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"Die Leichen fangen an zu verwesen": Droht im Sudan ein Bürgerkrieg?


"Die Leichen fangen an zu verwesen"
Droht im Sudan ein neuer Bürgerkrieg?

Von dpa, t-online, tos

Aktualisiert am 24.04.2023Lesedauer: 6 Min.
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Dicker schwarzer Rauch: Bilder eines Satelliten sowie Clips der verfeindeten Gruppen zeigen die Kämpfe. (Quelle: t-online)
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Schwere Kämpfe im Sudan: Die Armee des Landes kämpft gegen die einflussreiche Miliz des zweiten Mannes im Staat. Was Sie über den Konflikt wissen müssen.

Am Samstag, den 15. April, erwachten die Menschen in der sudanesischen Hauptstadt Khartum zu den Geräuschen von Maschinengewehrfeuer und Luftschlägen. Ein schwelender Machtkampf zwischen dem De-facto-Staatschef General Abdel Fattah al-Burhan und seinem Vize Mohammed Hamdan Daglo ist nun vollends eskaliert.

Bei den Kämpfen in Khartum und anderen Landesteilen starben den Vereinten Nationen zufolge bislang mindestens 413 Menschen, darunter auch Zivilisten. Es soll mehr als 3.500 Verletzte geben.

Aber wer kämpft im Sudan überhaupt gegeneinander – und warum? Könnte sich aus den Kämpfen ein Bürgerkrieg entwickeln? Und wie könnte der Konflikt mit möglichst wenig weiterem Blutvergießen beendet werden? Ein Überblick.

Wer kämpft im Sudan gegeneinander?

Zwei große militärische Machtapparate. Auf der einen Seite steht die Armee des drittgrößten afrikanischen Staates (SAF), wie die sudanesische Armee auch genannt wird. Sie untersteht dem De-facto-Staatschef General Abdel Fattah al-Burhan. Gegen die Armee kämpft die Miliz Rapid Support Forces (RSF). Ihr Kommando hat Mohammed Hamdan Daglo, genannt Hemeti, inne.

Warum kämpfen die beiden Gruppen gegeneinander?

Für die Antwort auf diese Frage muss man etwas weiter ausholen – genauer gesagt: vier Jahre. Von 2018 bis 2019 gab es eine Revolution im Sudan. Das Volk strömte auf die Straßen und verlangte die Absetzung des seit 1989 regierenden Präsidenten Umar al-Baschir, der das Land autoritär regiert hatte.

Die Revolution war erfolgreich, al-Baschir wurde entmachtet. Eine Übergangsregierung, in der die Macht zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und des Militärs aufgeteilt werden sollte, füllte das Machtvakuum aus – mit dem Ziel, das Land zu demokratisieren und innerhalb von wenigen Jahren freie und geheime Wahlen zu organisieren.

Dazu kam es allerdings nicht. Im Oktober 2021 putschte das Militär, der heutige De-facto-Staatschef General Abdel Fattah al-Burhan riss die Macht an sich. Das Militär versprach nach erneuten Massenprotesten, innerhalb von zwei Jahren demokratische Wahlen zu organisieren.

Allerdings gab es dabei ein Problem: Die Miliz Rapid Support Forces (RSF) sollte im Zuge der geplanten Einrichtung einer zivilen Regierung in die Armee integriert werden. Die RSF will allerdings unter anderem erst die Frage klären, wer den Oberbefehl über die Streitkräfte erhalten soll. Diese Frage hat für einen Konflikt gesorgt, der in den vergangenen Monaten vor sich hin schwelte. So agiert die Miliz weiterhin eigenständig. Dem Sudan-Experten Gerrit Kurtz von der Stiftung Wissenschaft und Politik zufolge ist die RSF für schwerste Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, darunter gezielte Gewalt gegen die Zivilbevölkerung.

Warum wehrt sich die RSF gegen eine Integration in die Armee?

Gerrit Kurtz erklärt im Gespräch mit t-online, die Offiziersriege der sudanesischen Armee sei stark von islamistischen Kadern aus der Zeit der al-Baschir-Diktatur unterwandert. "Die RSF fordert, diese Offiziere zu entfernen, bevor sie einer Eingliederung in die Armee zustimmt", erklärt der Wissenschaftler.

Das sei allerdings ein langwieriger Prozess, der laut RSF bis zu zehn Jahre dauern könne. Diese Zeitspanne ist der Armee allerdings zu lang – sie wolle die Miliz innerhalb von zwei Jahren eingliedern. Zudem sei die Frage nach dem Oberbefehlshaber der dann vereinten Streitkräfte noch nicht geklärt. "Letztendlich geht es auch hier um Macht", sagt Kurtz.

Wie eskalierte der Machtkampf?

Der 15. April begann in der sudanesischen Hauptstadt Khartum mit schweren Kämpfen zwischen Armee und RSF. Dabei griffen sich beide Seiten mit schwerer Artillerie und Infanteriekräften an. Die Armee setzte auch Kampfhubschrauber und -flugzeuge über der Hauptstadt ein. Warum der Konflikt ausgerechnet am Samstag eskalierte, ist bislang unklar.

Augenzeugen berichteten dem US-Nachrichtensender CNN, dass sowohl die Armee als auch die RSF Kliniken angriffen. Die sudanesische Ärztegewerkschaft habe mindestens ein halbes Dutzend Krankenhäuser identifiziert, die angegriffen wurden, heißt es in dem Bericht. Genaue Angaben gab es jedoch bis Montagabend nicht.

Ein Arzt eines Krankenhauses in Khartum sagte dem Sender, eine Entbindungsstation sei getroffen worden. "Wir konnten schwere Waffen hören und lagen zusammen mit unseren Patienten auf dem Boden", so der Mediziner.

Ein weiterer Arzt sagte CNN: "Wir befanden uns in einer echten Schlacht. Können Sie sich vorstellen, dass wir das Krankenhaus verlassen und Kinder in Brutkästen und Patienten auf der Intensivstation ohne medizinisches Personal zurückgelassen haben? Ich kann nicht glauben, dass ich das Sterben im Krankenhaus überlebt habe, wo der Geruch des Todes allgegenwärtig ist." Ein Sprecher des Zentralkomitees der sudanesischen Ärzte sagte dem Sender, dass es keine Möglichkeit gebe, Tote zu begraben. "Die Leichen fangen an zu verwesen."

Doch nicht nur in der Hauptstadt kämpften die beiden Lager gegeneinander. Auch aus anderen großen Städten wie al-Faschir im Südwesten oder Port Sudan im Nordosten wurden Kämpfe gemeldet.

Die Kämpfe sollen verschiedenen Berichten zufolge auch noch am Montag teilweise andauern. Ob aktuell RSF oder Armee die Oberhand gewinnen, lässt sich nicht eindeutig sagen. Beide Parteien beanspruchen für sich, kurz vor dem militärischen Sieg über die jeweils andere Seite zu stehen.

Steht das sudanesische Volk hinter der Armee oder der RSF?

"Die Menschen, die 2018 auf die Straßen gegangen sind, wollen mit beiden Seiten nichts zu tun haben", erklärt Gerrit Kurtz. "Militärherrschaften hatten das sudanesische Volk jahrzehntelang." Die RSF habe lange mit der Armee zusammengearbeitet und sei zudem für mehrere Massaker während der demokratischen Revolution verantwortlich.

Welche ausländischen Verbündeten haben beide Seiten hinter sich?

International rückte der Sudan zuletzt nach einem Besuch des russischen Außenministers Sergej Lawrow in den Fokus. Die Russen planen einen Marinestützpunkt an der sudanesischen Küste am Roten Meer. Das führte zuletzt zu Spannungen mit den USA, die Sorge um ihren Einfluss in der Region haben.

Russland unterstützt nun die RSF, ebenso die Vereinigten Arabischen Emirate. Außerdem kann RSF-Chef Hemeti die Nachbarländer Äthiopien und Eritrea hinter sich vereinen. "Beide Seiten in diesem Konflikt machen ihre eigene Außenpolitik", erklärt Gerrit Kurtz.

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Die Armee und ihr Anführer al-Burhan ist mit der Regionalmacht Ägypten verbündet. Hintergrund ist ein Streit um ein Staudammprojekt am Nil in Äthiopien. Ägypten versucht dieses gemeinsam mit dem Sudan zu verhindern. Das wohlhabende Saudi-Arabien wiederum sieht sich als Vermittler.

Könnte sich der Konflikt zu einem Bürgerkrieg entwickeln?

Das ist nicht ausgeschlossen und hängt laut Gerrit Kurtz vor allem von der Länge der Kämpfe ab. "Je länger der Konflikt dauert, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich Teile der Bevölkerung auf eine der beiden Seiten schlagen", erklärt der Wissenschaftler. Das könne zu einer "massiven Destabilisierung" im Sudan, aber auch in der gesamten Region führen.

Wie groß ist der Einfluss des alten Machthabers al-Baschir?

Viele Offiziere der Armee seien loyal zum System des alten Diktators, sagt Kurtz. Auch gibt es in der Bevölkerung noch Anhänger des alten Machthabers. Vor allem islamistische Gruppen betrachten den Demokratisierungsprozess als vom Westen aufgezwungen. Zuletzt gab es Morddrohungen gegen den UN-Sonderbeauftragten Volker Perthes bei einer Versammlung, an der laut Berichten auch al-Baschir-Anhänger teilnahmen.

Auch der Einfluss islamistischer Kräfte innerhalb der Armee dürfe nicht unterschätzt werden, erklärt Gerrit Kurtz. Viele al-Baschir-Loyalisten in der Armee setzen deren Chef al-Burhan unter Druck, damit er nicht zu viele Zugeständnisse an die zivilen Kräfte in der Gesellschaft macht. "Islamisten nehmen eine zentrale Rolle ein", sagt Kurtz.

Ein Grund dafür sei, dass al-Burhan nach dem Militärputsch im Jahr 2021 ehemalige Verwaltungsangestellte aus der Zeit der al-Baschir-Diktatur zurückgeholt habe. Auch in der Justiz und auf hochrangigen Posten in der Politik seien sie wieder vertreten. Diese Beamten hätten sich deshalb sofort auf die Seite des Militärs geschlagen. "Seit dem Putsch 2021 ist der islamistische Einfluss deutlich gewachsen", erklärt Kurtz.

Wie sieht der Weg zum Frieden im Sudan aus?

Der Weg zum Frieden ist noch lang. Erst einmal geht es darum, dass Armee und RSF ihre Kämpfe einstellen. Dazu wollen drei afrikanische Staatschefs so bald wie möglich nach Khartum reisen, um zwischen beiden Seiten zu vermitteln, berichtet die Nachrichtenagentur dpa am Montag.

Kenias Präsident William Ruto, Südsudans Präsident Salva Kiir und Djiboutis Präsident Ismaïl Omar Guelleh sollen zum frühestmöglichen Zeitpunkt in der Hauptstadt Khartum eintreffen, teilte auch die kenianische Regierung in der Nacht zum Montag mit.

Am Tag zuvor hatte die Zwischenstaatliche Behörde für Entwicklung (IGAD) ein außerordentliches Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs Ostafrikas einberaumt. Stabilität im Sudan sei der Schlüssel zur sozialen und wirtschaftlichen Stabilität der Region, hieß es im Anschluss an den Gipfel. Gefordert wurde "eine sofortige Einstellung der Feindseligkeiten zwischen den Kriegsparteien".

Für Gerrit Kurtz hätte eine Vermittlung durch die Vereinten Nationen gewisse Erfolgsaussichten: "Die machen das schon lange, sind vor Ort und haben dadurch persönliche Beziehungen zu den handelnden Akteuren", erklärt er. Vor allem, wenn die UN in ihren Verhandlungen durch einflussreiche Regionalmächte wie Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate oder Saudi-Arabien unterstützt würden, hätten die Verhandlungen eine Chance.

Verwendete Quellen
  • Telefongespräch mit Dr. Gerrit Kurtz
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
  • edition.cnn.com: "'The smell of death is everywhere,' Sudanese doctor tells CNN as hospitals come under military attack" (englisch)
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