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"Anne Will": Ukraine-Botschafter nennt Talkgast "moralisch verwahrlost"


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Hitzige Debatte bei "Anne Will"
Ukraine-Botschafter nennt Talkgast "moralisch verwahrlost"

Von Peter Luley

09.05.2022Lesedauer: 3 Min.
Andrij Melnyk: "Das ist eine völlige Illusion, was Sie da anbieten".Vergrößern des Bildes
Andrij Melnyk: "Das ist eine völlige Illusion, was Sie da anbieten". (Quelle: imago-images-bilder)
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Der ukrainische Botschafter Melnyk und der Soziologe Welzer geraten heftig aneinander – zwischenzeitlich wird die Gesprächsatmosphäre so hitzig, dass sich nicht nur Kevin Kühnert "sehr unangenehm" fühlt.

"Mehr Waffen für die Ukraine – ist das der Weg zum Frieden?" lautete das Thema der gestrigen "Anne Will"-Ausgabe, die mit Auszügen aus der Olaf-Scholz-Ansprache vom selben Abend begann. Deren Ausdeutung verlief noch in normalen Bahnen.

Der Soziologe Harald Welzer, Gegner von Waffenlieferungen und Unterzeichner des entsprechenden ersten offenen Briefs an den Bundeskanzler, fand die Rede "hochgradig indifferent" und bemängelte, ihm sei durch sie wenig mehr klar geworden.

CDU-Mann Ruprecht Polenz, Befürworter von Waffenlieferungen und Unterzeichner des entsprechenden zweiten Briefs, hatte den Eindruck, Scholz sammle seine Mannschaft um sich, und äußerte die Hoffnung, dass das "Stolpern" nach der "Zeitenwende"-Rede jetzt "durchgestanden" sei.

Die Gäste

  • Kevin Kühnert, SPD-Generalsekretär
  • Britta Haßelmann, Co-Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion
  • Ruprecht Polenz (CDU), Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde
  • Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine in Deutschland
  • Harald Welzer, Soziologe und Publizist

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert verteidigte den Kanzler und begründete die Rede damit, dass es in Kriegszeiten das Bedürfnis gebe, bestätigt zu bekommen, dass "es unverrückbare Prinzipien sind, die die Regierung leiten".

Auch Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann fand, "dass es gut war, dass der Kanzler an diesem besonderen Tag versucht hat, uns eine Einordnung zu geben".

Und sogar der für seine verbalen Zuspitzungen bekannte ukrainische Botschafter Andrij Melnyk lobte zunächst den jüngsten Bundestagsbeschluss für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine – wenngleich er im selben Atemzug anmahnte, dass es wichtig wäre, seinem Land mehr zu liefern als "sieben Panzerhaubitzen".

Brief-Positionen sorgen für Krach

Als die Moderatorin Welzer und Polenz einlud, noch einmal ausführlicher ihre unterschiedlichen (Brief-)Positionen darzulegen, wurde die Atmosphäre allmählich konfrontativer.

Welzer sah einen "Gewaltprozess", dessen "Eskalationsdynamik" die Gefahr einer "Entgrenzung" mit sich bringe, und berief sich auf den Philosophen Jürgen Habermas, der in einem Gastbeitrag für die "Süddeutsche Zeitung" kürzlich ebenfalls festgestellt habe, "dass ein Krieg gegen eine Atommacht nicht gewonnen werden kann".

Diese These sei "empirisch falsch", hielt Polenz dagegen und verwies auf die Niederlage der Atommacht USA in Vietnam und auf die Erfahrungen in Afghanistan. Eine Eskalationsgefahr sah er vielmehr im Nichthandeln: Denn wenn Putin mit seinem Angriffskrieg in der Ukraine Erfolg habe, werde es "übermorgen mit einem anderen Land weitergehen".

Welzer dagegen warnte vor "permanenter Aufrüstung", die in einen "dauerhaften Zermürbungskrieg" münden würde, und schlug vor, "neben die Logik der Gewalt die Logik der Diplomatie, des Verhandelns zu setzen".

Andrij Melnyk: "Moralisch verwahrlost"

Ungefähr da begann Andrij Melnyk, sich in Rage zu reden: "Das ist eine völlige Illusion, was Sie da anbieten", fuhr er den Soziologen an, "es ist einfach für Sie, in Ihrem Professorenzimmer zu sitzen und zu philosophieren".

Anne Will versuchte, ihren Gast noch einzufangen ("Nicht diskreditieren, Herr Melnyk!"), aber der war nun in Fahrt: Aus der deutschen Geschichte ergebe sich die Verpflichtung, der Ukraine zu helfen, Welzer dagegen wolle, dass die Ukraine sich ergebe. Das sei "moralisch verwahrlost".

Welzer keilte zurück: "Mir fällt das häufig auf, dass Sie unglaublich offensiv mit Gesprächspartnern umgehen", wandte er sich an den Diplomaten und fragte rhetorisch, "wo Sie das hernehmen, dass Sie über die Motive von Menschen einfach urteilen." Er äußere sich schließlich nicht aus "Jux und Tollerei, sondern aus einer ernsthaften Erwägung und vor historischen Hintergründen". In dem Zusammenhang nannte er die "ganz präsente" deutsche Kriegserfahrung, "die sich durch Generationen durchgezogen hat".

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Als Melnyk etwas einwerfen wollte, fuhr Welzer ihm über den Mund ("bleiben Sie mal beim Zuhören"), woraufhin dieser ihn anblaffte: "Ich bin kein Student." Melnyk: "Zehn Millionen Ukrainer haben Ihre Vorfahren vernichtet. Das ist eine Schuld gegenüber der Ukraine." Welzer: "Herr Melnyk, informieren Sie sich über meine wissenschaftliche Arbeit, dann müssen Sie mir mit dem Argument nicht kommen. Das ist doch einfach borniert."

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Kevin Kühnert fühlt sich "unangenehm"

Anne Will wollte dann gerne darüber weiterdiskutieren, ob in dem Brief wirklich die Kapitulation der Ukraine gefordert werde – was Welzer verneinte –, aber Kevin Kühnert hatte keine Lust mehr auf Textexegese: "Ich hab mich die letzten Minuten hier gerade sehr unangenehm gefühlt, weil ich den Eindruck hatte, das ist der Sache und dem Moment nicht angemessen." Er mache sich Sorgen um den inneren Zusammenhalt unserer Gesellschaft und darüber, "dass wir die Kulturtechnik des Diskutierens verlieren".

Ähnlich schien es Britta Haßelmann zu gehen, die dafür warb, "dass wir reden müssen – nicht nur im Parlament, auch in der Gesellschaft". Subtext: Aber vielleicht nicht unbedingt so, wie es die Herren Melnyk und Welzer gerade vorgeführt hatten.

Verwendete Quellen
  • "Anne Will" vom 8. Mai 2022
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