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Nahost-Krieg: Israels Plan für das Kriegsende


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"Netanjahu hat überhaupt keine Idee"
Israel korrigiert offenbar seine Kriegsziele


04.12.2023Lesedauer: 5 Min.
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Video zeigt Kämpfe im gesamten Gazastreifen: Führende US-Politiker finden deutliche Worte.

Israel weitet seine Bodenoffensive auf den Süden des Gazastreifens aus. Ein Ziel der Militäroperation ändert sich nun anscheinend, vermutet ein Experte.

Israel steht mit seiner Bodenoffensive im Gazastreifen erneut vor einem Dilemma. Die Armee hat mitgeteilt, dass die Militäroperation gegen die Terrororganisation Hamas nun auf den "gesamten Gazastreifen" ausgeweitet werde. Am Montag sind gemäß Augenzeugenberichten bereits Panzer, Truppentransporter und Bulldozer in den südlichen Teil des Palästinensergebiets vorgerückt.

Gleichzeitig wächst der Druck auf Israels Regierung: Die USA und die Bundesregierung – zwei der größten Unterstützer des Landes – fordern den Schutz der Zivilbevölkerung im Gazastreifen. "Zu viele unschuldige Palästinenser sind getötet worden", sagte US-Vizepräsidentin Kamala Harris. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin warnte gar vor einer "strategischen Niederlage" Israels, da die palästinensische Zivilbevölkerung durch weitere Todesopfer "in die Arme des Feindes" getrieben werden könnte.

Dennoch fokussiert sich Israels Militär jetzt auf den Süden des Gazastreifens. Dorthin waren nach Aufforderung der israelischen Armee Hunderttausende Palästinenser geflohen, um der israelischen Bodenoffensive im Norden zu entgehen. Dort sollen sich aber auch führende Köpfe der Hamas verschanzen. Wie passt Israels Vorgehen mit dem Schutz der Zivilbevölkerung zusammen? Und könnte der internationale Druck womöglich ein schnelleres Ende der Bodenoffensive bewirken?

Wie will Israel im Süden des Gazastreifens vorgehen?

"Bei der Ausweitung der Bodenoffensive im Süden wird Israel aller Voraussicht nach verstärkt Landstreitkräfte einsetzen", erklärt der Politikwissenschaftler Carlo Masala im Gespräch mit t-online. "Damit versucht man die Zivilbevölkerung zu schützen, riskiert aber auch größere Verluste unter den eigenen Soldaten", sagt der Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. "Die Taktik bleibt die gleiche wie im Norden: Man setzt auf hohe Feuerkraft, um die Hamas zu besiegen. Dieses Mal möglicherweise eher mit Kampfpanzern und anderem schwerem Gerät als mittels Luftangriffen."

Mit Blick auf Israels Kriegsziele offenbart sich das Dilemma. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte drei Kriegsziele ausgegeben: Erstens die vollständige Zerstörung der Terrororganisation Hamas; zweitens die Entmilitarisierung des Gazastreifens; und drittens die Freilassung aller rund 240 Geiseln, die die Hamas am 7. Oktober in den Gazastreifen verschleppt hatte.

Doch die ersten beiden Ziele scheinen in weiter Ferne zu sein: 110 Geiseln hat die Hamas im Austausch mit palästinensischen Gefangenen bereits freigelassen. Andere wurden für tot erklärt. Mehr dazu lesen Sie hier. Weitere Freilassungen sollen laut der Terrororganisation jedoch erst erfolgen, wenn Israels seine Angriffe beendet.

Macron: "Die vollständige Vernichtung der Hamas, was ist das?"

Angesichts dessen scheint Israel an zumindest einem Kriegsziel zu schrauben. Das wichtigste erklärte Ziel – die Zerstörung der Hamas – bleibe zwar das gleiche, so Masala. "Was Israel allerdings als 'Zerstörung' definiert, scheint sich nun zu ändern." Das Militär konzentriere sich jetzt auf die Tötung mittel- bis hochrangiger Kommandeure der Terrororganisation. "Als 'Zerstörung der Hamas' kann man das meiner Ansicht nach aber nicht bezeichnen. Es ist zumindest der Teilrückzug von einem erklärten Kriegsziel."

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(Quelle: IMAGO/M. Popow/imago-images-bilder)

Zur Person

Carlo Masala (55) ist Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. Zudem leitet der Politologe das Metis Institut für Strategie und Vorausschau der Hochschule. Masala diskutiert regelmäßig im Podcast "Sicherheitshalber" über Sicherheitspolitik.

Unterdessen werden auch unter den Unterstützern Israels Stimmen lauter, die einen strategischen Kurswechsel fordern. Am deutlichsten formulierte dies bisher Frankreichs Präsident Emmanuel Macron: "Die vollständige Vernichtung der Hamas, was ist das? Glaubt irgendjemand, dass das möglich ist? Wenn das so ist, wird der Krieg zehn Jahre dauern", sagte Macron. Israel müsse sein Kriegsziel präzisieren, forderte er. "Der richtige Kampf gegen den Terrorismus ist nicht die systematische und permanente Bombardierung."

Auch die USA erhöhen den Druck: Das Weiße Haus will, dass Israel und die Hamas an den Verhandlungstisch zurückkehren. "Wir wünschen uns, dass das noch heute passiert. Aber ehrlich gesagt, weiß ich das nicht", sagte John Kirby, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats der Vereinigten Staaten. "Die USA drängen nun offenbar darauf, dass Israel die Offensive bis Weihnachten beendet oder es zumindest zu einer erneuten Feuerpause kommt", glaubt Carlo Masala.

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Und das Drängen der internationalen Partner trägt offenbar bereits Früchte. "Dass der internationale Druck wächst, merkt man auch daran, dass Israel sich mit seiner Bodenoffensive beeilt", so Masala. "Man hat noch nicht einmal Gaza-Stadt im Norden vollständig besetzt, rückt aber bereits jetzt Richtung Süden vor."

Hat Israel einen Plan für den Tag nach dem Krieg?

Zweifel gibt es zudem daran, ob Israel eine Strategie für die Zeit nach seiner Bodenoffensive hat. "Ich sehe bei der israelischen Regierung derzeit keinen politischen Plan für den Tag nach dem Krieg. Netanjahu hat überhaupt keine Idee", meint Masala. "Eine Besetzung des Gazastreifens wird von der Regierung ausgeschlossen, und für eine Zweistaatenlösung gibt es keine Unterstützer in der israelischen Regierung. Und eine Pufferzone einzurichten alleine, ist kein Plan für die Zeit danach." Mehr zu Israels Plänen für eine Pufferzone lesen Sie hier.

"Israel hat offiziell noch nichts über eine Exit-Strategie für seine Bodenoffensive mitgeteilt", pflichtet ihm Eckart Woertz bei. Der Direktor des Hamburger GIGA-Instituts für Nahost-Studien sagt im Gespräch mit t-online. "Es scheint derzeit so, dass die militärische Planung im Vordergrund steht."

(Quelle: Privat)

Zur Person

Eckart Woertz (*1969) ist seit vier Jahren Direktor für Nahost-Studien des German Institute for Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg. Außerdem ist er Professor für Zeitgeschichte und Politik des Nahen Ostens an der Universität Hamburg.

"Was den politischen Plan angeht, so hat es bisher bedenkliche Aussagen vonseiten der Hardliner in der israelischen Regierung gegeben. Dort war sogar von einer Vertreibung der Palästinenser aus dem Gazastreifen die Rede", so Woertz. "Das könnte dann zu einem neuen Flüchtlingsproblem in Europa führen, da viele der palästinensischen Flüchtlinge nicht in Ägypten bleiben, sondern hier landen würden."

Angebliche Pläne einer Vertreibung wies das israelische Militär am Montag von sich: "Wir versuchen nicht, irgendjemanden zu vertreiben, wir versuchen nicht, jemanden dauerhaft umzusiedeln", erklärte Armeesprecher Jonathan Conricus. Stattdessen sollen sich die Palästinenser abermals aus den Kampfgebieten zurückziehen. Dafür sei eine "humanitäre Zone innerhalb des Gazastreifens" eingerichtet worden.

Dennoch: Conricus räumte ein, dass die Bedingungen der Zivilbevölkerung "hart" seien. Als "humanitäre Zone" hat Israel ein kleines Küstengebiet um den Ort Al-Mawasi ausgewiesen. Mehr zu den israelischen Evakuierungsplänen lesen Sie hier.

Einen Plan für nach der Offensive gibt es zumindest offiziell noch nicht: "Der Nachkriegsplan der Israelis für den Gazastreifen ist noch völlig unklar. Ein solcher Plan wäre jedoch entscheidend für eine längerfristige Lösung des Nahostkonflikts", betont Eckart Woertz. "Derzeit scheint es so, dass die einzige Möglichkeit eine langfristige Besetzung des Gazastreifens durch Israel ist. Doch das wollen die Israelis eigentlich nicht."

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Könnten dann andere internationale Mächte bei einem Nachkriegsplan mitwirken? "Auch eine Einbindung der arabischen Regionalmächte scheint aktuell unwahrscheinlich", gibt Woertz zu bedenken. "Denn diese zeigen keine Bereitschaft, für Israel die Kohlen aus dem Feuer holen zu wollen." Auch die Palästinensische Autonomiebehörde, die aktuell im Westjordanland herrscht, gilt als unwahrscheinlicher Nachfolger der Hamas im Gazastreifen – auch wenn die USA dies wohl bevorzugen.

"Für Netanjahu und sein politisches Überleben ist von entscheidender Bedeutung, die Bodenoffensive erfolgreich zu beenden", erklärt Militärexperte Masala. "Auch aus diesem Grund könnte Israel seine Ziele leicht angepasst haben." Fraglich bleibe jedoch, "ob Netanjahu diese Ziele bis zum Ende durchsetzen will und so womöglich einen politischen Konflikt mit den USA riskiert, oder die Operation doch schneller als erwartet beendet und den Wünschen Washingtons entspricht. Das wäre jedoch das politische Aus für Benjamin Netanjahu."

Verwendete Quellen
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