikerin mobilisierte schon in der Vergangenheit für eine mögliche schwarz-grüne Koalition, womöglich könnte sie sich eine weitere Amtszeit als Außenministerin gut vorstellen. In sicherheitspolitischen Fragen wird sie durchaus von Unionspolitikern im Bundestag geschätzt und ist international gut vernetzt. Und wenn US-Außenminister Blinken ab Januar nicht mehr im Amt ist, wäre auf Baerbock mehr Verantwortung zugekommen, denn viele ihrer westlichen Amtskollegen sind nicht so lange im Amt als sie, haben weniger Erfahrung mit den gegenwärtigen Krisen.

Aber das innenpolitische Chaos in Deutschland wird nun auch die Außenministerin einholen. Die Grünen liegen in den Umfragen aktuell zwischen zehn und zwölf Prozent. Sie müssen im Eiltempo um ihren wahrscheinlichen Kanzlerkandidaten Robert Habeck einen Wahlkampf organisieren und beim Parteitag ab dem 15. November erst einmal eine neue Parteispitze wählen.

Für diese Aufholjagd, um den Gang in die Opposition noch verhindern zu können, braucht die Partei auch Baerbock im Wahlkampf. Und das in einer Zeit, in der Deutschland außenpolitisch einen aktiven Kanzler und eine aktive Außenministerin so sehr braucht wie selten in dieser Legislatur. Ein Dilemma, das sich nur schwer auflösen lassen wird.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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