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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Star-Biograf Walter Isaacson "Es platzte geradezu aus Musk heraus"
Elon Musk zieht es zu den Sternen, doch auf der Erde ist der Techmilliardär umstritten. Müssen wir uns vor seiner Macht fürchten? Sein Biograf Walter Isaacson weiß um Musks Stärken und Schwächen.
Elon Musk wird bewundert und gefürchtet, gefeiert und verdammt. Mit seinen Elektrofahrzeugen von Tesla hilft er, die Gefahr der Klimakrise einzudämmen, mit seinen Raketen von SpaceX will er die Menschheit zum Mars befördern. Zugleich polarisiert Musk wie kaum ein zweiter Milliardär die Öffentlichkeit – vor allem seit er X, vormals Twitter, übernommen hat. Welche Ziele verfolgt Musk? Will er als Technologie-Genie in die Geschichte eingehen, als Retter der Menschheit? Oder will er politisch Einfluss nehmen, als selbst ernannter Richter, was gesagt werden darf und was nicht?"
Niemand kann diese Fragen besser beantworten als Walter Isaacson, dessen neues Buch "Elon Musk. Die Biografie" am 12. September 2023 erscheint. Über Jahre hat er Musk interviewt, begleitet und zahlreiche Einblicke in seine Gedankenwelt erhalten. Im t-online-Interview berichtet Isaacson, wie Elon Musk die Welt sieht – und wie dessen Entscheidungen jeden Menschen betreffen.
t-online: Herr Isaacson, wenn Elon Musk einen Wunsch frei hätte, worin würde der bestehen?
Walter Isaacson: Elon Musk würde kurz mit den Fingern schnippen – und uns zum Mars bringen. Es geht ihm darum, dass die Menschheit in Zukunft multiplanetarisch lebt und sich das menschliche Bewusstsein in der gesamten Galaxie verbreitet.
Ein ambitioniertes Ziel, denn weiter als bis zum Mond sind Menschen bislang nicht gekommen. Glauben Sie, dass Musk zumindest den Grundstein für den Umzug auf andere Planeten legen kann?
Musk wird eine Rakete auf dem Mars landen lassen – und zwar noch zu seinen Lebzeiten. Ich vermute, dass es innerhalb der nächsten 20 Jahre so weit sein wird. Allerdings wird sich Musk nicht selbst an Bord befinden, er ist nicht wie der Amazon-Gründer Jeff Bezos, der 2021 persönlich in den Weltraum geflogen ist.
Was treibt Musk bei diesem Ziel an? Er könnte sich auf weit irdischere Dinge konzentrieren. Etwa seinen enormen Reichtum genießen oder sich wie Bill Gates vor allem für wohltätige Zwecke engagieren.
Musk hat eine besondere Gabe – er ist in der Lage, das Unmögliche möglich zu machen. Deshalb zieht es ihn zum Mars. Er hat eine genaue Vorstellung von seiner eigenen Rolle in der Menschheitsgeschichte.
Walter Isaacson, Jahrgang 1952, ist Schriftsteller und Journalist. Isaacson war Herausgeber des "Time Magazine" und Vorstand von CNN, später leitete er die Denkfabrik "Aspen Institute". 2008 berief ihn der damalige US-Präsident Barack Obama zum Vorsitzenden des "Broadcasting Board of Governors". Gegenwärtig hat Isaacson eine Professur für Geschichte an der Tulane University in New Orleans inne. Der Historiker ist Autor zahlreicher Bücher, seine Biografie über den Apple-Gründer Steve Jobs avancierte 2011 zum internationalen Erfolg. Am 12. September 2023 erscheint Isaacsons neues Buch "Elon Musk. Die Biografie" bei C. Bertelsmann.
Woher stammt das?
Zum Teil liegt das sicher an seiner früheren Lektüre von Comicbüchern.
Comicbücher?
Ganz richtig. Vieles von dem, was er heute anstrebt, zeichnet sich bei den Superhelden in den Comics bereits ab. So etwa die Idee, die Menschheit zu einer multiplanetaren Spezies zu machen, uns in das Zeitalter der Elektromobilität zu führen und Künstliche Intelligenz sicherer zu machen.
Nun hat sich Musk in gewisser Weise selbst zum Retter der Welt ermächtigt, was immer wieder kritisiert wird.
Manche von Musks Ideen sind wild, andere erscheinen verrückt. Aber wie hat es einmal Steve Jobs ausgedrückt: "Die Menschen, die verrückt genug sind, zu denken, dass sie die Welt verändern können, sind diejenigen, die es tun." Ja, Musk wird oft kritisiert, aber er hat ein ziemlich starkes Selbstbewusstsein und die Überzeugung, über Fähigkeiten zu verfügen, die der Menschheit nützen können.
Musk gilt als Genie, aber ein überaus schwieriges. Steht er sich selbst im Weg?
Werfen wir einen Blick auf die Fakten: Fast im Alleingang hat er die Welt in eine Ära der elektrischen Mobilität katapultiert. Musks SpaceX-Raketen transportieren dieses Jahr mehr Fracht in den Weltraum als jedes andere Unternehmen und jede weltraumfahrende Nation zusammengenommen. Damit nicht genug, Musks Firma Starlink verfügt bereits jetzt über Tausende Satelliten im niedrigen Orbit um die Erde – womit Musk ein privates Kommunikationssystem geschaffen hat, das seinesgleichen sucht.
Die ukrainischen Streitkräfte profitieren seit der russischen Invasion 2022 von Musks Starlink-Satelliten, um den Zugang zum Internet zu halten.
Mit den Starlink-Satelliten bietet Musk das einzige System, das die Russen nicht hacken können. Das hilft der Ukraine in diesem Krieg tatsächlich. Als Musk damit begann, tauschte er sich darüber ständig mit dem stellvertretenden ukrainischen Ministerpräsidenten Mychajlo Fedorow aus. Aber eines Nachts wollte die Ukraine einen Unterwasserdrohnen-Angriff mittels Starlink-Unterstützung starten, um die russische Schwarzmeerflotte in Sewastopol zu versenken. Das wäre wie der Angriff der Japaner auf Pearl Harbour im Zweiten Weltkrieg gewesen. Musk bekam es tatsächlich mit der Angst zu tun.
Warum?
Musk fragte mich einmal: "Wer gibt mir diese Macht?" Er habe Starlink geschaffen, damit die Menschen Filme anschauen oder Computerspiele spielen können. Dieser Angriff hätte einen Weltkrieg auslösen können, das war Musks Befürchtung. Deshalb schaltete er Starlink damals rund um die Krim herum ab. Die Unterwasserdrohnen versanken oder wurden an den Strand gespült. Seitdem hat er viel nachgedacht.
Tatsächlich ist Musks potenzielle Macht, den Verlauf eines Krieges zu ändern, bedenkenswert. Von seinem Einfluss auf X, ehemals Twitter, Tesla, SpaceX und anderen Unternehmungen ganz abgesehen.
In der Tat. Wenn die CIA oder das US-Militär über diese Macht verfügen wollen, dann müssen sie Satelliten bauen, die so gut sind wie seine. Das war Musks erster Gedanke. Am Ende hat er aber einen Handel geschlossen. SpaceX verkauft jetzt eine militärische Version von Starlink mit dem Namen Starshield an die US-Regierung und ihre Geheimdienste.
Nun ist davon zu lesen, dass die chinesische Regierung Vorkehrungen trifft, damit Starlink Taiwan im Falle eines militärischen Konflikts nicht zu Hilfe kommt.
Starlink soll weder der chinesischen Bevölkerung dabei helfen, die Internetsperren zu umgehen, noch Taiwan bei der Verteidigung. So will es Peking. Und immerhin hat Musk eine Fabrik in Shanghai, in der viele Teslas gebaut werden. Es wäre also unklug, China gegen sich aufzubringen.
Ob wir wollen oder nicht: Tatsächlich scheint das Schicksal der Menschheit doch zu einem gewissen Grad in Musks Händen zu liegen. Fühlt er so etwas wie Verantwortung?
Er ist sich der Verantwortung bewusst, vielleicht sogar zu stark. Musk hält sich für den Einzigen, der in der Lage ist, amerikanische Astronauten ins All zu bringen oder uns die Ära der Elektrofahrzeuge zu bescheren. Musk sieht sich selbst als historische Figur, das erlaubt es ihm, Regeln zu brechen. So sieht er das zumindest.
Flößt Ihnen das nicht auch Furcht ein? Bei all seiner Macht erscheint Musk bisweilen doch ziemlich sprunghaft und unberechenbar, er kann fast nach Belieben schalten und walten.
Bei manchen Regeln bin ich froh, dass Musk sie bricht. Bei anderen wünsche ich mir, dass er es nicht tun würde. Sie sehen, es ist eine schwierige Frage.
Was würden Sie als Musks Erfolgsrezept bezeichnen?
Musk kann ein überaus ungestümer, ungeduldiger und unreifer Typ sein. Aber es sind genau diese Ungeduld und diese Impulsivität, die dazu geführt haben, dass Musk heute Raketen in den Weltraum befördert – und andere Leute eben nicht. Das ist der Grund für seinen Erfolg. Dazu kommt, dass er die grundlegenden Prinzipien von Physik, Produktions- und Raketentechnologie versteht. So kann er bessere Raketen bauen als andere.
Sie haben gerade einige Charaktereigenschaften von Musk aufgezählt. Gehört auch Überheblichkeit dazu?
Er ist der Überzeugung, dass sich viel zu viele seiner Mitmenschen immer nur brav an die Regeln und Vorschriften halten, die Anwälte ihnen auferlegen. Das kann Musk überhaupt nicht ausstehen. Er ist bereit, da Risiken einzugehen, wo andere vorsichtig sind. Denn Musk ist davon überzeugt, dass viele Leute den risikoreichen Abenteuergeist verloren hätten, der die Menschheit in der Vergangenheit so erfolgreich gemacht hat.
Nun ist eine rationale Risikoabwägung durchaus ratsam. Verzettelt sich Musk? Bei Twitter agiert er eher erratisch.
Wir werden sehen. Musk verfolgt vor allem drei große Ziele: Erstens will er die Menschheit zu anderen Planeten bringen, das wäre SpaceX. Dann soll ein Zeitalter der Nutzung erneuerbarer Energien folgen. Wofür Tesla den Grundstein gelegt hat. Drittens will Musk dafür sorgen, dass die Nutzung der Künstlichen Intelligenz sicherer wird. Schließlich will niemand Roboter oder eine Künstliche Intelligenz erleben, die unserer Kontrolle entgleiten und die Menschheit vernichten. Die Übernahme von Twitter ist noch einmal eine andere Geschichte.
Für die Rettung der Menschheit vor der Klimakrise könnte Musk auch von den eher Linken auf X gefeiert werden. Seine Übernahme des Kurznachrichtendienstes sorgte dort stattdessen wegen seines Rechtsschwenks für Entsetzen.
Musk hat seine politische Ausrichtung tatsächlich neu justiert. Er hat einst Barack Obama unterstützt, auch Joe Biden. Dann hat er sich nach rechts gewandt, zu etwas, was in Deutschland, Frankreich oder auch Ungarn keinesfalls unbekannt ist – und zwar der neuen populistischen Rechten mit ihrer ausgeprägten Anti-Establishment-Ausrichtung.
Warum?
Zum Teil lag es an den Regulierungen während der Corona-Pandemie – und all den Leuten, die versucht haben, Musks Fabriken zu schließen. Das ging ihm zu weit, er mag einfach keine Regulierung. Dazu kommen Angriffe vonseiten mancher Demokraten. Elizabeth Warren …
… die sich 2020 vergeblich um die Kandidatur der Demokratischen Partei für das Weiße Haus bemüht hatte ...
…warf Musk einmal vor, dass er zu wenig Steuern bezahle. Obwohl er in diesem Jahr mehr Steuern gezahlt hatte als irgendjemand jemals zuvor in der Geschichte. Schließlich gibt es auch noch einen eher familiären Grund. Eines seiner Kinder wechselte das Geschlecht, dieser Übergang machte Musk auch nichts aus. Zugleich äußerte sich das betreffende Kind aber sehr antikapitalistisch. Musk bekam das Gefühl, dass hier eine "Infektion" mit dem "Woke Mind Virus" vorläge.
Mit dem Kampfbegriff "Woke Mind Virus" kritisiert die Rechte ihrer Ansicht nach überzogene politische Korrektheit, Cancel Culture und auch Zensur. Musk hingegen pocht immer wieder auf das Recht auf Redefreiheit, das er wiederum äußerst weit interpretiert. Wieso ist ihm das so wichtig?
Musk hat einen Rechtsruck erlebt, er war ein wenig besessen von diesem Anti-Wokeness-Konservatismus. Allerdings glaube ich nicht, dass er der Politik insgesamt allzu viel Aufmerksamkeit schenkt. So wird sich alles möglicherweise noch ein wenig korrigieren. Er ist ein vielschichtiger Mensch: Manchmal wird Musk richtig wütend, etwa bei bestimmten Äußerungen von Progressiven von der linken Seite. Dann gibt es Zeiten, zu denen er ruhig und ausgeglichen ist. Dann betont Musk, dass in politischen Streitfragen allen Seiten zugehört werden müsse.
Diente der Kauf von Twitter diesem Ziel? Damit erklärte sich Musk selbst zum vorgeblichen Anwalt der Redefreiheit und löst damit andauernde Kontroversen aus.
Social-Media-Unternehmen sind während der Corona-Pandemie restriktiv gegen manche Meinungsäußerungen vorgegangen. Wer sich gegen Lockdowns, die Schließung von Schulen oder die Maskenpflicht ausgesprochen hat, wurde zensiert. Auch, wer sich zu dem möglichen Ursprung des Virus aus einem chinesischen Labor in Wuhan geäußert hat. Ich persönlich halte die damaligen Corona-Maßnahmen für richtig. Aber vielleicht hätten wir darüber mehr debattieren müssen.
Musk will also ausschließlich mehr Diskussion? Tatsächlich wird angesichts seiner Macht über X das Gegenteil befürchtet. Und gibt es eigentlich Grenzen, die Musk respektiert?
Musks Antwort wäre immer dieselbe: Wenn man alle Seiten anhört, führt das am Ende zur richtigen Antwort. Andererseits hält er es für wichtig, die jeweiligen Gesetze eines Landes zu befolgen.
Wie ist das gemeint?
In Deutschland gelten zum Beispiel teils strengere Informations- und Redebeschränkungen als in den USA. Wenn es zum Beispiel um die Leugnung des Holocaust geht. Für Musk ist das in Ordnung, die Menschen sollen selbst wählen können, was in ihrem Land zulässig sein soll und was nicht. In den Vereinigten Staaten gilt hingegen der erste Verfassungszusatz. Er besagt, dass jeder sagen kann, was er will. Das ist eine sehr weitreichende Regelung und führt fraglos zu Problemen.
In Bezug auf seine Unternehmen ist Musk allerdings für eine restriktive Informationspolitik bekannt. Ist das nicht ein Widerspruch?
Da geht es weniger um Rede- oder Pressefreiheit. Er will nicht, dass seine Mitarbeiter ohne Erlaubnis Informationen nach außen geben. Es ist aber ein bedenkenswerter Widerspruch, ja.
Von der Politik aber abgesehen: Wie gelingt es Musk, in seinem Firmenimperium den Überblick zu behalten?
Musk verfügt über eine besondere Fähigkeit: Er kann sich extrem gut auf eine Sache konzentrieren. Das war schon in der Schule so. Er konzentrierte sich auf ein Blatt am Baum oder eine mathematische Gleichung. Die anderen Kinder fuchtelten dann mit den Händen vor seinem Gesicht herum, aber Musk reagierte nicht, weil er sich gedanklich an einem anderen Ort befand. Ich selbst habe Musk immer wieder in seinem Alltag beobachten können, er hat bisweilen zehn, zwölf Besprechungen pro Tag. Jedes Mal fokussiert er sich dabei auf einen bestimmten Aspekt. Sei es ein Problem mit dem Triebwerk einer SpaceX-Rakete oder ein Problem mit dem Lack eines Tesla-Modells. Oder darauf, Videos auf X zu posten. Selbstverständlich passieren zur gleichen Zeit in seinem Imperium andere Dinge. Aber das ist Musk egal, er marschiert in seinem eigenen Tempo. Soll ich Ihnen eine Anekdote erzählen?
Bitte.
Vor einiger Zeit kam Musk nach Deutschland zur Eröffnung der Tesla Gigafactory in Brandenburg. Musk war schließlich zwei Stunden zu spät dran, alles verzögerte sich deswegen. Warum? Weil Musk im Hinterzimmer ein Videospiel gespielt hatte. Er war einfach völlig fokussiert darauf. Schließlich mussten sie ihn geradezu rauszerren.
Vor Ihrer Biografie über Elon Musk haben Sie Bücher über erfolgreiche Männer wie Leonardo da Vinci, Benjamin Franklin und Steve Jobs geschrieben. Konnten Sie Parallelen ausmachen?
Da muss ich Sie weitgehend enttäuschen. Allerdings eint alle diese Männer die Eigenschaft der Neugier. Sie sehen Muster in der Natur, sie wollen einfach alles wissen. Aber grundsätzlich gilt: Jedes Genie ist unterschiedlich. Benjamin Franklin etwa war der freundlichste und umgänglichste Mensch.
Diese Eigenschaften werden nicht unbedingt Elon Musk zugeschrieben. Er gilt als äußerst fordernd. Ist dies eine Folge seines Asperger-Syndroms, über das er öffentlich spricht?
Musk ist nicht sehr empathisch. Die Hälfte seiner Zeit kümmert es ihn nicht, ob ihn die Leute in seiner Umgebung mögen. Wenn wir drei uns zum Abendessen verabreden würden, wäre jeder von uns darum besorgt, dass es den beiden anderen auch gut geht. Wenn aber einer unter uns unglücklich wäre, würden wir es merken. Musk verfügt nicht über die notwendigen emotionalen Rezeptoren dafür. Deshalb ist es ihm egal, was die breite Masse der Menschen über ihn denkt. Aber wenn jemand etwas über ihn sagt, was er für unwahr hält? Dann reagiert er gereizt und wird wütend.
Konnten Sie als sein Biograf zu Musk eigentlicher Persönlichkeit vorstoßen? In der Öffentlichkeit haben wir im Laufe der Jahre zahlreiche seiner Facetten erlebt.
Claire Boucher, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Grimes, ist eine seiner Freundinnen. Sie berichtet, dass man herausfinden muss, womit man es bei Musk gerade zu tun hat. Er kann albern sein, manchmal ist er aber auch im Dämonenmodus. Zu anderer Gelegenheit ist er dann durch und durch der Ingenieur, voll konzentriert auf die Technik. Ich hatte damals einige seiner Tweets bezüglich eines kommenden Kampfes mit Mark Zuckerberg von Meta gelesen – und sie ernst genommen. Dann kam heraus: Das ist sein Sinn für Humor.
Weniger humorvoll war ein Tweet über Paul Pelosi, dem Ehemann der früheren Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, der im gemeinsamen Haus von einem Einbrecher schwer verletzt worden ist. In einem später gelöschten Tweet hatte Musk die Behauptung aufgestellt, der Einbrecher wäre ein Callboy gewesen.
Das ist ebenfalls Elon Musk. Ein düsterer und verschwörerischer Elon Musk.
Nun wurden viele Überlegungen angestellt, warum Musk so wurde, wie er ist. Welche Rolle spielt sein familiärer Hintergrund, seine Kindheit?
Der Blick in Musks Vergangenheit zeigt, dass er eine brutale und gewalttätige Kindheit erlebt hat. Sein eigener Vater stellte sich damals auf die Seite der Tyrannen, die Musk auf dem Schulhof verprügelt haben. Errol Musk war ein großartiger Ingenieur, aber Elon hat zu viel von der Persönlichkeit seines Vaters geerbt. Elons Mutter, die sich schon früh von seinem Vater scheiden ließ, sagte mir einmal, dass die größte Gefahr darin bestehe, dass Elon zu seinem Vater werde. Das Ergebnis von Musks Erfahrungen in der Kindheit sieht man heute, wenn er Leute in Besprechungen beschimpft. Das schreckt viele ab. Andererseits weiß er über technische Fragen wie Wärmeleitfähigkeit genauestens Bescheid. Das beeindruckt wiederum die Techniker. In der Kindheit wird also viel von der Persönlichkeit eines späteren Erwachsenen geschmiedet – und Musk ging damals durchs Feuer.
Und polarisiert heute die Öffentlichkeit so, wie sein Vater damals die Familie polarisiert hat?
Ja. Bei Geeks und Technikern ist Musk beliebt, weil sie eher die technische Seite sehen. Andere Äußerungen und Handlungen mit politischen Auswirkungen machen ihn wiederum vor allem bei Linken unpopulär. Darum hat Musk diese glühenden Fanboys und diese eingeschworenen Feinde. Er polarisiert einfach. Mein Buch über ihn muss sich zwischen diesen beiden Polen zurechtfinden – denn ich gebe den Lesern nicht vor, was sie denken sollen. Wenn Sie Musk mögen, dann werden sie zwischen den Buchdeckeln Geschichten finden, die Sie erfreuen. Wenn Sie ihn für einen Mistkerl halten, dann werden Sie ebenso entsprechende Geschichten finden. Meine Hoffnung ist, dass am Ende der Lektüre möglichst viele Menschen sagen werden: "Ich verstehe!"
Lassen sich Genies wie Elon Musk überhaupt verstehen? Erst recht, wenn er sich so kontrovers gebärdet? Der Microsoft-Gründer Bill Gates gilt hingegen mittlerweile als Everybody's Darling.
Ich bin alt genug, um mich an Zeiten zu erinnern, in denen Gates vollkommen unbeliebt gewesen ist. Bevor er seine wohltätige Stiftung gegründet hat. Das war ein erstaunlicher Schachzug. Denn wie Musk ist auch Bill Gates nicht besonders gut darin, die Emotionen anderer Menschen wahrzunehmen. Andererseits liegt ihm die Menschheit sehr am Herzen. Was bei Elon Musk aber auch nicht anders ist. Wer weiß, vielleicht gilt Musk auch irgendwann als anständiger Kerl?
Für die Arbeit an Ihrem Buch haben Sie Musk über Jahre begleitet. Gab es Einschränkungen oder Auflagen?
Musk hat mir keinerlei Restriktionen auferlegt. Auch nicht, als es um seine Beziehungen zu Frauen ging. Die mit seiner ersten Frau verlief fürchterlich, aber er ließ sie alle mit mir sprechen. Auch mit Amber Heard. Zu jeder Tageszeit erzählte Musk mir, worauf er gerade Lust hatte. Es platzte geradezu aus ihm heraus. Ich weiß jetzt mehr über Elon Musk als über mich selbst. Ich habe noch nie jemanden so intensiv erlebt, der mir zugleich so viele Informationen gegeben hat. Es war eine Achterbahnfahrt mit all diesen verschiedenen Elon Musks.
Haben Sie ein Beispiel?
Es gab Zeiten, in denen er am laufenden Band interessante, kluge und geniale Dinge gemacht hat. Dann aber kam es vor, dass er in einer Besprechung mit ein paar jungen Mitarbeitern saß, die ihn kaum kannten. Zu denen war er schrecklich. Er war wirklich gemein zu ihnen. Und ich hockte da und machte mir Notizen. Ich durfte sogar seine Textnachrichten lesen, ich war dabei, wenn er schwierige Gespräche mit seinen Freundinnen führte. War das unangenehm für mich? Manchmal. War es aufregend? Das war es immer.
Herr Isaacson, vielen Dank für das Gespräch.
Anmerkung der Redaktion: Mittlerweile hat Walter Isaacson seine bei t-online getätigten und in seiner Musk-Biografie enthaltenen Aussagen in Bezug auf Starlink geändert. Demnach hätten die ukrainischen Streitkräfte damals gedacht, dass "die Abdeckung [durch Starlink, Anmerkung der Redaktion] bis zur Krim aktiviert war, aber das war sie nicht", wie Isaacson auf X, vormals Twitter, erklärte. Musk habe sie dann trotz des Wunsches der Ukraine nicht für einen geplanten Angriff aktiviert, "weil er – wahrscheinlich zu Recht – dachte, dass dies einen großen Krieg auslösen würde", so Isaacson.
- Walter Isaacson: "Elon Musk. Die Biografie", 832 Seiten, (38,00 Euro) im Verlag C. Bertelsmann. Erscheint am 12. September 2023
- Persönliches Gespräch mit Walter Isaacson via Videokonferenz