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Ukraine | Schlacht ums Stahlwerk von Mariupol: Russen landen Truppen in Booten an


Separatisten veröffentlichen Aufnahmen
Entscheidungsschlacht in Mariupol: Heftige Explosionen in Stahlwerk

Von afp, dpa, reuters, ne, lw

Aktualisiert am 04.05.2022Lesedauer: 5 Min.
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Explosionen in Azow-Stahlwerk: Separatisten veröffentlichten diese Aufnahmen. (Quelle: t-online)

Noch immer sitzen zahlreiche Zivilisten im Stahlwerk der Hafenstadt Mariupol fest. Russland hat trotzdem einen neuen Großangriff gestartet. Aktuelle Bilder und Berichte von Geretteten zeichnen ein verheerendes Bild.

Es gilt als letzte Bastion der ukrainischen Kämpfer: Das Stahlwerk Asowstal ist das einzige Gelände in der südostukrainischen Hafenstadt Mariupol, das noch in Teilen unter Kontrolle von ukrainischen Soldaten steht. Darin verschanzt sich das Freiwilligenregiment Asow – und berichtet nun von einem Großangriff. Seit Dienstag sollen russische Bodentruppen und Panzer das Werk attackieren.

Die ganze Welt schaut seither gebannt zu. Was passiert dort? Gibt es noch Hoffnung für die eingeschlossenen Zivilisten? Und was berichten jene, die entkommen konnten? Ein Überblick über die wohl entscheidende Schlacht in Mariupol.

Die militärische Lage: "Die ganze Nacht haben sie uns aus der Luft bombardiert (...) und jetzt wird Asowstal gestürmt", zitierte die Zeitung "Ukrajinska Prawda" den Vizekommandeur des Asow-Regiments, Swjatoslaw Palamar. Die russischen Truppen versuchten, "eine große Zahl von Infanteristen mit Booten" anzulanden, berichtete Palamar in einer Videobotschaft.

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Indes sitzen noch zahlreiche Zivilisten in Tunneln auf dem Werksgelände fest. Dem Bürgermeister von Mariupol, Wadym Boitschenko, zufolge handelt es sich um etwa 200 Menschen. Palamar forderte, "sofort" zu versuchen, sie in Sicherheit zu bringen. Bei den Bombardements, die dem Angriff vorausgingen, seien zwei Frauen getötet und etwa zehn weitere Zivilisten verletzt worden.

Im Laufe des Mittwochs berichtete Boitschenko von "heftigen Kämpfen" auf dem Gelände. Der Kontakt zu den ukrainischen Soldaten im Asow-Werk sei abgerissen, sagte Boitschenko im ukrainischen Fernsehen. Die Behörden wüssten deshalb nicht, ob die dortigen ukrainischen Soldaten "sicher sind oder nicht". Dem Abgeordneten David Arachamia zufolge drangen russische Truppen am Mittwochnachmittag auf das Gelände des Stahlwerks vor. Laut Arachamia stehe man jedoch in Kontakt mit den Verteidigern.

Prorussische Separatisten aus der "Volksrepublik" Donezk veröffentlichten entgegen der Behauptungen des Kremls, es gebe keinen Großangriff, Videomaterial ihrer Aktivitäten rund um das Stahlwerk. Neben mehreren Panzern sind darauf auch zahlreiche Explosionen sowie starke Rauchentwicklung über der Anlage zu sehen.

Rettungsaktion am Mittwoch geplant

Mögliche Rettungsaktionen: Dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zufolge bereitet man im Laufe des Mittwochs weitere Rettungsaktionen aus Mariupol vor. "Das ist kompliziert. Aber wir brauchen sie alle", sagte der Präsident mit Blick auf die eingeschlossenen Menschen. Die ukrainische Vizepremierministerin Iryna Wereschtschuk formulierte es zurückhaltender: Es sei eine Evakuierungsaktion geplant, "wenn die Sicherheitslage es zulässt".

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Als Treffpunkt für den Transport nannte die Gebietsverwaltung von Saporischschja in der Nacht ein großes Einkaufszentrum im Westen von Mariupol. Es liegt aber mehrere Kilometer entfernt vom Stahlwerk Asowstal. "Die Evakuierung findet mit Unterstützung der UN und des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz statt", teilte Gouverneur Oleksandr Staruch auf Telegram mit.

Das russische Militär kündigte am Mittwochabend die Einrichtung von humanitären Korridoren aus dem belagerten Stahlwerk an. Diese würden von Donnerstag bis Samstag von 7 Uhr bis 17 Uhr (MESZ) gelten, um Zivilisten ein Verlassen des Geländes zu ermöglichen. Die russischen Truppen würden während dieser Zeit ihre militärischen Aktivitäten einstellen und sich in eine sichere Entfernung zurückziehen.

Erfolgreiche Evakuierung am Dienstag

Bereits am Dienstagabend konnten bei Evakuierungen der UN und des Roten Kreuzes insgesamt 156 Zivilisten aus der Anlage des Stahlwerks und anderen Teilen von Mariupol ins ukrainisch kontrollierte, rund 230 Kilometer weiter nordwestlich gelegene Saporischschja gebracht werden. Der Präsident zeigte sich erleichtert: "Endlich sind diese Menschen in völliger Sicherheit", sagte er in seiner Videobotschaft vom Dienstagabend in Kiew. Die Evakuierung sei unter großen Mühen, mit langen Verhandlungen und der Hilfe verschiedener Vermittler vorbereitet worden.

Verstörende Berichte: Die Zivilisten hatten in den Bunkern des Stahlwerks Wochen verbracht. Einige von ihnen hätten nach zwei Monaten in den Bunkern erstmals wieder Tageslicht gesehen, teilte die Ukraine-Beauftragte des UN-Nothilfebüros (OCHA), Osnat Lubrani, mit.

Emotionale Momente nach Wochen voller Angst

Lubrani berichtete von emotionalen Momenten während der gefährlichen Reise. Ein sechs Monate altes Baby habe mit einem Grashalm gespielt, "das erste Mal in seinem Leben", wie dessen Mutter ihr gesagt habe. Aus dem Stahlwerk Gerettete hätten vor Freude geweint, als sie Verwandte wiedersahen, die in einem anderen Bunker Zuflucht gefunden hatten und von denen sie wochenlang nicht wussten, ob sie die verheerenden Bombardierungen überlebt hatten.

"Mütter, Kinder und Großeltern haben von dem Trauma erzählt, Tag für Tag unter unerbittlichem Beschuss und mit Todesangst zu leben", berichtete Lubrani. Es habe im Stahlwerk kaum Wasser oder Nahrungsmittel und völlig unzureichende Sanitäranlagen gegeben. Die Menschen seien durch die Hölle gegangen. Das russische Militär bombardiert die ukrainische Hafenstadt Mariupol seit Wochen und hat sie weitgehend in Schutt und Asche gelegt.

"Eine riesige Erleichterung"

Einige der Ankommenden seien verletzt, berichtete das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), das den Konvoi mit Autos mit weißen Fahnen und rotem Kreuz darauf begleitet hatte. "Es ist eine riesige Erleichterung, dass einige Zivilisten, die wochenlang gelitten haben, nun draußen sind", sagte IKRK-Präsident Peter Maurer.

Lubrani zeigte sich besorgt, dass Menschen anderswo in den von Russland angegriffenen Gebieten in einer ähnlich schwierigen Lage seien. Die Vereinten Nationen täten alles, um weitere Konvois zu organisieren. Zahlreiche Rettungsversuche waren in den vergangenen Wochen gescheitert, weil es keine Sicherheitszusagen gegeben hatte. Auch müssten die weiterhin in den zerbombten Gebäuden in Mariupol ausharrenden Menschen dringend mit Wasser, Nahrung und anderen lebenswichtigen Gütern versorgt werden.

Russland rechtfertigt Großangriff

Russlands Rechtfertigung: Mit der Rettungsaktion am Dienstag rechtfertigt Russland wiederum seine Offensive. Das russische Verteidigungsministerium warf dem Asow-Regiment vor, die zur Evakuierung von Zivilisten ausgerufene Waffenruhe ausgenutzt zu haben, um neue Stellungen auf dem ausgedehnten Fabrikgelände zu beziehen. Diese würden jetzt angegriffen. Von einem Großangriff könne keine Rede sein, betonte Kremlsprecher Dmitri Peskow.

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Zudem hat das russische Militär Vorwürfe zurückgewiesen, Zivilisten die freie Ausreise auf ukrainisch kontrolliertes Gebiet zu verwehren. Seit dem 4. März öffneten die russischen Streitkräfte in Mariupol täglich "Fluchtkorridore ohne irgendwelche Einschränkungen für die Evakuierung von Zivilisten, in erster Linie Frauen, Kindern und älteren Menschen in jeder von ihnen gewählten Richtung", erklärte Generaloberst Michail Misinzew vom russischen Verteidigungsministerium am Dienstag.

Die russische Militärführung antwortete damit auf Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron, der zuvor in einem Telefonat mit Kremlchef Wladimir Putin gefordert hatte, den Evakuierten entsprechend internationalem Recht freie Wahl über ihren Zielort zu lassen. In der Vergangenheit hatte es mehrfach Berichte gegeben, dass Zivilisten aus der schwer zerstörten ukrainischen Hafenstadt gegen ihren Willen nach Russland oder in die russisch kontrollierten Gebiete des Donbass gebracht worden waren.

Humanitäre Lage ist desaströs

Mariupol zählte vor dem russischen Angriffskrieg etwa 400.000 Einwohner. Nach Schätzungen harren noch 100.000 Menschen in der weitgehend zerstörten Stadt aus. Inzwischen ist die Hafenstadt fast vollständig von russischen Truppen erobert worden.

Über die humanitäre Lage in der Hafenstadt gibt es wenige Informationen. Nach Einschätzung der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen ist sie desaströs. "Nach dem, was wir bisher an Informationen haben, lässt sich klar sagen: Es ist die totale Katastrophe", sagte die Notfallkoordinatorin der Organisation für die Ukraine, Anja Wolz, den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Twitter-Profil von Nexta
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen AFP, dpa und Reuters
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