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Iran | Hinrichtungen und Todesurteile: "Prozesse werden geskriptet"


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Todesurteile im Iran
"Die Prozesse werden teilweise geskriptet"


Aktualisiert am 30.01.2023Lesedauer: 4 Min.
Ali Khamenei, Oberster Führer und geistliches Oberhaupt der islamischen Republik: Unter ihm werden Hinrichtungen vollstreckt.Vergrößern des Bildes
Ali Khamenei, Oberster Führer und geistliches Oberhaupt der Islamischen Republik: Unter ihm werden Hinrichtungen vollstreckt. (Quelle: Office of the Iranian Supreme Leader/WANA)

In Irans Gefängnissen werden Zehntausende Menschen gefangen gehalten. Vielen droht die Todesstrafe. Doch wie urteilt das islamische Regime?

Er war auf die Straße gegangen, um für die Freiheit der Bevölkerung im Iran zu protestieren, doch die Revolutionsgarde nahm ihn fest, steckte ihn in eine Einzelzelle und folterte ihn. "Ich sagte, ich bin nicht schuldig", sagt Majid Kazemi. Das islamische Regime wirft ihm und zwei weiteren Protestierenden vor, zwei Basidsch, also Mitglieder der Freiwilligen-Miliz, die der Revolutionsgarde unterstehen, und einen Polizisten getötet zu haben. Beweise gibt es dafür keine, dennoch wurde er zu Tode verurteilt.

So wie Kazemi erging es seit Beginn der Proteste gegen das islamische Regime 2022 vielen Menschen. Mindestens vier Protestierende wurden bislang hingerichtet, Dutzende weitere wurden nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zum Tode verurteilt – in Scheinprozessen des islamischen Regimes.

Doch wie arbeiten die Gerichte der Islamischen Republik im Iran? t-online gibt einen Überblick.

Wie laufen die Prozesse ab?

Die Scheinprozesse finden in der Regel statt, nachdem die Angeklagten in einer Einzelzelle und unter körperlicher Folter zu Geständnissen gezwungen wurden. Obwohl die Scheinprozesse häufig im Staatsfernsehen übertragen werden, haben Angehörige oder unabhängige Beobachter keinen Zugang zum Gerichtssaal. Für die Ausstrahlung im Propagandafernsehen des Regimes laufen die Scheinprozesse dann nach genauem Plan ab: "Die Prozesse werden teilweise geskriptet", sagt Gilda Sahebi, Politikwissenschaftlerin und Iran-Expertin, t-online. "Und wenn einer sagt, er will etwas nicht sagen, dann machen sie so lange weiter, bis er zustimmt, es zu sagen."

Was wird den Protestierenden vorgeworfen?

In der Regel wird den Protestierenden "Krieg gegen Gott" oder "Verdorbenheit auf Erden" vorgeworfen, Vorwürfe, die sich auf die Islam-Auslegung der Islamischen Republik stützen. Nach dem Gesetz des islamischen Regimes stehen darauf die Todesstrafe oder zumindest langjährige Haftstrafen. Als Begründung, um seine Propaganda im Westen zu stützen, nennt das Regime häufig die angebliche Ermordung eines oder gar mehrerer Basidsch.

Sind Beweise oder Zeugen vor Gericht zugelassen?

Das Regime lässt in der Regel keine Zeugen zu. Beweise, die den Vorwurf gegen die Angeklagten stützen, gibt es oft nicht. Das Regime überlege sich einfach ein Szenario und ziehe dieses in seiner Anklage dann durch, erklärt Iran-Expertin Sahebi. Teilweise habe man in den letzten Monaten angebliche Passanten in den Zeugenstand berufen, die die vermeintliche Schuld des Angeklagten beweisen sollten. "Aber das sind keine Zeugen, sondern das waren Kleriker oder Basidsch-Milizen", sagt Sahebi.

Haben die Gefangenen Anwälte?

Nein, die Angeklagten haben keinen Zugang zu freien Anwälten. Zwar gibt es laut Gesetz der Islamischen Republik das Recht auf einen Anwalt. Doch das sei einfach außer Kraft gesetzt worden, wie viele andere auch, sagt die Sahebi. Die Angeklagten könnten sich lediglich einen vom Regime gestellten Verteidiger aus einer Liste aussuchen. Dieser aber vertrete nicht ihre Interessen, sondern die des Regimes. Wie es dem inhaftierten deutsch-iranischen Journalisten Jamshid Sharmahd ergangen ist, lesen Sie hier.

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Richter oder Revolutionsgarde: Wer spricht die Urteile?

Die Urteile werden offiziell von Richtern in den Gerichten gesprochen und von einem vermeintlich Obersten Gericht überprüft. Einer der bekanntesten Richter, der auch als "Richter des Todes" bekannt ist, ist Abolghassem Salavati. "Von dem weiß man nicht mal, ob er Jurist ist. Es ist nicht klar, ob er jemals eine juristische Ausbildung gemacht hat", sagt Sahebi ein. Ähnlich sei es bei den anderen Richtern.

Inoffiziell werden die Richter vom Geheimdienst der Revolutionsgarde befehligt. Die Revolutionsgarde untersteht dem geistlichen Oberhaupt der Islamischen Republik, Ali Khamenei. Sie gäben den Richtern Anweisungen zu den Gefangenen, erklärt Sahebi.

Bekommen alle Gefangenen einen Prozess?

Nein, es ist anzunehmen, dass nicht alle Gefangenen einen Prozess, geschweige denn einen Scheinprozess, erhalten. Einige Personen sind für die Propaganda des Regimes irrelevant. "Die verschwinden einfach. Also von denen weiß man nicht, was mit ihnen passiert, auch die Angehörigen nicht", sagt Sahebi. Manche hätten auch eine Erkrankung oder würden durch die Folter und Misshandlung der Regimekräfte körperlich so geschwächt, dass sie im Gefängnis sterben.

Wer wird verurteilt und wer kommt frei?

"Es hat immer damit zu tun, wie die politische Lage gerade ist. Wie viel Angst muss gerade ausgeübt werden, wie viel Schrecken muss verbreitet werden? Und danach richten sie sich", sagt Sahebi. Viele Gefangene könnten zudem durch die Zahlung hoher Summen auf Kaution wieder freikommen. "Um Geld einzunehmen und Platz zu machen", sagt Sahebi. Platz für neue Regimekritiker; Journalisten; Menschenrechtsaktivisten; Ärzte, die entgegen der Regimeanweisungen etwa verletzte Protestierende behandelt haben; oder freie Menschenrechtsanwälte, die sich für sie eingesetzt haben.

Werden alle Todesurteile oder Hinrichtungen offiziell angekündigt?

Nein. Offiziell wurden seit Beginn der Proteste im September 2022 vier Demonstrierende hingerichtet, die Dunkelziffer dürfte allerdings noch sehr viel höher sein. So wurden etwa im Jahr 2022 nur 35 Prozent der Hinrichtungen durch das islamische Regime offiziell bekannt gegeben, berichtet die Organisation Human Rights Activists News Agency (HRANA) mit Sitz in den USA. Menschenrechtsorganisationen sprechen von "geheimen Hinrichtungen".

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Gibt es Personengruppen, die besonders von Todesurteilen und Hinrichtungen betroffen sind?

Ja, besonders betroffen sind Menschen in den Regionen Kurdistan und der Provinz Sistan und Belutschistan. Das Regime geht in den Regionen nicht nur besonders hart gegen Protestierende vor, sondern verurteilt sie auch eher zum Tode. So kommen laut HRANA etwa 19 Prozent der zum Tode verurteilten Menschen aus Sistan und Belutschistan. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung sind Belutschen allerdings mit weniger als zwei Prozent Anteil an der Bevölkerung eine ethnische Minderheit in Iran.

Wie viele Todesurteile im Geheimen vollstreckt werden, ist unklar. "Die Informationsweitergabe ist in den Regionen oft schwierig", sagt Sahebi. Immer wieder schneidet das Regime die Regionen vom Internet ab. Die Familien seien teils nicht so gut vernetzt wie beispielsweise in der Hauptstadt Teheran, die Armut sei größer und die Zahl an internetfähigen Handys daher geringer, sagt Sahebi. Die Informationen würden so viel schwerer an die Öffentlichkeit gelangen. "Das heißt aber auch, dass das Regime dort noch gesetzloser vorgeht, als es das sowieso tut. Da brauchen sie teilweise gar nichts, sie richten einfach hin", sagt Sahebi.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Gilda Sahebi, Politikwissenschaftlerin, Journalistin, Autorin und Ärztin
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